Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Einunddreißigstes Kapitel.

Noch niemals hatte Graf Albrecht so lange Zeit auf seiner Burg still gelegen wie in diesem Winter, der mit einer ungewöhnlichen Beständigkeit tief in das Jahr hinein dauerte und die Geduld des kampfbegierigen Mannes auf eine harte Probe stellte. Dagegen war Oda dem Himmel für alle den Schnee, mit dem er nicht aufhörte das Land zu überschütten, um so dankbarer, weil er ihr damit half, den Gatten an ihrer Seite festzuhalten, was ihre noch so schmeichelnden Bitten allein vielleicht nicht vermocht hätten. Sie wußte wohl, wenn der Frühling ins Land kam und sein warmer Sonnenschein die jetzt verschneiten und gefrorenen Wege erst auftaute und dann die grundlos gewordenen wieder trocknete, so zog Albrecht den Harnisch an und ritt hinaus zu Kampf und Fehde, wonach er sich sehnte und wovon er trotz Odas Angst und Abwehr doch immer wieder zu sprechen anfing. Alle Lust und Wonne, alle das müßige Glück an der Seite der geliebten Frau konnte doch die nach kühnem Wagen dürstende Seele des hochstrebenden Mannes nicht ausfüllten; immer stärker regte sich wieder in ihm der Drang nach Kriegstaten und der ihm angeborene Trieb, seine Macht zu brauchen und zu mehren.

Noch war Odas Erbe, die Grafschaft Falkenstein, nicht in Albrechts Besitz, sondern in dem des Bischofs von Halberstadt, und der lange Winter kam dem letzteren sehr zu statten, die darüber schwebenden Verhandlungen mit seiner meisterhaften Geschicklichkeit ins Endlose auszuspinnen. Diese Verhandlungen führte übrigens nicht Albrecht selber, sondern in seinem Namen der Graf Burchard von Mansfeld, der sich zum Vermittler angeboten hatte und auch der rechte Mann dazu war. Graf Albrecht aber verlor wie über den Winter so auch über diesen Federkrieg die Geduld und erklärte seinem Freunde Burchard, wenn er im Frühjahr nicht damit zu Rande wäre, das Schwert zu ziehen und die Sache auf kürzerem Wege zum Austrag bringen zu wollen.

Als nun der Frühling nahte und der Bischof, der trotz seiner heimlichen Kriegsbereitschaft einen ehrlichen Waffengang vermeiden zu wollen schien, die Grafschaft noch immer besetzt hielt, fing Albrecht an zu rüsten, um den Gegner mit Gewalt darauf zu vertreiben. Oda tat, was sie konnte, ihn davon zurückzuhalten und ihm vorzustellen, daß er für ihrer beider Glück und Zufriedenheit mächtig genug wäre und sich ihres Erbes wegen nicht in Gefahr begeben sollte. Ihre Bitten fanden aber kein Gehör; die Rüstungen nahmen ihren, allerdings auffallend langsamen Fortgang.

Graf Albrecht sah voraus, daß die Erstürmung des Falkensteins der Anfang eines Entscheidungskampfes zwischen ihm und dem Bischof sein würde, der nur mit dem Untergange des einen oder des andern von ihnen enden konnte, und in den er nicht wieder mit so überstürzter Hast eintreten wollte wie in die Fehde mit der Stadt Quedlinburg. Deshalb betrieb er die Vorbereitungen dazu mit großer Sorgfalt, die aber doch nicht der eigentliche Grund war, daß er damit nicht recht von der Stelle kam.

