Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Die große Alberthalle in Leipzig war bis auf den letzten Platz gefüllt. Eine freudige Erwartung lag über der Menge. Weingartner sollte dirigieren. Der Berliner Hofkapellmeister war im Lisztverein ein beliebter und geschätzter Gast. Ihm jubelte man von vornherein zu. Die unbekannte Sängerin, Aniane von Rainer, die auf dem Programm stand, interessierte wenig. Man war sogar etwas verstimmt, daß der Vorstand des Lisztvereins es wagte, die Saison mit einer Sängerin zu eröffnen, von der niemand etwas weiteres wußte, als daß sie eine Schülerin des Konservatoriums war und zum ersten Male auftrat. Man wollte heute abend gründlich zeigen, daß man keine Lust hatte, sich eine Anfängerin bieten zu lassen. Man pochte gewissermaßen auf das Recht, nur erste und bewährte Kräfte zu verlangen, und Weingartner war das Zugmittel des Abends, das das ganze musikliebende und musikverständige Leipzig in Bewegung gesetzt hatte, eine Künstlerindividualität, die am Dirigentenpult die glänzendsten Triumphe feierte. Aber umso mehr durfte man eine ebenbürtige Solistin erwarten. Und nun diese Sängerin! Nein, man würde sie ablehnen, ganz gewiß.

Weingartner wurde stürmisch begrüßt. Nicht endenwollender Beifall brauste bei seinem Erscheinen über ihn. Eine Brahmssymphonie nahm die Hörer gefangen. Die wundervolle Wechselbeziehung, die zwischen der musikalischen Führerschaft des Dirigenten und der ausübenden Künstlerschar sich bekundete und die alle zur höchsten Begeisterungsfähigkeit und Hingabe an ihr Werk entflammte, gab immer wieder aufs neue große musikalische Offenbarungen, die von dem kunstliebenden Leipziger Publikum enthusiastisch aufgenommen wurden.

Rauschender Beifall überschüttete den Künstler und immer wieder mußte er sich verneigen.

Der Lärm der Enthusiasten, die nicht aufhören wollten, dem Gefeierten zu huldigen, pflanzte sich auch fort bis hin zu dem Künstlerzimmer, in dem Aniane mit einigen Kollegen harrte. Ihr Antlitz war bleich, aber ihre Augen blickten beherrscht und entschlossen.

Roald Harnsen war in einer fieberhaften Unruhe Anianens wegen. Aniane hatte die Tante, die sie vorhin im Künstlerzimmer aufgesucht, fortgeschickt. »Ich brauche Ruhe, Tante,« hatte sie gesagt, »und ich möchte allein sein.«

»Künstlerlaunen hat sie auch schon,« hatte Tante Malchen ihrem Manne aber doch noch zuflüstern können, als sie aufgeregt an seiner Seite im Parkett Platz nahm, ehe die Musik begann.

Anianens Hände und Füße waren eiskalt. Es war ihr plötzlich, als verliere sie den Boden, als schwebte sie hoch in der Luft –

»Haben Sie Angst, Fräulein von Rainer?« fragte der Vorsitzende des Lisztvereins, Professor Krause, der soeben zu ihr trat. »Trinken Sie mal ein Glas Sekt, das macht Mut. Sie brauchen aber wirklich nicht bange zu sein. Die Probe mit dem Orchester war ja brillant.«

Aniane nahm dankend den gefüllten Kelch entgegen und trank ihn in einem Zuge leer. Langsam kehrte die Farbe in ihre bleichen Wangen zurück.

