Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Wochen waren vergangen, ehe das Fürstengericht unter dem hohen Baume zu Quedlinburg endlich versammelt war. Alle Fürsten und Grafen des Harzgaues und der benachbarten Gaue und Herzogtümer waren dazu erschienen und saßen unter dem freien Himmel im Halbkreise zu beiden Seiten des steinernen Tisches und des Richterstuhles am Stamme der Linde. Zur Rechten des Herzogs saß die Äbtissin, zur Linken sein Bruder, der Bischof von Halberstadt, der sich hier zum ersten Male wieder seit dem Streit über Schwanebeck und Emeresleben seinem Nebenbuhler um die Herrschaft im Harzgau Auge in Auge gegenüberfand und diesen mit siegesfrohem Hochmut nun machtlos und vernichtet vor sich sah. Auch Albrechts Brüder waren zugegen, hatten aber ebensowenig ein Stimmrecht wie der Bürgermeister mit dem gesamten Rate, der als Kläger auftrat. Außerhalb der Schranken standen viele Ritter und Edle und unzähliges Volk.

Herzog Otto von Braunschweig waltete seines Richteramtes mit Gerechtigkeit und Milde und leistete dem tödlichen Hasse seines Bruders gegen den Beklagten keinerlei Vorschub. Unter den fürstlichen und gräflichen Schöffen waren Freunde und Feinde des Grafen, aber die adligen Zuschauer hielten es fast sämtlich mit ihm, der ihnen das Spiegelbild eines ritterlichen Kriegsmannes war, und mit dessen Demütigung sie sich selber tief gekränkt fühlten, denn die Städter waren ihre geborenen Feinde.

Drei verschiedene Forderungen wurden gestellt. Der Bischof und seine Helfer begehrten den Tod des Grafen Albrecht. Der Bürgermeister verlangte namens der Stadt seine ewige Gefangenschaft, Befreiung Quedlinburgs von jeglicher Schutzvogtei, Einziehung der Regenstein'schen Häuser und Höfe innerhalb des städtischen Weichbildes und Erbauung von zwölf Mauertürmen auf Kosten des Grafen, bei Ablehnung dieser Bedingungen aber seinen Tod. Die Äbtissin und die Freunde des Grafen forderten seine Freilassung gegen Zahlung eines Lösegeldes, und auch er selber wollte sich zu keiner anderen Bedingung verstehen.

Es wurde lange und hart darum gestritten. Als aber das Urteil gefunden werden mußte, weil die Sonne sich neigte, war eine Stimmenmehrheit für den einen oder andern Antrag nicht zu erzielen, und der Herzog bestimmte nun aus eigener Machtvollkommenheit, daß über die drei gestellten Forderungen und ihre Begründungen ein ausführliches Schriftstück aufgesetzt und unter Vorlegung desselben die Entscheidung des Kaisers angerufen werden sollte.

Da erhob sich die Äbtissin und sprach mit lauter Stimme: »Und ich werde es sein, die zum Kaiser geht und seinen Spruch einholt! Gewährt mir die Gunst, erlauchte und edle Herren! Der Graf ist mein Schirmvogt, und so habe ich das Recht und die Pflicht, für ihn zu sprechen, und daß ich die volle Wahrheit sprechen werde, gelobe ich euch bei meiner fürstlichen und fraulichen Ehre!«

Wie sie hoch aufgerichtet dastand, schön und mutig, die einzige Frau im Kreise der Fürsten und Grafen, und mit stolzen Augen vom einen zum andern blickte, da wagte es keiner, ihr die Bitte zu versagen, obwohl es manche von ihnen übel zufrieden waren, daß der, dessen Untergang sie wünschten, eine so schöne und verführerische Frau zum Anwalt am Hofe des Kaisers haben sollte. Die Äbtissin wurde zur Gesandtin an Kaiser Ludwig gekürt, und damit hatte die Hegung des Fürstengerichtes ein Ende. Das Ding unter dem hohen Baume wurde geschlossen und Graf Albrecht unter starker Bedeckung in seinen Kerker zurückgeführt.