Als hätte er im Arm der Liebe oder während des Verliegens in dem langen Winter das Befehlen verlernt, so fühlte er jetzt eine beständige Unruhe und nie gekannte Unsicherheit in seinem Wesen, ein Schwanken und Zaudern in seinen Entschlüssen, das ihn um viel kostbare Zeit brachte. Es war etwas Fremdes in ihm, das seinen Blick trübte, seinen Willen lähmte, ihm alle seine Freudigkeit, ja in manchen Stunden sein Selbstvertrauen nahm, und das er doch nicht von sich abschütteln konnte. Furcht war es nicht, gegen die war er gefeit, es lag auf ihm mit dem Druck einer düsteren Ahnung, und wenn er sich selber prüfend frug, was es war, so mußte er sich gestehen, daß es nichts anderes war als der Gedanke an die drohende Erscheinung des Tempelherren. Er war überzeugt, daß dieselbe in Beziehung zu dem vorhabenden Kampfe stand und daß sich dabei etwas Unerwartetes, vielleicht Schreckliches ereignen würde, was der umwandelnde Geist hatte warnend anzeigen wollen.

Endlich schlagfertig, aber durch den Glauben an Übersinnliches beirrt und wie von Geisterhand in seiner Tatkraft gehemmt, zögerte Graf Albrecht immer noch mit dem Angriff, und dieses Zögern sollte ihm verhängnisvoll werden.

Bock von Schlanstedt, nun längst der glückliche Gatte seiner ebenso glücklichen Eilika, stand unter demselben Einfluß wie sein Herr, obwohl zwischen ihnen der Erscheinung des Gespenstes mit keinem Worte wieder erwähnt war. Er beobachtete den Grafen auf Schritt und Tritt, und wenn derselbe, wie jetzt zuweilen geschah, mit seinem Schildknecht Schatte einen Ritt nach einem seiner Burgställe oder festen Häuser unternahm, so ritt er ihm heimlich nach und ließ von seinen vier Reitgesellen die Gegend durchschweifen, um ihm bei Annäherung einer Gefahr womöglich Hilfe leisten zu können. Graf Albrecht bemerkte es, weil Bocks hochbeiniger Schecke weithin kenntlich war, und ließ sich die sorgliche Vorsicht seines treuen Mannes stillschweigend gefallen; was aber er und die in großer Entfernung von ihm bleibenden Knechte nicht bemerkten, war, daß er auch von bestochenen und verkleideten feindlichen Kundschaftern unablässig umspürt und umlauert wurde.

In der Neige eines schönen warmen Frühlingstages Ende Mai standen Albrecht und Oda auf der Höhe neben der Felsbank und blickten in das Abendgold der sinkenden Sonne. Während er die Geliebte mit einem Arm umschlungen hielt und sie sich an seine hohe Gestalt lehnte, gedachten sie vergangener Zeiten und so manchen Gespräches, das sie hier oben miteinander gehabt hatten. Oda war weich und Albrecht sehr ernst gestimmt. »Weißt du noch, Albrecht,« begann sie, »wie du hier für Siegfried um mich warbst? Damals liebtest du mich wohl noch nicht?«

»So heiß und innig wie jetzt!« erwiderte er, »aber ich hatte ihm mein Wort gegeben, und hättest du ja gesagt, so –«

So lebte er vielleicht noch, meinst du? und ich wäre nicht dein, sondern sein Weib geworden?« unterbrach sie ihn. »Nein, Albrecht! ich hätte es doch nicht über mich gebracht, so sehr ich mich auch eine kurze Zeitlang mit dem Gedanken vertraut zu machen suchte. Ich liebte dich, und deine Werbung für Siegfried hat mir viel bittere Stunden bereitet.«

»Vergiß sie, Oda!« bat er freundlich. »Nun sind wir ja in Glück und Liebe auf ewig vereint; nichts kann uns mehr trennen, als der Tod.«

»Sprich nicht vom Tode, Albrecht!« sprach sie schaudernd, »das Leben ist so schön an deiner Seite, und ich habe ohnehin eine unsägliche Angst, weil du wieder in Krieg und Fehde willst.«

»Du bist eines Ritters Weib,« entgegnete er. »Nur draußen im Felde weht die Luft, die mir das Herz stärkt, daß es dich lieben kann mit seiner ganzen Kraft. Wenn ich zu dir reite, so heißt mein Roß die Sehnsucht, und wenn ich als Sieger zu dir heimkehre und den Feind zu Boden geschlagen habe –«

» Wenn du heimkehrst!« rief sie angstvoll. »Der Bischof ist ein tückischer Feind, und er ist vielleicht noch nicht dein schlimmster. Fürchtest du nicht die Rache der Äbtissin?«

