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2.

Die erste »Tanzstunde mit Herren« in Tannenrode war zu Ende und einsam lagen die Gassen in winterlicher Pracht, aber diese Tanzstunde warf noch lange ihre Schatten, denn sie weckte in den jungen Menschenkindern, die sich hier zum ersten Male im Reigen schwangen, Empfindungen und Gedanken, die weitab lagen von dem kindlichen Interessenkreise, der bisher ihr ganzes Sinnen erfüllte.

In dem grauen Hause in der langen, öden und schmalen Gasse zu Tannenrode, wo die Majorin Buttler wohnte, brannte die Lampe. Sie warf ihr spärliches Licht in ein weiträumiges Zimmer und aus einen behäbigen runden Tisch, an dem Aniane saß und stickte, während ihr Gegenüber, die Majorin, vor einem großen Berge zerrissener Strümpfe eifrig einen Strumpf nach dem andern über ihre kleinen, fleischigen Hände zog, ihn auf seine Schadhaftigkeit hin zu prüfen.

Auf der Nasenspitze saß ihr eine Brille, über die hinweg die gutmütigen blauen Augen öfter zu Aniane hinüberschweiften, die unentwegt stickte und die Wimpern tief gesenkt hielt.

Ein paarmal schüttelte die Majorin Buttler mißbilligend den Kopf, so daß die langen Enden ihres schwarzen Kopfputzes nur so flogen, aber immer wieder kniff sie die schmalen Lippen zusammen und verschluckte die aufsteigenden Worte.

»Hast du es dir überlegt, Aniane?« kam es dann aber endlich doch heraus.

Das junge Mädchen in dem unscheinbaren grauen Kleide strich mit der Hand über das blonde Haar, das, straff zurückgekämmt, unschön die etwas zu hohe Stirn freigab. Dann sagte sie mit einem seltsam heiseren Klange in der Stimme: »Ja, Tante. Verlange, was du willst; den Tanzstundenball besuche ich nicht!«

»Du bist ein undankbares Geschöpf! Anstatt mir dankbar zu sein, daß ich dir den Besuch der Tanzstunde ermöglichte, was ich, da die Jungen so viel kosten, nur unter großen Opfern konnte, kommst du mit allerhand Ansprüchen und Gefühlsduseleien; du sollst dich amüsieren mit der Jugend und sollst nicht immer zurückstehen. Wenn du dich aber in den Ecken herumdrückst und mit einem Gesicht dasitzt, als hättest du Essig verschluckt, dann graulst du natürlich alles fort. Du bist ganz allein schuld daran, wenn man dich schlecht behandelt. Deine Unliebenswürdigkeit ist stadtbekannt und –«

Frau Major Buttler verstummte vor dem schmerzlichen Blicke der tiefen, grauen Augen, die zu ihr aufsahen.

»Nein, Tantchen,« sagte das junge Mädchen ruhig, indem sie aufstand und näher zu der alten Dame trat, »das bin ich nicht. Nur arm und unglücklich bin ich und darum passe ich nicht in den Kreis, in den du mich durchaus schieben willst.«

»Arm und unglücklich! Bist du denn ganz von Sinnen, Mädel? Hat es dir bei uns an was gefehlt. Haben wir dich nicht gekleidet und genährt, als wärest du unser eigenes Kind, und da redest du, als hättest du hier die Hölle auf Erden? Undankbar bist du, grenzenlos undankbar, das laß dir gesagt sein, Aniane.«

Eine tiefe Blässe legte sich über das junge Gesicht. »Du irrst, Tante,« gab sie mit tonloser Stimme zurück. »Ich weiß wohl, was du und der Onkel für mich getan habt, als die Eltern starben und ich ganz allein und bettelarm zurückblieb. Aber ich weiß auch, daß man mich nur euretwillen in der Gesellschaft duldet, in die ich nun einmal nicht gehöre.«

»Rede doch nicht solchen Blödsinn, Mädel. Du gehörst so gut wie die kleine giftige Kröte, die Monbert, dazu. Dein Vater war Offizier und deine Mutter sogar eine geborene Gräfin. Quatsch also nicht so dummes Zeug.«

»Mein Vater war ein Ehrloser und meine Mutter war seine Gefährtin,« kam es unbarmherzig von den roten Lippen.

