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1.

Heute war die erste Tanzstunde mit Herren. Fräulein Cölestins, die Tanzmeisterin, schoß wütende Blicke. Ihre kurzen grauen Locken, die ihr zu beiden Seiten des schmalen Köpfchens herabhingen, tanzten zitternd hin und her, und ihre kleinen Füße in den Kreuzbänderschuhen trippelten ungeduldig durch den Saal.

»Meine Damen, mehr Haltung,« flötete sie. »Ich bitte Sie, doch endlich mal acht zu geben. Rechts chaffé und links chaffé. Kompliment! Aber ich bitte Sie, Fräulein von Monbert, verwechseln Sie doch nicht immer rechts und links. Fräulein Beringer, ich muß doch sehr bitten. Sie halten ja den Kopf, als hätten Sie eine Elle verschluckt. Noch einmal, meine Damen, die erste Position!«

»Du, ich habe Eisbeine!« flüsterte eine kecke Blondine ihrer Nachbarin zu.

»Was hast du?«

»Eisbeine,« murmelte die Kleine zwischen den Schritten, die gotterbärmlich ausfielen, »und dabei glühen meine Hände, fühl' mal an! Und das alles um das Bengelszeug, das ich doch nicht ausstehen kann!«

Die Angeredete hob leicht mit überlegenem Lächeln das hübsche Köpfchen, während sie mit tadelloser Eleganz einige Tanzschritte machte. »Ich glaube gar, Annegrete, du hast Furcht!«

»Ach, ganz und gar nicht. Aber alle wollen mir einreden, daß es ein so hochwichtiger Augenblick ist, wenn zum ersten Male die Herren Jungens losgelassen werden, und dann weißt du, Mama sagt, man könne auch sitzen bleiben und davor graule ich mich mächtig.«

»Lächerlich,« entgegnete Witta von Monbert mit einem verächtlichen Achselzucken ihrer rauhen Schultern, »du tust, als ob von den jungen Herren das ganze Heil unserer Seele abhinge.«

»Hast du gar kein Herzklopfen, Witta?«

»Nicht das geringste! Die Meisterin ist ja geradezu lächerlich mit ihrem ewigen Nörgeln. Mit den Herren Jungens werden wir es wohl an Eleganz noch aufnehmen. Fräulein Cölestine tut ja, als ob der Herrgott selber in Gestalt dieser Jünglinge hier erschiene.«

»Aber es ist doch auch so furchtbar wichtig,« seufzte Annegrete und hob die großen Blauaugen schmerzlich zur Decke des Saales auf. »Denke nur, Witta, wenn die Jungen uns sitzen lassen.«

»Fräulein Beringer, Sie ruinieren wieder die ganze Figur,« schrillt die Stimme der Tanzmeisterin, die schon ganz heiser war, dazwischen. »Wenn Sie sich unterhalten wollen, dann können Sie nichts lernen. Noch einmal, meine Damen, die dritte Position.«

Mit quietschendem Klange setzte die Geige ein. Die jungen Füße glitten mehr oder minder leicht über das Parkett. Blonde und braune Köpfchen mit hellen Schleifen hoben und senkten sich beim Takte der Musik.

Fräulein Cölestine stand, zierlich ihr schwarzseidenes Kleidchen mit den vielen Falbeln in den Händen, und neigte sich bis zur Erde.

Und all die jugendlichen Gestalten machten es ihr nach. Es war, als ob der Frühlingswind über Blumen wehe.

Und dann kam der große Augenblick! Die Saaltüren öffneten sich und herein schoben sich die schwarzgekleideten Gestatten der Jünglinge.

Erst eine steife, oft unmögliche Verbeugung zum allgemeinen Wohl, dann eine nach der Seite hin, wo die Hüterinnen der guten Sitte und Ordnung, die Mütter, beobachtend, tuschelnd und flüsternd saßen und dann eine, ganz verwirrt und beklommen, zu den jungen Mädchen hin, die, einer Schar flatternder Vögel gleich, eng beisammengedrängt standen und verlegen auf die Tänzer starrten.

Mit großer Umständlichkeit stellte Fräulein Cölestine jeden einzelnen vor. Nichts entging ihren kleinen listigen blauen Augen. Jede schlechte Verbeugung bemängelte sie unbarmherzig, bis die Mägdelein und Knaben sich mit ganz feuerroten Köpfen gegenüberstanden und erleichtert aufatmeten, als Fräulein Cölestine mit ihrer dünnen Stimme zu engagieren gebot.

