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8.

Aniane stand im Vorzimmer der Fürstin Elinor dem Kammerherrn von Wuthenow und Witta von Monbert gegenüber.

»Nein, Aniane, wie ich mich freue, unsere alte Jugendbekanntschaft wieder auffrischen zu können, kann ich dir gar nicht sagen,« rief die junge Hofdame, Aniane beide Hände entgegenstreckend. »Freust du dich auch?«

»Ich habe wenig Erinnerungen an diese Zeit,« gab Aniane ablehnend zurück.

Witta lachte. Ein leises girrendes Lachen.

»Ach, du wirst doch nicht etwa an die dumme Tanzstunde denken, wo deine gute Tante dich so schrecklich herausgeputzt hatte und ganz hingerissen von deiner Schönheit war, während wir alle lachten und du weintest? Aber es war doch alles Unsinn, Aniane. Zuletzt bekamst du mit dem Asternkranz noch den Prinzen als Tänzer und wir hatten das Nachsehen.«

Der Kammerherr, der bemerkte, wie peinlich Anianen Wittas verletzende Worte waren, unterbrach den Redefluß der jungen Hofdame, indem er Anianen einen Sessel hinschob mit dem Bemerken, daß Ihre Durchlaucht sich schon zweimal erkundigt, ob Fräulein Rainer auch sicher zu erwarten sei.

Witta lächelte höhnisch und ihre spitzen, weißen Zähne gruben sich fest in die Unterlippe.

»Weißt du, Aniane,« lachte sie dann auf, »daß die Hofdamenstelle, die ich habe, eigentlich dir zugedacht war? Hättest du nicht durchaus Sängerin werden wollen, so säße ich noch in Tannenrode und harrte sehnsüchtig auf die paar Wochen, in denen der Hof dort residierte und Tannenrode aus seinem Dornröschenschlaf erwachte. Ach, wie ich es hasse, das erbärmliche kleine Nest. Du natürlich auch, denn viel Angenehmes hast du doch dort niemals erfahren.«

»Doch, es war mir, der Elternlosen, eine Heimat, und all die Bitterkeit, die mir dort wurde, hatte allein in der Herzlosigkeit und Grausamkeit meiner Gespielinnen ihre Ursache.«

Der Kammerherr räusperte sich verlegen. Ei, ei, wie interessant. Hier standen sich ja ein paar erbitterte Feindinnen gegenüber. Er hatte übrigens nie gedacht, daß das schlaue Hoffräulein einen tödlichen Haß in sich haben könnte, wie er jetzt aus den schillernden Augen brach. Das mußte er doch bei Gelegenheit Ihrer Durchlaucht, der Fürstin, geschickt beibringen!

Witta zog die hübschen Schultern wie ein gescholtenes Kind in die Höhe und sagte, mit der weißen Hand leicht ihre braunen Locken streichend, mit einem lauernden Blick auf Aniane:

»Ich begreife das, du Arme! Ja, man hat dir viel getan! Nun, Gott sei Dank, ich fühle mich frei von Schuld! Ist es wahr, daß du in die Residenz kommen willst?«

Aniane sah erstaunt in Wittas Gesicht.

»Nicht? Na du brauchst ja nicht gleich so böse zu sein, Aniane, ich will es gelegentlich der Fürstin mitteilen, wie dich der bloße Gedanke entsetzt.«

»Ihre Durchlaucht, die Fürstin,« schnitt der Kammerherr, seine dürre Gestalt aufrichtend, jedes weitere Gespräch ab.

Anianens Herz klopfte ungestüm. In dem Rahmen der Tür stand eine hohe, etwas zur Fülle neigende Frauengestalt mit weißem Haar und klugen, hellen, grauen Augen in dem noch jugendlichen Antlitz.

»Mein liebes Fräulein von Rainer,« sagte sie herablassend, dem jungen Mädchen die Hand entgegenstreckend, »seien Sie mir herzlich willkommen.«

Aniane beugte sich tief über die dargereichte Hand und führte sie an ihre Lippen.

»Durchlaucht haben befohlen?« sagte sie mit einem seltsam bebenden Klang in der Stimme.