Die kleine rundliche Gestalt der Majorin schnellte wie ein Federball in die Höhe. Die guten blauen Augen sahen tödlich erschrocken in das farblose, starre Antlitz des jungen Mädchens. »Bist du denn wahnsinnig? Wer hat dir denn das aufgebunden?«

»Witta von Monbert hat mir schon in der Schule gesagt, mein Vater habe die Mutter und sich erschossen, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte. Witta wollte auch darum nicht an meiner Seite sitzen und darum – siehst du, Tante, darum bin ich eine Ausgestoßene unter all den Mädchen, darum will ich nicht auf den Ball! Ich sterbe, wenn du mich hinschleppst.«

Es klang wie ein Aufschrei. Die ganze, lange zurückgedrängte Qual einer jungen Mädchenseele klopfte an das Herz der alten Frau, die beschwichtigend Aniane in ihre Arme zog.

»Kleines Dummerchen,« tröstete sie mütterlich. »Und das alles hast du jahrelang mit dir herumgetragen und hast mir nichts gesagt? Der Onkel und ich haben es immer vermieden, mit dir von deinen armen Eltern zu reden, weil wir dich noch für zu jung hielten, ihr trauriges Verhängnis begreifen zu können. An die Roheit der lieben Nächsten haben wir allerdings dabei nicht gedacht. Es ist ja geradezu empörend. Der kleinen Monbert werde ich es aber eintränken,« ereiferte sie sich erbost, während sie sorglich die großen Tränen, die über Anianens Wangen flossen, trocknete. »Laß man, Kleines, der will ich die Leviten lesen.«

»Warum haben sie mich denn nicht mitgenommen? Warum haben sie mich denn allein gelassen, meine Eltern, wenn sie mich lieb hatten? Wie konnten sie ein kleines, schutzloses Kind allem preisgeben? Ach, Tante, der Gedanke martert mich Tag und Nacht, sie haben mich nie geliebt!«

Frau Major Buttler sah ratlos auf das leidenschaftlich erregte Mädchen. Nun war der Augenblick da, vor dem ihr schon immer gebangt und gerade jetzt, wo doch so viel von der Tanzstunde abhing, wo sie doch ein Mittel sah, Aniane fest in das Gesellschaftsleben der kleinen Stadt einzuführen. Es war ja zu dumm! Daß Aniane gerade jetzt wieder auf die alten, längst vergessenen Geschichten zurückkommen mußte, unter denen sie alle ja noch heute zu leiden hatten. Unbequem war das Mädchen überhaupt, grenzenlos unbequem!

»Komm einmal her, Aniane, setz' dich zu mir. Schraube erst die Lampe ein wenig niedriger, so, hier am Fenster, da will ich dir von deinen Eltern erzählen.«

Aniane schritt langsam hin zu dem hohen Fensterbrett der altmodischen dunklen Stube, wo Tante Buttler sich behaglich in dem alten Korbsessel mit der bunten Schlummerrolle, die Aniane so haßte, zurücklehnte. Das junge Mädchen setzte sich steif der Tante gegenüber auf einen hochlehnigen Stuhl. Sie wagte es nicht, der Majorin in das Gesicht zu sehen. Ihr Auge hing an den verschneiten Giebeln der alten Gasse von Tannenrode, über die im unsichern Lichte der einsamen Laterne phantastische Schatten huschten. Wie seltsam ruhig ihr Herz war, ihr Herz, das doch vorhin so ungestüm, so leidenschaftlich geklopft hatte.

Die Majorin fuhr mit der rundlichen Hand verlegen über ihren glatten grauen Scheitel. Das Mädchen war zu unbequem, höchst unbequem. Wenn sie nur erst alles gesagt hätte. Die grauen Mädchenaugen blickten unbeweglich in die lebhaften Mienen der kleinen Frau.