Blindlings stürmten die schwarzen Gestalten wie eine dunkle Schlange in die lichte Mädchenschar hinein. Wer glücklich eine Tänzerin hatte, seufzte befreit, fast laut auf und auch die Mädchenaugen strahlten heller.

Nur einer der jungen Leute hatte sich sicher und gewandt zu Witta von Monbert hindurchgeschlängelt und neigte nun leicht das feingeschnittene, etwas nervöse Gesicht vor der schlanken Gestatt des jungen Mädchens. »Darf ich den Vorzug haben, gnädiges Fräulein?«

Witta legte mit einem anmutigen Lächeln auf den Lippen ihren Arm in den dargebotenen des jungen Mannes. Etwas wie Triumph blitzte in ihren stahlblauen Augen auf. Dann flog sie leicht an seiner Seite durch den Saal. Die langen schwarzen seidigen Wimpern lagen wie dunkle Schatten auf dem zartrosigen Gesicht. Die kleinen spitzen weißen Zähne blitzten zwischen den lächelnd geöffneten roten Lippen und die goldbraunen Löckchen kräuselten sich leicht um die weiße Stirn.

»Wie ein Märchenkind,« meinte eine Mutter, die mit stets gleichbleibendem Interesse unentwegt jeder Tanzstunde von Anfang bis zu Ende beiwohnte und die am besten über alle Tanzstundenschülerinnen unterrichtet war, zu ihrer Nachbarin. »Finden Sie nicht, daß Fräulein von Monbert schon ein bißchen zu reif für die Tanzstunde ist? Sie sieht ja reizend aus,« schloß sie, das Augenglas höher hebend, »aber sie ist mir doch zu fertig, zu fertig.«

Die Nachbarin nickte.

»Ach, wenn ich bedenke, wie es in unserer Tanzstunde war. Die jungen Mädchen von heute, du lieber Gott! Und die Jungens – Lackstiefeln! Was sagen Sie bloß dazu, Lackstiefeln für die gewöhnliche Tanzstunde! Mein Alter war ganz außer sich, aber der Junge bestand darauf. Na, und nun hat er sie! Sehen Sie bloß, wie der Bengel latscht. – Und da hat er richtig die Annegrete Beringer. So ein Windhund. Wie der die wohl gleich rausgefunden hat!«

»Ja, die Kinder,« seufzte die andere, »die machen alles anders, als wir es wollen. – Aber nun sagen Sie bloß, meine Liebe, wie kommt denn die Aniane Rainer hierher. Sie paßt doch gar nicht in die Gesellschaft?«

»Ihre Tante, die Majorin Buttler, hat darauf bestanden, na, und da konnte man natürlich nichts dagegen machen. Es sollen ja verschiedene Mütter gegen die Aufnahme der kleinen Rainer gestimmt haben.«

»So? Ach, nein! Da kann ich mir denken, wie die Majorin dazwischen gefahren ist. Na, sie hat sich ja redlich des Kindes angenommen, als es damals mit den Eltern der Kleinen schief ging und sie so schnell starben. Es ist nur schade, daß sie selber nicht so viel hat, die Buttler. Eigentlich ist es doch 'ne Sünde, ein Kind, das nichts hat und nichts ist, hier in diese teure Tanzstunde zu bringen. Die Majorin muß ganz von Sinnen sein! Und aus sieht das Mädchen, – rein zum Gotterbarmen.«

Beide Mütter hoben ihre langstieligen Augengläser und starrten unbarmherzig in ein blasses Gesicht, das verschüchtert und verängstigt durch die kritischen Blicke das Antlitz nach der Wand kehrte, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen.

»Haben Sie keinen Tänzer, Fräulein von Rainer?«

Das feine Köpfchen mit den dicken blonden Haaren, die straff und häßlich aus der Stirn gekämmt und in dicken Flechten das Gesicht umkränzten, neigte sich wortlos auf die Brust.

»Durchlaucht auch ohne Tänzerin? Ich bitte dort – Fräulein von Rainer.«

Die Tanzmeisterin war es, die mit einer unnachahmlichen befehlenden Gebärde den jungen Mann, der vorhin mit Witta von Monbert getanzt hatte, zu Aniane von Rainer wies.

Einen Augenblick stutzte der Jüngling und die etwas tiefliegenden grauen Augen hoben sich hochmütig über das blonde Mädchen hinweg, das zitternd, als sollte es zum Richtblock geführt werden, vor ihm stand. Dann aber machte er eine tadellose Verbeugung und das junge Mädchen in dem verwaschenen unmodernen Kleide, das ihre etwas langen, schlanken Glieder steifgestärkt umstand, flog mit ihm durch den Saal.

