Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14.

Einige Stunden von der kleinen Residenz Büsingen entfernt, ganz hinter den Rosenhecken versteckt, lag ein kleines, altes, halbzerfallenes Lustschloß, »die Rosenau«. Jahrelang hatte es unbewohnt, unter der Obhut des alten Kastellans Buntzer, wie in tiefem Schlafe gelegen, bis endlich vor jetzt drei Jahren die geschlossenen Fensterläden zum Teile sich öffneten und neues Leben in die alten Räume einzog.

Die wenigen Menschen in der Umgebung der Rosenau blickten aber auch jetzt nur scheu nach dem grauen Schlosse hinüber, von dem die Sage ging, daß es verhext sei.

Jede junge Frau, die in die Rosenau zog, so war in alten Chroniken zu lesen, war einem unheilvollen Verhängnis und sicherm Tode verfallen. Ein von seinem Weibe betrogener Stammherr der Fürsten von Büsingen hatte einen Fluch über jedwedes weibliche Wesen verhängt, das es wagte, seinen Fuß in die Rosenau, der Stätte, wo die Ahnenmutter die Treue gebrochen, zu setzen.

Das zierliche, lange Schloß war lange Eigentum der Mutter der Fürstin Clinor von Büsingen gewesen, die es nach ihrem Tode ihrem Enkel Dolf Dietram vermachte.

Dolf Dietram hatte schon als Knabe zuweilen ein paar Wochen auf der Rosenau, geweilt. Der geheimnisvolle Zauber, der sich um das alte Gemäuer spann, hatte seine lebhafte Phantasie immer wieder gefesselt, und er konnte schon damals nicht aufhören, sich von dem alten Kastellan die Geschichte der schönen ungetreuen Erdmute erzählen zu lassen und der geheimnisvollen Kraft des Fluches des Ahnherrn seiner Mutter nachzuspüren, der sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt haben sollte bis auf den heutigen Tag.

Die fürstliche Großmutter Dolf Dietrams hatte in ihrem Testamente bestimmt, daß niemals wieder ein Angehöriger ihres Hauses sein junges Weib über die Schwelle des Schlosses Rosenau führe. –

* * *

Der alte Kastellan und sein Weib Monika hatten daher große Augen gemacht, als plötzlich vor drei Jahren die telegraphische Weisung an sie kam, die Zimmer der schönen ungetreuen Erdmute für eine Dame instand setzen zu lassen und tiefstes Schweigen über diese Angelegenheit zu bewahren.

Der Kammerherr des Prinzen, Herr von Türkheim, war dann auch persönlich erschienen, um nachzusehen, ob alles seinen Wünschen entsprechend eingerichtet sei, und dann war in einer dunklen Novembernacht eine junge, liebreizende, bleiche Frau eingezogen in die Rosenau. Ein halbes Kind noch, war sie am Arme des Herrn von Türkheim durch die öden Gänge des Schlosses gewankt, die großen, braunen Kinderaugen fragend und furchtsam durch die Räume gleiten lassend.

»Es ist eine Frau im Hause,« sagten die Landleute in der Umgebung. »Wir sahen ihren Schleier wehen und die Fenster sind geöffnet. Nun muß sie wieder sterben.«

Aber sie starb nicht, die blasse, junge Frau, selbst da nicht, als sie einem Kinde das Leben gab, einem süßen Mädchen mit rotgoldenen Locken und großen, strahlenden, grauen Augen, trotzdem der Todesengel lange an ihrem Lager stand und Mutter Monika, die Kastellanin, meinte, es wäre nun vorbei.

Aber noch bleicher war die junge Frau geworden, bleicher und ernster. Zuerst, wenn Dolf Dietram kam, und er kam ziemlich häufig, immer auf einige Tage, da war es eine Lust, ein Getue und ein Getändel, daß die beiden alten Leute verwundert die Köpfe schüttelten und ernsthaft meinten: »Wohin soll das führen?«

Dann aber, als der Prinz immer seltener und seltener kam, erlosch das heimliche Glück in den großen grauen Augen der jungen Frau, da verlernte sie das Lachen und Singen und hinter den Rosenhecken wurde es still. Nur das frohe Jauchzen einer Kinderstimme klang manchmal wie ein fremder Laut durch den alten Park mit den verwitterten Götterbildern und die müde, süße Stimme einer Frau sang zur Laute todestraurige Lieder.

