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10.

Das Leipziger Stadttheater hatte eine seiner Glanzaufführungen. Die Walküre war angesetzt. Paula Dönges mit ihrer frühlingsfrischen Stimme, die wie ein Lenzjubel dahinströmte, sang die Sieglinde, Ellen Gulbranson die Walküre und Kraus aus Berlin den Siegmund.

Es lag wie eine Weihestimmung über dem vollbesetzten Hause. Aniane hatte ihren Platz in einer der vorderen Reihen des Mittelbalkons. Da konnte sie das Theater übersehen und sie tat es vor Beginn des Vorspiels mit der ganzen Freude am festlichen Gepränge. Eine verschwenderische Lichtfülle durchflutete das Haus. Im Mittelbalkon und in den Logen besonders gab es glänzende Toiletten und überall sah Aniane bekannte Gesichter. Ein gewisses Gefühl befriedigter Eitelkeit durchströmte wohlig ihre Brust. Früher, da hatte sie immer auf den Freiplätzen, die ihr als Konservatoristin bewilligt wurden, dort unten im Parkett oder im Hintergrunde der Loge gestanden und sich den Hals ausgereckt oder sich müde gestanden, um nur ja keinen Ton, keine Nüance zu verlieren, und jetzt saß sie da, wie die andern der Gesellschaft und brauchte nur zu genießen. Ein tiefes Dankesgefühl überkam sie, daß sie jetzt im Lichte wandeln durfte, nach dem sie sich so heiß gesehnt.

Alle Köpfe richteten sich plötzlich nach den linksseitigen Proszeniumslogen. Prinz Dolf Dietram trat, gefolgt von dem Rittmeister und Wigbert von Pflug, in die Mittelloge. Einen Augenblick verweilte der Prinz an der Brüstung und blickte prüfend in das Publikum. Das helle Licht der elektrischen Lampen ergoß sich voll über seine lichtblaue Uniform mit den blitzenden Schnüren. Jetzt ließ er den Blick wie gleichgültig den Mittelbalkon entlangschweifen und dann war es, als ginge ein leichtes Zucken über sein Gesicht. Der Prinz hatte Aniane erkannt. Er grüßte tief und ehrerbietig, und Aniane gab den Gruß mit einem leichten Neigen des Kopfes zurück. Auch der Rittmeister und Wigbert von Pflug grüßten herüber.

Alles starrte zu Aniane hin. Der Prinz hatte sie gegrüßt! Wer war das Mädchen in dem einfachen, mit schwarzen Flittern besetzten Tüllkleide, einen Veilchenstrauß an der Brust, das der Prinz so ehrerbietig grüßte? Ach, richtig, die junge Sängerin, die gestern im Lisztverein solche Triumphe gefeiert hatte. Wie vornehm sie aussah und wie stolz. Jetzt winkte ihr auch die Geheimrätin mit der Hand huldvoll aus dem Parkett zu und auch der Prinz bekam einen kordialen Gruß, als stände die Geheimrätin mindestens mit ihm aus du und du.

Jeder sollte sehen, daß sie einen Prinzen genau so behandelte wie einen anderen Sterblichen. Du lieber Gott, in ihr Haus kamen ja viele Auserlesene. Und sie, sie hatte nie einen Unterschied gemacht zwischen ihren Gästen, mochte es nun ein Prinz oder ein Graf oder gar ein armer Student sein. Sie schätzte eben nur den Menschen. Standesurteil kannte sie gar nicht. Und hochbefriedigt von dieser Selbsterkenntnis lehnte die Geheimrätin sich in ihren Sessel zurück.

Ihre beiden Töchter saßen ihr wie immer gelangweilt zur Seite. Warum die Mama sie nur in die Walküre mitschleppte? Es war so gräßlich langweilig und Maja und Maguhild verstanden die Geschichte gar nicht mit dem Bruder und der Schwester. Gelangweilt saßen sie da. Erst als hier und da in den Logen, im Mittelbalkon einige bekannte Offiziere auftauchten, und hoch oben vom »Olymp« Hans von Buttler strahlend heruntergrüßte, worüber die Mama fast einen Ohnmachtsanfall bekam, hellte sich Majas Antlitz freudig auf. Und da Maguhild stets ein Echo für ihre Schwester abgab, wurde auch ihr Mienenspiel etwas freundlicher. Sie empfanden nichts von der machtvollen Schönheit und Erhabenheit der Töne, die jetzt das Theater erfüllten. Sie freuten sich nur auf das Ende.

Aniane aber saß da, wie von einem Traume umfangen. Mit Ohr und Herz nahm sie das wunderbare Werk des großen Meisters in sich auf. Der ganze Reichtum eines großen heißen Liebeslebens wallte durch ihre Sinne. Es war ihr, als sei sie selbst da die Sieglinde, die im Zauber jugendlicher Schönheit und Liebesseligkeit über die Bühne schritt, als entströmte jeder Ton heißer Leidenschaft ihrer eigenen Kehle. Und während sie sich mit der Sieglinde seelisch eins fühlte, da spürte sie immer wieder und wieder leise eine Ahnungssicherheit, die wir empfinden, wenn ein anderer mit seinen Gedanken ganz bei uns ist. Aniane hatte bisher mit keinem Blicke mehr die Loge des Prinzen gestreift. Ihre ganze Aufmerksamkeit hing an der Bühne, ihr Auge an den Lippen der Sänger, und doch war es ihr, als brenne der Blick des Prinzen zu ihr herüber. Eine süße traumhafte Seligkeit nahm sie gefangen, und als es so jauchzend von der Bühne zu ihr heraufklang »siehe der Lenz lacht in den Saal«, da begegneten sich plötzlich ihre und des Prinzen Augen wie von einer unsichern Macht zusammengeführt.

