Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Die Belagerung Quedlinburgs ging nicht nach Graf Albrechts Wünschen, denn die trotzige Stadt war nicht so leicht zu bezwingen, wie es sich das wohl gedacht hatte. Die stets wiederholten Sturmläufe an verschiedenen Toren wurden tapfer zurückgeschlagen und ein paar Feuersbrünste, die namentlich in der Neustadt von hineingeschleuderten Brandgeschossen entzündet waren, bald wieder gelöscht, so daß die Belagerer sich keines ernsten Erfolges rühmen konnten.

Graf Albrecht war daher sehr übler Laune, und sein Besuch auf dem Schlosse, den er Juttas wegen nicht vermeiden konnte und Odas wegen sehr gern unternahm, war nur von kurzer Dauer. Oda benahm sich, eingedenk der Warnung Siegfrieds, sehr vorsichtig und zurückhaltend dabei und schien mit der Domina wie auch mit den übrigen, namentlich den jüngeren Konventualinnen schon auf ganz freundschaftlichem Fuße zu stehen, sah auch zufrieden und wohlgemut aus. Die Äbtissin entschuldigte das unverbindliche, fast unfreundliche Wesen ihres edlen Schirmvogtes mit seiner Mißstimmung über den schlechten Fortgang der Belagerung und erbot sich zur Friedensvermittlerin zwischen ihm und der Stadt, was er jedoch streng von der Hand wies. Sein Groll gegen die letztere steigerte sich mit jedem Tage, den er vergeblich vor ihren Toren lag, ohne ihr beizukommen und die Zerstörung der in rauchgeschwärzten Trümmern liegenden Gunteckenburg an ihr rächen zu können.

Siegfried hatte weder den älteren Bruder bei seinem Besuch auf dem Schlosse begleitet, noch war er allein oben gewesen. Albrecht legte ihm diese große Enthaltsamkeit als Ehrgeiz aus, mit dem Siegfried sich vielleicht Oda gegenüber vermessen oder wohl gar durch ein Gelübde gebunden hatte, erst als Sieger und Eroberer der Stadt wieder vor der Geliebten zu erscheinen. Er frug ihn nicht, aber seine Vermutung wurde bestärkt durch Siegfrieds verwegenes Vordrängen und Sichpreisgeben bei jedem Angriff und durch sein ungeduldiges Verlangen, daß sich die Belagerten endlich zu einem Ausfall und einem Waffengang auf freiem Felde entschließen möchten.

Aber damit hatten es die Quedlinburger nicht eilig. Laut des abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisses mußten ihnen der Bischof und die Städte Halberstadt und Aschersleben zu Hilfe kommen, und darauf warteten sie. Wenn sie von ihren Türmen aus gewahrten, daß die Bundesgenossen heranrückten, dem Feinde in den Rücken, dann wollten sie selber aus den Toren aus fallen und mit draufschlagen, bis dahin aber ihre Kräfte einem so ausgezeichneten Kriegsführer gegenüber, wie der Graf von Regenstein war, wohlweislich schonen. Inzwischen hielten sie gute Wache, wehrten die Sturmversuche an den Toren ab und sahen ruhig am Tage die Zelte und nachts die Lagerfeuer jenseits ihrer breiten Gräben. Ausgehungert konnte die Stadt von den Regenstein'schen nicht werden, trotzdem die Handelswege durch die Belagerung abgeschnitten waren. Einen Frachtzug mit Güterladung, der für einen Quedlinburger Kaufherrn bestimmt und die Gefahr nicht kennend, die alte Heerstraße von Nordhausen über den Harz kam, hatte der Feind schon abgefangen und ausgeraubt. Aus diesem Grunde war den Bürgern das lange Ausbleiben der zu erwartenden Hilfe sehr unbequem. Dem Grafen Albrecht dagegen kam diese Verzögerung ihrer Ursache wegen sehr zustatten, und als ihm die letztere durch einen reitenden Boten aus Burg Schwanebeck gemeldet wurde, verwandelte sich seine Verdrossenheit in helle Freude.

Der Fehdebrief an den Rat zu Halberstadt hatte eine Wirkung gehabt, die Albrechts kühnste Hoffnung überstieg: der Bischof war aus der Stadt vertrieben und hatte flüchten müssen.

