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16.

Am Nachmittage desselben Tages saß Aniane in ihrer hübschen, behaglichen, aber sehr einfach möblierten Wohnung in der Residenz Büsingen, dem Rittmeister von Rammelsburg gegenüber.

»Ich danke Ihnen herzlich, lieber Freund,« sagte sie warm. »Ich weiß, Sie meinen es gut mit mir, aber ich glaube doch, daß Sie zu schwarz sehen.«

»Sie sollten unter allen Umständen Ihre Mitwirkung bei dem heutigen Hofkonzert absagen lassen, gnädiges Fräulein. Sagen Sie, daß Sie »todkrank« sind. Legen Sie sich zu Bett, nur singen Sie heute nicht.«

»Und das sagen Sie mir, Sie, der gewiegte Hofmann? Sie wissen doch recht gut, daß diese Absage nicht möglich ist.«

»Wenn Sie sich sofort mit dem Intendanten verständigen, kann er sich noch telegraphisch Ersatz beschaffen. Ich bitte Sie inständigst, meine Warnung nicht außer Acht zu lassen.«

Anianens Augen richteten sich fast zürnend auf den Rittmeister.

»Ich verstehe Sie wirklich nicht, lieber Freund. Ich habe keinerlei Veranlassung, dem heutigen Konzert fern zu bleiben, denn die kleinlichen Intriguen, die hier und dort gesponnen werden, haben mich nie berührt.«

»Haben Sie denn die Notiz in der heutigen Morgenzeitung gelesen?«

Aniane entfärbte sich.

»Schon wieder?« fragte sie, hastig aufstehend und die Zeitung zur Hand nehmend. »Was will man eigentlich von mir?«

»Sie stürzen, – natürlich! – Die Gunst, die Ihnen fortgesetzt vonseiten des Hofes zuteil wird, läßt Ihre Gegner nicht ruhen. Ich fürchte, man bereitet einen Hauptschlag gegen Sie vor, der heute abend zur Ausführung kommen soll.«

»Wie kommen Sie zu solchen Vermutungen, Herr von Rammelsburg?«

Der Rittmeister zuckte die Achseln.

»Sie sind unvorsichtig, gnädiges Fräulein, höchst unvorsichtig. Die Besuche des Prinzen, die sich immer häufiger wiederholen, haben zu allerlei Gerüchten Veranlassung gegeben, die von einer bestimmten Seite des Hofes noch genährt werden. Witta von Monbert ist eine gefährliche Feindin. Lassen Sie sich warnen und gehen Sie in der Nichtbeachtung der gehässigen Angriffe nicht weiter, als die Klugheit es erfordert.«

Aniane hob das stolze blonde Haupt.

»Ich bin mir keiner Schuld bewußt. Ich leugne gar nicht, daß mich mit dem Prinzen viele künstlerische Interessen verbinden, daß ich an dem Verkehr mit ihm Gefallen finde, und daß Freundschaft mir half, hier mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden. Ich bin glücklich, daß der Prinz sich an dieser Freundschaft genügen läßt, aber ich weise alle diese gemeinen Anschuldigungen und Verdächtigungen, wie sie sich seit einiger Zeit vorsichtig in den hiesigen Blättern hervorwagen, mit Entrüstung zurück. Wer mich kennt, der wird nicht glauben, ich, die Verlobte eines andern, unterhielte ein Liebesverhältnis mit dem Prinzen.«

»Kind, Kind,« wehrte der Rittmeister, und sein ernster Blick hing besorgt an ihrem zarten Gesichte, an der herrlichen voll erblühten Gestalt.

Aufgeregt schritt Aniane auf und nieder.

»Denken Sie nur an all das Schwere,« fuhr er fort, »was es für Sie hier erst in der Residenz durchzukämpfen gab. Haben Sie vergessen, daß Sie hier von vielen Feinden umlauert sind?«

Aniane starrte trübe vor sich hin.