Ein atemloses Staunen ging durch die Reihen der Mütter. Eine tiefe beklemmende Stille. War denn das möglich? Der junge Prinz Dolf Dietram von Büsingen, der hier in der stillen Stadt Tannenrode die Prima des Gymnasiums besuchte und dem ganzen Städtchen Glanz verlieh, tanzte mit dem Mädchen, das eigentlich gar nicht zur Gesellschaft gehörte, das nur widerwillig geduldet war?

Fräulein Cölestine hat eine Art! Es war wirklich taktlos, wie sie den jungen Prinzen zu Aniane zwang. Aber Mut hatte das kleine Fräulein, das mußte man ihr lassen.

»Gratuliere, Dolf Dietram,« flüsterte ein junger Mann mit strahlenden blauen Augen und frischem Gesicht, aus dem die Zähne leuchtend blitzten, dem Prinzen zu, als dieser sich durch eine tiefe Verbeugung von Aniane verabschiedete, »du hast ja ein unmenschliches Glück mit deiner Tänzerin.«

»Schweige gefälligst, Wigbert,« gab der Prinz mit zusammengekniffenen Augen und einem nervösen Zucken um die Mundwinkel zurück. »Das geschieht mir ganz recht. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um! Warum mußte ich die Tanzstunde von Fräulein Cölestine besuchen, ebenso das Gymnasium von Tannenrode?«

»Fühlung mit dem Volke,« lachte der junge Freund des Prinzen, Wigbert von Pflug, laut auf. »Du sollst dich in Tannenrode ordentlich einnisten, damit, wenn du einmal hier residierst, dir alle Herzen zufliegen.«

Der Prinz warf kaltlächelnd den schmalen Kopf mit der scharf gebogenen Nase in den Nacken. »Ich liebe das Volk nicht,« gab er eisig zurück. »And daß ich auch noch zu den Tannenroder Husaren muß, wenn die Schule überstanden, ist geradezu abscheulich.«

»Damenwahl, meine Herren,« schallte die Stimme Fräulein Cölestinens dazwischen.

Die beiden jungen Männer waren im Umsehen von einer Schar junger Mädchen umringt, die mit der ganzen Unbefangenheit und Selbstverständlichkeit der Jugend sich um die beiden vornehmsten Herren der kleinen Tanzgesellschaft drängten. Aus dem Knäuel, der sich gebildet hatte, löste sich bald die hohe schlanke Gestalt des Prinzen mit Witta von Monbert und der kräftigere Wigbert mit Annegrets Beringer.

Und immer wieder ging es in buntem Reigen. »Wechseln, wechseln,« tönte Fräulein Cölestinens heisere Stimme und immer neue Mädchenblumen neigten sich vor dem Prinzen.

»Warum tanzen Sie nicht, Fräulein von Rainer?« klang es befehlend an Anianens Ohr.

Das junge Mädchen, das einsam und verschüchtert am Ende des Saales stand und an der bunten Schärpe, die wie ein dicker Strick um ihre Taille geschlungen war, herumzerrte, zuckte die Achseln. »Es tanzt niemand mit mir,« kam es tonlos von ihren Lippen.

»Es ist Damenwahl, da müssen Sie engagieren,« gebot die Tanzmeisterin streng. »In erster Reihe wählen Sie die Herren, die mit Ihnen getanzt haben. Also bitte, das Herumstehen in den Ecken dulde ich nicht!«

Ein Zittern durchlief Anianens Körper. Gehorsam machte sie ein paar Schritte vorwärts. Es war, als lege sich ein Schleier vor ihre Augen und dann stand sie vor dem Prinzen und neigte ein klein wenig das totenblasse Gesicht.

Wie spöttisches Erstaunen flog es über Dolf Dietrams Züge. Es war, als wollte er mit kaltem Lächeln an dem jungen Mädchen vorüberschreiten, da sah er aber an der gegenüberliegenden Wand zwei dunkle Männeraugen befehlend auf sich gerichtet. Und unter dem Blicke dieser Augen neigte er sich mit ritterlicher Eleganz vor Aniane Rainer und tanzte mit ihr durch den Saal.