»Befohlen! Ach, Unsinn!« wehrte die Fürstin. »Ich freue mich, Sie bei mir zu sehen. Aber bitte, kommen Sie doch hier zu mir herein, ich möchte so gern von alten Zeiten mit Ihnen plaudern.«

Die Tür fiel ins Schloß. Witta und der Kammerherr waren im Vorzimmer allein. »Haben Sie Worte?« fragte Witta verblüfft. »Nun wissen wir noch nicht einmal, was Durchlaucht dem Gänschen aus Tannenrode alles sagen.«

Der Kammerherr lächelte mit leisem Hohn, und seine entfärbten Augen in dem mageren Gesicht zwinkerten lustig zu Witta herüber. »Na, das Gänschen aus Tannenrode scheint mir denn doch gar nicht so ungefährlich, Fräulein von Monbert. Denken Sie nur einmal darüber nach, wie es sein wird, wenn diese junge, und ich muß sagen, auch schöne und intelligente Sängerin wirklich zu uns ans Hoftheater kommt?«

Witta sprang hastig auf. »Das muß ich sagen, Wuthenow, Sie verstehen es meisterhaft, einen zu alterieren. Sie glauben doch nicht im Ernst?«

»Ich glaube alles, Verehrteste, alles. Bei Gott und bei Hofe ist kein Ding unmöglich und die Fürstin hat geradezu einen Narren an dieser blonden Schönheit gefressen.«

»Sie sollten mir lieber eine Zigarette geben, Wuthenow, anstatt mich durch Schreckschüsse zu plagen.«

»Sie vergessen, daß Durchlaucht den Zigarettenduft nicht lieben. Hier im Hotel, wo wir in den Zimmern so beschränkt sind, mochte ich Ihnen doch raten –«

»Ja doch, es ist schon gut. Ich weiß ja, daß ich eine Sklavin bin. Mit goldenen Ketten behangen. Ach, Wuthenow, es ist doch ein Jammerleben.«

»Daß ich nicht wüßte,« gab der Kammerherr gleichmütig zurück, gemächlich ein Bein über das andere ziehend und zu dem Hotelfenster hinaus über den Roßplatz auf die Promenade blickend, wo sich einige Spaziergänger im Herbstsonnenlicht ergingen, »mir gefällt es so sehr gut und Ihnen, na, Ihnen doch auch – Sie könnten ja gar nicht mehr ohne Hofluft, Klatsch und Intrigue leben.«

Witta lächelte maliziös.

»Ja, Wuthenow, wenn ich in Ihrem Alter bin, dann habe ich vielleicht auch gelernt, immer »ja« zu sagen. Jetzt bin ich so ungeschickt, zuweilen noch eine eigene Meinung zu haben.«

Sie blickte, als ginge sie der Kammerherr gar nichts an, weit hinaus über den Platz, und ihr Blick haftete gedankenvoll an der Rückfront des Museums, die zwischen den dürren Baumästen im Sonnengolde herüberschimmerte. Dann schweifte ihr Blick sinnend weiter.

Wuthenow, dem die Anspielung auf sein Alter – er mochte bald fünfzig sein, hatte aber die Schwäche, für sechsunddreißig gelten zu wollen – die Zornesröte ins Gesicht getrieben hatte, stand langsam auf. Mit kalten Augen sah er der jungen Hofdame ins Gesicht.

»Mein Fräulein,« sagte er dann gleichmütig, »Sie spielen ein gewagtes Spiel. Ich bin nicht umsonst ein halbes Menschenalter hindurch am Hofe gewesen, um nicht dieses kleine und feine Spiel, verzeihen Sie, durchschauen zu können. Ich werde Ihnen bei Erreichung Ihrer Zwecke und Ziele auch nichts in den Weg legen, bewahre! Bei Hofe hat jeder seine eigenen Zwecke und Ziele, aber hüten Sie sich, mir in den Weg zu treten oder sich gar hinreißen zu lassen, persönlich zu werden. Ich werde Ihnen dann zeigen, daß ich Ihnen trotz des hohen Zieles, dem Sie zustreben, doch vorläufig noch über bin.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Witta, durch die Worte des Kammerherrn tief erschreckt.

»O, nichts, nichts, meine Gnädige,« gab Baron von Wuthenow gemessen zurück. »Ich wollte Ihnen nur zu bedenken geben, daß wir beide weiter kommen, wenn wir Verbündete sind, als wenn wir uns gegenseitig Unannehmlichkeiten bereiten.«

Witta lachte. Ein unsagbar bezauberndes, süßes Lachen, mit dem sie jeden betörte.