»Mut,« flüsterte ihr Roald Harnsen zu. »Sie werden Glänzendes leisten. Uebrigens, haben Sie gehört, daß die Fürstin Elinor von Büsingen oben in der Fremdenloge sitzt?«

»Ja,« mischte sich Professor Krause ein, seine energische Gestalt hoch aufrichtend, »ich hatte soeben die Ehre, Durchlaucht in die Fremdenloge zu führen. Sie kam während des zweiten Teils der Symphonie. Durchlaucht hatte die Gnade, mir mitzuteilen, daß Sie, Fräulein von Rainer, ihr aus ihren Kindertagen bekannt seien. Durchlaucht seien nur herübergekommen, um Sie zu hören.«

Vor Anianens Augen sauste und brauste es. Tannenrode mit all seinem Leid und seinen grauen Gassen legte sich ihr zermalmend auf die Seele. Ihre freudlose Kindheit, der Eltern Tod, ihre ganze trostlose Verlassenheit quoll in ihrem Herzen auf. Warum kam diese fremde Frau und machte Totes lebendig? Was wollte sie von ihr, die doch abgeschlossen hatte mit Tannenrode und mit allem, was mit ihr in Zusammenhang stand?

Stolz und wie abwehrend hob Aniane das blonde Haupt. All die tausend Bitternisse, die sie dort gekostet, stiegen wieder in ihr empor und machten sie plötzlich innerlich fest und sicher, fast siegesbewußt. Sie mußte ja heute ihren für Tannenrode ganz unerhörten Schritt durch ganz besondere Leistungen rechtfertigen, sie mußte ja zeigen, daß das arme, kleine, verachtete, nur widerwillig geduldete Waisenkind eine Künstlerin geworden, die imstande war, die große Menge zu begeistern. Die Menge! Ein Schauer ging durch Anianens Seele, die sich ihr ganz zu eigen gab! – – –

»Gnädiges Fräulein, es ist die höchste Zeit.« Professor Krause reichte ihr den Arm. Ein warmer Blick noch in Roalds blaue Augen, dann trat Aniane, einige langstielige blasse Rosen in der Hand, an der Seite des Professors hinaus.

Aniane fühlte sich plötzlich ganz ruhig. Ihr Blick überflog, als sie langsam die steilen Stufen vom Künstlerzimmer zum Podium hinabstieg, die weite, große, im elektrischen Lichte funkelnde Halle mit der tausendköpfigen Menge. Ihr Blick wandte sich dem Eingange zu. Richtig, dort oben in der großen Fremdenloge lächelte das jugendfrische Gesicht der Fürstin, von dem sich das lockere weiße Haar so reizvoll abhob und ihr zur Seite Witta von Monbert in einem rosa Kreppkleid. Ein großer weißer Hut mit weißen Federn beschattete das strahlend schöne Gesicht mit den leuchtenden Augen.

Ein bitteres Lächeln irrte um Anianens Kindermund. Sie, die stets ihre grausamste Feindin war, hier, bei ihrem ersten Konzert.

Jetzt stand Aniane vor dem still wartenden Publikum und verneigte sich tief. Keine Hand rührte sich. Wie sollte auch, kannte sie doch niemand!

Der Taktstock des Kapellmeisters schlug leise an. Weingartners sonnige, dunkel umsäumten Augen senkten sich mit einem ermutigenden Lächeln in die der jungen Sängerin, die jetzt unverwandt zu ihm aufsah. Ein Lächeln flog fast siegesgewiß zurück und dann setzte, wie jauchzend in trunkener Lust, die junge Stimme ein.

»Dich teure Halle grüß ich wieder,
Froh grüß ich dich, geliebter Raum.«

Atemlos lauschte alles. Das war ja ein Phänomen! Wie perlengleich die Töne dahinrollten, wie in weichem Schmelz, in jugendfrischer Süße ein einziges großes Lied der Liebe hinaus zum Himmel jubelte! Und wie sie selber sich dabei verwandelte! Wie eine Königin, wie ein duftiger, kaum geahnter Märchentraum stand sie in weltentrückter Holdseligkeit. Wie hauchzarte Schleier umwallte das weiße Spitzengewand die hohe schlanke, ebenmäßige Gestalt und floß in weichen Falten auf den Boden nieder. Kein Schmuck, keine Blume an der zarten Schulter, dem weißen Halse. Nur die blassen Rosen in den feinen Händen als keusche Zierde und den Goldglanz auf dem blonden Haare, den das Licht darüber zitternd warf. –