Und das war so gekommen. Graf Albrecht von Regenstein war beim gemeinen Volke weit und breit beliebt im Lande, weil der die armen Leute nicht schindete und plagte, wie das andere ritterliche Lehensherren taten, sondern sie mit milder, wohltätiger Hand unterstützte und ihnen selbst gegen ihre weltlichen und geistlichen Bedrücker beistand. Um so weniger Freunde hatte der Bischof, der seine Güter und Zehnten mit unnachsichtiger Strenge eintrieb, so daß der Graf bei seinen Streitigkeiten mit ihm, von denen die Kunde in alle Schichten der Bevölkerung drang, die große Masse des ärmeren Volkes auf seiner Seite hatte. Als nun der Absagebrief der Verbündeten, der die Stadt nur des Bischofs wegen mit einer scharfen Fehde bedrohte, bekannt wurde, ergriffen die Handwerksgilden und die kleineren Leute offen Partei für den Grafen gegen den Bischof, und es kam in Halberstadt zu einem gewaltsamen Aufstande. Der Rat und die Geschlechter taten wenig oder nichts zur Unterdrückung desselben, teils weil ihnen die Macht dazu fehlte oder ihnen um ihr eigen Gut und Blut bangte, teils weil sie dem Bischof für sein oft hochmütiges Auftreten und seine vielfachen Übergriffe in das Stadtregiment diese bittere Lehre gönnten, damit er einsehen sollte, daß ein guten Einvernehmen mit Rat und Geschlechtern sein eigener Vorteil wäre. Es mochte auch wohl von seinen alten Gegnern im Domkapitel heimlich geschürt und gehetzt werden, kurz, die erregten Volkshaufen machten Anstalt, die bischöfliche Burg zu stürmen, und um sein Leben zu retten, blieb dem Bischof nichts übrig, als zu fliehen. Es hieß, er habe sich bei Nacht über die Stadtmauer gerettet und über Osterwiek nach seiner Feste Hornburg ganz im nordwestlichen Winkel des Harzgaues, an der Ilse oder nach seiner Burg Wiedelah zwischen Stötterlingenburg und der Oker gewandt, von wieder er leicht in noch größere Sicherheit nach der Harzburg, der sehr starken Bergfeste der Grafen von Wernigerode, kommen konnte.

Diese wichtige Nachricht war dem Grafen Albrecht begreiflicherweise sehr willkommen, denn wenn er auch weit davon entfernt war, zu glauben, daß der vertriebene Bischof sich gottergeben in sein Schicksal fügen und lange untätig stillsitzen würde, so hatte er doch vorläufig Ruhe vor ihm und durfte hoffen, daß die Halberstädter unter diesen Umständen von der Entsendung einer Streitmacht zu Hilfe der Stadt Quedlinburg absehen würden.

Demgemäß fiel auch sein Bescheid auf eine Anfrage der verbündeten Grafen aus, als sie ihm die Einnahme des Falkensteins melden ließen. Graf Hoyer, oder vielmehr die Besatzung der Burg, hatte sich, um der Waffenehre und der Treue gegen ihren Lehensherrn einigermaßen zu genügen, drei Tage lang standhaft gewehrt, dann aber die Burg übergeben, und Graf Hoyer war mit seiner frommen Gemahlin und seinem bischöflichen Burgkaplan grollend und grämlich abgezogen. Die Grafen machten sich auf dem schön gelegenen Falkenstein nun gute Tage und pflegten des edlen Waidwerks in den wildreichen Forsten. Sei frugen aber doch bei Albrecht an, ob sie ihm gegen die Stadt Quedlinburg zu Hilfe kommen sollten. Wenn nicht, so würden die Grafen Heinrich und Dietrich den Falkenstein für Albrecht besetzt halten – mit anderen Worten, so lange weiter zechen und pirschen – bis er oder einer seiner Brüder sie ablöste. Graf Burchard aber wollte dann mit seinem Volke auch noch die zur Grafschaft Falkenstein gehörige Herrschaft Arnstein mit der Rammelburg und Hettstedt besetzen.

Albrecht verstand recht gut, wie das gemeint war. Die Herrschaft Arnstein mit dem herrlichen Schloß grenzte an Burchards Grafschaft Mansfeld, und wenn er sie besetzen wollte, so hieß das soviel, als daß er sie für sich besetzen und behalten wollte. Darüber war nun zwar nichts abgemacht, allein Albrecht sah ein, daß er dies seinem treuen Bundesgenossen nicht verwehren und ihm den Lohn für seine bereitwillig geleistete Hilfe nicht verweigern konnte. Außerdem lag dem Grafen Albrecht daran, den Quedlinburgern zu zeigen, daß er allein stark genug wäre, sie zu züchtigen, damit sie in Zukunft die nötige Achtung vor seiner Gewalt hätten und nicht etwa meinten, er könnte ihnen ohne den Beistand Verbündeter nichts anhaben. Er antwortete daher auf die Anfrage der Freunde, er bedürfe ihres Zuzuges nicht; Burchard möchte sich in Gottes Namen der Herrschaft Arnstein bemächtigen, und Heinrich und Dietrich möchten den Falkenstein und die Gegend um Ermsleben besetzt halten, bis er einen seiner Brüder zur Übernahme schickte, was hoffentlich bald geschehen würde. Aber sie möchten die Stadt Aschersleben durch streifende Reiter beobachten lassen, daß ihm von dort nicht unvermutet reisig Volk in den Rücken fiele, und wenn es ihre Zeit irgend erlaubte, so möchten sie die anhaltinischen Fürsten, namentlich Bernhard den Beraubten ansprechen und ihn zur Teilnahme an ihrem Bündnis gegen den Bischof zu gewinnen suchen.