»Eines Weibes Rache!« sprach er verächtlich, »eine Nadel gegen einen geharnischten Mann!«

»Von Weibes Rache wird viel in Liedern gesungen,« erwiderte sie träumerisch. »Albrecht, bist du deines Sieges wirklich so sicher?«

»Ich war nie so stark gerüstet wie diesmal!«

»Dennoch sehe ich Wolken auf deiner Stirn. Albrecht, laß ab von dem furchtbaren Kampfe, bei dem du alles wagst und wenig gewinnen kannst!« Sie umschlang seinen Nacken, streichelte ihm das lange, blonde Haar und die gebräunten Wangen und blickte ihn so bang und innig flehend mit ihren blauen Augen an, daß es ihm seltsam zu Herzen ging.

Auch um seinen Mund spielte ein schwermütiges Lächeln, als er sie nun mit starken Armen umfing. »Törichtes Kind!« sprach er zärtlich, »du machst mir ja Schwert und Lanze stumpf mit deinem Liebesglück! Ich will an dich denken, wenn es Mann gegen Mann geht.«

»Wenn du das tätest, so bliebest du bei mir,« entgegnete sie schnell.

»Soll ich vor unserm künftigen Sohne einmal die Augen niederschlagen, wenn er mich nach dem Erbe seiner Mutter frägt?« sagte Albrecht in aufwallender Kampfeslust.

Oda barg errötend ihr Antlitz an seiner Brust und antwortete nicht.

»Ich bringe dir den Schlüssel zum Falkenstein mit, meine Oda!« fügte er freudig hinzu. »willst du den nicht haben?«

Sie schüttelte das Haupt, ohne es von seinem liebsten Platze zu erheben. Dann fuhr sie plötzlich auf und frug mit ängstlichem Blick: »Reitest du noch vorher wieder auf Kundschaft?«

»Ja, morgen!« erwiderte er.

»Wohin?«

»Dorthin!« er zeigte mit der Hand nach dem Huy, »nach Derenburg und von da über Danstedt nach Westerburg, muß neues Kriegsvolk mustern und nach den Gäulen sehen.«

»Und mit wem?«

»Mit meinem Schatten,« lächelte er, »aber warum fragst du?«

»Ach! wenn ich doch mitkönnte!« seufzte die, »mir ist so schwer ums Herz.«

»Ich bin ja zu Abend wieder bei dir,« beruhigte er sie; aber es war ihm selber tief beklommen zumute. Odas Fragen und ihre zitternde Angst ergriffen ihn mehr, als er sich merken lassen wollte.

Ganz von ihrer beglückenden Liebe zueinander erfüllt, hielten sich die Gatten schweigend umfangen, und jeder suchte mit besorgten Blicken in der Seele des anderen zu lesen. Odas bleiches Gesicht war vom Widerschein der Abendröte sanft angeglüht, Albrechts Haar bekam davon an Stirn und Schläfen einen lichten Glanz, daß sein mächtiges Haupt wie von einem goldigen Schimmer umrandet war, und die Schatten ihrer beiden Gestalten lagen lang hingestreckt auf dem Felsen.

»Sieh, wie herrlich die Sonne untergeht,« sagte Albrecht; »sie nimmt wieder einmal Abschied von einem schönen Frühlingstage, der nun unwiederbringlich dahin ist.«

»Sie hat ihn selber geschaffen,« sagte Oda, »gerade so wie du mein Glück geschaffen hast, Albrecht! denn du bist die Sonne meines Lebens.«

»Und du mein holder Frühling,« lächelte er; »nur daß ich nicht von dir scheide und dich in Nacht und Finsternis zurücklasse.«

»Ja, das wäre Nacht, ewige Nacht, wenn du von mir gingest,« erwiderte sie mit schwimmenden Augen. »Albrecht, ich fürchte mich vor der Stunde, in der du von mir Abschied nimmst.«

»Laß es uns gleich jetzt tun, Oda,« sprach er mild und ernst.