Wie Geisterklagen schwebten sie hernieder ins Tal und flogen durch die Lande, und die Bauern meinten:

»Die schöne Erdmute singt, nun wird die neue Herrin der Rosenau wohl sterben.«

Aber sie lebte weiter, die junge Frau, und das Kind gedieh. Es konnte schon allerliebst plappern und Mutter Monika behauptete, sie hätte noch nie ein so schönes Kind gesehen und es sei dem Prinzen Dolf Dietram bis auf die roten Locken wie aus den Augen geschnitten.

»Wirst du wohl schweigen, Weib,« herrschte sie dann wohl ihr gestrenger Ehemann an. »Was geht uns die Aehnlichkeit der Kleinen an. Wir wissen nichts weiter, als daß sie das Kind der Frau von Hohenberg ist, die im Schlosse wohnt, hast du verstanden?«

Die Alte nickte.

»Ja doch! Meinetwegen, wir tun unsere Pflicht und unsere Arbeit. Ich weiß bloß nicht, daß die arme junge Frau auch nicht eine einzige Seele hat, die sich um sie kümmert. Nur der alte ekelhafte Kerl, der Türkheim, schnüffelt hier immer herum und tut schön zu ihr und sie glaubt wohl alles, was er sagt, denn er ist ja der einzige, der ihr erzählt, was da draußen vorgeht.«

»Wer weiß, ob es recht ist,« meinte Vater Buntzer, »daß ich den Bitten der jungen Gnädigen nachgab und für sie das Wochenblatt von Büsingen abonnierte. Die Weisung Seiner Durchlaucht lautete doch: Alle Tagesneuigkeiten und Zeitungen sind der Dame fernzuhalten, um sie ihrer leidenden Gesundheit wegen nicht unnötig aufzuregen. Wer weiß, ob ich recht getan habe?«

»Das laß man, Alter, die Schuld nehme ich gern auf mich. So'n armer Wurm wird hier wie eine Gefangene gehalten und soll nicht mal eine Zeitung lesen. Nein, da müssen wir doch ein bißchen helfen.«

Der alte Buntzer nahm mürrisch seinen Schlüsselbund und schlürfte davon. Frau Monika sah ihm grimmig nach.

»So'n Mann hat doch gar kein Gefühl,« dachte sie, »dem ist es ganz egal, ob so'n armes Ding hier in dem verdammten Hause so langsam zugrunde geht, wenn er nur seine Pflicht tut. Ich habe aber lange genug das Elend mit angesehen, ich helfe dem jungen Geschöpfe, so viel ich kann.«

Sie stülpte energisch ihre alte Mullhaube auf den grauen Scheitel und stieg die Treppe hinan, die ins obere Stockwerk führte.

Die Kastellanin stand einen Augenblick mit hochrotem Kopfe still, dann klopfte sie energisch an.

»Herein,« rief eine müde Stimme und »herein« ahmte eine weiche Kinderstimme drollig den Ton der Mutter nach.

Im Erker des großen Gemaches, von dem man weit hinein in den verwilderten Park mit seinen verschlungenen Wegen und Büschen blicken konnte, stand eine schlanke Frauengestalt im weißen Empire-Gewande. Ueber der weißen Stirn hob sich das dichte bronzefarbige Haar wie eine Krone. Die braunen Augen, die, weil die Abendsonne sich darin spiegelte, hell wie Goldtropfen leuchteten, richteten sich erstaunt auf die alte Frau, während die zarten weißen Hände des jungen Geschöpfes leicht mit den knisternden Seidenbändern spielten, die sich über der Brust kreuzten und in langen Enden bis auf den Saum des Kleides herabflatterten.

»Was bringen Sie, Frau Buntzer?« fragte Frau von Hohenberg sie freundlich.

»Was bringen Sie, Frau Buntzer?« fragte auch das kleine, etwas mehr als zweijährige Plappermäulchen, das sich eng an die Mutter schmiegte und schelmisch lächelnd zu der Kastellanin aufsah.

»Ach Gott doch,« lachte Frau Monika ganz glückselig, »unser kleines, gnädiges Fräulein ist doch zu pfiffig.«

Frau von Hohenberg lächelte und löste die kleinen weichen Kinderhändchen von ihrem Kleide.

»Geh, Jane, gib Frau Buntzer die Hand.«

Das Kind trappelte zutraulich auf die alte Frau zu.