»Lieber Wuthenow,« rief sie fast zärtlich, ihm ihre weißen, von Brillanten blitzenden Finger reichend, »ich bin bezwungen. Da, küssen Sie mir die Hand, und dann wollen wir gute Freunde sein.«

Der Kammerherr führte die weiße Hand umständlich und langsam, als wolle er diesen Genuß recht auskosten, an seine Lippen.

»Sie sollten mich heiraten, Fräulein von Monbert,« sagte er dann, langsam ihre Hand fallen lassend.

»Sie sind wohl verrückt, Wuthenow?«

»Nein, im vollen Ernst, das ist wirklich eine Sache, die zu überlegen ist. Ich kann auch singen wie das blonde Mädchen gestern aus Tannenrode:

»Ich gehe nicht schnell,
Ich eile nicht,«

oder so ähnlich war's ja wohl?«

Witta stampfte zornig den Boden. Aus dem Gemache der Fürstin schallte die Klingel.

»Antreten zur Parade!« höhnte Witta. »Dienst, Herr Kammerherr, das gilt Ihnen.«

Wuthenow verschwand lautlos im Nebengemach.

Witta aber schlang die weißen Hände wortlos ineinander. Ihr Auge hing starr dort an den Gebäuden in der Ferne, an deren Mauern die Sonnenstrahlen müde hinglitten, zitternde Lichter darüber streuend. All der strahlende Glanz war aus ihren Augen verschwunden. Kalt und grausam blickten sie weithin ins Leere.

Sie sah gar nicht, daß ein Wagen über den Platz fuhr und vor dem Hotel hielt, sie sah auch nicht, daß Prinz Dolf Dietram diesem Wagen entstieg. Sie hatte tausend Pläne und selbstsüchtige Gedanken.

Niemand sollte ihr auf dem Wege zum Ziele entgegenstehen, niemand! –

* * *

Unterdes saß Aniane im Nebengemache der Fürstin Elinor gegenüber.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mein liebes Fräulein von Rainer,« nahm die hohe Frau das Gespräch wieder auf, »welchen Genuß mir gestern Ihr Gesang bereitet hat. Es war mir, als hörte ich eine liebe süße Stimme aus der Vergangenheit, die Stimme Ihrer Mutter, Aniane. Sie war ja eine meiner liebsten Spielgefährtinnen. Ach, wie lange ist das her und wie viel liegt zwischen heute und einst.« Die Fürstin schwieg und blickte gedankenvoll vor sich hin.

Anianens Augen verdunkelten sich. Jetzt hatten sie alle ihre Mutter gekannt, jetzt wußten alle, daß ihre Mutter eine entzückende Frau gewesen, und früher, da hatte sie nichts weiter gehört, als mal eine Schmähung über diejenige, die gewaltsam aus dem Leben schied.

Und als ihre Eltern in Not und Elend gerieten, da hatte keiner der vielen Freunde, die sie jetzt gehabt haben sollten, ihnen und ihrem Kinde geholfen oder ihnen nur ein freundliches Worte gegönnt.

Es kam so ganz unbewußt über sie, nachzudenken, wie die Menschen doch anders werden im Laufe der Zeit –.

»Erinnern Sie sich noch meiner?« fragte die Fürstin sanft. »Wissen Sie noch, Aniane, wie Sie sich immer, wenn ich nach Tannenrode kam, scheu versteckten und Ihren Kopf in der Tante Schoß wühlten? Ich bin ganz erstaunt, welch eine große elegante Dame aus dem furchtsamen kleinen Dinge von einst geworden ist. Hätte ich eine Ahnung gehabt, wie Sie sich entwickeln würden, meine liebe Aniane, dann hätte ich Sie längst bei mir gehabt.«

Aniane schreckte auf aus ihrem Sinnen; sie war einen Augenblick in die Ferne ihrer reizlosen frühesten Jugend versunken gewesen –.

Sie biß sich auf die Lippen. Also daran war die ihr und der Tante so lange versprochene Hofdamenstelle gescheitert, weil man glaubte, daß sie nicht imstande sein würde, sie auszufüllen.

»Durchlaucht sind gütig,« nahm Aniane das Wort, »aber wenn ich offen sein darf, so möchte ich mir erlauben, zu bemerken, daß ich, so sehr ich die Gnade Eurer Durchlaucht zu schätzen weiß, doch niemals die Hofdamenstelle, die meiner Tante der Inbegriff aller Herrlichkeit ist, hätte annehmen können.«

Es klang ein wenig unverbindlich, denn Aniane war noch befangen von dem Gedenken an das vermeintliche Unrecht, das man ihren Eltern und ihr zugefügt hatte.