Den Quedlinburgern kam die Säumigkeit der beiden anderen Städte doch nachgerade verdächtig vor, und man beschloß, bei ihnen anzufragen, ob sie denn bundbrüchig werden wollten, oder warum sie der bedrängten Schwesterstadt keine Hilfe schickten. Da die Umschließung der Stadt seitens der Belagerer eine sehr lückenhafte war, so kamen die in der Dunkelheit der Nacht aus einem versteckten Mauerpförtchen gelassenen Boten glücklich durch die Feinde durch und in der darauffolgenden Nacht auch wieder in die Stadt hinein.

Da erfuhr man denn nun die Geschichte von der Verjagung des Bischofs. Aber Bürgermeister und Rat von Halberstadt ließen denen von Quedlinburg sagen, sie dächten nicht daran, bundbrüchig zu werden und würden die liebe Schwesterstadt gewiß nicht im Stich lassen, wenn sich diese nur noch einige Tage gedulden und gegen den Feind halten könnte. Sie stünden mit dem Bischof über seine Rückkehr in Unterhandlung, die, wenn sie nicht überstürzt würde, einen für ihre Stadt sehr wünschenswerten Ausgang verspräche. Dann wollten sie mit einem namhaften Volk zu Roß und zu Fuß kommen und durch ein Fahnenzeichen von der Hamwarte ihr Nahen kundgeben. Die Quedlinburger möchten nur immer scharf auslugen und dann zu rechter Zeit durch einen Ausfall auf den Feind kräftig zudrucken.

Der Bescheid der Ascherslebener lautete nicht so günstig. Sie könnten nicht durch, hieß es, denn die Stolbergischen und Hohnstein'schen lägen ihnen im Wege und bewachten sie unablässig.

Dabei mußten sich die Quedlinburger wollend oder nichtwollend beruhigen, und im Hinblick auf die tröstliche Nachricht aus Halberstadt konnten sie es auch; aber die auf die Wegelagerei der Harzgrafen gestützte Entschuldigung Ascherslebens sah doch einer willkommenen Ausrede zum Verwechseln ähnlich, und es wollte die Quedlinburger dünken, als wäre die neue Bischofsstadt ihnen nicht so bundestreu wie die alte.

Selbst von Quedlinburgs höchstem Kirchturme war der umliegenden Berge wegen die Straße nach Halberstadt nicht zu übersehen, während die Hamwarte den Turmwächtern, aber nicht den Belagerern sichtbar war. Über den ganzen Harzgau verteilt ragten auf Bergen und Flurgrenzen zehn solcher hohen, steinernen Warttürme, von denen man Umschau halten und sich durch Zeichen verständigen konnte; aber die Wächter mußten ihre Augen länger als bloß einige Tage anstrengen, ehe eine flatternde Fahne von der Hamwarte herüberwinkte.

Unterdessen ließ Graf Albrecht nicht nach, die Stadt zu berennen und ihr auf jede Weise, besonders durch Feuer zu schaden; allein es gelang ihm nicht, sie zu überwinden und als Sieger mit den Seinigen hineinzukommen. Einmal wäre dies beinahe geglückt. Das Hohe Tor war gestürmt und erbrochen und die Regenstein'schen schon in die Gasse dahinter eingedrungen, wurden hier aber von einer erdrückenden Übermacht gestellt, mit einem Hagel von Geschossen und schweren Steinen und mit Strömen siedenden Wassers und Öles überschüttet, so daß sie sich nach starkem Verluste zurückziehen mußten. Albrechts Grimm über die Fruchtlosigkeit seiner Anstrengung steigerte sich bis zu einer unnahbaren Wut.

Da erhielt er zu allem Mißgeschick eines Tages noch die unheildrohende und leider schon verspätete Kunde, daß der Bischof nach gepflogenen Unterhandlungen und gemachten Versprechungen nach Halberstadt zurückgekehrt war und, von dem wetterwendischen Volke jubelnd empfangen, einen prunkvollen Einzug in den Petershof gehalten hatte.