»Woran mahnen Sie mich, liebster Freund! Als ich vor mehr als einem Jahre meine Stellung am Hoftheater hier antrat, glaubte ich mich geborgen. Ich sah Ruhm und Glück und meine Lebensstraße so licht. Und wenige Wochen später, da sah ich schaudernd, daß nur dürres Gras auf meinem Wege wucherte und grau in grau auch hier mein Leben vor mir lag.«

»Sie übertreiben, Aniane. Man hat Sie gefeiert, man hat Ihnen zugejubelt, der Hof verhätschelt Sie.«

Aniane hob abwehrend die Hand.

»Das ist es nicht, Herr von Rammelsburg. Sie wissen es ja selbst, welche Kämpfe es mich kostete, hier festen Fuß zu fassen, wie es jetzt der Fall ist. Die junge Sängerin, die nichts hatte als ihre schöne Stimme und die fürstliche Gunst, die ihr ja einen gewissen Nimbus verlieh, dünkte jedem eine leicht zu erobernde Beute. Zuerst der Intendant mit seiner brutalen Vertraulichkeit, der Kapellmeister, die lieben Kollegen, die Kritiker. Doch was soll ich Ihnen all die Widerwärtigkeiten aufzählen, die an mich herantraten. Sie wissen es ja auch selber, daß ich Mühe hatte, Seine Durchlaucht, den Erbprinzen, in die gehörigen Schranken zurückzuweisen. Soll ich da nicht froh sein, daß der Prinz Dolf Dietram mir in so ritterlicher Weise begegnete und eigentlich außer Ihnen der einzige ist, der meine Verlobung sozusagen respektiert?«

»Ich bin ja weit entfernt, dem Prinzen irgend welche unlautern Motive unterzulegen, aber ich kenne ihn seit seiner Knabenzeit. Ich weiß, daß er nie vergißt, wer ihn jemals gekränkt oder gedemütigt hat – und Sie, Aniane, Sie haben beides getan, damals schon, in der Tanzstunde, und dann damals, als Sie, um sich vor dem Prinzen zu retten, die übereilte Verlobung schlossen.«

»Sie wissen?« stotterte Aniane, tödlich erschrocken. »Hat der Prinz Ihnen das gesagt?«

»Erlassen Sie mir eine Antwort und verzeihen Sie, daß ich überhaupt an Dinge rühre, die am besten still in jeder Brust verborgen ruhen. Ich bin oft in Sorge um den Prinzen. Wenn ich auch nicht mehr die Ehre habe, für ihn verantwortlich zu sein, seitdem ich wieder in meine alte Stellung als Adjutant des Fürsten getreten bin, so macht mir doch seine Vertraulichkeit mit dem Kammerherrn von Türkheim oft Angst. Türkheim ist ein Mann, der vor keiner unlautern Handlungsweise zurückschreckt und den ich noch immer in Verdacht habe, daß er irgend etwas von dem mysteriösen Verschwinden der kleinen Wolfhardt weiß.«

»Sie glauben doch nicht im Ernst, daß der Prinz daran beteiligt ist?«

Aniane sah in fast irrer Angst zu dem Rittmeister auf, der sie, erstaunt und erschreckt über ihr Wesen, mit Sorge betrachtete.

»Daß Rahel von Wolfhardt ihre Studien in Leipzig abbrach und hier im Sanatorium des Herrn Dr. Vogel eine Art Assistenten- oder Pflegerinnenstelle annahm, beweist wohl am besten, daß die Spuren ihrer unglücklichen Schwester, die sie ja noch immer verfolgt, hierher führen.«

»Ja, ich weiß. Aber ich halte ihren Verdacht für eine fixe Idee von Rahel.«

»Wer weiß, ich höre, daß sie eine Audienz bei der Fürstin erreichte, die mit ihrem Gemahl dann eine heftige Auseinandersetzung hatte. Der Fürst interpellierte mich. Was er mir vertraute und zu erkunden aufgab, entzieht sich natürlich der Wiedergabe, so viel aber darf ich Ihnen, Aniane, mitteilen, daß beschlossen ist, den Prinzen Dolf Dietram für einige Zeit vom Hofe zu entfernen und ihn dann schleunigst zu vermählen. Wenn ich Ihnen diesen Plan anvertraue, Aniane, so geschieht es, weil ich mich um Sie sorge, für Sie fürchte.«

Die junge Sängerin sah den Rittmeister mit erloschenen Augen an. Las er wirklich in ihrer Seele? Sie hatte das Gefühl, als müsse sie bei ihm Halt suchen und so recht von Herzensgrund weinen, ohne Unterlaß, und doch stand sie ihm so kalt, so abwehrend gegenüber.