Ein hochmütiger Blick aus den hellen Augen der Fürstin traf die kühne Sprecherin, Ihre Durchlaucht war sehr leutselig und sehr wenig zeremoniell, aber sie liebte eine so freimütige Sprache, wo sie nach ihrer Meinung die Gebende war, durchaus nicht. Es war ihr aber interessant, dieses seltsame Mädchen, das sich innerhalb weniger Jahre wie ein Phönix aus der Asche emporgehoben hatte, näher kennen zu lernen, darum sagte sie, wenn auch merklich kühler:

»Wie kommt es, Fräulein von Rainer, daß Ihnen so wenig begehrenswert ist, was andern als ein großes Glück erscheint?«

Aniane lächelte fein.

»Ich habe nicht dienen gelernt, Durchlaucht!«

Sie bereute aber sofort, daß ihr der Ausspruch entfahren, denn die Fürstin würde ihn kaum verstehen.

»Das ist sehr schlimm, mein Kind, sehr schlimm,« sagte die Fürstin. »Dienen müssen wir alle. Der eine dient dem Staate, ein anderer der Kirche, seinem Gotte, der Familie, und Sie, Sie wollen sich dem Dienste entziehen?«

»Nein, Durchlaucht, ich erkenne nur einen Dienst im Leben an, den der Liebe, den habe ich mein ganzes Leben hindurch ersehnt, und ich selbst habe die Liebe mein ganzes Leben hindurch entbehren müssen. Freudig würde ich diesen Dienst auf mich nehmen, aber ich weiß, – verzeihen Durchlaucht, – daß er an Fürstenhöfen keine Stätte finden kann. Ich bin so lange ein armer, gefangener Vogel gewesen, Durchlaucht. Und ich sehne mich ja so nach Freiheit. In dem goldenen Käfig, den eine Hofdamenstellung mir verheißt, würde ich ohnmächtig meine Flügel zerbrechen.«

Die Fürstin sah jetzt dem jungen Mädchen mit warmer Teilnahme ins Gesicht. Das schien ihr doch sehr verwunderlich, daß jemand sich nicht zu Hofe sehnen sollte, was andern der Inbegriff alles Erreichbaren erschien. Aber dann kam es ihr wie ein Verstehen:

»Na, das ist doch wenigstens ehrlich gesprochen! Also, Sie wollen nicht? Das hätte ich mir wirklich auch nicht träumen lassen, Aniane, daß Sie mich so schlank abweisen,« lächelte sie jetzt gütig. »Freilich, ich weiß, Sängerinnen haben ihre Launen, aber seit gestern abend habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie es gehen könnte, daß Sie doch zu uns in die Residenz kommen? Die kleine Monbert machte mich gleich darauf aufmerksam, daß Ihres öffentlichen Auftretens wegen die Hofdamenstellung vielleicht einige Schwierigkeiten haben könnte, aber das hat ja natürlich gar nichts zu sagen. Der Fürst würde das ignorieren. Es ist natürlich selbstverständlich, daß Sie nicht weiter in Konzerten mitwirken können, höchstens zu wohltätigen Zwecken. Es wäre doch wundervoll, wenn wir eine so entzückende Stimme sozusagen zum Hausgebrauch hätten. Und die originellen Feste, die wir arrangieren könnten! Ueberlegen Sie sich die Sache doch, Aniane, ich glaube, Sie würden es nicht bereuen!«

Eine flammende Röte war bei den wenig taktvollen Worten der Fürstin Elinor über Anianens Gesicht gehuscht.

Aber jetzt lächelte sie schon wieder.

»Durchlaucht, meine Lebensziele liegen klar vor mir, ich werde zur Bühne gehen.«

Ein Ausruf des Erstaunens rang sich von den Lippen der Fürstin.

»Ist es wahr? Wirklich, ganz sicher? Aber mein liebes Fräulein von Rainer, da ließe sich doch gewiß ein Engagement am Hoftheater bei uns ermöglichen. Bitte, nein, sagen Sie doch kein Wort, ich muß doch etwas für Sie tun, ich habe doch Ihre Mutter so lieb gehabt!«

Aufgeregt tastete die Hand der Fürstin nach der Klingel.