Aber der schlimmste Teil der Nachricht war der Zusatz, daß der Bischof eine gar ansehnliche Schar Reisiger teils neu geworben, teils von seinen Burgen mitgebracht hatte, die mit der schon kriegsbereiten Mannschaft des Rates ohne Verzug zum Entsatz der Stadt Quedlinburg aufbrechen sollte. Der Feind konnte also auch von dort jeden Tag, jede Stunde auf dem Kampfplatz erscheinen.

Albrecht wußte, was er von der Rache des infolge seiner Absage Vertriebenen zu erwarten hatte und schickte sofort Kundschafter auf die nächsten Berge. Während er nun eines Morgens mit seinen drei jüngsten Brüdern und dem Ritter Bock in der Nähe des Gröper Tores stand, bemerkte er auf den Mauern eine lebhafte Bewegung, die ein außergewöhnliches Vorhaben, wahrscheinlich einen Ausfall der Belagerten vermuten ließ.

Da kamen die ausgesandten Kundschafter und meldeten das Anrücken eines Heerhaufens von Halberstadt her; die Hauptmacht sei noch weit zurück, aber ein starker Vortrab Reiterei schon am Liebfrauenberge.

»Die müssen wir zurückdrängen, jedenfalls aufhalten, bis wir sehen, was hier vorgeht,« sprach Albrecht.

Dann – den Blick auf Siegfried gerichtet – fuhr er in kurzem Befehlstone fort: »Siegfried, du wirfst dich ihnen mit den Reitern entgegen; in dem Hohlwege zwischen den Weinbergen fällst du sie an, hältst sie auf, läßt sie nicht durch, solange du noch einen Mann zur Seite hast!«

»Herr! das wird ein heiß Stück Arbeit für Graf Siegfried,« sagte Bock. »Eine Reiterschlacht im Hohlweg ist ein mißlich Ding, und wir kennen noch nicht die Stärke –«

»Hilf nichts! es muß sein!« unterbrach ihn Graf Albrecht streng. »Du reitest natürlich mit!«

Siegfried aber ließ zum Aufsitzen blasen, und eine wilde Entschlossenheit in den kampfglühenden Zügen, preschte er mit Bock und den gepanzerten Reitern davon.

Graf Albrecht fuhr zu den zwei andern Brüdern fort: »Günther ans Hohe Tor, Bernhard bleibt am Öhringer, du, Poppo, hier! Ihr haltet Verbindung untereinander und unterstützt den am meisten Bedrängten. Bekommt ihr Luft, so schickt ihr, was ihr an Mannschaft entbehren könnt, den Weg nach Halberstadt zu; müßt ihr weichen, so geschieht es ebenfalls in dieser Richtung. Ist völliger Rückzug unvermeidlich – dann Sammeln um Burg Gersdorf, den Freunden entgegen.«

»Und Siegfried?« frug Poppo, »soll der mit seinen Reitern im Hohlweg allein bleiben? Er weicht nicht, aber –«

»Ich folge ihm mit einem Fähnlein, sobald ich hier alles in Ordnung sehe,« erwiderte Albrecht.

Günther und Poppo rückten in die ihnen angewiesenen Stellungen und erwarteten dort schlagfertig den Feind. Albrecht schickte einen Reisigen mit denselben Nachrichten und Befehlen zu Bernhard vor dem Öhringer Tore und hielt dann zu Pferde mit einem Fähnlein Fußvolk auf einem Hügel, von wo er den Kampf übersehen und leiten konnte.

Siegfried trabte an der Spitze seiner Reiter den Halberstädtern entgegen. Er sprach kein Wort, sondern blickte mit fieberhaft glänzenden Augen lebhaft um sich, zum blauen Himmel empor, nach dem Harzwald hinüber und dann nach dem Regenstein.

Und endlich, ehe er in die Weinberge einbog, wandte er sich im Sattel, schaute noch einmal nach dem Schlosse der Äbtissin hinüber und winkte mit der Hand einen Scheidegruß hinauf.

Bald waren sie in dem Hohlwege, und als sie durch eine Biegung desselben geritten waren, sahen sie vor sich den Feind. Siegfried hob sich in den Bügeln, streckte das Schwert in der Faust hoch empor, und sich nach seiner Reiterschar umkehrend, rief er mit schallender, in höchster Erregung bebender Stimme: »Vorwärts! Sieg oder Tod!«

Ein wildes Kriegsgeschrei hüben und drüben, und die feindlichen Geschwader prallten mit einem fürchterlichen Stoße klirrend und krachend aufeinander. Es war ein verzweifeltes Fechten, ein Roß an Roß, Knie an Knie Drängen; Schwerter klangen und zuckten, daß Funken sprühten, und Kolben und Streitäxte schmetterten auf Hauben und Harnische. Auf beiden Seiten wurde mit äußerster Erbitterung gekämpft, und keine Schar wollte der anderen weichen. Wirr durcheinander mischten sich die von hüben und drüben, hier in einen dichten Knäuel verwickelt, dort im Einzelgefecht aufeinander losdreschend. Im stärksten Gewühl, von vielen umringt, kämpfte Siegfried, heldenkühn, todverachtend; ihm so nahe wie möglich Ritter Bock, ihm helfend, ihn schützend, sein eigenes Leben für ihn in die Schanze schlagend.