Dieser Kerker war längst nicht mehr die gemauerte Zelle im Erdgeschoß, in die man den Grafen bei seiner Einbringung gesperrt hatte, sondern ein aus dicken Fichtenbohlen gezimmerter und mit starken Eisenbändern verwahrter Kasten auf dem Boden unter dem Dache des Rathauses von acht Fuß im Geviert und etwas über sechs Fuß Höhe. Er hatte ein kleines vergittertes Guckloch und eine noch nicht zwei Fuß hohe, eisenbeschlagene Tür und im Innern eine Bank und eine Schließkette.

In diesem Kasten und an dieser Kette lag nun Graf Albrecht von Regenstein, der mächtigste Mann und tapferste Held im Gau, wehrlos, beinah lichtlos, ein gefesselter Löwe.

Als er den schweren Gang zum Gericht unter dem hohen Baume antreten mußte, gedachte er des Tages, da er mit Siegfried von der Belehnung mit Burg Gersdorf kommend dort vorüber ritt, und sein treues Roß an jener Stelle scheute, und er zu Siegfried sagte: »Gott verhüte, daß jemals ein Regensteiner als Verklagter unter dieser Linde stehen muß!« Von da war er nach dem Rathause geritten, hatte vor dem versammelten Rat mit der Eisenfaust auf die Brüstung der Schranke gedonnert und ihn mit derben, befehlenden Worten zur Aufhebung des bischöflichen Aftergerichtes gezwungen.

Und nun? Nun hatte er selber unter jener Linde gestanden, mit dem Tode oder ewiger Gefangenschaft bedroht, in der Gewalt desselben Rates, den er vor sich zittern gesehen hatte. Der freie Bergluft zu atmen, sich fröhlich im Sattel zu wiegen und Hufschlag und Waffenklang zu hören gewohnt war, der stak nun in einem dumpfen Käfig, in dem er nicht vier Schritte machen konnte und nichts anderes hörte, als das Rasseln der Kette, an die er mit einem Fuße angeschlossen war. Sein Kerkermeister gab ihm auf alle seine Fragen keine Antwort, kein anderer Mensch nahte seinem Gefängnis, keinen der Seinigen ließ man zu ihm, auch während des Gerichts hatte niemand mit ihm reden dürfen; er hatte keinen Trost in seiner schauerlichen Einsamkeit.

Wohl hing er am Leben, wohl lockte ihn die Freiheit, aber daheim auf seiner Felsenburg war es öde geworden. Siegfried war tot, und Oda war fort vom Regenstein. Zwar hatte Siegfried im offenen, ehrlichen Kampfe einen tapferen Reitertod gefunden, wie als selber ihn sich nicht schöner wünschen konnte. Was aber diesen Tod des Bruders so schrecklich für ihn machte, das waren des Sterbenden letzte Worte: »Albrecht, nun bin ich euch nicht mehr im Wege!«

Wenn es denkbar gewesen wäre, daß Siegfried um Albrechts Liebe zu Oda gewußt hätte und mit der Bitternis im brechenden Herzen aus dem Leben geschieden wäre, Albrecht hätte ihn in den Tod gesandt, um sich des Bruders zu entledigen und den Weg zu Oda frei zu haben, dann könnte er seines Lebens keine Stunde mehr froh sein. Der Befehl, die ihm in den Rücken fallende Reiterei des Feindes aufzuhalten, war ein richtiger gewesen. Sieg oder Niederlage standen auf dem Spiele, bei dem jeder der Regenstein'schen Brüder, ob Siegfried oder ein anderer, sein Leben einsetzen mußte und eingesetzt hätte. So gut wie Bock, der sich niemals schonte, und eine, wenn auch kleine Zahl seiner Mitstreiter konnte auch Siegfried den Kampf überstehen, wenn es das Schicksal gewollt hätte. Trotz alledem durfte Albrecht den Befehl nicht Siegfried geben, seiner selbst wegen und Odas wegen.