»Hast du mir etwas mitdebringt? Frau Buntzer?«

»Nee, nee, Gott bewahre. Hätte ich man eher daran gedacht, die ersten Erdbeeren sind reif. Na, mein Alter soll sie gleich pflücken,« versprach sie eifrig, dem Kinde das leuchtende Goldhaar aus dem Gesichte streichelnd. »Ißt denn das kleine gnädige Fräulein Erdbeeren gern?«

»Jane kennt keine Erdbeeren. Sind sie süß?«

»Ja, Zucker gibt's auch druff,« tröstete die alte Frau, »aber jetzt muß das kleine Fräulein mal nach der Puppe sehen, ob sie nicht krank ist.«

Das Kind lief eifrigst nach seinem Puppenbette und nahm die Puppe behutsam in ihre Arme.

»Sie wollen mir etwas Besonderes sagen, Frau Buntzer?«

Die junge Frau sagte es, ein leises Erschrecken in den Augen.

Die rankenden Wildrosen nickten in das offene Fenster herein und die kleine Jane rief zu Frau Monika herüber:

»Du, Frau Buntzer, sie hat schreckliches Halsweh die Puppe.«

»Bind' ihr ein warmes Tuch um,« mahnte die alte Frau, »daß sie sich nicht erkältet.«

Dann trat Frau Monika auf Frau von Hohenbergs Wink ganz in den Erker hinein und nahm zaghaft ihr gegenüber auf einem Hocker Platz.

»Nun, Frau Buntzer, was wollten Sie mir sagen?«

»Es ist mir doch gar zu schwer –«

»Nur Mut,« lächelte die einsame Bewohnerin der Rosenau.

»Ach, gnädige Frau,« nahm Frau Monika zögernd das Wort. »Ich bin eine alte ungebildete Frau, aber ich habe doch auch ein Herz und da wollte ich mir denn bloß die Freiheit nehmen, zu sagen, wie leid es mir tut, daß gnädige Frau so einsam und verlassen sind.«

Einen Augenblick zuckte es wild in den braunen Augen auf, dann erlosch der flackernde Goldglanz und leise kam es von den roten Lippen:

»Ich habe mir diese Einsamkeit selbst erwählt, liebe Frau. War das alles, was Sie mir zu sagen hatten?«

Die schlanke, weiche, biegsame Gestalt des jungen Weibes in dem durchsichtigen weißen Kleide saß in unnahbarer Hoheit vor der erschreckten Kastellanin.

»Du lieber Gott, nehmen Sie es mir bloß nicht übel, gnädige Frau, aber sehen Sie, wenn ich denke, wie viel gnädige Frau immer schreiben und daß nie eine Antwort an gnädige Frau gelangt, wo ich doch weiß, daß gnädige Frau immer auf den Briefträger warten – –«

Die junge Frau sprang erregt auf.

»Sie wollen doch nicht etwa sagen, Frau Buntzer, daß meine Briefe ihr Ziel nicht erreichen?«

Eine so irre Angst lag in den verstörten Zügen, daß die großen Hände der alten Frau beruhigend nach den zarten des jungen Weibes tasteten, die nun bebend in den starken Händen lagen.

»Ruhig, ruhig,« mahnte die Alte. »Um das kleine, liebe Ding da und weil ich alte dumme Person die gnädige Frau so lieb habe, will ich es sagen, was mir und meinem Alten den Hals brechen kann und was mir die Seele abmartert. Die Briefe, die gnädige Frau schreiben, kommen nie an ihre Adresse.«

»Frau Buntzer, bringst du mir jetzt Erdbeeren?« fragte es von dem Puppenwinkel her.

»Ja, geh zur Marie und bitte sie, daß sie mit dir in den Garten geht,« gebot die junge Mutter ihrem Kinde tonlos.

»Darf Püppchen mitgehen?«

Das kleine zutrauliche Ding streckte der Mutter die Puppe entgegen.

»Erst Tuß geben,« verlangte sie mit der ganzen Energie verzogener Kinder.

Gehorsam neigten sich die Lippen der jungen Frau auf die zerbrochene Nase der Puppe.