»Jetzt? heute?« frug sie erschrocken. »Albrecht, willst du morgen in den Kampf?«

»Nein, mein Lieb!« versetzte er ruhig; »aber dann könnte ich eines Morgens, ehe du aufwachst, mich still davon machen, und der bittere Abschied wäre uns erspart.«

»Albrecht, dein Antlitz ist rot wie Blut,« rief sie erschrocken.

»Es ist die Sonne, die untergehende Sonne,« sagte er.

»Die untergehende Sonne!« hauchte sie und warf sich schluchzend an seine Brust. Er hielt sie still umschlungen und küßte sie auf ihr dunkles Haar. Da fühlte er, wie sie ihn fester an sich zog und am ganzen Körper erschauerte.

»Komm hinab!« sprach er, »es wird kühl hier oben.

Sie löste sich langsam aus seinen Armen, als könnte sie nicht von ihm lassen, warf sich ihm noch einmal entgegen, und nach einem stummen, tränenverschleierten Blicke küßte sie ihn heiß auf den Mund und sagte leise: »Komm!«

Behutsam führte er sie die Felsenstufen hinab. Die Sonne war untergegangen.

Am nächsten Morgen schickte Graf Albrecht den Ritter Bock mit einem Auftrage nach Benzingerode. Als Bock sah, daß Schatte für sich und seinen Herrn die Pferde sattelte, frug er ihn: »Wohin reitet Ihr heute?«

»Westerburg,« gab Schatte zur Antwort.

Darauf befahl Bock seinen Gesellen Rupfer und Springwolf, dem Grafen langsam zu folgen, doch so, daß dieser sie nicht bemerkte, und bei Derenburg zu warten, bis er selber mit Nothnagel und Hasenbart zu ihnen stieße. Dann ritt er mit den letzteren beiden ab.

Bald war auch Graf Albrecht in den Bügeln und schlug mit Schatte den Weg nach Derenburg ein. Es war wieder ein warmer Tag, und der Graf hatte nur ein leichtes Kettenhemd angelegt ohne sein gestepptes Büffelwams. In Derenburg fiel die Besichtigung zu seiner Zufriedenheit aus; darum hielt er sich dort nicht lange auf, sondern ritt mit seinem Schildknecht in der Richtung auf Danstedt weiter, um beizeiten nach Westerburg zu kommen.

Als sie die Holtemme hinter sich hatten und im ruhigen Schritt durch das hügelige Land ritten, sahen sie in ziemlicher Entfernung vor sich einen einzelnen Reiter, anscheinend einen Bauer in blauem Kittel, desselben Weges traben. Sie achteten seiner aber nicht, und er kam ihnen schnell aus dem Gesicht.

Plötzlich wurden sie bei dem Dorfe Danstedt von einer Schar bischöflicher Reiter überfallen. Sie stürmten mit geschwungenen Schwertern auf Albrecht los, und Rudolf von Dorstadt als vorderster rief: »Holla, Herr Raubgraf! kennt Ihr den Pfaffenknecht noch?«

Blitzschnell war Albrechts Schwert aus der Scheide. »Schurken und Mörder hat nur der Bischof!« rief er, und es begann ein verzweifelter Kampf. Wie ein Löwe wehrte sich Albrecht gegen die feindlichen Ritter, während sich deren Knechte über Schatte hermachten, der, von einem Kolbenschlag aufs Haupt getroffen, bald am Sattel hing und herabglitt. Albrecht hatte einen seiner Feinde mit einem wuchtigen Hiebe kampfunfähig gemacht, blutete aber selber schon heftig aus einer Kopfwunde und wurde dadurch am Sehen gehindert. Von beiden Seiten zugleich bedrängt, von zwei gewandten Fechtern in die Mitte genommen, konnte er seinem Schicksal nicht entrinnen. In dem Augenblick, wo er einen Hieb seines Angreifers zur Linken abfing, bohrte sich zur Rechten Rudolf von Dorstadts Schwert mit gewaltigem Stoß tief in seine Brust, daß er mit einem Aufschrei zurücksank und vom Pferde herab schwer zu Boden fiel.