Einen Augenblick tauchten die Blicke ineinander, dann wandten sich beider Augen der Bühne zu. Als aber Siegmunds weiche Stimme so zauberschön an ihr Ohr drang, »Winterstürme wichen dem Wonnemond«, da fühlte sich Aniane völlig losgelöst von allem irdischen Jammer, es war, als schwebe ihre Seele frei und königlich im lichtesten Aetherblau.

Der erste Akt war zu Ende. Aniane wäre am liebsten auf ihrem Platze sitzen geblieben, die Furcht aber, der Prinz könnte sie aufsuchen und angesichts des Publikums anreden, veranlaßte sie, doch aufzustehen und in den Zwischenaktsraum zu gehen. Hier trat ihr Professor Krause, der gefürchtete Kritiker, entgegen, ihr schon von weitem zurufend:

»Gnädiges Fräulein, Sie müssen unbedingt auf meiner nächsten Abendaufführung singen. Leider hatte ich ja gestern gar nicht mehr Gelegenheit, Ihnen zu sagen, wie sehr Sie mich entzückt haben. Wollen Sie kommen?«

»Wenn ich frei bin, Herr Professor, sehr gern. Wann haben Sie Ihren musikalischen Abend?«

»Ich lasse Ihnen noch genau Bescheid zukommen. Vielen Dank! Da sehe ich einen jungen interessanten Künstler, den müssen Sie auch einmal kennen lernen. Entschuldigen Sie mich, ich muß ihn sprechen.«

Aniane stand plötzlich allein. Sie lehnte sich gegen die Wand und ließ das Theaterpublikum in langer Reihe an sich vorüberziehen. Aber immer einer nach dem anderen trat aus der dahinwogenden Menge, um ihr guten Tag und schöne Dinge zu sagen. Aniane sah sich plötzlich im Mittelpunkte eines großen Kreises, der sich um sie gebildet hatte und der sich nur langsam wieder auflöste, als die Klingel ertönte. Aniane aber hatte noch das Verlangen, einen Augenblick Luft zu schöpfen. Schnell trat sie auf den großen Balkon ins Freie. Der scharfe Herbstwind blies ihr kalt ins Gesicht, sie aber sog die erfrischende Luft begierig ein und blickte sinnend über den Augustusplatz mit seinen flimmernden Laternen. Welch ein wundervolles Bild das gab und wie still der Platz vor ihr lag. Dahinter das Gebrause des großstädtischen Lebens und hier diese wundersame, köstliche Stille.

»Ich wußte, mein gnädiges Fräulein, daß ich Sie heute noch sprechen würde,« ertönte plötzlich eine leidenschaftlich erregte Stimme im hastigen Flüsterton, und das Haupt des Prinzen beugte sich über ihre Hand.

»Prinz Dolf Dietram,« gab Aniane erschreckt zurück. Und sich gewaltsam fassend, setzte sie hinzu: »Wie kommen Durchlaucht hierher? Ich glaubte allein zu sein.«

»Meine Gedanken haben Sie hergezogen, Aniane. Ich sah durch die großen Glastüren in den Zwischenaktsraum; ich sah Sie umgeben von einer Ihnen huldigenden Menge, und ich wünschte plötzlich Sie, wenn auch nur einen Augenblick, für mich allein haben zu können und da wurde mein Wunsch auch schon zur Wirklichkeit. Sie lösten sich aus dem Kreise der plaudernden Menschen, die ich in diesem Augenblicke haßte, und schritten hierher zu mir. Glauben Sie, daß ein Mensch den anderen mit seinen Gedanken bannen kann?«

Anianens Herz klopfte in rasenden Schlägen. Die Worte des Prinzen verwirrten sie und der Gedanke, daß man sie hier mit dem Prinzen bemerken könnte, daß sie beide im Theater vielleicht schon vermißt wurden, raubte ihr fast die Besinnung.

»Ein anderes Mal, Durchlaucht,« wehrte sie. »Die Musik hat schon begonnen. Heute will ich Ihnen nur noch für Ihre schönen Blumen danken, deren märchenhafte Schöne sich fremdartig genug in meinem kleinen bescheidenen Heime ausnahm.«

Die ernsten Augen des Prinzen glühten auf.

»Darf ich dieses Heim nicht kennen lernen, gnädiges Fräulein?«

Einen Augenblick zögerte Aniane. Alles Blut drängte sich zu ihrem Herzen. Nein, es war töricht, allen Worten des Prinzen eine so tiefe Bedeutung beizulegen. – Sie lachte leise und gezwungen auf.

»Die Freude daran, Durchlaucht, würde Ihnen bald vergehen. Vier Treppen, bei Frau Doktor Sperling, hoch oben über den Dächern einer grauen Gasse. Das ist kein Schauplatz für fürstliche Besucher.«

Sie war langsam in den jetzt nur matt erleuchteten Vorraum getreten und Prinz Dolf Dietram war ihr gefolgt. Die Garderobefrauen und Logenschließer guckten neugierig am Ende des Ganges und versuchten etwas von dem Gespräch des Prinzen mit der jungen Sängerin zu erhaschen.