Endlich nach furchtbarem blutigen Ringen gewannen die Regenstein'schen die Oberhand; die Halberstädter warfen die Rosse herum und flohen rückwärts, die Sieger in toller Jagd hinter ihnen her. Reiterlose Pferde galoppierten den dahinsausenden Verfolgten und Verfolgern nach.

Im Hohlwege war es still. Verwundete wanden sich in Schmerzen, Sterbende und Tote, Schwert oder Kolben noch in der erstarrenden Faust, lagen durcheinander, übereinander; zwischen ihnen mit durchstochenem Leibe, schwer atmend, langsam verblutend, der jüngste, blühendste, blondeste der sechs Grafen von Regenstein.

Er lag etwas an der Seite des Weges auf dem Rücken und hielt die Linke auf sein zerschlitztes Kettenhemd gedrückt, wo zwischen den Panzerringen unter der Brust sein rotes, warmes Blut hervorquoll. Die Augen schauten zum hohen Himmel empor, und ein stilles, friedliches Lächeln umschwebte sein Antlitz. –

Da kam Bock auf den Kampfplatz zurückgesprengt. Bei der Verfolgung hatte er Siegfried vermißt und suchte ihn nun. Als er ihn liegen sah, stieg er vom Pferde und rief ihn an: »Graf Siegfried! verwundet? wie steht es mit Euch?«

»Es ist aus,« erwiderte Siegfried mit matter Stimme, »Stich in die Brust, – tief genug.«

»Nun, nun!« sprach Bock beruhigend, so erschrocken er auch war, »das wächst wieder zu. Bei Eurer Kraft und Jugend heilt alles schnell.«

Siegfried bewegte das Haupt und sagte: »Nein, Bock, es heilt nicht alles. – Alter, treuer Freund, komm her! – ich habe dir ein Geheimnis zu vertrauen, – das nicht mit mir begraben werden darf.«

»Graf Siegfried!« rief Bock, »Herr Gott im Himmel –!« aber weiter kam er nicht. Der Vielerfahrene hatte schon manch einen so liegen sehen und kannte den Blick, mit dem ihn Siegfried anschaute.

»Höre genau zu, Bock, – was ich dir sage,« sprach Siegfried. »Gräfin Oda hat mir gestanden, daß Siegfried nicht mich, – sondern meinen Bruder Albrecht mit ganzer Seele liebt. – – Sag's ihm, Bock, – wenn ich tot bin, – sag's ihm; hörst du, – aber nur ihm selbst, keinem anderen, – ich durfte es nicht.«

»Euer Wunsch soll erfüllt werden, Graf Siegfried, wenn ich den Tag überlebe,« erwiderte Bock, in tiefster Seele ergriffen. Dem kampfgestählten Manne brachen die Tränen aus den Augen und rollten ihm die braunen Wangen hinab. Er schleppte seinen Liebling mit zärtlicher Vorsicht an den Wegrain und legte ihn dort an die Böschung des Rasens.

»Danke!« hauchte Siegfried. »Lieber Freund, lebe wohl! – reite, Bock, reite! – laß keinen durch!«

Bock konnte nicht bei ihm bleiben; er mußte seinen Reitern nach und sah auch – ach! leider nur zu klar und deutlich, daß er seinem jungen Herrn nicht mehr helfen konnte. Er reichte ihm noch einmal die Hand, biß die Zähne aufeinander und schluchzte. Dann saß er auf und stob davon. –

Der Ausfall der Quedlinburger, den sie am Öhringer, am Gröper und am Hohen Tore zugleich unternahmen, wurde mit schwachen Kräften und geringem Nachdruck ausgeführt, und da Graf Albrecht sah, daß die Seinigen wacker standhielten, zog er mit seinem Fähnlein Fußknechte nach den Weinbergen.