»Frau Buntzer, ein Händchen!« befahl die kleine Jane, dann stürmte sie jauchzend mit der Puppe davon. –

Einen Augenblick war es, als stiege es wie Todesschatten durch den Raum mit den altertümlichen Möbeln, den stummen Zeugen längst vergangner Tage, und als höre man den Herzschlag der bleichen Frau, um deren Haupt jetzt die sinkenden Sonnenstrahlen spielten.

»Wo bleiben die Briefe, die ich schreibe, Frau Buntzer, wo bleiben sie? Ihr Mann nimmt sie doch immer mit hinunter und ich habe schon oft gesehen, daß er sie in die Posttasche tut.«

»Stimmt, stimmt, gnädige Frau, aber die Posttasche erhält zur Besorgung der Kammerherr von Türkheim –«

Die junge Frau schrie laut aus.

»Herr von Türkheim. All die langen Jahre hindurch? Aber das ist doch gar nicht möglich. So schändlich kann doch niemand sein, all die Briefe, die ich aus tiefstem Herzenskummer heraus in meiner trostlosen Einsamkeit schrieb, zu unterschlagen?«

»Ich kann nichts weiter sagen, gnädige Frau, und ich werde nichts sagen. Benutzen Sie das, was ich Ihnen mitgeteilt habe, nach Gutdünken, aber bitte, lassen Sie mich und meinen Mann aus dem Spiele. Ich werde, kommt es heraus, alles ableugnen. Ich bin zwar immer in meinem Leben für die Wahrhaftigkeit gewesen, aber hier soll es mir auf eine Handvoll Lügen gar nicht ankommen. So, jetzt habe ich mein Gewissen gründlich reingewaschen und nun machen Sie, was Sie wollen.«

Frau von Hohenberg war an ihren Schreibtisch getreten. Rasch warf sie einige Worte auf ein Blatt Papier.

»Lassen Sie mir diese Depesche sofort an den Kammerherrn von Türkheim besorgen. Ich wünsche ihn unverzüglich zu sprechen.«

»Schön, gnädige Frau, soll gleich geschehen. Und gnädige Frau werden mich nicht verraten?«

»Nein, ich danke Ihnen, Frau Buntzer. Wollen Sie Jane wohl ein wenig unten behalten, ich möchte allein sein.«

»Versteht sich, versteht sich, du lieber Gott, das Goldkind. Ich bin so froh, wenn ich es habe. Mein Alter meint, ich wäre auf die alten Tage noch wie närrisch geworden mit dem Kinde. Aber es ist jetzt auch zu lieb und der reine Sonnenschein für so'n altes Herze.«

Ungeschickt knixend schritt Frau Monika aus dem Zimmer. Das junge Weib aber lehnte müde in seinem Stuhle und sah mit trostlosen Augen in den verwilderten Garten, wo sonnentrunken die letzten Falter über die Büsche taumelten und der Duft der Rosen in schweren Wogen zu ihr aufwallte. Verraten, betrogen, verlassen! Losgelöst von allem, was sie gewesen, saß sie hier in dem alten Schlosse Tag um Tag, Jahr um Jahr und wartete auf ein paar kurze Glücksstunden, die in immer länger werdenden Wartepausen zu ihr mal hingeflattert kamen, wie die weißen Marienfäden dort, die sich da unten zartsilbrig in der klaren Luft um Rosenbüsche spannen. Ein Windhauch entführte sie jetzt, die weißen Fäden und die Rosen senkten traurig ihre Häupter – nur einen Herzschlag lang hielt das Glück sie umfangen. Einen Herzschlag lang hatte auch nur Zilla das Glück genossen, ein Glück, das für jedes Lächeln, für jeden Augenblick der Seligkeit brennende Tränen einforderte. Was nun? Verzweifelt irrten Zillas Augen hinab in den Garten, aus dem das helle Jauchzen einer Kinderstimme drang. Was nun?

Die kleine Jane hatte zutraulich ihre runde Kinderhand in die arbeitsharte des alten Kastellans geschoben und bemühte sich, an seiner Seite durch den Garten trippelnd, mit seinen gewaltigen Schritten im richtigen Takte zu bleiben. Dabei hob sie die kleinen Füßchen hoch empor, als wolle sie einen hohen Berg besteigen und jubelte:

»Du, Herr Buntzer, Jane kann schon mit dir mit!«

Zilla hatte gar keinen Blick für das liebreizende Bild. Das süße, erhitzte Kindergesichtchen und das wehende Goldhaar jagten ihr Grauen ein. Warum war Jane schön? Schönheit hatte Zillas Mutter in Leid gebracht und Schönheit war ihr eigenes Verderben. Sollte das Kind auch daran zugrunde gehen? Und die Augen Janes! Seine Augen! –

Zilla schloß das Fenster. Nichts sehen wollte sie, selbst ihr Kind nicht.