Die Mörder jagten nach vollbrachter Tat eilig davon und ließen die Überwältigten liegen, wo sie lagen. In dem einen war noch bewußtloses Leben; das Herz des anderen hatte zu schlagen aufgehört.

Graf Albrecht von Regenstein war tot.

Ritter Bock, mit seinen beiden Gesellen von Benzingerode kommend, traf die anderen zwei unweit Derenburg und ritt nun mit den vieren nach Danstedt zu, als ihnen auf dem Wege zwei reiterlose Pferde entgegen gelaufen kamen, die sie sofort als die des Grafen und Schattes erkannten. Bock stiegen die Haare zu Berge. »Sporen ein!« schrie er, und den Hufspuren nach sausten sie vorwärts. Auf der Mordstelle fanden sie die Erschlagenen, waren von den Gäulen herunter, sie wußten nicht wie, und bei den in ihrem Blute Liegenden.

»Tot! tot!« heulte Bock mit Mark und Bein erschütternder Stimme, »zu spät! ein Vaterunser zu spät! er ist noch nicht kalt!« Dann lag er in wilder Verzweiflung über seinen toten Herrn gestreckt, selber einem Toten ähnlich, nur daß ein Zucken seines Körpers und ein leises Wimmern und Schluchzen von dem grenzenlosen Schmerze eines Lebendigen zeugten.

»Schatte lebt noch!« rief plötzlich einer, und schnell waren sie alle, auch Bock, bei dem Schwerverwundeten, der schwach atmete und eben die Augen aufschlug.

»Schatte!« rief ihn Bock an, »hörst du mich? kannst du sprechen? Wer ist's gewesen?«

Mit größter Not brachte Schatte hervor: »Rudolf von Dorstadt, Albrecht von Bodenteich, Albert von Semmenstadt –«

»Nur drei waren's?«

»Und die Knechte. – Ist Graf –«

»Tot, Schatte, tot!« jammerte Bock.

»Dann – auch sterben,« hauchte Schatte.

Die vier rauhen Gesellen, die den Tod in fast jeder Gestalt kannten, standen zitternd vor den beiden Erschlagenen, und ihre Augen wurden feucht. Bock kniete mit gefaltenen Händen neben seinem Herrn und starrte geistesabwesend vor sich hin, während ihm die hellen Tränen über die Wangen liefen.

Endlich berührte ihm Nothnagel die Schulter und sagte: »Herr Ritter, wir müssen sie einbringen.«

Bock nickte leise, rührte sich aber nicht von der Stelle.

»Im Dorfe müssen sich die Schurken versteckt gehalten haben,« sprach Hasenbart, »sollen wir das Nest abbrennen?«

Bock wandte sich langsam nach ihm um und sagte: »Holt einen Wagen.«

Dann erhob er sich und sah nach dem Regenstein hinüber.

»Es stimmt, es stimmt,« murmelte er. »Dies hier ist die Stelle, wohin der Tempelherr schaute in der Neujahrsnacht. Der hat's gesehen, was heute hier geschah.«

Die Knechte verstanden ihn nicht. Ihrer drei ritten ins Dorf und kamen bald mit einem bespannten Ackerwagen zurück. Erst legten sie den Grafen darauf, und als sie auch Schatte aufheben wollten, war er verschieden. Mit zwei Toten kehrten sie langsam nach dem Regenstein zurück.

Bock ritt vor dem Wagen, die vier Knechte dahinter. Als sie nachmittags auf dem Burghofe anlangten, war es ihnen, als wankte und bebte der Felsen unter ihren Füßen. Wehklagen erfüllte die Luft. Als Gräfin Oda die Wahrheit erfuhr, brach sie ohnmächtig zusammen. In der Nacht gebar sie ein Knäblein. Ursula und Eilika pflegten sie, und Mutter und Kind blieben am Leben.