Als er vor den Knechten langsam dahinritt, überfiel ihn eine plötzlich aufsteigende Angst um Siegfried. Er hatte ihn gegen einen Feind geschickt, dessen Stärke er nicht kannte, und ihm den Befehl gegeben, bis auf den letzten Mann auszuhalten. Siegfried hatte sich während der ganzen Belagerung über alle Maßen vorgewagt, freiwillig, selbst gegen die Mahnungen seiner Brüder; was würde erst tun, angefeuert von einem solchen Befehl! Es konnte ein Todesritt sein, zu dem Albrecht den Bruder ausgesandt hatte. Ihm wurde bang ums Herz, sein Traum fiel ihm ein, und mit jedem Schritte wuchs seine Unruhe. Er setzte sein Pferd in Trab und auf dem Trab in Galopp, spornte es immer schärfer und schärfer und fegte endlich wie von einem bösen Geiste gehetzt querfeldein dem Hohlwege zu. Und als er hinter der Biegung desselben auf den Kampfplatz kam, da sah er die Verwundeten liegen und dort am Wegrain – er wußte nicht, ob lebend oder tot – seinen Bruder Siegfried.

»Siegfried! Siegfried! barmherziger Gott! Siegfried!« rief er, sprang aus den Bügeln und beugte sich über ihn.

Siegfried sah ihn mit brechendem Blick an; ein trübes Lächeln glitt über seine bleichen Züge, und leise sprach er: »Wir haben gesiegt, Albrecht, aber – es kostet dich einen Bruder.«

»Siegfried! o Gott!« rief Albrecht, »und ich, ich habe dich in den Tod geschickt!«

»Nein – nein –« flüsterte der Wunde.

Albrecht lag auf den Knien, in des geliebten Bruders Antlitz blickend. »Mein Traum! mein Traum! den hatte ich vergessen, der hat mich umsonst gewarnt,« jammerte er.

Siegfried verstand ihn nicht. Er versuchte Albrechts Hand zu fassen, war aber schon zu schwach, die seine zu erheben. Albrecht ergriff sie sanft und fühlte ein leises Zucken. Siegfried wollte ihn zu sich herabziehen, weil er kaum noch fähig war zu sprechen. »Albrecht, grüße Oda; – nun bin ich euch – nicht mehr – im Wege,« hauchte er kaum hörbar mit bebenden Lippen.

»Siegfried! was sagst du da? Siegfried! Du darfst nicht sterben mit dem Gedanken, daß du mir im Wege warst,« rief Albrecht. »Du warst mir nicht im Wege, Siegfried! Ich wollte dich glücklich machen, dich und Oda!«

Aber Siegfried hörte ihn nicht mehr. Albrecht nahm den Sterbenden in seine Arme und lauschte auf den erlöschenden Atem.

Das Fähnlein Fußknechte hatte ihn mittlerweile erreicht und blieb nun um des Weges Breite von ihm entfernt flüsternd stehen in scheuer Ehrfurcht vor dem tiefen Schmerze ihres heldenhaften Gebieters, den sie noch niemals so gesehen hatten. Sie frugen ihn nicht nach Befehlen, und er achtete ihrer nicht, wußte vielleicht kaum, daß sie da waren. Alles um sich her vergessend saß er von Schmerz überwältigt bei dem verscheidenden Bruder, dessen Haupt auf seinem Schoße haltend. –

Die von Bock und seinen Reitern verfolgten Halberstädter hatte sich jenseits der Weinberge von der Straße abgewandt und links im offenen Felde zerstreut, wo ihnen die Regensteiner immer noch nachsetzten. Endlich gaben diese die Verfolgung auf, konnten aber nun nicht denselben Weg zurück, weil inzwischen die feindliche Hauptmacht herangekommen war und ihnen diesen Rückweg abgeschnitten hatte.

Der Kampf vor der Stadt verlief für die Regensteiner sehr unglücklich. Anfänglich machten die Quedlinburger aus zwei Toren nur Scheinangriffe, um die davorstehenden Feinde dort festzuhalten. Aus dem dritten und mittelsten aber, dem Gröper Tor, fielen sie bald in einer unerwarteten Stärke aus, drängten Poppo mit Übermacht zurück und schoben sich nun wie ein Keil zwischen Bernhard und Günther, beide von der Seite anfallend, während gleichzeitig nun auch die Angriffe aus dem Öhringer und dem Hohen Tore mit großer Gewalt erfolgten. So wurden die Belagerer aus ihrem Zusammenhange gerissen, durchbrochen und geworfen. Ein Teil des Halberstädtischen Fußvolkes hatte die Weinberge umgangen und kam Poppo und Günther, die, auch im Rückzuge noch tapfer kämpfend und beide leicht verwundet, sich am Hungerplane vereinigt hatten, in den Rücken, so daß sie, um nicht gefangen zu werden, auf Westerhausen zu weichen mußten. Dort im Felde stieß Bock zu ihnen und brachte ihnen die erschütternde Kunde, daß Siegfried gefallen. Sofort kehrten sie mit ihren Knechten, soviel sie deren noch bei sich hatten, nach der Stelle des Reitergefechtes um, bis zum letzten Blutstropfen entschlossen, den Bruder oder seinen Leichnam aus den Händen der Feinde zu erretten. Wo Albrecht und Bernhard waren, wußte keiner von ihnen.