Da hörte sie Rädergerassel auf dem Schloßhofe. Sollte er, der Geliebte, so spät noch –? Zilla stürzte zur Tür und lauschte. Nein, es war töricht. Prinz Dolf Dietram kam nie ohne Anmeldung, und wie lange war es überhaupt her, daß sie ihn zum letzten Male gesehen?

»Herr Kammerherr von Türkheim wünscht der gnädigen Frau seine Aufwartung zu machen,« meldete die Kammerzofe.

Zilla nickte. Sprechen konnte sie nicht. Der kam gerade zur rechten Zeit. Er sollte ihr Rede stehen.

Der Kammerherr trat mit schnellem Schritte in das Gemach. Ein flüchtig lauernder und dann plötzlich aufleuchtender Blick traf die zarte Gestalt Zillas, als er, ihre beiden Hände ehrfurchtsvoll küssend, hastig das Wort nahm.

»Ich höre, meine Gnädigste, daß unsere Wünsche sich begegnen. Sie haben mich zu sprechen verlangt und ich war schon auf dem Wege zu Ihnen!«

»Sie kommen, mir den Besuch Seiner Durchlaucht anzumelden, Herr von Türkheim?« fragte Zilla, auf einen Sessel deutend.

»Nein,« gab der Kammerherr etwas gedehnt zurück, beide Hände mit den Fingerspitzen aneinanderlegend und angelegentlich darauf herniedersehend. »Ich bin gekommen, um Ihnen einen Vorschlag zu machen, gnädige Frau.«

»Der Prinz kommt nicht? Er kommt wieder nicht?« rief Zilla und es war, als ringe sich ein Angstschrei aus ihrer Brust. »Mein Gott, bin ich denn ganz verlassen? Sollen denn all' die Opfer, die ich gebracht, ganz vergebens gewesen sein?«

Ein merkliches Spottlächeln zeigten die großen Zähne zwischen den breiten Lippen, die aus dem hagern Antlitz des Kammerherrn raubtierartig hervortraten.

»Ruhig, ruhig, meine liebe gnädige Frau. Als Sie einst vor Jahren freiwillig, ich betone, freiwillig dem Prinzen folgten, um ihm ganz anzugehören, da mußten Sie sich doch sagen, daß dieses Glück – wenn es eins war – nicht ewig währen könne. Fürstenliebe ist wie Spreu im Winde, sie versiegt und nichts kann sie aufhalten. Sie werden es ja schon selbst gemerkt haben, wie selten nur Prinz Dolf Dietrams Fuß den Weg zur Rosenau fand und daß die Träume, die Sie gehegt, zerflattert sind, wie Blüten im Lenz.«

Der Kammerherr rückte sich ordentlich auf seinem Stuhle zurecht. Das hatte er hübsch gesagt. Wirklich, es war ihm außerordentlich wirkungsvoll gelungen. Auf dem ganzen Wege, von der Residenz bis hierher, hatte er sichs überlegt, was er sagen wollte, und nun wars ihm ganz von selbst so hübsch gelungen. Er wagte aber dennoch nicht, der jungen Frau frei ins Gesicht zu blicken. Er sah unentwegt auf seine weißen, schön gepflegten Hände, an denen ein kostbarer Brillant blitzte.

»Sind Sie aus eigenem Antriebe gekommen, um mir diese taktvollen Eröffnungen zu machen oder kommen Sie im Auftrage?«

»Im allerhöchsten Auftrage, meine gnädige Frau, wie würde ich es wohl sonst wagen?«

Zillas Augen schlossen sich einen Augenblick, wie müde zum Sterben, dann aber hob sie sie ruhig, fest dem Blicke des Kammerherrn entgegen und sagte anscheinend gefaßt: »Ich bitte Sie, sich Ihres Auftrages ohne Umschweife zu entledigen, Herr Kammerherr.«

Ein prüfender Blick des verlebten Hofmannes mit dem glattrasierten Gesichte und dem kahlen Schädel traf die weiche Gestalt der jungen Frau.