Seine tiefsinnige Liebe zu ihr war jetzt sein einzig Gut, sie kürzte ihm die peinvoll langen Stunden und erfüllte seinen dunklen Kerker mit Sonnenglanz. O daß er zu ihr könnte, sie zu trösten! daß er mit ihr entfliehen könnte, sie zu schützen! er wollte nichts von ihr begehren, als um sie zu sein und mit ihr plaudern zu dürfen wie oben auf der einsamen Felsbank des Regensteins. Auf ihre Liebe durfte er ja niemals hoffen, auch wenn er frei wäre, aber auch ungeliebt wollte er ihr sein Leben weihen, wenn er noch darüber verfügt hätte. Haßte sie ihn aber, verabscheute sie ihn um Siegfrieds willen, dann nützte ihm, dann galt ihm auch Leben und Freiheit nichts mehr.

Zuweilen sah er auch Juttas leuchtende Gestalt durch das Düster seiner Nächte schweben, doch ohne Sehnsucht und Verlangen nach ihr, nur mit dem Gefühle aufrichtiger Dankbarkeit. Sie hatte im Fürstengericht mit offenem Visir für ihn gekämpft, unbekümmert um das boshafte Lächeln des Bischofs und die verwunderten Augen der anderen, denen sie mit der Leidenschaftlichkeit seiner Verteidigung ihre Neigung zu dem Beklagten deutlich genug verriet. Sie hoffte noch auf seine Rettung und hatte es entschlossen auf sich genommen, selbst den Kaiser dafür zu gewinnen; sie hoffte – mit Trauer und Sorge dachte er daran – auch noch auf ihn selbst. Ach! er hätte ihr gern zu ihrem Sitz unter der breitästigen Linde hinüber gerufen: Spare den Weg und die Worte; wenn du mich auch rettest, dir bin ich doch verloren.

Jutta hatte eine Art zu bitten, der zu widerstehen es einer mit dreifachem Erz gepanzerten Brust bedurfte, und Kaiser Ludwig der Bayer war nicht blind und taub für spielende Frauenaugen und schmeichelnden Frauenmund. Durfte Albrecht aber die Freiheit aus Juttas Händen nehmen und dann nach einem trockenen Habedank damit abgehen?

Während er darüber sann und grübelte, befand sich die Äbtissin schon auf der Reise, deren nächstes Ziel die Wartburg war. Dort wollte sie ihre hohe Gönnerin, die Landgräfin Mathilde von Thüringen, um eine schriftliche Verwendung bei deren Vater, dem Kaiser bitten, damit sie sich eines gnädigen Empfanges bei ihm zu versehen habe. Sie baute auf die Großmut des ritterlichen Kaisers, wie sie kürzlich sein eigener Gefangener von ihm erfahren hatte. Seinen Jugendfreund und späteren Gegenkönig, Friedrich den Schönen von Österreich, den der Sieg des tapferen Schweppermann auf der Amfinger Heide in seine Hände lieferte, hatte er aus jahrelanger Haft erlöst, als Bruder in die Arme geschlossen und zum Mitregenten ernannt. Von dieser Hochherzigkeit erhoffte Jutta nun einen kaiserlichen Machtspruch zugunsten des Gefangenen der Stadt Quedlinburg.

Auf der Wartburg, wo sie bei ihrer einstigen Herrin die freundlichste Aufnahme fand, erfuhr sie, daß der Kaiser auf Schloß Trausnitz bei Landshut in Bayern Hof hielte, und reiste, mit einem förderlichen Handschreiben der Landgräfin ausgerüstet, nach wenigen Tagen genossener Gastfreundschaft dahin weiter. Ihr Gefolge bestand aus der Scholastika Fräulein Hedwig von Hakeborn, dem Stiftsmarschall Gerhard von Ditfurt, einem anderen jüngeren adeligen Dienstmann des Stiftes, einer Kammerfrau und sechs reisigen Knechten, die noch mehrere Packpferde am Zügel führten.

Die Gräfin Adelheid von Hallermund hatte zwar die Äbtissin gebeten, sie auf der Reise begleiten zu dürfen, allein Jutta, die während ihrer Abwesenheit die Leitung des Stiftes der Pröpstin Kunigunde von Woldenberg übergeben mußte, wünschte, daß ihr Freundin Adelheid jener etwas auf die Finger sähe und etwaigen Übergriffen derselben entgegenträte, zu welchem Zwecke sie die Kanonissin für alle Fälle mit geheimen Vollmachten versehen hatte. Eine Kapitularin aber mußte die Äbtissin als Ehrendame mitnehmen, und dazu hatte sie mit Absicht die hübsche, lustige und nicht allzu spröde Scholastika gewählt, die ganz das Zeug und sicher auch den guten Willen dazu hatte, den Herren am Hofe des Kaisers ein wenig die Köpfe zu verdrehen und ihr in der Beseitigung etwaiger Schwierigkeiten mit liebenswürdiger Gefälligkeit zu helfen.