»Mein lieber Herr von Rammelsburg,« sagte sie dann mit leisem mühsam erzwungenen Lächeln: »Ihre Freundschaft für mich führt Sie auf Abwege. Jedenfalls aber danke ich Ihnen herzlich.«

»Sie wollen also meine Warnung nicht beachten?«

»Ich kann nicht, lieber Freund. Nach der albernen Zeitungsnotiz wäre es ja mehr als unklug, fern zu bleiben. Ich hoffe, dis Gunst Ihrer Durchlaucht der Fürstin Elinor wird mich, wie immer, schirmen.«

»Hoffen Sie nicht zu sicher! Dis Fürstin ist seit einigen Tagen wie verwandelt und in Fräulein von Monberts Augen zittert es wie Siegesfreude. Noch einmal, hüten Sie sich, Aniane.«

Sie reichten einander herzlich die Hand. Dem Rittmeister war es, als müßte er seinen Arm schützend um das junge blonde Geschöpf legen, das mit jedem Tage, mit jeder Stunde seinem Herzen teurer wurde. Die Neigung zu dem angstzitternden Kinde von einst, mit der er aus Mitleid damals getanzt, war gewachsen von Jahr zu Jahr, bis sie zu einer verzehrenden Flamme aufloderte und in hellen Brand auszuschlagen drohte.

Aber immer hatte der Rittmeister die Flamme zu meistern gesucht. Er wußte, daß jeder Funken, den seine Leidenschaft verriet, ihm vielleicht die Freundschaft und das Vertrauen Anianens, das ihn so beglückte, kosten konnte und er stand in all ihrem Kämpfen und Ringen immer beherrscht, ruhig und klar an ihrer Seite als treusorgender Freund und Warner, wenn es not tat.

Und Aniane nahm das Geschenk seiner Freundschaft so selbstverständlich, so ruhig entgegen. Es fehlte ihr etwas, wenn er nicht täglich kam, und doch fieberte ihre ganze Seele dem Prinzen entgegen, der es verstanden hatte, ihren Argwohn ganz unmerklich mit dem Schilde selbstloser Freundschaft einzulullen, an die zu glauben er selbst weit entfernt war.

* * *

Als Rammelsburg gegangen, stand Aniane eine Weile still; dann preßte sie hochaufatmend beide Hände auf die Brust. So stand sie lange, den Blick starr ins Leere gerichtet. –

Von allem, was Rammelsburg ihr gesagt, stand nur das eine noch erschütternd vor ihrer Seele, daß der Prinz Büsingen verlassen mußte, daß er fort mußte, bald, vielleicht schon heute.

Ein Schluchzen kam aus Anianens Brust.

Wie mit Zauberschlag brach das künstliche Truggebilde, das sie sich selbst errichtet hatte, in Trümmer.

Wie vernichtet schlug Aniane die schlanken Hände vor ihr Antlitz.

Und sie hatte zuletzt selbst so felsenfest daran geglaubt, daß nur Freundschaft sie mit dem Prinzen verband. Es war so süß, das berauschende Gift seiner Nähe zu trinken, mit ihm gemeinsam zu denken, sich an allem Schönen und Hohen zu begeistern, das ihre jungen Seelen erfüllte. Sie konnte den Gedanken kaum fassen, daß es anders sein würde. Das dunkle Verhängnis, das sie auseinanderriß, grausam, unerbittlich, das riß ihr ebenso mitleidslos den Schleier der Selbsttäuschung von den Augen und zeigte ihr den Abgrund, vor dem sie stand.