Aber, was war das? Schwankte nicht plötzlich die herrliche Stimme? Zitterte nicht der Ton, versagte er nicht? Und hatte sie nicht auch mit dem Orchester die Fühlung verloren? War es nicht, als wollte der Dirigent abklopfen? Hilflos sahen plötzlich die klaren Augen der Sängerin zu ihm auf. Er nickte beruhigend zu ihr hernieder und nun hatte sie die Fassung wiedergewonnen. Wie eine Befreiung ging es durch die Reihen ringsum. Nein, aber wenn die junge Künstlerin sich auch gefaßt hatte, noch immer lag es wie ein Schleier über der Stimme, und der sonnenhelle, jauchzende Ruf der Elisabeth: »Sei mir gegrüßt«, ging eindruckslos verloren. Und Weingartner hatte doch noch heute bei der Probe gesagt: »Mit diesem Schlusse, gnädiges Fräulein, erstürmen Sie eine Welt.«

Man applaudierte zwar. Natürlich! Es war ja doch wohl immer eine schätzenswerte Kraft. Unbegreiflich, daß plötzlich diese herrliche Stimme versagte! Ob sie nicht kräftig genug war? Oder ob ihr musikalisches Vermögen nicht ausreichte? Vielleicht hatte sie auch Angst gehabt, Lampenfieber. Man wußte ja, daß die junge Künstlerin das erste Mal auftrat. Nun, man konnte auch wohlwollend in Leipzig sein! Daß sie was konnte, das hatte sie ja bewiesen. Man klatschte also, aber Aniane empfand diesen lauen höflichen Beifall wie brennenden Hohn. Bitterkeit und Scham im Herzen, und verhaltene Tränen in den Augen, wankte sie an des Professors Arm in das Künstlerzimmer zurück.

Dort saß sie eine Weile wie gebrochen. »Wie ging das zu, Aniane?« fragte Roald Harnsen besorgt.

»Nichts, nichts, lassen Sie mich,« bat sie nur. Da ließ man sie allein mit ihren Gedanken. Aniane saß, die fiebernden Hände wie verzweifelt ineinander geschlungen, stumm da und starrte ins Leere. Wie war das nur möglich? Sie war doch so sicher, so unbefangen vor das Publikum getreten. Die Anwesenheit der Fürstin hatte ihrem Stolze, ihrer Sicherheit noch mehr Festigkeit gegeben und Witta von Monbert, deren schillernde Augen sie immerfort zu sehen meinte, hatte sie angespornt, ihr Bestes zu geben. Nur keine Niederlage vor denen aus Tannenrode.

Und nun hatte noch ein anderer ihr Unterliegen gesehen, ein anderer, der sie einst so bitter gekränkt, der damals das erste Dornenreis in ihr warmes jugendfrohes Herz gedrückt. Ein Zittern überflog Anianens Gestalt. Prinz Dolf v. Büsingen war es, den plötzlich mitten im Gesange ihr Blick erkennend getroffen.

Er hatte mit Wigbert von Pflug eine Loge unweit des Podiums inne und seine kalten grauen Augen sahen mit überlegenem Lächeln gerade in Anianens Gesicht. Wie der Rittmeister von Rammelsburg, der hinter ihm in der Loge saß, trug er die blaue Husarenuniform, während Wigbert von Pflug in Zivil war.

Mit einem einzigen Blicke hatte Aniane die Gruppe umfaßt. Der eine Blick aber hatte genügt, sie ganz der Herrschaft über sich zu berauben. Der Ton gehorchte nicht mehr ihrem eigenen Willen. Wie aus weiter Ferne hörte sie das Orchester dahinrasen. Sie fühlte den Boden unter ihren Füßen versinken und es war ihr, als müsse sie aufschluchzen in endlosem Jammer.