»Adler bauen, wie Sie ja selbst so gut zu sagen wußten, immer hoch oben ihr Nest,« gab der Prinz zurück und ein eigentümlicher, grübelnder Zug trat in sein Gesicht.

Aniane erbebte. Ihr fiel die weiße Taube ein in den Habichtskrallen, an welche sie nicht glauben wollte, und Rahel von Wolfhardts Warnung, die sie verlacht hatte.

»Lassen Sie mich gleich hier Abschied von Ihnen nehmen, gnädiges Fräulein,« sagte der Prinz. »Ich möchte, nachdem ich Sie gesehen und gesprochen, nicht mehr das Theater betreten. Die »fragende Frau«, die holde Sieglinde, hat es mir angetan. Ich kann sie nicht von Ihrer Person trennen, Fräulein v. Rainer, und ich möchte, indem ich allein für mich nachsinne, den ganzen Zauber dieses Lenzsturmes und die Begegnung mit Ihnen noch einmal durchkosten.«

Er verneigte sich tief und schritt sporenklirrend von dannen. Aniane kam halb bewußtlos vor Aufregung auf ihren Platz zurück. Die leisen Zeichen des Unmutes vonseiten des Publikums über die Störung, die ihr verspätetes Erscheinen verursachte, hörte sie gar nicht. Sie empfand nur eines, daß dieser Prinz eine unheilvolle Macht über sie gewann, die immer wieder dann einsetzte, wenn alles in ihr sich drängte, sich frei zu machen von dem Einfluß, den er auf sie ausübte. Sie hatte keine Aufmerksamkeit mehr für Wotan und Brünhilde. Es war ihr nur alles wie ein großes Brausen, ein chaotisches Tosen. Wie eine Befreiung empfand sie, daß die prinzliche Loge da drüben leer blieb, die Loge, welche die Geheimrätin mit Argusaugen bewachte, als wäre sie es, die für Ordnung und Sitte nach jeder Richtung hin zu sorgen hätte. Daß Aniane doch wieder erschienen war, hatte Frau Margarete mit großer Genugtuung erfüllt. Das wäre ja auch noch schöner gewesen, wenn diese junge Sängerin so einfach während des Theaters ein Stelldichein gewährt hätte. Eine junge Dame, für welche sie doch gewissermaßen verantwortlich war. Das wäre ja gar nicht auszudenken gewesen!

Die Geheimrätin puffte ihre Zwillinge energisch in die Seite, da die beiden Kinder beinahe seelisch entschlafen waren, und dann lehnte sie sich wieder wohlgefällig in ihren Sessel zurück und lauschte andachtsvoll der Musik, die ihr auch nicht viel mehr sagte als ihren blassen Kindern, die eigentlich ins Bett gehörten.

Der bestrickende Zauber der Töne, der Aniane zuerst umsponnen, gewann keine ungeteilte Hingabe mehr bei ihr, so sehr sie sich auch abmühte, ihre ganze Aufmerksamkeit zu sammeln. Wie ein Chaos drängten sich tausend andere Wünsche und Gefühle dazwischen. Einmal war es ihr, als erblickte sie im Dunkel der prinzlichen Loge die hohe Gestalt des Rittmeisters von Rammelsburg, aber gleich darauf war die Erscheinung wieder verschwunden. Nur einmal wurde ihre Aufmerksamkeit wieder ganz wach, nur einmal noch klang wieder ihre ganze Seele mit, und zwar, als Wotan so voll göttlicher Güte und voll ergreifenden Schmerzes zur Walküre singt: »In tiefen Schlaf versenk ich dich.«

In tiefen Schlaf, ja das war es, was Aniane ersehnte, was plötzlich wie eine wilde Sehnsucht durch ihre Seele zog. Schlafen, wie die Walküre, endlos, über Raum und Zeit hinweg, bis eines Siegfrieds Mund sich heiß auf ihre Lippen legt und sie wachküßt zum Leben, zum jauchzenden Leben. »In tiefen Schlaf,« hauchte Aniane und schloß die Augen.

Mechanisch hatte sie den Ausgang des Theaters erreicht. Als sie zwischen den Säulen des Vorbaues dahinschritt, sah sie plötzlich mit Schrecken die kleine Gestalt des Grafen Zichy sich mit brennenden Augen auf sie zu bewegen. Nur das nicht! Eine heiße Angst kam plötzlich über sie. In dem Augenblicke aber, als der Graf auf sie zutreten wollte, neigte sich die hohe Gestalt des Rittmeisters von Rammelsburg plötzlich vor ihr und sagte ziemlich laut, fest dem Grafen dabei ins Gesicht sehend:

»Ich habe hier auf Sie gewartet, gnädiges Fräulein, um Sie sicher heimzugeleiten. Ich glaube, unsere alte Freundschaft aus Ihren Kindertagen gibt mir das Recht dazu.«

Und Aniane lächelte freudig dankbar zu ihm auf. Sie grüßte auch lächelnd den Grafen Zichy, der ihr verdutzt nachblickte, als sie an ihm vorüberschritt.

Die junge Sängerin hat des Rittmeisters dargebotenen Arm genommen und ging nun an seiner Seite über den Augustusplatz der Grimmaischen Straße zu.

»Ihre Sorge war umsonst, Herr Baron,« sagte sie leise. »Der Weg ist so kurz und ich gehe ja fast immer allein, aber ich danke Ihnen doch sehr. Es ist so schön, zu wissen, daß man Freunde hat, die uns oft, ohne daß wir es ahnen, nahe sind.«

Der Rittmeister beugte sein braunes Gesicht tief zu ihr herab, indem er ihren Arm näher an sich zog.