»Dein Vater, Aniane,« begann die Majorin endlich, »war, wie du weißt, mein Stiefbruder. Mein Vater hatte ziemlich spät zum zweiten Male geheiratet, und als der kleine Felix geboren war, wurde ich gerade Buttlers Frau. Ich habe ihn stets lieb gehabt, den kleinen, hübschen, dicken Kerl, der mit seiner sonnigen Heiterkeit alle Herzen bezwang. Als Felix heranwuchs, sah ich ihn nicht mehr. Als junge Offiziersfrau war ich durch die verschiedenen Versetzungen Buttlers bald hier und bald da, und Felix kam mir ganz aus den Augen. Erst als junger Offizier sah ich ihn wieder. Die großen grauen Augen, deine Augen, strahlend in Lebenslust, und im Herzen das Glück der Liebe. Er hatte sich mit der jungen, schönen, und, wie man meinte, auch reichen Ina von Falkenstein verlobt, und ihm hing der Himmel voller Geigen.

Felix hatte Schulden! Welcher junge Offizier hätte die nicht? Der Zuschuß, den ihm mein Vater, der Regierungsrat war, geben konnte, war gering. Felix' Mutter, die früh starb, hatte auch kein Vermögen hinterlassen, da war es dann oft ein Kunststück für den jungen Offizier, sich durchzuschlagen. Die reiche Heirat war für Felix ein Glück, das, wie er meinte, ihn stracks in den Himmel führte. Das tat sie denn auch, aber anders, als dein armer Vater gedacht. Ina galt als die Erbin eines reichen Onkels, der sie mit allem, was der Luxus nur erdenken konnte, umgab. Schön, reich, gefeiert kannte sie den Wert des Geldes nicht. Sie und Felix waren wie zwei traumselige Kinder, die sich aus einem Märchengarten in die Welt verirrt hatten.

Sie lebten ein paar kurze, glückliche Jahre. Als du zur Welt kamst, senkten sich die ersten Schatten auf das junge Glück. Inas Onkel vermählte sich plötzlich mit einer jungen Künstlerin, die den alten Mann vollständig umgarnt hatte. Er machte zu ihren Gunsten ein Testament, das Ina nur eine bescheidene Rente verhieß. Die ganze Welt stand vor einem Rätsel. Aber noch nicht genug an diesem Schicksalsschlage: Felix war nicht nur eigene Verbindlichkeiten eingegangen, er hatte auch noch für einen Freund, einen jungen, leichtlebigen Offizier, gut gesagt und Ehrenscheine unterzeichnet. Da kam plötzlich die Nachricht, daß der junge Offizier mit dem Pferde gestürzt sei, die Familie weigere sich, die Schulden des Verstorbenen zu bezahlen und dein Vater hatte die ganze Last zu tragen. Da muß ihn wohl die Verzweiflung seiner Lage übermannt haben. Der Gedanke, Ina und dich im Elend an seiner Seite zu sehen, die Furcht vor Schande, die ihm drohte, wenn es nicht möglich war, die Scheine einzulösen, machten ihn ganz fassungslos. Ein letzter Versuch deiner Mutter, den Onkel, der mit seiner jungen Gattin auf Reisen war, telegraphisch um Hilfe zu bitten, mißlang. Ueberall grinste den beiden jungen Menschenkindern die Verzweiflung entgegen. Mein Vater war selbst mittellos, wir hatten zu tun, uns mit unseren Kindern durchzubringen, da hatten Felix und Ina wohl nicht den Mut gehabt, sich uns zu vertrauen. Ueberall sahen sie nur die Tore verbaut. Nirgends Rettung, nirgends ein Weg. Da wollten sie denn in ihrer Verzweiflung sterben und dich mit sich nehmen in das unbekannte Land, wo allein Frieden ist.« – – –

»Warum haben sie es nicht getan?« rief Aniane hart. »Sie durften mich nicht zurücklassen in dieser kalten grausamen Welt. Es war ein Verbrechen!«

»Aniane, Mädchen! Schämst du dich nicht, deine armen Eltern anzuklagen, die so viel gelitten?«

»Sie haben mich nie geliebt!« murmelte Aniane tonlos.