Der Kammerherr trat mit tiefer Verbeugung ins Gemach. »Durchlaucht befehlen?«

»Telegraphieren Sie doch sofort an den Intendanten von Wiebrecht, ich wünsche ihn noch heute abend nach unserer Rückkehr im Residenzschlosse zu sprechen.«

»Zu Befehl, Durchlaucht. Haben Durchlaucht noch sonst weitere Befehle?«

»Nein, danke, lieber Wuthenow,« nickte die Fürstin herablassend.

Wieder war Aniane mit der Fürstin allein.

»Es hilft Ihnen nichts, Goldkind,« lächelte die hohe Frau. »Sie müssen als Stern an dem Himmel unserer Residenz aufgehen. Ich kann Ihnen ja nichts Bestimmtes versprechen, aber ich hoffe, Ihnen sagen zu können, auf baldiges Wiedersehen. Und nun Gott befohlen, mein liebes Kind, und mit frohem Mute in die Zukunft!«

Sie küßte Aniane huldvoll auf die Stirn. Aniane neigte sich tief vor der hohen Frau, aber ihre Lippen berührten nicht zum Kusse die dargereichte Hand, über welche sie sich pflichtschuldigst neigte.

* * *

Und dann stand Aniane im Vorzimmer, flüchtig grüßend an dem Kammerherrn vorbeischreitend, der soeben wieder das Gemach der Fürstin betrat.

Am Fenster aber stand Witta von Monbert mit Prinz Dolf Dietram, und Aniane sah, wie Witta dem Prinzen hastig ein Wort zuflüsterte.

Der lächelte, das alte, starre, hochmütige Lächeln! Dann trat er hastig auf Aniane zu.

»Mein gnädiges Fräulein,« sagte er, ihre schlaff herniederhängende Hand an seine Lippen führend, »wie glücklich bin ich, Sie heute so frühlingsfrisch nach dem gestrigen Abend zu sehen. Ich hoffe, daß Ihr holder Anblick meine Mutter milder gestimmt hat, denn ich bin herkommandiert, um mir eine Strafpredigt zu holen.«

Er lachte und Witta von Monbert lachte mit. Wie eine Bergeslast legte sich dieses Lachen auf Anianens Seele. Was war denn geschehen? Waren der Prinz und Witta nicht vertraut seit frühester Jugend? Und was kümmerte sie überhaupt die Vertraulichkeit?

»Ihre Durchlaucht die Fürstin sind in sehr gnädiger Stimmung,« sagte Aniane lächelnd, »da wird es nicht allzuviel mit der Strafpredigt werden.«

»Nun,« sagte der Prinz, »da hätten Sie ja meiner gnädigen Mama bereits eine für mich sehr vorteilhafte Ableitung gegeben.«

Aniane reichte dem Prinzen zum Abschiede die Hand. Sie sah nicht die drohenden Augen Wittas, die blitzschnell von einem zum andern glitten, sondern schritt gesenkten Auges zur Tür.

Der Prinz gab ihr das Geleit.

»Ich hoffe, dennoch in den allernächsten Tagen Gelegenheit zu haben, mein gnädiges Fräulein, Ihnen Bericht erstatten zu können, wie die Strafpredigt ausgefallen ist.«

Noch eine Verbeugung, ein feuriger Blick aus seinen tiefliegenden Augen und die Tür fiel hinter Aniane ins Schloß. Stumm schritt sie an den sich tief verneigenden Lakaien vorüber bis zu der mit roten Teppichen belegten Treppe. Langsam stieg sie dann, auf jeder Stufe stehen bleibend, hinab. Tief aufatmend trat sie auf die Straße. Da oben am Fenster weilte vielleicht der Prinz, und Witta von Monbert stand ihm zur Seite.

Und das schöne Hoffräulein lachte vielleicht über sie. –

Eine heiße Blutwelle schoß in Anianens Gesicht. Sie schritt eilig über den Roßplatz, dem Augustusplatze zu. Nie, niemals würde sie ein Engagement in der Residenz am Hoftheater annehmen. Da beschwerten sie gewiß noch andere Sklavenketten als im Dienste als Hoffräulein. Gott sei Dank, daß die Audienz vorüber war!

Hochaufgerichtet ging sie jetzt unter dem klaren blauen Herbsthimmel dahin. Durch die fast kahlen Aeste der Linden fiel das Sonnengold auf ihr flimmerndes Haar und umrahmte ihr Antlitz gleich einem duftigen Heiligenscheine.

Und viele Spaziergänger, die gestern in der Alberthalle die junge Sängerin gehört und gesehen, blieben überrascht stehen und blickten ihr nach und fühlten sich gehoben, ihr begegnet zu sein. –


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