»Das war ein gutes Wort, gnädiges Fräulein,« rief er warm. »Nahe sein müssen wir denen, um die wir uns sorgen, das wird die wirksamste Hilfe für Sie sein. Mein hoher Gebieter wünscht allein zu sein,« fügte er hinzu, »und der junge Pflug hat noch eine Herrengesellschaft, da hatte ich dann allein das Glück, mit Ihnen das wundersame Werk des Meisters genießen zu können, das alle unsere Gedanken und Gefühle in Aufruhr bringt und so herrlich das hohe Lied der Liebe singt.«

Aniane schwieg. Irgend etwas in der Stimme des Barons gab ihr zu denken. Es war ein verwegenes Lied, wie ein weicher leiser Ton der Schmerzen. Und ihr fiel Rahel ein, wie sie diesen Mann, der so hoch und stolz ihr jetzt zur Seite schritt, geliebt. Und etwas wie eine leise Neugier quoll in Anianens Herzen empor, ob in Rammelsburgs Herzen keine Saite mehr für das rothaarige schöne Mädchen klang, das andere Männer so berauschte und bezauberte? Es trieb sie unwiderstehlich wie ein Kind mit voreiligen Fingern, die Knospe zu entfalten, die noch in ihrem Kelche die Blume barg, und doch zauderte sie. Eine geheime Scheu hielt sie gefangen. Es war ihr, als ginge sie an Rammelsburgs Arm einen leichten Weg, den sie noch gar nicht kannte. Sonnentrunken gaukelten auf diesem Wege bunte Schmetterlinge vor ihr her und farbenglühend säumten Purpurrosen die schimmernde Straße. Wie ein roter Königsmantel flammte es darüber hin und ein Windhauch trug die Rosenblätter zu ihr herüber. Sie legten sich kosend wie ein weicher Mund auf ihre Lippen. Und doch bog sie jetzt in ihre alte graue Gasse ein.

Und Rammelsburg sprach leise zu ihr, wie zu einem lieben kranken Kinde von Tannenrode und vergangenen Zeiten. Da flatterte der Rausch, in den sie des Prinzen Nähe wider Willen gebannt, wie Marienfäden in klarer blauer Herbstluft. Wundergleich, nur ein paar Herzschläge lang, sah sie ein anderes Glück an ihrem Lebenswege winken. Und wie glücksfroh machte sie diese stille Fahrt in das sonnige Blau des Tages, wo ein warmes mildes Licht alle Wirrnisse des Herzens löste zu stiller, reiner Harmonie und Schönheit. Der Traum zerfloß. – – –

Still reichte sie Rammelsburg vor ihrer Haustür zum Abschiede die Hand.

»Kommen Sie bald einmal,« sagte sie mit leisem Lächeln, »und sehen Sie, wie das Tannenroder Kind von einer grauen Gasse in die andere kam.«

Der Rittmeister nickte und reichte ihr warm die Hand.

»Wenn Sie erlauben, gern. Ich fürchte aber, Sie werden bald hinausziehen in die Welt, die große Menge zu entzücken.«

»Vorläufig nur auf Tage und Wochen. Vielleicht aber werden Sie mich doch noch am Hoftheater der Residenz sehen.«

»Sie wollten, Aniane? Sie haben doch nicht schon angenommen?« fragte der Rittmeister sichtbar erschrocken.

»Nein, gewiß nicht. Aber die Fürstin will es, und ich weiß nicht, ob ich die Kraft haben werde, eine Anstellung abzulehnen.«

»Sie müssen es ablehnen, ganz bestimmt. Es würde Ihr Verderben sein und – –« Er verstummte vor Anianens großen fragenden Augen, und dann sagte er nur still: »So möge Gott Sie davor behüten.«

Dann war er gegangen und Aniane schritt langsam und müde die steile Treppe empor, die zu ihrer Wohnung führte. Es fiel ihr ein, daß sie Rammelsburg gar nicht einmal für seine Veilchen gedankt hatte.

* * *

Diese Nacht schlief Aniane nicht viel. Sie lag wie daheim mit großen offenen Augen auf ihrem Lager und starrte auf die schimmernden Dächer, über welche der Mond sein Silber streute. Vor ihren heißen Augen wogte ein ganzes Meer farbenglühender Blätter und Blüten, und sie versank in diesem leise flüsternden Meere, ein zitternder Rausch, ein unsagbares Wonneleben kam über sie. Und als sie endlich einschlief, da ängstigten sie wirre Träume. Sie sah noch immer die duftende Blumenfülle und hörte eine traumhafte süße Musik, aber es war doch wie ein Scheiden und Meiden in der Melodie, die zwischen dem Blättergewirr verloren durch ihre Träume ging.

Es war die weinende Sehnsucht, und dazu blinkte im Sonnenlicht hell eine Krone.

Leipzig lag im tiefen Schnee. Die alten Linden auf der Promenade trugen kaum die schweren Flockenmassen und im Johannapark glitzerte der weiße Schnee in dem verglühenden Sonnenlicht auf Baum und Strauch.

Blutrot stand die Wintersonne am Himmel und warf ihren Rosenschein über das Bild frohen Lebens, das sich auf der spiegelglatten Eisfläche des Teiches darbot. Pfeilschnell flog die Jugend auf blankem Stahlschuh dahin. Ueberall jauchzende Lust, frohes Genießen. Wie die jungen Augen blitzten und die Lippen lachten!