Die Majorin Buttler stand hastig auf, so daß der alte Korbstuhl in allen Fugen krachte. Aniane verharrte still auf ihrem Platze und starrte auf die im Schnee blinkenden Dächer – auf die lange, wie sie meinte, endlose Gasse. Die Majorin kramte in ihrem Schreibtische. Endlich schien sie gefunden zu haben, was sie suchte. Einen unsichern Blick warf sie noch auf das Mädchen, dann aber sagte sie weich:

»Komm einmal her, Aniane. So, schraube die Lampe ein wenig heller. Ich hatte gedacht, daß die Zeit viel, viel später kommen würde, wo ich dir Aufschluß geben müßte über die letzten Stunden deiner armen Eltern. Hier komm und höre, was dein Vater schreibt, weshalb sie dich hier ließen, als sie meinten, es bliebe ihnen kein anderer Ausweg, als zu sterben.«

Die Majorin setzte sich umständlich die große Brille auf die Nase. Aniane war ihr langsam mit zitternden Knien bis hin zu dem großen runden Tische gefolgt. Die Majorin las und las, viele eng beschriebene Blätter.

»Das ist nichts für dich, mein Kind,« sagte sie über die Brille hinweg, »das ist die Aufstellung alles dessen, was notwendig war, Klarheit in die Verhältnisse zu bringen. Doch hier, jetzt höre.«

Unwillkürlich dämpfte die kleine rundliche Frau ihre Stimme. Die Majorin las:

»Schwester, was bin ich doch feige! Ich habe mit Ina, die mich nicht allein den dunklen Weg gehen lassen will, den ich doch gehen muß, wenn ich ein anständiger Kerl bleiben will, beschlossen, unser Kleines, unsere Aniane mit uns zu nehmen in das Nirwana. Niemand soll ihr wehe tun in diesem Leben, kein Schatten soll auf ihren Lebensweg fallen. Wir wollten sie bei uns haben, aber wenn ich in die unschuldigen Augen blicke, wenn ich das rosige Mündchen lächeln sehe, wenn aus dem ganzen kleinen Gesicht die Lebensfreude strahlt, dann sinkt mir der Mut. Was bin ich feige, Schwester! Auf den Knien hat Ina vor mir gelegen und mich gebeten, das Kind zu töten, es nicht allein zu lassen. Ich kann es nicht! Ina und ich haben das Recht der freien Selbstbestimmung, das unschuldige Kind noch nicht. Wenn ich daran denke, welche Leidensstraße unsere kleine Aniane vielleicht wandeln muß, dann überkommt mich jählings der Mut der Verzweiflung, aber Anianens Augen bannen mich – ich kann nicht! So möge uns denn Gott und unser Kind ein gnädiger Richter sein. Dir, Schwester, legen Ina und ich unsern sonnigen Liebling ans Herz. Ich weiß, du wirst das Kind vor Unbill und Leid schützen, soweit du vermagst. So segne dich Gott und unser Kind, er segne dein Haus.

Dein unglücklicher Bruder Felix.«

Es war ganz still in der dämmerigen Stube, als die Majorin schwieg. Nur ein schluchzender Laut entrang sich Anianens Brust, dann wieder das lautlose, beklemmende Schweigen.

»Gib mir den Brief, Tante!«

»Nein, er ist nicht für dich bestimmt,« wehrte die Majorin.

»Gib ihn mir!« Wie befehlend das klang. Wortlos reichte die kleine Frau dem jungen Mädchen den Brief. Das neigte still den blonden Kopf und ging mit dem Briefe hinaus. Verblüfft starrte ihr die Majorin nach. Wie merkwürdig doch die Aniane war.

Sie sah ja nicht, wie das junge Ding in ihrem Giebelstübchen hoch über den Dächern der anderen Häuser auf den Knien lag und lachend und weinend den Brief küßte und ihn mit Tränen netzte.

»Ihr habt mich doch lieb gehabt, Vater und Mutter. Ihr habt mich aus Liebe zurückgelassen, weil ihr mir nicht wehe tun wolltet. Ihr seid nicht ehrlos gewesen, nicht verachtet, wie Witta mir damals in der Schule erzählt, nur unglücklich, und ihr habt eure Aniane lieb gehabt, ach, so lieb!«

Sie küßte zärtlich die Bilder der Eltern, die über ihrem Bette hingen. Sie wußte, es gab eine Zeit, in der sie diese Bilder nur mit finstern Augen gestreift hatte. Stolz hob sie das blonde Haupt. Mochten die anderen doch sagen, daß der jähe Tod ihrer Eltern unauslöschliche Schande auf ihr Haupt gebracht, sie wußte es jetzt besser. Um Vater und Mutter wob sich für sie ein Glorienschein.