Wie von einer Wolke getragen, flog Aniane in des Prinzen Armen dahin, aber nur wenige Takte, dann hörte sie eine helle Stimme befehlend fordern: »Darf ich bitten, Durchlaucht?«

Eine knappe Verbeugung Dolf Dietrams und Aniane stand mitten im Saale allein. Witta von Monbert aber schwebte in seinen Armen dahin.

»Tausend Dank, gnädiges Fräulein, daß Sie mich durch Ihr Engagement von der kleinen Vogelscheuche befreiten,« raunte der junge Prinz in heißem, leisem Flüstertone zu seiner schönen Tänzerin hernieder. »Es ist wirklich eine starke Zumutung, mit dem Gänschen zu tanzen.«

Witta lachte und ihre kleinen weißen Zähnchen schimmerten leuchtend. »Die Meisterin hatte ja noch gar nicht »wechseln« gesagt, Durchlaucht. Es war ein Staatsstreich meinerseits. Ich möchte nämlich die Aniane von Rainer rausgraulen aus unserm Klub. Sie paßt nicht zu uns. Wollen Sie mir helfen, Durchlaucht?«

Die blauen Mädchenaugen mit dem süßen betörenden Blick hoben sich kindlich, unschuldsvoll und übermütig lachend zu dem Prinzen empor.

»Ich bin Ihr Sklave, gnädiges Fräulein.«

Aniane stand unterdes an eine Säule gelehnt und kämpfte mit einer Ohnmacht. Wie sie von der Mitte des Saales bis hierher gekommen, wußte sie nicht. Ihr war nur dunkel, als hätte eine hohe Männergestalt mit tiefen Augen sich plötzlich vor ihr verneigt und an deren Arm hätte sie sich hierher gerettet.

»Fühlen Sie sich besser, gnädiges Fräulein?« Wie weich und warm die dunkle Männerstimme klang.

»Ja, ich danke,« entgegnete das junge Mädchen, die Augen aufschlagend. »Ich glaube, ich kann das Tanzen nicht vertragen.«

Baron von Rammelsburg, des Prinzen Erzieher und militärischer Begleiter, neigte zustimmend das ernste, von der Sonne gebräunte Gesicht. »Darf ich Sie zu Ihrer Frau Tante führen?«

Er sah das Zucken wie von verhaltenem Weinen um den jungen Mund. Als wenn ein Kind ein Schnippchen zieht, so bewegte sich das reizvolle kleine Mündchen. Dann aber preßten sich die rosigen Lippen fest aufeinander und ein harter Zug legte sich darum. In den großen, grauen Augen standen funkelnde Tränen.

»Ich danke, Herr Baron, für Ihre Freundlichkeit, ich gehe allein.« Sie wandte sich leicht und schritt eiligst nach der Seite der Mütter.

»Nachtigall, ich hör dir trampfen,« zitierte neben dem Baron die Stimme Dolf Dietrams, »haben Sie schon einmal eine solch kleine dumme Person gesehen? Und das hat den Mut, mit mir zu tanzen.«

»Ich muß doch sehr bitten, Durchlaucht,« verwies Rammelsburg den Prinzen streng, seine hohe Gestalt in der Rittmeisteruniform der blauen Husaren noch höher aufrichtend. »Ich finde das Benehmen von Durchlaucht dem jungen Mädchen gegenüber ganz unerhört und ich hoffe, daß Durchlaucht Gelegenheit nehmen werden, die Beleidigung, soweit es angeht, das nächste Mal wieder gut zu machen.«

»Das werde ich nicht, lieber Rammelsburg. Die Kleine gehört nicht in unsere Kreise und sie ist eine Gans!«

»Die Dame gehört zur Gesellschaft und wird demgemäß behandelt.« Der Prinzenerzieher hatte es mit einer so eisernen Festigkeit in der Stimme gesagt, daß der junge Fürstensohn unwillkürlich die Augen senkte.

Der Rammelsburg war doch eigentlich oft recht unbequem. Freilich, ein famoser Kerl sonst, der auch Spaß verstand, aber hier, inbezug auf die Spießbürger von Tannenrode, war er geradezu »beschränkt«.

Ein neuer Reigen löste das Gespräch. Der Prinz und sein Freund Wigbert von Pflug feierten geradezu Triumphe unter der Mädchenschar von Tannenrode. Aniane von Rainer zierte bei jedem Tanz-Anfang als Mauerblümchen die Wand und nur dem energischen Eingreifen der Tanzmeisterin hatte sie es zu danken, wenn sie sich überhaupt mit den andern im Kreise drehen konnte.