Frau Geheimrat von Heimburger saß im Erker ihrer Villa in der Bismarckstraße, von der sie den Johannapark übersehen konnte, und hielt Wache. Das heißt, sie saß unentwegt mit steifem Rücken in ihrem Sessel und ließ keinen Vorübergehenden aus den Augen und je nach dem Ergebnis ihrer Forschungen kommandierte sie ihre Töchter auf die Eisbahn.

Die beiden Töchter saßen nicht weit von ihr am anderen Fenster des großen, behaglich eingerichteten Gemaches und stichelten an einer feinen Goldstickerei, denn die Frau Geheimrat hielt darauf, daß die Mädels ihre Tage nicht nutzlos verbrachten.

Maja und Maguhild blickten zuweilen verstohlen von der Arbeit auf ins Freie, trotzdem ihre Mutter, wie sie wohl wußten, das Amt des Aufpassens sehr gewissenhaft ausübte.

Die scharfen Augen der Frau Geheimrat flogen gespannt die Straße entlang.

»Was nur das wieder ist,« sagte sie. »Ich glaube gar, da kommt Adrienne Osborne, die will auch auf die Eisbahn. Ich habe gar nicht gewußt, daß sie Schlittschuh läuft. Wißt ihr was davon?« fragte sie zu den Töchtern hinüber.

Die Mädchen verneinten und Maguhild ließ sich gleich hinreißen zu sagen:

»Wer kann denn alles wissen, Mama.«

Da kam sie aber schön an.

»Alles muß man wissen,« ergänzte die Mutter, »merke dir das. Ihr natürlich sitzt immer da, wie im Schlaf. Ihr solltet mal der Osborne einen Besuch machen,« fuhr sie eilig fort, »und ihr Blumen bringen. Veilchen vielleicht, das macht sich gut. Die Osborne ist sehr hübsch, hat eine wundervolle Stimme und sie hat eine gute Position am Stadttheater. Wir können sie mal einladen und sie würde gewiß mal bei uns singen!«

»Ach ja, Mama,« riefen die beiden Mädchen lebhafter, »wir schwärmen für Ardienne.«

»Das ist gar nicht nötig,« schnitt die Geheimrätin das Gespräch ab. »Aber wer ist denn das? Sieh doch mal, Maja, wie elegant.«

»Ach, Mama,« rief Maja begeistert, »das ist ja die schöne Frau von dem Rechtsanwalt, die so herrlich singt.«

»Singt?« fragte die Geheimrätin. »Ja, natürlich. Und wie schick sie gekleidet ist. Die müßten wir auch mal zu uns bitten. Das macht sich gut für den Salon. Sieh doch, Maja, ich glaube gar, es ist Blaufuchs.«

Die Mädchen reckten die Hälse und sahen der eleganten blonden Frau nach, die jetzt quer über den Damm schritt, dem Johannaparke zu.

»Richtig,« rief die Geheimrätin erregt, »da kommt doch wieder dieser Bummler, der Buttler. Natürlich muß der zu allen Tages- und Nachtzeiten Schlittschuhlaufen gehen und hier vorbeiziehen.«

Sie erwiderte den Gruß des jungen Mannes, dessen blaue Augen bei Majas Anblick aufstrahlten, mit einem steifen Kopfnicken.

»Wenn ich nur wüßte, wo der Mensch die Zeit hernimmt,« eiferte sie. »Wahrscheinlich hat er wieder gedacht, euch auf der Eisbahn zu treffen. Das lohnte sich gerade; es ist ja heute absolut nichts Gescheites da. Der junge Pflug ist schon vor einer Stunde allein hier vorbeigegangen.«

»Ach, Mama, dürfen wir nicht auch noch ein wenig auf die Eisbahn?« fragte Maguhild und ihre braunen Augen blitzten ordentlich auf.

»Ach, ja,« bat Maja, die blauen Augen beschwörend auf die Mutter richtend.

»Nein, das fehlte noch! Wie oft soll ich euch denn sagen, daß sowohl der junge Pflug, wie Buttler keine passende Gesellschaft für euch sind. Steckt lieber eure Nase in die Bücher, damit ihr morgen im Lyceum nicht wieder bei den kunstgeschichtlichen Vorträgen dasitzt, als hörte die Katz 's donnern. Du lieber Gott, was hab ich mit euch für Not! Wenn ich bedenke, wie ich in meiner Jugend war! Immer interessiert und immer dabei, wo es was zu lernen gab, und ihr indolent und träge, ohne jeden höheren Schwung, daß jeder Mann, der euch sieht, das Rennen kriegt. Was soll nun aus euch werden?«

Maja und Maguhild kicherten hinter der Stickerei und sahen sich bedeutsam in die Augen.

»Ich heirate mal aus Liebe,« sagte dann plötzlich Maja und ein eigensinniger Zug trat in ihre blassen Züge.

»Aus Liebe? Natürlich, man heiratet immer aus Liebe,« ergänzte die Geheimrätin großartig. »Das ist doch selbstverständlich, das gehört dazu.«

»Ich meine, Mama,« nahm Maja die Unterhaltung zögernd wieder auf, »ich heirate auch, wenn er gar nichts hat und gar nichts ist.«

»Nichts hat und nichts ist! Du bist wohl wahnsinnig, Mädchen! Wer hat dir denn die verrückten Ideen in den Kopf gesetzt?«

»Papa sagt,« mischte sich Maguhild ins Gespräch, die dunklen Haare aus dem jetzt heiß erröteten Gesicht streichend, »wir wären so reich, daß wir uns einen Mann ganz nach unserer Wahl suchen könnten.«

Die Geheimrätin starrte entgeistert auf ihre Kinder.