»Durchlaucht findet, daß gnädige Frau hier in der Rosenau nicht mehr genügend vor Schmähungen sicher sind. Seine Durchlaucht, unser allergnädigster Fürst, hat, durch allerlei Einflüsterungen aufmerksam geworden, Nachforschungen angestellt und erfahren, daß in der Rosenau eine Dame mit einem Kinde weilt, zu der Prinz Dolf Dietram in irgend welchen Beziehungen steht. Der Fürst Ernst Heinrich hat darauf angeordnet, diese Dame unverzüglich aus der Rosenau zu entfernen.«

Der Kammerherr hatte langsam, jedes Wort schwer betonend, gesprochen.

Zilla wankte, die Augen groß und starr auf den Mann gerichtet, der so schonungslos auf sie einsprach, und sank lautlos zusammen.

»Da haben wir's,« dachte Herr von Türkheim ärgerlich. »Schwachnerviges Geschlecht, kein Mark in den Knochen, bricht bei jedem Windhauche zusammen.« Er sprengte ihr energisch Wasser ins Gesicht und Zilla schlug langsam die Augen wieder auf. »Fühlen Sie sich besser, gnädige Frau?« forschte er, sie sorglich zu einem Sessel führend.

»Ja,« gab sie zurück. »Bitte, äußern Sie sich doch weiter. Wohin befiehlt Seine Durchlaucht Prinz Dolf Dietram von Büsingen oder gar der Fürst, daß ich meine Schritte lenke?«

Der Kammerherr sah Frau von Hohenberg prüfend an. Er war auf eine Tränenflut gefaßt gewesen, auf einen Ausbruch der tiefsten Verzweiflung. Die Ruhe Zillas war ihm unbehaglich und nahm ihm seine gewohnte Sicherheit.

»Es gibt zwei Wege, gnädige Frau, die sich Ihnen bieten. Der eine ist der, den Prinz Dolf Dietram für den richtigsten hält, mit dem Kinde ins Ausland zu gehen, wo es leichter ist, unerkannt zu leben. Unser allergnädigster Landesherr, der Fürst, würde in diesem Falle bereit sein, alle hierzu erforderlichen Mittel zu gewähren und die Zukunft des Kindes sicher zu stellen oder,« hier stockte der Kammerherr und eine leichte Röte flog über sein Gesicht, »der andere Weg ist, daß sich gnädige Frau verheiraten.«

»Ver–hei–raten?« fragte Zilla ungläubig und eine brennende Röte flog auch über ihr blasses Gesicht. »Verheiraten, sagen Sie, Herr Kammerherr? Ja, bin ich denn nicht verheiratet? Kann denn ein vor Gottes Altar geschlossener Bund so ohne weiteres auseinandergerissen werden? Wer hat die Schamlosigkeit, mir solches ins Gesicht zu sagen? Der Prinz oder sind Sie es?«

»Ruhig, ruhig, meine Gnädige. Ich finde es ja begreiflich, daß Ihr ganzer Zorn sich gegen mich als den Ueberbringer dieser unliebsamen Nachrichten wendet, aber ich richte nur aus, was mir aufgetragen ist und je ruhiger Sie meinen Vorschlägen gegenüberstehen, je leichter werden Sie den rechten Weg finden. Sie waren zwar noch sehr jung, als Sie Ihr Schicksal an dasjenige des damals auch noch sehr jungen Prinzen fesselten. Aber es dürfte Ihnen doch bekannt sein, daß Fürstensöhne nicht so ohne weiteres eine Ehe schließen können, wie es damals mit Ihnen im Auslande geschehen ist.«

Zilla hob stolz den Kopf.

»Ich selbst habe die Papiere verwahrt, Herr Kammerherr, und Sie selbst waren Zeuge unserer rechtmäßigen Eheschließung.«

Wieder huschte das maliziöse Lächeln um den Mund Herrn von Türkheims.

»Ganz recht, meine Gnädige, aber ich bezweifle doch, daß infolge der großen Eile bei der Eheschließung alles ganz vorschriftsmäßig zugegangen ist. In fremden Landen ist man nicht so genügend orientiert, und unserem allergnädigsten Fürsten und Herrn wird es ein leichtes sein, die Ehe für ungültig erklären zu lassen, wenn sie überhaupt unter so besondern Verhältnissen anerkannt wird.«

Zilla war es, als stürzten die Mauern des Schlosses über ihrem Haupte zusammen. Noch faßte sie kaum die Schwere der Eröffnungen, aber das eine hatte sie doch begriffen, die grenzenlose Schmach, die man ihr angetan und daß Dolf Dietram ihr auf ewig verloren war. Sie bezwang sich aber zur Fassung, denn da unten im Garten jauchzte ja ahnungslos ihr Kind und haschte nach den bunten Sommervögeln, die zum Neste flogen.