Aniane tilgte die Tränenspuren von ihrem Antlitz, dann schritt sie, den Brief sorglich in ihrer kleinen Truhe bergend, hinab in das Wohngemach.

Die Magd hatte inzwischen dort den Teetisch hergerichtet. Es sah trotz aller Einfachheit behaglich und gemütlich aus in der großen Stube.

Aniane trat auf die Tante zu, die ihr etwas unsicher entgegensah, und küßte ihr die Hand. »Ich danke dir, Tante Malchen, für alles, was du für mich getan hast,« sagte sie einfach. »Darf ich den Brief behalten?«

»Ja, ja, versteht sich,« nickte die alte Dame eifrig. »Weißt du, Kind, und mit dem Gelde, das ist alles in Ordnung. Der Onkel deiner Mutter, der zu seinem Schrecken wohl zu spät einsah, was er alles angerichtet, der hat alles geregelt, so daß kein Schatten auf die Ehre deines Vaters fällt. Auch dir hat ja der Onkel eine kleine Rente ausgesetzt, so viel, wie ihm wohl seine Frau erlaubte. Es ist zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.«

»Ich will sein Geld nicht. Er ist schuld daran, daß meine armen Eltern zugrunde gingen.«

»Ruhig, ruhig, Kind, du weißt noch nicht, welchen Wert das Geld hat; es ist ja kaum der Rede wert, aber es ist doch etwas, wenn wir nicht mehr sind. Aber da sind ja unsere Männer! Gott, wie die Bengels poltern!«

Die »Bengels« kamen lachend in die Stube. Der eine sporenklirrend, ein hübscher, blauer Husar mit einem kecken Schnurrbart über den vollen Lippen, und der andere ein flotter Student mit einem ordentlichen Schmiß über die linke Wange. Ihnen folgte die große, stattliche Gestalt des Majors, der sich bücken mußte, als er über die Türschwelle trat.

»Na, ihr Weiber,« sagte der alte Herr lachend, seinen weißen Vollbart streichelnd, »habt ihr denn was Anständiges zu futtern?«

»Weißen Käse,« gab der Student mit einem gelinden Schauer zurück. »Mutting, du willst uns wohl umbringen?«

»Ganz und gar nicht. Der ist gesund, mein Junge! Hier, Wolf, ist noch ein Täubchen für dich vom Mittagsbrot,« sagte sie mütterlich, dem jungen Offizier den winzigen Vogel über den Tisch zuschiebend. »Du bist nach dem anstrengenden Dienst wohl recht ausgehungert?«

»Na, da wird ihn die Taube ja wohl auch nicht umschmeißen,« lachte der Major. »Was hast du denn, Mädel, machst ja ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.«

»Aniane hat Ballfieber,« lachte Hans, der Student. »Du, ich gehe mit, da brauchst du nicht zu schimmeln, ich springe mit Todesverachtung ein.«

»Ich danke dir,« gab Aniane kurz zurück, »du brauchst dich nicht anzustrengen, ich werde den Ball nicht besuchen.« – –

Von Burg Tannenrode her flog ein großer schwarzer Vogel über die schimmernden Giebel. Der spannte weit seine Flügel und flog hin zu dem grauen Hause in der schmalen Gasse, wo Aniane in der Dachkammer träumte. Er krächzte laut und der heisere Ruf des Vogels drang in Anianens wirre Traumbilder.

Aniane aber faltete die kleinen Hände über der jungen Brust und lächelte im Traume, bis die Frühglocken den Schlaf von den grauen Augen lösten.

Da schwand das Lächeln und nichts stand in den großen Kinderaugen als trostloser Jammer und grenzenlose Verlassenheit.

Tannenrode aber lag friedlich im Sonnenglanze!


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