»Na, euer Vater ist wohl ganz von Gott verlassen, euch einen solchen Unsinn einzureden,« sagte sie fuchtig. »Eure zukünftigen Männer werde ich euch aussuchen, merkt euch das! Ich weiß am besten, wer für euch paßt. Uebrigens hat Papa ganz recht, daß ihr mit eurem Gelde die höchsten Ansprüche machen könnt.«

»Ja, einen Grafen,« lachte Maguhild, »unter dem tust du's nicht. Ich weiß es schon. Wenn du aber denkst, daß eine von uns den kleinen Grafen Zichy nimmt, so irrst du dich sehr. Ich glaube gar, er ist bucklig und hat eine schiefe Schulter oder sonst was. Ich mag ihn nicht, lieber nehme ich einen, der ganz arm ist, bettelarm.«

»Ich auch,« rief Maja. »Ich ertränke mich im Schwanenteich oder sonstwo, wenn ich den nicht bekomme, den ich liebe.«

»Nun hört aber auf,« gebot die Geheimrätin streng, ihre Töchter mit zornglühenden Augen zum Schweigen bringend, »das wird sich alles finden, wenn Zeit dazu ist.«

Ihr strenges Antlitz verklärte sich plötzlich, als gleite Sonnenschein darüber hin.

»Wirklich,« rief sie, hastig die Gardinen ein wenig zurückschiebend, »da geht der Prinz doch noch auf die Eisbahn.«

Die Mädchen reckten wieder die Hälse und stießen sich verstohlen an. Die Geheimrätin sah etwas unsicher auf ihre Töchter.

»Ihr solltet doch auch noch ein Weilchen hinübergehen,« lenkte sie dann ein. »Mit dem ewigen Sticheln verderbt ihr euch nur die Augen und es ist noch so hell, daß ihr gut eine halbe Stunde laufen könnt, wenn ihr euch beeilt.«

Die Mädchen flogen nur so von den Sitzen.

»Zieht die neuen Sealskinjacketts an, die stehen euch gut!« rief die Mutter den Hinausstürmenden nach. Dann lehnte sie sich zum ersten Male wieder behaglich in ihren Stuhl im Erker zurück. Der Rücken tat ihr weh von dem ewigen Geradesitzen auf dem Beobachtungsposten, aber das schadete nichts.

»Was sein muß, das muß sein,« schloß sie ihre Betrachtungen. Dann versank sie in stille Träume. Die Mädels waren längst unter Lachen und Scherzen fortgestürmt. Die Frau Geheimrat saß noch immer im Erker mit den duftigen Spitzenvorhängen und blickte auf die Straße und hinüber auf den beschneiten Johannapark, wo nur noch ein blaßroter Schein am Abendhimmel flammte. Immer tiefer sank die Dämmerung und Frau von Heimburger träumte noch immer. Ehrgeizige Pläne waren es, die ihre eitle Seele erregten und darüber glänzte eine Krone.

Bei Gott und bei der Frau Geheimrat von Heimburger war kein Ding unmöglich. Mit ihrem Gerhard wollte sie aber heute abend ganz energisch reden, der ruinierte ja die Mädels in Grund und Boden. Erst gestern hatte sie sich halb zuschanden über ihn geärgert, daß er den Unterschied zwischen Adel und Uradel so gering anschlug. »Das wäre ihm ganz egal,« hatte der Unglücksmensch sie schließlich angeschrien, und die Mädels hätten das nicht nötig, sich um solchen Kram ihr Lebensglück zu verscherzen. Ihr Lebensglück! Die Geheimrätin rang noch in Gedanken die Hände. So ein Mann war doch das unvernünftigste Huhn, was es auf Gottes Erdboden gab und ihrer nun ganz besonders, trotz seiner Gelehrsamkeit.

Es war dunkel geworden. Die Geheimrätin fuhr entsetzt in die Höhe, ihre Mädels waren natürlich noch nicht da. Na, die wollte sie bringen. Daß sie es selber war, die ihre Töchter so spät auf die Eisbahn geschickt, fiel ihr gar nicht ein. Sie dachte nur an das Strafgericht, das angehen sollte. Die Kinder waren dumm genug, sich noch ganz ernsthaft bis zum völligen Dunkelwerden mit dem Schlittschuhlaufen abzugeben, ohne zu ahnen daß sie nur hinausgeschickt waren, dem Prinzen zu begegnen.

Die Geheimrätin seufzte und drehte das elektrische Licht an, so daß sie plötzlich Tageshelle umgab. Sie ging von einem Zimmer ins andere, und überall flammten die Glühbirnen auf. Das machte sich hübsch von draußen, wenn der Prinz später nochmal vorüber schritt! Das ganze Haus erstrahlte in einem Meere von Licht. Das konnten sich nur sehr reiche Leute leisten. Und auch Prinzen wußten den Wert des Geldes zu schätzen. Dieser Gedanke befriedigte die Frau Geheimrat Heimburger aufs höchste. Nur immer auf dem Posten sein, das war die Hauptsache im Leben.