Nach drei Tagen ruhte Graf Albrecht neben seinem Bruder Siegfried im Kreuzgange zu Michaelstein. –

Ein Sturm der Entrüstung ging durch das Land und schrie zum Himmel über die fruchtbare Tat. Der Graf von Regenstein tot! die hohe Eiche gefällt, die den Gau beschattet, allen Wettern getrotzt, die Bedrängten beschirmt hatte! Vom Harze, von Hackel und Huy, von Städten und Dörfern blockten die Menschen nach dem Regenstein, ob sein stolzer Felsenbau noch ragte, oder ob er von dem Falle des gewaltigen Mannes in seinen Grundfesten erschüttert, in die Tiefe versunken wäre. Mit Fingern wies man auf die Mörder, aber als den Anstifter der Bluttat nannten alle Zungen den Bischof Albrecht von Halberstadt, der zwei Tage danach den Petershof verlassen hatte und auf einem seiner Schlösser, vermutlich in Gröningen oder auf dem Falkenstein hauste. Umsonst erbot er sich zu einem Reinigungseide. Niemand glaubte an seine Unschuld, zumal er die Mörder in seinen Diensten behielt. Er hat den Eid auch nie geschworen. –

Am Abend des Tages, da Graf Albrecht ermordet wurde, erschien auf dem Schlosse zu Quedlinburg ein Bote aus Halberstadt und überbrachte der Äbtissin einen Brief des Bischofs. Darin stand in lateinischer Sprache: »Was du gewünscht hast, ist geschehen; ich erwarte deinen Dank.   A.«

Ein wildes Frohlocken blitzte in Juttas dunklen Augen auf, das Blatt bebte in ihrer Hand. »Er ist tot, und sie ist Witwe; ich bin gerächt!« kam es haßerfüllt von ihren Lippen.

Aber in der Nacht, als sie sich auf ihrem Lager hin und her warf, bald in einem kurzen, unruhigen Schlafe, bald in langen, qualvollen Stunden des Wachens in Schuldbewußtsein und Gewissensangst, da nahten ihr Träume und Gesichter von sinnverwirrender Art. Graf Albrecht kam geschritten in seiner blühenden Kraft Hoheit, streckte ihr die Hand entgegen und sagte mit lächelndem Munde: »Komm, Geliebte! Du sollst mein eigen sein.« Aber als sie wonnebebend seine Hand ergriff, da fuhr sie schaudernd zurück, denn es war eine kalte Totenhand; durch seinen Panzer rieselte rotes Blut, seine Augen wurden starr und bohrten sich mit grausigem Blick in die ihren, und mit einer Grabesstimme sprach er: »Du hast mich vom Herzen meines Weibes gerissen, mich morden lassen durch den Bischof, deinen Buhlen; vor Gottes Thron will ich dich verklagen.« Ächzend erwachte sie und lag lange mit offenen Augen im Dunkeln. Dann wieder erschien ihr im Halbschlummer des Bischofs jugendlich schlanke Gestalt in der Tracht des fürstlichen Junkers von der Wartburg. Mit heißen Augen sah er sie an und flüsterte: »Was du gewünscht hast, ist geschehen; ich habe deinen Willen getan, jetzt tue den meinen, du hast mir dein Wort gegeben.« Immer näher kam er ihr, umschlang sie und küßte sie. Ihr war, als schwebte sie mit ihm, wie auf Wolken getragen, weit hinweg, bis sie plötzlich wie nach einem jähen Sturze wieder erwachte. Kopf und Busen brannten ihr, sie fühlte, wie ihr das Blut in den Schläfen pochte und glühend durch die Adern rollte. Sie schlief nicht wieder ein, und in ihrem Hirne jagten sich wilde Gedanken und verzweifelte Entschlüsse.

Als es heller Tag war, stand ihr Plan fest; sie hatte sich in einem bitteren Herzenskampfe ihren Weg bis zu den letzten Schritten vorgezeichnet.

Sie kleidete sich ganz schwarz, und das anschließende Trauergewand verlieh der vollendeten Schönheit ihres Wuchses einen unsagbaren Reiz. Aber sie war über Nacht eine andere geworden. Ihre edelgeformten Züge waren streng und marmorkalt; kein Lächeln schwebte mehr um den üppigen Mund, und die dunklen Augen hatten den ernsten Blick eines unbeugsamen Willens.