Noch immer keine Tränen. Dem Herrn Kammerherrn war sehr peinlich zumute. In seiner langjährigen Praxis war ihm eine solche Frau noch gar nicht vorgekommen.

»Wollen Sie mir ein paar Fragen offen und ehrlich beantworten, Herr Kammerherr?«

»Jede, meine gnädige Frau. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«

»Ist es wahr,« fragte Zilla langsam, »daß Prinz Dolf Dietram die Primadonna des Hoftheaters ungewöhnlich auszeichnet?«

Der Kammerherr sprang erregt auf.

»Wer sagt das? Woher können Sie etwas davon wissen? Wie kommt Ihnen überhaupt eine Kunde von der Primadonna?«

Der Kammerherr hatte es hastig in überstürzenden Worten hervorgesprudelt. Jetzt sah er ganz erschreckt in Zillas blasses Gesicht, in die fest auf ihn gerichteten dunklen Augen, die eine unerwartete Kampfbereitschaft verrieten.

»Denken Sie nur, der Zufall hat ein Zeitungsblatt auch in mein Gefängnis geweht, mein Herr von Türkheim. Denken Sie nur, daß ich durch einen Zufall seit einiger Zeit über alle Vorgänge bei Hofe unterrichtet bin und wenn auch hin und wieder das Gerücht in den Zeitungen auftaucht, Prinz Dolf Dietram beabsichtige sich mit der Prinzessin Geraldine von Pleß zu verloben, so gab es doch hier und da Fingerzeige, die mich vermuten lassen, daß seine Durchlaucht durch Aniane von Rainer, die ich als junges Mädchen persönlich gekannt, gefesselt ist. Ist das wahr?«

»Ich kann wirklich keine genügende Auskunft geben, meine gnädige Frau,« entwand sich der Kammerherr ihren Fragen. »Man munkelt ja so viel in der Residenz. Viel wichtiger ist mir, zu erfahren, woher Ihnen diese Kunde kam, die Sie bei Ihrer Abgeschiedenheit kaum erreicht haben kann.«

»Wie es mir wichtig ist, zu erfahren, mein Herr Kammerherr, wohin die Briefe gekommen sind, die ich im Laufe der vergangenen Jahre geschrieben und die sämtlich ihren Bestimmungsort nicht erreichten.«

Der Kammerherr zuckte die Achseln.

»Ja, meine liebe, gnädige Frau, woher soll ich das wissen? Haben Sie mir die Briefe zur Beförderung übergeben?«

»Nein, ich nicht, aber andere,« rief Zilla leidenschaftlich. »Ist es denn möglich,« schluchzte sie plötzlich auf, »daß es Menschen geben kann, die mit so raffinierter Grausamkeit einem armen Menschenkinde alles Glück, allen Trost nehmen wie Sie es getan. Ist denn das menschlich?«

»Gott sei Dank, sie weint,« dachte der Kammerherr. Dann aber sagte er mit überlegenem Lächeln: »Ich weiß allerdings nicht, meine Gnädige, was Sie mir vorwerfen, aber gnädige Frau dürfen nicht vergessen, daß alles, was ich tat, im allerhöchsten Auftrage geschah.«

»Im Auftrage? Der Prinz hätte sich so weit erniedrigt. Ihnen zu befehlen, die Briefe, die ein verzweifeltes, in die Irre gegangenes Kind an seinen Vater, seine Mutter, an seine Schwester mit der Bitte um Verzeihung schrieb, zu unterschlagen? Jawohl, zu unterschlagen. Schämen Sie sich, Herr von Türkheim! Und die Briefe, die ich an den Prinzen selbst schrieb, sind die vielleicht auch nicht in seine Hände gelangt? Haben Sie sich in Ihren Mußestunden vielleicht an dieser Lektüre erbaut?«

»Die Briefe an Seine Durchlaucht sind ebenfalls in die allerhöchsten Hände gelangt.«