* * *

Maja und Maguhild waren fast atemlos zur Eisbahn geschritten. Noch lag der Tagesschein auf der glitzernden Fläche, aber bald würde der Abend kommen und dann war die Freude aus. In einem großen Bogen gingen sie um die Stelle herum, wo die hohe Gestalt des Prinzen aufragte, und es dauerte gar nicht lange, so glitt Maguhild mit Wigbert von Pflug und Maja mit Hans von Buttler über die Eisfläche. Der junge Referendar neigte übermütig sein blondes Haupt zu Maja hernieder und fragte lustig:

»Also doch. Na, ich glaubte schon, es wäre heute mit unserm Wiedersehen Essig oder ich könnte die halbe Nacht wie Ritter Toggenburg unter Ihrem Fenster stehen.«

»Ach,« seufzte Maja auf, »ich habe ja solche schreckliche Angst. Mama ist so böse, wenn wir nicht so wollen wie sie und sie hat uns noch soeben erklärt, sie selber wolle uns einen Mann aussuchen.«

»Das kann sie ja, das kann sie,« lachte mit unerschütterlichem Gleichmut Hans von Buttler, »lassen Sie Ihre Frau Mutter nur immer suchen. Sie dürfen bloß nicht den »Ausgesuchten« nehmen.«

»Ach, Sie kennen Mama nicht, sie ist so schrecklich in ihrer Energie. Keiner traut sich zu mucksen. Papa auch nicht. Ich glaube, ich soll den scheußlichen Grafen Zichy heiraten und Maguhild –,« sie brach erschrocken ab, als hätte sie schon zu viel gesagt.

Einen Augenblick wurde das Gesicht des jungen Buttler ganz erst, als er mit Maja Hand in Hand über die weiße Fläche flog, dann aber strahlten die blauen Augen ganz zuversichtlich auf. Er neigte den blonden Kopf ein wenig zur Seite und sah Maja toternst in die Augen.

»Das machen Sie nur,« sagte er mit künstlich gedämpfter Stimme. »Heiraten Sie nur den alten kleinen verschrumpften Kerl mit den dünnen Spinnenfingern, weil die Mama es befiehlt. Ich schieße mir dann eine Kugel in den Kopf und Sie können an meinem Grabe weinen.«

Majas Hand zitterte in der seinen. Ihr Mund bebte wie von verhaltenem Weinen.

»Das dürfen Sie nicht tun,« kam es stoßweise von ihren Lippen, »ich würde dann ganz gewiß auch sterben.«

Sie schluckte ein paarmal hastig zu, dann brach sie in fassungsloses Schluchzen aus.

»Stillgestanden,« kommandierte Hans mit mühsam unterdrücktem Jubel. Es war gerade ganz leer auf der Eisbahn und die beschneite Buche zur Seite schützte sie vor lästigen Beobachtern. Maja sah angstvoll verschüchtert zu ihm auf. Er hielt, vor ihr stehend, ihre kleinen zitternden Hände in den seinen.

»Sie dürfen nicht sterben,« schluchzte Maja auf.

»Will ja auch gar nicht,« gab er lächelnd zurück. »Sie dürfen aber den Grafen nicht heiraten.«

»Nein, nein, ich schwöre es.«

»Gut, gut. Sie müssen mich heiraten.«

Maja sah unsicher in sein siegesfrohes Gesicht.

»Schwören Sie, Maja.«

»Nein, ach nein, Mama erlaubt es nicht!«

»Soll ich mich totschießen?«

»Nein, nein,« schluchzte Maja auf, beide Hände ängstlich, als könne er ihr entrissen werden, um seinen Hals legend.

»Na also, kleines Dummerchen,« nickte er gönnerhaft, ihr zärtlich über das glühende Gesichtchen streichelnd, »das wußte ich ja!«

Und dann beugte er sich tief zu ihr hernieder und küßte sie herzhaft auf den kleinen weichen roten Mund. Maja hielt ganz still, und dann küßte sie ihn wieder und die Glocken der nahen Lutherkirche klangen jubelnd drein. Eine Weile standen beide ganz versunken. Es war fast dunkel geworden. Golden fiel das Licht aus dem Innern der Kirche durch die hohen Fenster auf den köstlich weichen Schnee, wie ein Feiertag lag es in der Luft, und von der Kirche klang über den Teich hinweg hundertstimmiger Gesang: »Herr Gott, dich loben wir.«

Da war aller Uebermut wie fortgewischt aus Hans Buttlers Antlitz. Kurz entschlossen löste er die Schlittschuhe von Majas Füßen und von den seinen.

»Komm, Kleines,« sagte er zärtlich, »dort wartet schon dein Schwesterlein und Mama zankt vielleicht.«

»Wie soll das bloß alles werden,« seufzte Maja.

»Geheiratet wird, Zwilling, geheiratet!«

»Ja, aber Mama leidet es nicht, weil – –«

»Weil ich nichts habe und nichts bin! Das weiß ich schon alles. Du kannst aber übrigens deiner lieben Mutter sagen, daß ich, wenn sie nicht will, warte, bis du mündig bist und daß ich im übrigen auf ihr Geld pfeife. Ich habe schon neulich mit deinem Vater gesprochen, daß ich die Rechtsanwaltskarriere einschlagen will. Da verdiene ich bald, was wir gebrauchen, um uns unser Nest zu bauen. Freilich, einrichten werden wir uns ja müssen, sehr einrichten, liebes Kleines, kannst du das?«

»Mit dir kann ich hungern,« sagte Maja pathetisch.