Oda verlebte auf dem Schlosse keine fröhlichen Tage, denn die Äbtissin, bei der nach dem Begräbnis Siegfrieds die alte Eifersucht wieder erwacht war, hielt sie unter strenger Aufsicht und fortgesetzter Beobachtung. Beides fiel mit Juttas Abreise fort, denn wem die Äbtissin übel wollte, den suchte die Pröpstin in ihrem hartnäckigen Widerspruchsgeiste gegen die Domina nach Möglichkeit zu begünstigen, und während sie nun das Regiment führte, erwies sie Oda nur Liebes und Gutes. Auch die übrigen Konventualinnen, einschließlich Adelheids, begegneten der sehr Zurückhaltenden mit Freundlichkeit und ehrten ihren Gram über den Verlust ihres, wie sie glaubten, heimlich Verlobten mit rücksichtsvoller Teilnahme.

Schwer lastete auf Oda die traurige Gewißheit, daß Siegfried um ihretwillen den Tod gesucht hatte, und sie mußte sich fragen, ob sie nicht schuld daran wäre, indem sie vielleicht durch zu große Vertraulichkeit Hoffnungen in ihm erregt hätte, deren völlige Enttäuschung ihn zu dem verzweifelten Entschlusse getrieben hätte. Aber ihr tiefster Schmerz galt nicht dem toten Freunde, sondern dem lebenden Geliebten, um dessen Schicksal sie in einer beständigen Angst schwebte. Sie getraute sich nicht, ihrem Herzen durch ein befreiendes Aussprechen gegen eine der Konventualinnen Erleichterung zu verschaffen, und Eilika war bei aller Anhänglichkeit an sie doch immerhin nur ihre Dienerin und dazu ein gar geschwätzig Ding, bei dem ihr scheues Geheimnis in keiner sicheren Hut gewesen wäre. Allein ihre Verschwiegenheit auch gegen diese half ihr nichts. Die schlaue Zofe kam auch ohne ein abgelegtes Bekenntnis ihrer Herrin dahinter, und wie sie früher auf dem Regenstein bereit gewesen war, einer Verbindung Odas mit Siegfried Vorschub zu leisten, so war sie nun gewillt, einer solchen mit dem Grafen Albrecht die Wege zu ebnen, denn sie glaubte mit einer beneidenswerten Zuversicht an dessen baldige Befreiung und vermochte damit auch ihrer Herrin einige Beruhigung einzuflößen. Ihr Bundesgenosse bei diesem neuen Heiratsplane sollte wieder ihr getreuer Ritter mit dem langen Schnurrbart sein.

Bock von Schlanstedt hatte sich, um seinem gefangenen Herrn nahe zu bleiben, bei seinen guten Freunden, den Mönchen zu Sankt Wiperti eingenistet und eine rege Verbindung mit Eilika zu unterhalten gesucht. Eilika hatte sehr gern die Hand dazu geboten und war schon zu manchem Stelldichein mit dem sich immer verliebter gebärdenden Ritter gekommen, denn mit Florencius wurde es doch nichts, der schien ihr selber zu vornehm für sie.

Bock dagegen hatte mit ihm Freundschaft geschlossen, die zwar auf einem gegenseitigen Gefallenfinden aneinander beruhte, bei der aber Bock noch seine besondere Absicht hatte. Der lustige Stiftsschreiber war nämlich auch in der Stadt allgemein beliebt und hatte in allen Kreisen der Bürgerschaft Gönner und gute Freunde. Darum lag ihm Bock schon lange in den Ohren, daß er ihm durch seine vielen Bekanntschaften einmal Zutritt zu seinem Herrn verschaffen sollte, den Bock gern einmal wiedersehen und sprechen möchte, und Florencius hatte gelobt, alles zu tun, was in seinen Kräften stünde, diesen Wunsch des Ritters zu erfüllen.