Sie ging nicht zu dem gemeinsamen Frühmahl der Kapitularinnen, sondern blieb in ihrem Gemach und schrieb zwei Briefe. Einen an den Bischof von Halberstadt und einen an die Äbtissin des Jungfrauenklosters Walbeck in der Grafschaft Arnstein, das dem Hochstifte Quedlinburg unterstellt war. Ehe sie mit dem zweiten fertig war, trat mit verstörtem Gesicht die Kanonissin zu ihr ins Zimmer und sagte tief erregt: »Jutta, bereite dich, Entsetzliches zu hören! Graf Albrecht ist erschlagen!«

»Ich weiß es, Adelheid,« erwiderte die Äbtissin dumpf.

»Du weißt es schon?« frug die Kanonissin erstaunt. »Ach, ich sehe, du führst Schwarz; aber woher –«

»Still! höre mich an und rede nichts dagegen, denn es wäre vergeblich,« sprach die Äbtissin mit einer düsteren Ruhe. »Ich gehe fort von hier. Frage mich nicht wohin. Den anderen werde ich sagen, nach der Wartburg, wo ich der Landgräfin einen Besuch gelobt hätte. Die Scholastika soll mich begleiten, und ich werde dafür sorgen, daß sie schweigt.«

»Aber das Geleit –«

»Ich reise unter bischöflichem Geleit, das mich in zwei Tagen von hier abholen wird. Du allein magst heute schon erfahren, daß ich niemals wiederkehre.«

»Jutta! was bedeutet dies alles?«

»Es bedeutet – – nein! jetzt nicht! laß mich, Adelheid! von dir gehe ich nicht ohne Abschied. Sende mir die Scholastika her; sonst will ich niemand sehen!«

Die Kanonissin warf einen besorgten Blick auf ihre Freundin und ging schweigend ab.

Zwei Tage danach ritt die Äbtissin mit der Scholastika unter bischöflichem Geleit von dannen, aber nach Thüringen führte die Straße nicht, die sie zogen.

In der dritten Woche kehrte die Scholastika allein zurück, sagte niemand, wo sie mit der Äbtissin gewesen war, brachte aber einen Brief derselben mit, des Inhalts, daß die Gräfin Jutta von Kranichfeld ihr Fürstenamt mit Stab und Kreuz niederlegte und dem Kapitel des freiweltlichen Stiftes auf ewig Lebewohl sagte mit der Anzeige, daß sie aus der Welt geschieden und in das Kloster Walbeck eingetreten sei, um hier als Nonne ihr Leben in Gebet und Buße zu beschließen. Zu ihrer Nachfolgerin empfahl sie den Konventualinnen die Thesauraria Gräfin Luitgard von Stolberg, die auch bald darauf zur Äbtissin gewählt wurde. –

In dem natürlichen Drange, den Ermordeten zu rächen, begannen nun Albrechts Brüder unter Bernhards Oberbefehl den Kampf mit dem Bischof, nachdem sie sich der Bundesgenossenschaft des Grafen von Mansfeld versichert hatten. Aber der Bischof war ebenso stark gerüstet wie die Regensteiner, und nun stand ihm kein Albrecht mehr im Felde gegenüber. Darum hatte er seinen großen Gegner so lange mit ränkevollen Verhandlungen hingehalten und war dem offenen Kampfe so lange ausgewichen, bis es ihm, dank dessen unseligem Zögern, gelungen war, den einzigen, den er zu fürchten hatte, aus dem Wege zu räumen. Denn was er nie gewagt hätte, solange Graf Albrecht lebte, das tat er jetzt; er ging von der Verteidigung schnell zum kühnsten Angriff über und schlug die Regensteiner überall, wo er sie traf. Er erstürmte Burg Gersdorf, fiel dann in die Grafschaft Mansfeld ein, sie mit Feuer und Schwert schrecklich verwüstend, zog darauf wieder nach Norden, nahm Emeresleben und Schwanbeck im Sturme und endlich auch das noch niemals eroberte Crottorf. Danach erzwang er den Frieden.