Kein Blick traf mehr die Loge. Sie mochte das spöttische Aufblitzen der fiesen Augen dort nicht sehen, das sie vor langen Jahren so bis ins Innerste verletzt hatte. Was führte den Prinzen hierher? fragte sie sich immer wieder. Kam er zufällig oder kam er, um sie singen zu hören, um sich an ihrer Niederlage zu weiden?

Ganz mechanisch sang sie die Arie zu Ende. Der laue Beifall des Publikums fällte ihr Urteil. In dumpfer Betäubung saß sie jetzt in dem Künstlerzimmer, in dem es bunt durcheinander wogte. Einen Augenblick war es ihr auch, als sähe sie Tante Malchen mit hochrotem Kopfe an der Tür auftauchen, dann legte sich wieder ein Flor über ihre Augen.

»Fassen Sie sich doch, Aniane,« flüsterte der junge Pianist, über ihren Stuhl gebeugt. »Lassen Sie sich doch nicht so niederzwingen. Jetzt kommt gleich unsere Glanznummer. Es war doch nur ein unglückseliger Zufall, der Sie einen Moment versagen ließ. Ist Ihnen ein Gespenst erschienen?« versuchte er zu scherzen, während sein Blick in banger Sorge an ihren Lippen hing.

»Ja, ein Gespenst,« nickte Aniane, sich hoch aufrichtend und plötzlich mit erwachenden Augen um sich schauend, »ein Gespenst der Vergangenheit. Aber lassen Sie jetzt, Roald, und kommen Sie, ich bin schon wieder ganz sicher. Ich möchte die Vergangenheit bannen und ich werde es.«

»Meine Herrschaften,« mahnte der Professor Krause, Aniane ihre blassen Rosen reichend. Sie nickte ihm aufleuchtenden Blickes zu, dann schritt sie mit ihm hinaus. Roald Harnsen, der die Klavierbegleitung übernommen, folgte schweigend.

Wieder regte sich keine Hand bei Anianens Erscheinen. Beklemmend legte sich einen Augenblick die lautlose Stille auf Anianens Seele. Dann aber hob sie trotzig die grauen Augen. Ihr Blick traf die prinzliche Loge. Einen Augenblick senkten sich ihre und des Prinzen Augen heiß, wie zum Kampfe, ineinander, dann glitten Anianens Blicke gleichgültig über Dolf Dietram hin, gleichsam, als suchten sie weit draußen längst versunkene Welten.

Das Vorspiel begann. Ein Meister, das fühlte man bei den ersten Takten, saß dort an dem kostbaren Blüthnerflügel.

Ueber Anianens blasse Züge flog es wie Verklärung bei den weichen traumverlorenen Klängen, die unter Roald Harnsens Anschlag emporquollen. Und dann begann sie zu singen. Ein kleines, ganz anspruchsloses Lied. Eine unbekannte Komposition von Paul Umlauft zu einer Dichtung des Prinzen Emil von Schönaich-Carolath:

Grauer Vogel über der Heide,
Der lange die Heimat mied,
Ich glaube, wir beide, wir beide,
Haben dasselbe Lied

klang es traumverloren über die Menge, als wäre sie weit, weit fort von allem Erdentreiben.

Alles lauschte, wider Willen gefangen. Klopfte es nicht an die Herzen wie Glockenton? Quoll es nicht heiß aus diesen verwehten Tönen auf wie ungestillte, tief verhaltene Sehnsucht?

Es hat ein Sturmwind aus Norden
Zerrissen das heimische Nest,
Auch mir ist entrissen worden.
Was mein ich wähnte so fest

brausten die Töne auf, als wenn in tiefen Schluchten ein Bergstrom rollt. Und als dann zum Schlusse die befreite Seele ohne Glück sich mit dem grauen Vogel hinaufschwingt zum Aetherzelt, war es wie ein Schicksalslied, das weit durch die Lüfte klingt und in jedem Herzen ein Echo findet.