Von den Mauertürmen hatte man sowohl Siegfrieds Ritt mit den Gepanzerten als Albrechts Abmarsch mit einem Häuflein Knechte nach den Weinbergen, also den anrückenden Halberstädtern gerade entgegen, wohl bemerkt und schickte sich eben an, ihnen mit einem abgesonderten Haufen dahin nachzuziehen, als sich Überraschendes ergab.

Mit verhängten Zügeln kam Graf Albrecht aus dem Hohlwege gejagt, und hinter ihm her in rasender Verfolgung wohl zwanzig bischöfliche Reiter.

Auf den ersten Blick sah er, daß die Schlacht für ihn verloren, sein Volk vollständig zersprengt und ein Sammeln desselben unmöglich war. Der nächste Weg nach Burg Gersdorf ging links um die Stadt herum. Dorthin wandte er sich, nur der Schnelligkeit seines Rosses vertrauend. Aber wie die Reiter auf seinen Spuren, so verfolgte ihn überall das Geschrei der über seine Flucht frohlockenden Feinde, von denen sich ein großer Teil auch noch hinter ihm hermachte. Er mußte an dem Öhringer Tore vorüber, und das war sein Verderben. Hier begegnete ihm eine Schar reitender Knechte und Bürger, die noch nicht am Kampfe teilgenommen und daher noch frische Pferde hatten. Diese Schar nahm Albrechts Verfolgung in der Richtung nach Gersdorf auf und bedrängte ihn so hart dabei, daß er in seiner Not und Verwirrung in den Bruch des Hackelteiches geriet, wo sein erschöpftes Pferd bis an den Bauch im Moraste versank und nicht mehr herauskonnte.

Nun wurde er von den immer zahlreicher herbeistürmenden Feinden umzingelt. Viele auf einmal wagten sich trotz der Gefahr in Bruch und Morast. Ein verzweifelter, furchtbarer Kampf fand noch statt, in dem sich Albrecht wie ein wütender Eber wehrte, bis sie mit Spießen und Stangen auf ihn losschlugen und auch sein starker Schwertarm erlahmte.

Da geschah das Unglaubliche: Graf Albrecht von Regenstein wurde von den Quedlinburgern gefangen genommen.

Wie ein Flugfeuer über Strohdächer pflanzte sich der Ruf: Wir haben ihn! wir haben ihn! bis zur Stadt fort, in deren Gassen bald tausend und abertausend Kehlen jauchzten und brüllten: Der Raubgraf ist gefangen! der Raubgraf kommt, mit Ketten beladen!

Bernhard hatte es trotz der größten Anstrengungen nicht gelingen wollen, sich zu Poppo durchzuschlagen, und um seine Streitkräfte nicht gänzlich aufreiben zu lassen, sondern für spätere Kämpfe zu sparen, zog er sich fechtend zurück, um in einem Bogenmarsche den von Albrecht befohlenen Sammelplatz, Burg Gersdorf zu erreichen. Da sah er von weitem einen fliehenden und heftig verfolgten Reiter, in dem er seinen Bruder Albrecht zu erkennen glaubte. Er versuchte, ihm zu Hilfe zu eilen, kam aber zu spät. Von den schnell in großer Zahl nachrückenden Feinden wurde er sofort aufs neue angegriffen und zurückgewiesen, ohne jedoch weiter verfolgt zu werden.

Der Kampf war zu Ende, die Regenstein'sche Macht aufgelöst und so gut wie vernichtet. Die Sieger begnügten sich mit ihrem überaus wichtigen Fange und kümmerten sich nicht um die hier und da vereinzelt umherirrenden Trupps von Feinden, die der geschlossenen Masse der Städter keinen Schaden tun konnten.