Als nun Eilika ihrem beharrlichen Anbeter die Entdeckung mitteilte, die sie in dem Herzen ihrer Herrin gemacht hatte, sagte sie ihm zwar nichts, was dieser nicht länger und besser wußte als Eilika, aber der verschwiegene Mann hörte mit Freuden auch von dieser Seite die Bestätigung dessen, was ihm Siegfried in seiner letzten Stunde anvertraut hatte.

Und als Eilika ihrer Herrin Bocks Hoffnung verkündete, durch Vermittlung des Stiftsschreibers den Grafen Albrecht sprechen zu können, war Oda hoch erfreut darüber in dem heißen Verlangen, auf diesem Wege etwas über das Befinden des Geliebten und über die Möglichkeit seiner Rettung zu erfahren. Sie gab Eilika ein mit wertvollen Edelsteinen besetztes Geschmeide, damit Florencius nötigenfalls Mittel zur Bestechung der Wächter habe.

Dabei mußte man jedoch mit größter Vorsicht zu Werke gehen. Florencius gebrauchte eine lange Zeit, seine unverdächtige Annäherung an den Rathauswart vorzubereiten, und als er endlich soweit gekommen war, daß er Wärter und Schließer willig gemacht hatte, kehrte, ungemeldet und früher als erwartet, die Äbtissin von ihrer Reise an den Hof des Kaisers zurück.

Sie hatte gesiegt. Das Ergebnis ihrer mutigen Pilgerfahrt war die Freiheit des Grafen Albrecht.

Nach manchen Verhandlungen, Vorstellungen und Bitten hatte sie dem Kaiser den Bescheid abgerungen, der den Grafen aus der Gefangenschaft löste, wenn dieser sich den Bedingungen fügte, die in einem von der Äbtissin mitgebrachten Majestätsbriefe an die Stadt Quedlinburg enthalten waren.

Diese Bedingungen waren die folgenden. Der Graf sollte zwar Schirmvogt des freiweltlichen Stiftes bleiben, aber seiner Schirmvogtei über die Stadt Quedlinburg entsagen und diese fortan unabhängig von ihm sein. Die im Weichbild der Stadt belegenen Regenstein'schen Häuser und Höfe sollten der Stadt verfallen. Der Graf sollte die Gunteckenburg nicht wieder aufbauen und eine Meile im Umkreise der Stadt keine neue Befestigung, sei es Burg oder Haus, errichten dürfen und endlich in der Umwallung der Stadt sieben Mauertürme auf seine Kosten bauen lassen. Bei Annahme dieser Bedingungen seitens des Grafen sollte die Stadt ihn sofort in Freiheit setzen, und als besondere Gnade wollte ihr der Kaiser dann die hohe Gerichtsbarkeit über Hals und Hand verleihen, womit indessen keineswegs das Gericht unter dem hohen Baume gemeint war.

Der Rat nahm diese Bedingungen an, aber Graf Albrecht wies sie entschieden zurück.

Die Äbtissin war empört. Sie hatte sich seinetwegen den Mühen und Gefahren einer langen, beschwerlichen Reise in herbstlich rauhem Wetter ausgesetzt, hatte für ihn gesprochen und gestritten, hatte mit Hilfe ihrer unerschrockenen Begleiterin die Gunst und Fürsprache der kaiserlichen Räte und Paladine durch Mittel gewinnen müssen, über die sich die opferfähige Scholastika in vielsagenden Andeutungen gegen ihre jüngeren Stiftsgenossinnen erging, und hatte endlich Bedingungen für den Gefangenen erreicht, die ihm nicht die kleinste Abtretung von dem Besitzstande seiner Grafschaft zumuteten und im Vergleich mit dem dafür erkauften Werte des Lebens und der Freiheit noch ein billiger Preis zu nennen waren. Und das alles sollte sie umsonst getan haben? Sie hatte einen Dank von ihm erwartet, der ihre stolzesten Hoffnungen und heißesten Wünsche erfüllte, und statt dessen war seine Antwort ein trotziges Nein!?