Erschauernd nahmen die Hörer die Töne der Sängerin auf. Das war trostloses Leid, herzzerreißender Jammer und doch sonnengoldig darüber der Märchenglanz der Hoffnung, ganz leise nur, wie wenn zart der Abendwind seine Schwingen regt, den Müden Labung zufächelnd, und die goldenen Sternenaugen tröstlich herniederblicken. Welche Allgewalt war hier in die menschliche Stimme gelegt. Welcher Zauber quoll aus den Tönen! Einen Augenblick herrschte lautlose Stille, dann aber brach jubelnd der Beifall hervor. Brausend flutete es über Aniane hin. Sie verneigte sich dankend, dann trat sie einen Schritt näher an den Flügel heran und flüsterte Roald zu: »Wundervoll, wie Sie mit mir gingen, ich danke Ihnen!«

Ein leuchtender Blick der blauen Augen gab ihr kund, wie hoch ihr Lob den jungen Pianisten beglückte. Dann aber ruhten wieder seine Hände auf den Tasten und er begann das traumhaft schöne Lied von Richard Strauß: »Weite Wiesen in Dämmergrau.«

Wie von geheimnistiefem Duft umweht, sang es Aniane. Eine verschwiegene glutvolle Vision erstand vor den Hörern. Sie selbst, als »die schönste Frau«, sah man weltverloren weithin durch den Nebel schreiten, »tief in den Busch von Jasmin«, wie der Dichter singt. Und als sie schloß:

»Ich gehe nicht schnell,
Ich eile nicht,
Mich zieht ein stilles, samtenes Band
Durch Nebelgrau in der Liebe Land
In ein stilles, mildes Licht«,

da war es, als sei die bewegte, tausendköpfige Menge wirklich in ein anderes Land versetzt, in ein Land von trunkener, erhabener, kaum geahnter Schönheit.

Tobender Jubel erfüllte die Halle. Das, was jedem da soeben genaht, war ja die leibhaftige Poesie. Das war wie ein unendliches, jauchzendes Siegeslied der Kunst, das erschauernd die Seelen zwang. Vergessen war die verunglückte Elisabeth-Arie. Frei und jubelnd, schrankenlos gab sich die Begeisterung.

Anianens Blick hing plötzlich wie gebannt an der prinzlichen Loge. Der Prinz hatte sich erhoben. Er klopfte ostentativ Beifall und es war, als komme und gehe tiefe Röte auf seinem blassen Gesichte. Hinter ihm aber stand der Rittmeister von Rammelsburg und während auch er applaudierte, neigte sich sein dunkles Auge warm grüßend Anianen entgegen. Da war es der jungen Künstlerin, als hätte sie ein treuer Gruß der Heimat wonnig umfangen, als lichte sich unter diesen warmen Augen das Dunkel ihrer Seele.

Sie lächelte und sie sang weiter, noch einige feinsinnige Lieder von Hugo Wolf und das Publikum überschüttete sie mit Beifall. Wie verwandelt war Aniane. Ein süßes Lächeln um den roten Mund und die Augen leuchtend im Jugendglanz, so dankte sie nach allen Seiten.

Tante Malchen applaudierte, wie sie nachher selber erzählte, »wie besessen«. Der Hut war ihr ganz schief vom Kopfe gerutscht. Die Geheimrätin Heimburger, die mit ihren zwei Töchtern dicht neben der Loge des Prinzen ihren Platz hatte, bemerkte mit etwas aufdringlichem Organ, so daß es jeder hören konnte, »na, sie hätte es ja immer gesagt, daß die Aniane Rainer eine großartige Sängerin werde. Sie hätte sie ja sonst nie protegiert, bewahre! Da sähe man sich doch vor!«

Und dem Prinzen ordentlich herablassend zunickend, hatte sie beim Fortgehen wohlwollend, im ganzen Vollbewußtsein, daß von Anianens Ruhm auch ein Abglanz auf sie fiel, zu dem Prinzen herübergesagt:

»Wenn Durchlaucht sehr brav sind, sollen Sie heute abend das Glück haben, die Künstlerin kennen zu lernen.«