Aniane war totenblaß und dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, als sie endlich mit der Tante Major todmüde heim durfte in das graue Haus, das ihr zur Heimat geworden war.

Witta von Monbert aber stand mit siegesgewissem Lächeln im Ankleideraume und setzte sich das duftige Seidenmützchen mit den dicken Büscheln von Tausendschön über die kleinen Ohren, auf die braunen Locken. In ihren blauen, rätselhaften Augen war ein Leuchten und ein Triumphieren, die das ganze Gesicht verklärten.

»Du siehst aus wie Undine, Witta,« sagte eine junge Stimme und ein paar goldbraune Mädchenaugen sahen bewundernd in das heiße erregte Gesicht.

»Nein, wie Rautendelein,« mischte sich eine andere Stimme ein und ein fast finsterer Blick streifte die schlanke Mädchengestalt, um deren Schultern der Diener soeben einen weißen duftigen Pelzmantel legte.

»So, meint Ihr?« lachte Witta zurück, dann aber neigte sie sich zu dem jungen Mädchen, das sie zuerst angeredet hatte, hernieder und flüsterte: »Wenn du glaubst, liebe Zilla, ich lasse dir den Prinzen, so täuschst du dich. Du hast wenigstens viermal mit ihm getanzt. Das laß dir man beizeiten vergehen.«

Sie neigte hochmütig den Kopf und rauschte davon. Das junge Mädchen stand mit purpurrotem Kopfe, ein tödliches Erschrecken und Tränen in den Augen. Sie sah sich ratlos um.

»Was wollte die Monbert von dir, Zilla?« fragte die ältere Schwester der Kleinen, die Witta vorhin schon mit finsteren Augen betrachtet hatte.

»Sie verbot mir, mit dem Prinzen zu tanzen, Rahel, wie findest du das? Ich kann doch nichts dafür, wenn er mich auffordert.«

»Nein, du kleines Schaf,« sagte die ältere Schwester gönnerhaft und strich Zilla über den dicken braunen Scheitel, »aber du darfst nicht vergessen, daß Witta hier den Ton angibt. Ihr Vater ist nicht umsonst Regimentskommandeur.«

»Sie hat kein Recht, so mit mir zu reden,« empörte sich Zilla.

»Recht?« gab Rahel mit einem höhnischen Achselzucken zurück, den weißen Spitzenschleier über das flammend rote Haar schlingend. »Als ob es auf das Recht im Leben ankommt. Mach schnell, Kleine, damit wir an den Teetisch kommen. Die Tanzstunde hat mir Kopfweh gemacht.«

»Ach, Rahel, es war doch einzig schön,« jubelte Zilla schon wieder mit hellen Augen, während ihr die Jungfer die Gummischuhe über die kleinen weißen Schuhe zog. »Wie ein Traum, so schön. War es bei euch in der Tanzstunde auch so?«

»Ja,« gab Rahel bitter zurück, »obgleich es da keinen Prinzen gab. Aber Träume vergehen, Kleine, und nicht eine Spur bleibt davon zurück.«

Zilla blickte ihre kaum drei Jahre ältere Schwester, die ihr voran zur Tür schritt, betroffen an. Wie merkwürdig Rahel war! Freilich, sie war schon so alt, fast zwanzig! Zilla empfand mit Genugtuung, daß sie noch jung war, sehr jung, und als sie über den Flurgang schritten, wo Prinz Dolf Dietram und Wigbert von Pflug wartend standen und die beiden Jünglinge sich tief vor ihr neigten, da war es ihr, als wäre der Himmel auf die Erde gekommen. Die hohe Gestalt des Prinzenerziehers, die wartend am Ausgange stand, sah Zilla gar nicht, aber über Rahels Antlitz flog eine flammende Glut, als sie, flüchtig das rothaarige Haupt neigend, an Baron Rammelsburg vorüberschritt.

Dunkel stieg das Blut in des Rittmeisters Gesicht, als ihn Rahels Auge für einen kurzen Augenblick traf. Unwillig wandte er sich ab, dann trat er rasch, als wollte er jeden Aufenthalt vermeiden, zu seinem Zögling. Eine finstere Falte grub sich in seine glatte Stirn. Er hätte doch nie geglaubt, Rahel von Wolfhard, die er in fernen Landen wähnte, hier zu begegnen. Wie konnte man nur Rahels Rothaar übersehen? Und wie die dunklen Augen Rahels funkelten! Rammelsburg preßte gereizt die Lippen aufeinander.


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