Sie tastete nach Roalds Bild auf ihrem Schreibtisch. Lange hafteten ihre Augen auf dem ernsten, wie von leiser Melancholie überschatteten Antlitz. Dann stellte sie es, tief aufseufzend, an seinen Platz.

Nein, das Bild konnte ihr nichts sagen, sein Zauber konnte die tausend heißen Wünsche nicht bannen, die plötzlich vor ihrer Seele aufflammten, Wünsche, vor denen sie selber erschrak.

Warum war Roald nicht hier? Warum stand er ihr nicht in ihren Kämpfen bei? Warum konnte er nicht wenigstens das Gebot der Pflicht in ihrer Seele wach erhalten?

Wie zart, wie zurückhaltend war Prinz Dolf Dietram ihr in der ganzen Zeit ihres Hierseins begegnet. Niemals hatte ihr nur ein Wort, ein Blick gezeigt, daß er jener Stunde gedachte, in der sie ihn so verletzend zurückgewiesen, nie hatten seine leise verschleierten Augen verraten, daß er sie begehrte. Und doch wußte sie es jetzt plötzlich, daß sein ganzes Wesen, trotz seiner scheuen Zurückhaltung, nur ein einziges heißes Werben gewesen.

Was war Roald Harnsen, war die ganze Welt gegen diese Erkenntnis, daß der Prinz nicht aufgehört hatte, sie zu lieben. –

Und nun schickte man ihn fort, und dann sollte ihn eine andere ihr eigen nennen? In Fesseln wollte man auch ihn legen, dessen Seele so weit, so unermessen weit ihre Flügel spannen konnte und sie sollte still dabei stehen und nicht die Lippen rühren, um zu jauchzen: Er ist mein!

* * *

»Seine Durchlaucht der Prinz von Büsingen,« meldete das Mädchen.

»Nein, nein, nicht hierher,« wehrte Aniane, die angstvollen Augen auf die Tür gerichtet, aber der Prinz stand schon auf der Schwelle.

Stahlhart traf der Blick des Prinzen Aniane. Es war ein eigenes Forschen und Grübeln in seinen Augen, die aber plötzlich in heißer, flammender Leidenschaft aufleuchteten, als er, beide Hände Anianens ergreifend, erregt hervorstieß:

»Nun gilt es, unsere Freundschaft zu beweisen, Aniane. Die alberne Zeitungsnotiz hat alles hier aus den Fugen gebracht. Ich werde noch heute nacht abreisen – ich muß abreisen.«

Aniane nickte. Sie konnte nicht sprechen, und doch wie Bleigewicht lastete es ihr in den Gliedern.

»Sie gehen auf lange fort, Prinz, sehr lange?« kam es endlich von ihren Lippen.

Wieder der lange forschende Blick des Prinzen, wieder das heiße Aufflammen seiner Augen.

»Ein Jahr, ein einziges Jahr nur, Aniane. Kurz für den Glücklichen, den die Liebe begleitet, unsäglich lang aber für den Einsamen, Verbannten, den Ruhelosen, der das Liebste auf der Welt zurücklassen muß, zu seiner grenzenlosen Qual.«

Ein Zittern rann durch Anianens Gestalt.

»Wohin gehen Sie?« fragte sie tonlos.

»Nach dem Süden, dem Zauberlande, wo ich allein sein werde, ungekannt, fern allen Zwanges, nur mit aller Kraft meines Herzens ein Märchenglück ersehnend, das mir für immer versagt bleibt. Ach, Aniane,« rief er plötzlich leidenschaftlich, »warum machen Sie mir es denn so schwer, warum haben Sie denn nicht einmal, nur ein einziges Mal den Mut, mir zu sagen: Sieh, alles, was ich tat, mich gegen deine Liebe zu wehren, zerbricht in Stücke. Der Mann, dem ich mein Wort gab, ihm zu gehören, um mich vor meiner Liebe zu schützen, ist mir gleichgültig. Alles, was die Welt sagt, denkt und tut, kann mich nicht kümmern. Meine Seele jauchzt nur dem Einen zu, dem Einen, den ich liebe. Warum hast du den Mut nicht, Aniane, so zu sprechen?«

Aniane schloß unter dem Ansturm seiner Worte halb ohnmächtig die Augen. Es war, als wanke ihre Gestalt und dabei fühlte sie erschauernd, wie des Prinzen beschwörende Blicke flehend ihre ganze Gestalt umklammert hielten.