»Nee, nee, ich danke für das Vergnügen. So schlimm wird's ja wohl nicht werden, aber weißt du, dein Alter, das ist ein Prachtkerl, der will mir wohl. Er traut sich nur nicht recht, weil deine Mutter bei euch das große Wort führt, aber ich glaube, er ist ganz auf unserer Seite.«

»Der gute Papa,« rief Maja gerührt und schmiegte sich enger an des Geliebten Seite.

»Still, still! Jetzt kein Wort mehr. Wir müssen eine günstige Gelegenheit abwarten, Vater und Mutter mit der vollendeten Tatsache unserer Verlobung zu überraschen. Ich sehe schon die Frau Geheimrat in Ohnmacht fallen,« schloß er.

»Die arme Mama,« reflektierte Maja, und dabei lachten ihre Augen strahlend in die seinen.

Maguhild und Wigbert von Pflug winkten schon von weitem. Es war ganz dunkel geworden und überall in den Villen der Bismarckstraße flammten die Lichter auf.

»Es ist so spät, Maja,« klagte Maguhild. »Mama wird schelten.«

»Geh nur immer voraus,« rief Maja altklug, »wir kommen sofort.«

Schweigend schritten die beiden jungen Paare den kurzen Weg vom Johannaparke nach der Bismarckstraße hinüber.

»Wie lange liebst du mich schon? Gestehe?« forschte Hans.

»Immer,« gab Maja zurück. »Hast du mich auch schon immer geliebt?«

»Nee,« rief Hans ehrlich. »Weißt du, früher schwärmte ich mächtig für meine Cousine Aniane, aber das ist vorbei, seitdem ich dich, kleines Lamm, kennen gelernt.«

»Ist es auch wirklich ganz fort?«

Majas Augen blitzten und Hans dachte einen Augenblick:

»Donnerwetter, das Kind wird doch nicht die gefährliche Energie der Schwiegermutter geerbt haben?«

Dann aber lächelte er. »Na, die wollte er ihr schon beizeiten abgewöhnen.«

»Weißt du,« sagte er. »Eure verfluchten Freitische, die mir immer ein Dorn im Auge waren, weil deine Mutter sie mir so durch allerlei gute Reden versüßte, werde ich jetzt eifriger denn je heimsuchen. Wie gefällt dir das?«

»Sehr,« lachte Maja glückselig auf. »Mama meint es ja gar nicht so, es ist nur so ihre Art, sie will immer die Gebende sein.«

»Soll sie auch, soll sie auch. Dich soll sie mir geben und das wird sie auch.«

Noch ein inniger Händedruck, ein zärtliches Abschiedswort, und dann standen die beiden Mädchen in der großen Halle der geheimrätlichen Villa mit roten Backen und leuchtenden Augen ihrer Mutter gegenüber.

»Nun, was sagte der Prinz?« fragte Frau Margarete fast atemlos. »Kommt er bald?«

»Wir haben ihn gar nicht gesprochen,« riefen die Zwillinge wie aus einem Munde.

»Nicht gesprochen? Na, mit wem in aller Welt seid ihr denn bis in die Nacht hinein Schlittschuh gelaufen?«

»Mit Pflug und Buttler,« riefen die Mädchen, die Pelzjacken ausziehend und die kalten Hände gegen das Kaminfeuer haltend.

Die Geheimrätin sank vernichtet in einen Stuhl.

Diese schrecklichen Kinder. Den Prinzen gar nicht mal gesprochen und mit diesen Bengeln bis zur Dunkelheit allein auf der Eisbahn. Es war wirklich unerhört.

»Ihr geht überhaupt nicht mehr allein aufs Eis,« sagte sie streng. »Ich werde von nun an anders auf euch aufpassen. Jetzt macht, daß ihr fertig werdet. Wir kommen natürlich erst zum zweiten Akt ins Theater. Ach, was bin ich doch für eine geplagte Frau!«

Die Zwillinge waren froh, so leichten Kaufs davon zu kommen.

»Du,« sagte Maguhild zu ihrer Schwester, während sie eiligst Toilette machten, »findest du den jungen Pflug nicht süß?«

»Süß? Was das für ein Ausdruck ist. Ich finde ihn sehr nett, jedenfalls netter als den hochmütigen Prinzen.«

»Um Gotteswillen, wenn das die Mama hört.«

»Ach was, ich werde doch zu dir noch wenigstens meine Meinung sagen dürfen.«

»Ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt.«

»Du glaubst es. Na hör' mal, so was weiß man ganz genau.«

»So? Weißt du es denn?«

Maja nickte mit seligem Lächeln vor sich hin, und dann sanken sich die beiden Mädchen weinend in die Arme und küßten sich jubelnd.

Die Frau Geheimrätin aber befestigte einen wundervollen weißen Federbusch in ihrem hochfrisierten dunkelblonden Haar und schob die großen Brillantglocken in ihre zierlichen Ohren. Heute im Theater würden sie natürlich den Prinzen und den Grafen Zichy wiedersehen. Sie wollte doch beide dann so ganz ohne Umstände für nächsten Sonntag zum Mittagessen in der Familie einladen. Das machte sich gut.

Frau Margarete spann wieder und wieder ihre ehrgeizigen Pläne, die beiden Zwillingskinder da oben lachten und strahlten im Frühlingsglück, wenn auch draußen jetzt leise weiche Flocken fielen.


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