»Danke untertänigst, gnädige Frau,« gab der Prinz lachend zurück, »die kleine Aniane ist eine Tanzstundenflamme von mir, sie ist ja aus Tannenrode. Darum ist wohl auch Mama hier, die ich oben in der Loge bemerkte. Ich bitte um Urlaub, gnädige Frau, Mama begrüßen zu können. Ich folge Ihnen sofort.«

Eine tiefe Verbeugung zu der Geheimrätin, eine etwas knappere zu den beiden Töchtern, ein paar schlanken, blassen, dunkelhaarigen Mädchen, die tief knixend fast in die Erde versanken. Dann wand sich der Prinz, von seinen Begleitern gefolgt, durch den schmalen Gang, der sich um die Logen zog, dem Ausgange zu.

Die Geheimrätin von Heimburger aber hob nochmals die Hände und klatschte Beifall. Die Fürstin Elinor da oben hatte ja auch nochmal die Hände gerührt und die schöne Witta von Monbert hatte applaudiert, als kriege sie es bezahlt.

Die Geheimrätin verließ stolz und siegesfreudig die Alberthalle. Ihr war zumute, als hätte sie heute eine Schlacht gewonnen. Ihre blondbewimperten, indiskreten Augen schauten herausfordernd um sich, als sie, nur langsam vorwärtskommend, hier und da Grüße austeilend und dabei lächelnd ihre festen weißen Zähne unter der spitz und neugierig hervordrängenden Nase zeigte, wenn sie irgend einen Bekannten entdeckte, dem sie dann immer wieder erzählte:

»Nicht wahr, ein großes, wirklich ganz eminentes Talent? Ich bin entzückt! Na, ich wußte es ja gleich, daß Aniane Rainer eine Künstlerin ersten Ranges werden würde. Ihre Mutter hatte auch eine bezaubernde Stimme.«

Dabei hatte die Geheimrätin ganz vergessen, daß sie am Morgen noch händeringend zu ihrem Manne geäußert: »Weißt du, Gerhard, ich glaube, es war unverantwortlich dumm, die kleine Rainer einzuladen. Du lieber Gott! Aber die Majorin Buttler, mit der meine Eltern schon befreundet waren, hat es mir ja zu nahe gelegt, daß ich gar nicht anders konnte. Wer weiß, ob die Kleine sich heute abend nicht gründlich blamiert und wir sitzen dann mit ihr da und noch dazu, wo der Prinz kommt. Man kann mit dem Künstlerpack gar nicht vorsichtig genug sein.«

»Na, Gretchen,« hatte der Geheimrat gutmütig spottend gesagt, »und doch könnt ihr hier gar nicht ohne »Künstlerpack«, wie du dich geschmackvoll ausdrücktest, leben. Was wäre eine Leipziger Gesellschaft ohne Sangesgröße, aber freilich, ein Stern ist die Kleine wohl nicht.«

Und nun war Aniane doch ein Stern! Die Geheimrätin hatte ihre liebe Not, um überall kund zu tun, daß dieser Stern an ihrem Lebenshimmel prangte.

Hochbefriedigt und ganz geschwollen vor Freude und Erwartung sah sie ihrem heutigen Festabend entgegen. Es war doch wundervoll, mit einem Prinzen, einem wirklichen Prinzen, als Gast renommieren zu können und daneben noch mit einer Sängerin aufzuwarten, die so sehr gefeiert wurde, wie Aniane vorhin!

In scharfem Trabe fuhr ihr eleganter Wagen der Bismarckstraße zu, wo des Geheimrats Villa lag. Die beiden Töchter saßen ihr verdrossen gegenüber. Ihnen hatte Aniane gar nicht gefallen, absolut nicht! Was der Mama nur einfiel, sich so um die Sängerin zu haben. Die nahm ihnen höchstens nur die Tänzer weg und die paar Leutnants brauchten sie doch selber.

Mißmutig stiegen sie aus dem Wagen. Es lag schon wie Schnee in der Luft und sie fröstelten in der leichten Umhüllung. Der ganze Abend war ihnen verleidet.


 << zurück weiter >>