»Und der Prinz hat die Briefe gelesen? Antworten Sie, bei allem, was Ihnen heilig ist, nur dieses einzige Mal. Sagen Sie mir die Wahrheit.«

Der kaltherzige Kammerherr zuckte ein klein wenig nervös zusammen bei dem herzzerreißenden Flehen, das aus dem totenblassen Gesichtchen der jungen Frau zu ihm sprach. »Ich sah nur zuweilen,« berichtete er zögernd, »daß Durchlaucht die Briefe ungelesen in die Flammen des Kamins warf.«

Zilla schloß mit einem Wehrufe die Lippen. Abendschatten füllten schon das Gemach. Eine Weile herrschte Totenstille, nur unten im Park rauschte leise ein alter Brunnen.

»Ich bitte, mich jetzt allein zu lassen, Herr von Türkheim,« kam es dann mühselig von den Lippen der jungen Frau.

»Und was soll ich meinem hohen Herrn antworten? Sie haben meinen zweiten Vorschlag noch nicht zu Ende gehört.«

Zilla winkte nur matt mit der Hand. Der Kammerherr aber fuhr unbeirrt fort:

»Es liegt im Interesse der hohen Herrschaften, daß Sie so bald als möglich eine andere Ehe eingehen, wenn diese Scheinehe, die nur zu Ihrer Beruhigung geschlossen war, für nichtig erklärt ist.«

Zilla lachte verzweifelt auf.

»Vielleicht haben die hohen Herrschaften auch schon einen Bräutigam für mich, der bereit ist, die Schande, in die man mich getrieben, zuzudecken? Bitte, sagen Sie doch alles. Kennen Sie ihn?«

»Ja,« gab Herr von Türkheim mit halbgeschlossenen Augen zu. »Ja, ich, – ich bin es selbst, denn ich liebe Sie, schon länger, als Sie ahnen.«

Wieder klang Zillas Lachen wie das einer Wahnsinnigen durch den Raum.

»Sie, Sie wollen mich heiraten und sich meine Schande bezahlen lassen? Denn umsonst werden Sie ja wohl diesen Ehrendienst für Ihren hohen Herrn nicht ausführen. Pfui, wie niedrig und gemein ist das alles! Gehen Sie, gehen Sie sofort und sagen Sie Ihrem Herrn, dem Fürsten und Ihrem edlen Gesinnungsgenossen, dem Prinzen, daß ich keine Antwort auf die allerhöchsten Vorschläge habe. Sie aber bitte ich, meinen Weg nicht wieder zu kreuzen. Die Rechte meines Kindes werde ich seinem ehrvergessenen Vater gegenüber selber wahren.«

»Ich gebe Ihnen zu bedenken, gnädige Frau, daß alles Auflehnen gegen den fürstlichen Befehl ergebnislos ist und die Sachlage nur verschärft. Ich bin –«

»Hinaus!« rief Zilla mit wildem Blicke. »Wagen Sie es nicht noch einmal, sich mir zu nahen. Der Prinz mag mir selber seine Wünsche äußern, das ist wohl das wenigste, was ich zu verlangen habe.«

»Auch daran hat Seine Durchlaucht gedacht und ich habe die Ehre, Ihnen dies Schreiben des Prinzen zu überreichen.«

Zilla riß ihm förmlich den Brief mit dem großen Siegel, den er zögernd aus der Brieftasche nahm, aus der Hand. Dann aber legte sie das Schreiben langsam auf die Tischplatte. Dieser Mann da sollte nicht dabei sein, wenn sie zusammenbrach.

»Ich hoffe, Sie sind mir heute zum letzten Male begegnet, Herr von Türkheim.«

Er verneigte sich stumm. Ein böser, fast haßerfüllter Blick traf die junge Frau. Seine Mission war gescheitert. Nun hieß es Mittel und Wege finden, die Sache so geschickt zu drehen, daß sein hoher Auftraggeber die Meinung gewann, er hätte gesiegt. Er grüßte stumm, dann schritt er hinaus und die Treppe hinab.

»Sorgen Sie dafür, daß Frau von Hohenberg das Schloß unter keiner Bedingung eher verläßt, als bis ich selbst es bestimme,« herrschte er den Kastellan an. »Der Aufenthalt der Gnädigen wird ohnedies hier nur für kurze Zeit sein. Befehl Seiner Durchlaucht des Fürsten.«


 << zurück weiter >>