»Aniane, nur ein Wort, ein einziges, süßes kleines Wort. Liebst du mich?«

Er hatte zärtlich ihren Kopf zwischen seine weichen schlanken Hände genommen, und nun neigte er seinen Mund heiß auf den ihren. Und wie seine brennenden Lippen so flammend ihren Mund berührten und sich fiebernd festtranken an ihren Lippen, da war es, als versinke ihr die ganze Welt.

Willenlos duldete sie seine Küsse. Willenlos lag sie an seiner Brust.

Nun war das Glück, das grenzenlose, unfaßbare Glück doch zu ihr gekommen. Nun war sie nicht mehr einsam, strahlend zog die Liebe wie eine Flammenbraut an ihrem Lebenshimmel auf.

Sie saß, eng von des Prinzen Arm umschlungen, an seiner Seite und er sprach zu ihr in dem heißen, leisen, trunkenen Flüstertöne der Liebe und sie trank bebend die Worte von seinen Lippen.

»Wirst du auch den Mut haben, Geliebte,« fragte er zärtlich, »alles von dir zu werfen, um mir zu folgen? Sieh, ich weiß fern im Süden einen heimlichen wunderschönen Ort, wo immer die Blumen blühen und immer die Sonne scheint. Dahin möchte ich dich führen. Mein umsichtiger Kammerherr, auf den ich mich unbedingt verlassen kann, wird alles zu unserer Vermählung in der Stille vorbereiten und wenn man unsern Aufenthalt entdeckt, dann sind wir längst Mann und Frau und niemand kann uns trennen.«

Es waren fast dieselben Worte, die er einst dem törichten Kinde, der gläubigen Zilla, zugeflüstert.

Aniane sah erschrocken zu ihm auf.

»Aber ich kann doch nicht fort, ich bitte dich,« wehrte sie ihm, »denke nur meine Verpflichtungen gegen das Hoftheater, Roald –.«

Eine flammende Röte zuckte über des Prinzen Antlitz. Fast war es, als wollte er wütend den Boden stampfen.

»Roald, oder wie der Mensch heißt, laß, bitte, aus dem Spiele. Er hat nichts mehr mit dir zu schaffen. Dein Vertrag löst sich durch deinen plötzlichen Fortgang von selbst.«

»Und ich soll sofort abreisen? Heute noch?« fragte Aniane zaghaft. »Es wird kaum möglich sein und man würde auch sofort mutmaßen, daß wir zusammen gegangen sind.«

»Wenn es sofort nach dem Konzert geschieht, sind wir am sichersten. Später würde man vielleicht deine Abreise zu verhindern suchen. Entschließe dich also, ja oder nein.«

Aniane sah nicht den feindselig lauernden Blick des Prinzen, sie fühlte nur wieder seine heißen Lippen auf den ihren.

»Folgst du mir, Aniane?«

»Wohin du mich führst, Dolf Dietram, bis ans Ende der Welt.«

Der Prinz lächelte leise.

»Sei ohne Sorge. Türkheim, den ich gegen Abend von einer kleinen Reise zurückerwartete, wird alles ordnen. Bevor sich der Hof von seinem Schrecken erholt hat, sind wir weit. Der Zug geht um 12 Uhr. Ich werde dich abholen und es von Türkheims Rat abhängig machen, ob wir zusammen mit der Bahn abreisen oder ob dich mein Wagen bis zur nächsten Station bringt, wo ich dich dann erwarte. Durch Depeschen, die mein Kammerherr hier und da aufgibt, werden wir den Hof über unsere Reiseroute irre führen und wenn man uns endlich doch entdeckt, woran ich nicht zweifle, wird es zum Einschreiten zu spät sein.«

Ein Schauer ging durch Anianens Herz. Und plötzlich, sie wußte nicht, wie es kam, stand Zillas holdes Kindergesicht vor ihrer Seele und alle Gerüchte, die damals ihr Ohr erreichten. Warum erschreckte sie plötzlich Rahels Verdacht, den sie nie beachtet? Aniane wand sich leise aus des Prinzen Armen, die ganze Tragweite dessen, was sie begehen wollte, wurde ihr plötzlich klar. Ein beklemmendes Angstgefühl stieg in ihr auf.