Sie setzte sich hin und schrieb ihm einen geharnischten Brief, worin sie ihm seinen Undank ziemlich unverblümt vorhielt und ihn dringend zum Nachgeben ermahnte. Der Brief ward ihm durch Vermittlung des Rates übergeben, denn diesem war es sehr um das Zustandekommen des Vertrages zu tun, weil er der Stadt neben anderen Vorteilen die längst ersehnte Befreiung von der Schirmvogtei und die hohe Gerichtsbarkeit einbrachte, wogegen die zweifelhafte Genugtuung, einen so gefährlichen Mann, wie Graf Albrecht von Regenstein war und, so lang er lebte, auch für sie blieb, als Gefangenen in ihren Mauern zu halten, gar nicht in Betracht kommen konnte.

Aber auch der Brief beugte den harten Sinn des Grafen nicht. Er ließ der Schreiberin seinen tief empfundenen Dank für ihre Bemühungen um ihn, aber auch seinen festen Entschluß, auf diese Bedingungen nicht einzugehen, mitteilen, blieb in seinem Kasten und klirrte mit seiner Kette weiter.

Die Äbtissin geriet darüber in helle Verzweiflung und war vorläufig ratlos, was sie nun beginnen sollte. Sie ergab sich einem dumpfen Brüten über die abenteuerlichsten Pläne, zu jeder Tat, zum Äußersten bereit, das die Durchsetzung ihres Willens herbeiführen könnte. –

Endlich nahte die Stunde, in der Bock seinen Herrn heimlich sprechen sollte. Er wünschte, ihm einen Gruß Odas aus ihrem eigenen Munde bringen zu können, und erbat durch Eilika eine Zusammenkunft mit ihr, die ihm gern gewährt wurde. In der Krypta der Schloßkirche, wo die Konventualinnen zuweilen am Grabe der ersten Äbtissin Mathilde ein stilles Gebet zu verrichten pflegten, trafen sie sich.

»Bringt dem Grafen meinen freundlichsten Gruß, Herr Ritter,« sprach Oda, »und sagt ihm, ich ließe ihn herzlich bitten, die Bedingungen anzunehmen und damit die Freiheit zu gewinnen.«

»Und sonst habt Ihr mir nichts zu bestellen, gnädigstes Fräulein?« frug der Ritter.

»Nein,« erwiderte sie, »das ist genug.«

»Wollt Ihr mir nicht irgendein Zeichen, ein kleines Andenken für den Herrn Grafen zum Troste in seinem Kerker mitgeben?« frug er weiter.

»Was soll ich Euch geben?« erwiderte sie, »ich habe nichts bei mir; oder – hier! dieses Ringlein, es ist – Gott hab' sie selig! – ein Erbkleinod von meiner lieben Mutter. Das bringt ihm von mir.« Sie streifte einen schmalen Goldreif vom Finger und gab ihn dem beglückten Boten.

Er versprach ihr am nächsten Abend hier an derselben Stelle den Dank des Grafen zu übermitteln, und trat seinen Schleichweg mit dem Stiftsschreiber an.

Florencius hatte alles auf das sorgfältigste vorbereitet. Er brachte den Ritter glücklich in die Stadt, barg ihn bis zur Nacht bei einem sicheren Bekannten und führte ihn dann mit Hilfe der bestochenen Wächter durch ein Seitenpförtchen des Rathauses zum Kerker des Grafen, wo er ihn, sich mit dem Wärter zurückziehend, allein ließ. Bock stellte sich außen und der Graf innen an die durch einen eisernen Kreuzstab versperrte Öffnung, und so konnten sie miteinander reden.

Graf Albrecht, von dem Besuche seines treuen Dienstmannes freudig überrascht, vernahm den Gruß und die Bitte Odas mit bewegtem Herzen. Sie zürnt dir also nicht, sie haßt und verabscheut dich nicht! dachte er und drückte das von ihr kommende Ringlein gerührt an die Lippen.