Als Bernhard dessen inne wurde, ritt er nicht nach Gersdorf, sondern folgte in einiger Entfernung dem allmählich zu einem großen Heerhaufen anschwellenden Zuge, der den Gefangenen nach der Stadt führte. Mit trüben und bitteren Gedanken und unter den schwersten Sorgen um Albrechts Schicksal ritt er in einiger Entfernung hinter dem gefesselten Oberhaupte seines ruhmreichen Hauses langsam einher. »O Albrecht, Albrecht!« seufzte er. »Du wolltest den Harzgau erobern und zu einem Regenstein'schen Fürstentume machen, und nun wird eine Kerkerzelle dein leidvolles, schmachvolles Los! Und was wird das Ende sein? – Oder ist es alles nur um jenes Mädchens willen, vor dessen unheilbringender Nähe ich vergeblich warnte? Hier an dieser Stelle wurde sie gefangen; – o hätten wir sie nie gesehen!«

Er beschloß seine drei anderen Brüder aufzusuchen, von denen er den ganzen Tag über nichts gesehen und gehört hatte, setzte sein müdes Roß in Trab und ritt um die Stadt herum. Endlich sah er sie mit Bock im Schritt von den Weinbergen dahergeritten kommen, gefolgt von einer kleinen Schar Reiter und Fußknechten, die einen Verwundeten trugen. Ach! es war kein Verwundeter, sondern ein Toter, ihr Bruder Siegfried. Und als er bei ihnen war und die geliebten Züge des Gefallenen erkannte, mußte er den Brüdern zu ihrem und seinem unsäglichen Schmerze noch das Schreckliche melden, daß Albrecht lebend in den Händen der Feinde war.

Da wollte ihnen das Herz stillstehen vor Jammer und Not. Gebrochenen Mutes zogen sie zusammen mit der Leiche des Bruders weiter nach dem Wipertikloster, und kein Feind behelligte sie auf dem traurigen Wege. In der Klosterkirche betteten sie den Entschlafenen vor dem Altar auf eine Lade, und als sie ihn entkleideten, um zu sehen, an welcher Wunde er verblutet war, fanden sie auf seiner Brust unter dem Harnisch einen welken Kranz von Eichenlaub und Efeu, mit einem verblichenen goldgestickten Bande umwunden. Die Brüder kannten diesen Kranz und legten ihn wieder an dieselbe Stelle, an der sie ihn gefunden hatten. Ein Gepanzerter und ein Mönch übernahmen die Totenwache, und ein Knecht wurde nach Kloster Michaelstein geschickt, damit man dort eine neue Gruft bereite für einen Grafen von Regenstein. –

In Quedlinburg stand alles Volk auf den Gassen in den Türen und an den offenen Fenstern, um den gefangenen Grafen vorbeikommen zu sehen. Es war ein endloser Zug, der ihn einbrachte. Voran der Stadthauptmann mit gepanzerten Reitern, dann eine Rotte Speerträger zu Fuß mit dem Stadtbanner, darauf der Gefangene, umgeben von den Bürgern und Knechten, die ihn in den Hackelteich getrieben und dort ergriffen hatten; nach ihnen die bischöflichen Reiter, die ihn von der Leiche seines Bruders Siegfried aufgeschreckt und zuerst verfolgt hatten, und endlich fast die gesamte Kriegsmacht beider Städte. Düsteren Angesichtes, den Blick nicht vom Boden erhebend, schritt Graf Albrecht dahin. Ein kleiner Teil derjenigen, die ihn so sahen, ehrten sein Unglück durch tiefes Schweigen, die meisten aber empfingen ihn mit lautem Murren, Schimpfreden, Verwünschungen und drohend erhobenen Fäusten. Neben- und hinterher drängte die Menge und schob und wälzte sich wie eine mächtige Welle brausend nach dem Markte hin, wo auf der breiten Rathaustreppe Bürgermeister und Rat versammelt waren. Ihre finsteren Mienen weissagten nichts Gutes, als der Graf an ihnen vorüberging, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Gesprochen wurde kein Wort; das enge Kämmerlein für den lange gefürchteten, endlich gebeugten Feind der Stadt war bereit. Er ließ sich widerstandslos hineinführen, die schwere Eisentür schlug hinter ihm zu, Schloß und Riegel klirrten, – er war allein.

Die Dämmerung sank über den Unglückstag herab. In der Zelle des Priors zu Sankt Wiperti saßen die drei Brüder mit Bock bei ernster Beratung. Sie wollten die Nacht hierbleiben, und morgen wollte Bernhard Unterhandlungen mit dem Rat über Albrechts Lösung anknüpfen und die Äbtissin um ihren Beistand anrufen. Bock erklärte, nicht aus dem Kloster weichen zu wollen, solange sein Herr ich Quedlinburg gefangen wäre.

Da kam ein Abgesandter des Rates mit zwei Reisigen und begehrte Bernhard zu sprechen, dessen Aufenthalt im Kloster man erfahren hatte. Der Gesandte erklärte, daß Bürgermeister und Rat von den Regenstein'schen Grafen und ihren Verbündeten die Einstellung aller Feindseligkeiten erwarteten. Beim ersten Angriff auf die Stadt oder beim schwächsten Versuche, den Gefangenen mit Gewalt zu befreien, würde Graf Albrechts Haupt von Henkershand fallen.


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