»Eins mußt du mir noch sagen,« rang es sich mühsam aus ihrem Munde, »aber keine Lüge, keine Beschönigung in diesem Augenblicke. – Hat dir Zilla Wolfhardt jemals nahe gestanden. Hast du sie geliebt, und weißt du etwas von ihrem Verschwinden?«

Es war Aniane, als verfärbte sich das Antlitz des Prinzen.

»Ich bitte um deine unumwundene Antwort, Dolf Dietram.«

Wie ernst und herrisch Anianens Stimme klang. Der Prinz neigte sich lächelnd zu ihr hernieder und sagte, zärtlich in ihre Augen sehend:

»Also auch eifersüchtig? Ei, wer hätte das von der stolzen Aniane gedacht. Beruhige dich, Aniane. Ich habe Zilla Wolfhardt nie geliebt, und ich gebe dir mein Wort, daß ich auch nicht weiß, wo sie geblieben ist.«

War es nicht, als zittere ein Wehlaut durch das Gemach?

Aniane sah erschrocken um sich. Nein, es war nur die alte Spieluhr, ein Erbstück aus Anianens Elternhaus, die dort auf dein Kamin zum Schlage anhob:

»Ueb immer Treu und Redlichkeit«

klang es in feinem Silberton durch den Raum.

»Wie geschmacklos,« dachte der Prinz.

Aniane aber hob wie befreit von einer Bergeslast den blonden Kopf und barg ihn hingebend an des Prinzen Brust. »Verzeih mir,« bat sie leise, »daß ich einen Augenblick so mutlos war.«

Wieder zog er sie an sich und unter seinen flammenden Liebkosungen schwand ihr alle Furcht. Wie ein Rausch war es über Aniane gekommen, in dem alles Bangen unterging.

Hastig gab ihr der Prinz noch allerlei Weisungen, Aniane hörte kaum darauf. Sie sah nur seine tiefen Augen, seine schlanke sehnige Gestalt, die sich so zielbewußt und doch so hingebend zu ihr neigte, sie fühlte seine heißen Lippen, das Schlagen seines Herzens, und alles andrer versank vor seiner Leidenschaft in Nacht.

Noch ein letzter Kuß, ein Händedruck und Aniane war allein.

Jauchzend hob sie die Arme empor. Nicht mehr einsam, nicht mehr verlassen sein. Alles Glück der Welt war ja wesenlos gegen das ihre. Sein Weib, sein angebetetes Weib, sie, die arme, kleine, mißhandelte Aniane.

Er war ja so stolz, so herrisch, so befehlend, aber er liebte sie. Die Gluten seiner Leidenschaft hüllten sie ganz ein in einen Flammenmantel.

Wohin er sie auch führte in Glück und Glanz, in Not und Tod, immer würde sie an seinem Herzen selig sein.

Aniane preßte beide Hände gegen ihre wogende Brust.

Was war ihr die Welt, was der Ruhm, die Meinung der anderen, wenn nur er, der Hohe, Stolze, Herrliche, sie liebte. Da fiel ihr Blick auf Roalds Bild. Traurig sah es zu Aniane herüber. Und plötzlich umschlang Aniane in heiß aufwallender Trauer das kleine Bild mit beiden Armen und ihre warmen Tränen strömten unaufhaltsam darüber hin.

Es war ihr plötzlich, als hätte sie ein Totenopfer gebracht und ihre Seele schauerte fröstelnd zusammen.

Draußen sank die Sonne. Es war Zeit, sich zu schmücken zum letzten Hoffeste in Büsingen.


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