Er hatte sein Ziel erreicht, die unbeschränkte Herrschaft im Gau, die ihm streitig zu machen kein ebenbürtiger Gegner mehr vorhanden war. Keiner von allen Grafen und Herren wagte es noch, sich gegen ihn zu erheben; sie beugten sich alle vor ihm, seit ihrer aller Stolz und Stern, Albrecht von Regenstein, dahin war. Von der Oker bis zur Bode und darüber hinaus bis tief in den Schwabengau hinein erstreckte sich nun sein Gebiet als ein selbständiges, geschlossenes Fürstentum Halberstadt, das, von diesem bedeutendsten und kriegerischsten aller Halberstädter Bischöfe gegründet, drei Jahrhunderte bestanden hat.

Die Übermacht des Regenstein'schen Grafenhauses war für alle Zeiten gebrochen, aber es war ihm doch ein immer noch sehr ansehnlicher Besitz geblieben, den Bernhard für Albrechts jungen Sohn bis zu dessen Mündigkeit ohne weitere Einbuße klug und friedliebend regierte. In diesem Sohne fand Gräfin Oda den einzigen Trost in ihrem unendlichen Schmerz, aber den Gemahl und das an seiner Seite genossene kurze Glück konnte sie nie vergessen. Ihr rechtmäßiges Erbe, die Grafschaft Falkenstein, hat sie nie erhalten. Bock und Eilika blieben bei ihr auf dem Regenstein bis an ihres Lebens Ende, und von keinem andern lernte der junge Graf reiten und fechten, als vom Ritter Bock von Schlanstedt.

Das Geschlecht blühte noch in einer langen Reihe tapferer und tüchtiger Männer, und alle ehrten sie das Andenken des größten und ritterlichsten ihrer Ahnherren, Albrecht II., der von seinen zitternden Feinden der Raubgraf genannt wurde.

Unter diesem Namen lebt er heute noch, nach mehr als einem halben Jahrtausend, im Volksmunde seiner Heimat, und der Wanderer, der von dem Schlosse König Heinrichs des Vogelstellers in das Land hinabschaut, der sieht in der Ferne den trotzigen, schroff abfallenden Regenstein, auf dem heute noch staunenswerte, zum Teil unvergängliche Reste der gewaltigen Felsenburg stehen, gerade unter sich aber die alte Stadt Quedlinburg und in ihrer Umwallung die hohen Mauertürme, die Graf Albrecht auf seine Kosten erbauen lassen mußte. Das freiweltliche Hochstift, dessen Schirmvogt er war, hat noch zu Anfang dieses Jahrhunderts bestanden, bis es Napoleon 1803 aufhob. Es ist von diesem Schlosse aus von sechsunddreißig Äbtissinnen und einer Pröpstin (Aurora von Königsmark) regiert worden. Die letzte Äbtissin, Prinzessin Sophie Albertine von Schweden, starb 1829, und ein Vorfahr des Erzählers dieser Geschichte war ihr Stiftshauptmann, derzeit Kammerrat genannt.

Wenn nun der Wanderer vielleicht von den Gräbern König Heinrichs, seiner Gemahlin und seiner Enkelin, der ersten Äbtissin Mathilde in der Krypta durch das von Jutta von Kranichfeld erbaute schöne Portal herausträte und den Schloßberg hinab über den »Finkenherd« ginge, jenen Platz, der heute noch diesen Namen nach der Überlieferung trägt, daß man hier dem mit Vogelfang beschäftigten Herzog Heinrich von Sachsen die deutsche Königskrone überbrachte, so würde er bald nach dem stattlichen, alten Rathause gelangen. Hier könnte er heute noch Albrechts Käfig, »den Raubgrafenkasten«, sowie seine Waffen, Jagdtasche, Sporen und Urkunden und Briefe von ihm sehen, und wenn er auf der Gasse ein Quedlinburger Schulkind früge: »Kannst du mir sagen, wer Albrecht von Regenstein war?« so würde es lachend antworten: »Das weißt du nicht? das war ja der Raubgraf!«


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