»Das liebe Mädchen!« sprach er dann, »sie wünscht, daß ich mir Leben und Freiheit mit hohen Verschreibungen und großer Bürgschaft rette, aber sie versteht nicht, was mich das kosten soll. Die Demütigung ist zu groß und der Lohn zu gering.«

»Herr Graf,« sagte Bock, »haltet's Eurem geschworenen Manne zu Gnaden, aber das ist ein töricht Wort. Eine Schlappe nach soviel Siegen, was will das sagen? Nicht bloß Gräfin Oda, wie alle bitten Euch: gebt nach! Kommt! frischauf ins Feld! steigt wieder aufs Pferd und reitet uns voran zu Stoß und Fehde; wir folgen Euch in alle vier Winde und machen's wett, was die nichtswürdigen Städter Euch gefrevelt haben.«

»Es geht nicht, Bock,« entgegnete der Graf, »das Schicksal hat mir die Wege verlegt, und ich habe ein gebrochen Schwert.«

»Wir schmieden ein neues, Herr Graf!« sprach Bock lebhaft und dringend. »Was soll denn aus der Grafschaft und Eurem edlen Hause werden, wenn Ihr fehlt? Der Regenstein verlangt nach seinem Herrn.«

»Auf dem Regenstein ist es einsam und öde geworden,« erwiderte der Graf; »auf seinem Felsen blüht kein Glück mehr.«

»Wer weiß, Herr Graf!« sagte Bock, und seine gedämpfte Stimme klang wie ein fröhlicher Hornruf. »Vielleicht bringe ich Euch heute ein Glück, das Euch des Lebens und der Freiheit wert dünkt.«

Der Graf antwortete nicht; nur der Ton eines schweren Seufzers drang zu Bock, der nun fortfuhr: »Herr Graf, ich habe noch eine Botschaft an Euch von Graf Siegfried auszurichten.«

»Von Siegfried?« frug der Graf erstaunt. »Siegfried ist in meinen Armen gestorben; wie kannst du eine Botschaft von ihm haben?«

»Erst nach seinem Tode solltet Ihr's erfahren, und nur Euch selber sollt' ich es sagen, hat er mir befohlen, als ich ihn nach seiner Verwundung im Hohlwege auf den Rasen legte,« erwiderte Bock. »Ich habe Euch an dem Tage nicht mehr gesehen und konnte auch nicht eher zu Euch gelangen als heute.«

»Ach Bock!« sprach Albrecht dumpf, »ich rate, was es ist. Er hat dir gesagt, ich hätte ihn in den Tod geschickt.«

»Nein, nein, Herr Graf!« rief Bock, »ganz anders lautet die Botschaft. Ich soll Euch dieses sagen: Gräfin Oda hat dem Grafen Siegfried gestanden, daß sie nicht ihn, sondern Euch mit ihrer ganzen Seele liebte.«

Im Käfig klirrte die Kette, als hätte der Insasse eine rasche Bewegung gemacht. »Bock! Bock, was sagst du da?« klang es mit bebender Stimme aus der Finsternis heraus. »Weißt du auch, was du sprichst?«

»Wort für Wort, Herr Graf!« beteuerte Bock. »Ich habe es unserem lieben Grafen Siegfried in seiner Todesstunde geloben müssen, Euch dieses Geheimnis mitzuteilen, das Euch selber zu vertrauen ihm von der Gräfin Oda streng verboten war.«

»Bock, guter, treuer Mensch, besinne dich!« sprach der Graf, und seine Stimme klang wie ein rührendes, brünstiges Flehen aus der Dunkelheit des Kastens, »besinne dich wohl, daß du mir nichts sagst, was nicht ganz genau wahr und richtig ist. Du mußt denken, Bock, von deinen Worten hinge mein Leben ab!«

»Auf Ehr und Eid, Herr Graf!« erwiderte Bock, »ich habe Euch die reine Wahrheit gesagt, kein Wort mehr und keines weniger, als mir Graf Siegfried kurz vor seinem Scheiden aus diesem Leben Euch zu sagen geboten hat.«

»Wirklich? wirklich? ist es wahr, Bock? – O Gott! o Gott! sie liebt mich! sie liebt mich!« flüsterte der Graf, bis in den Grund erschüttert. – »Und ich, ich liege hier in Schmach und Schanden, angekettet wie ein bissiger Hund?!« rief er plötzlich in einer rasenden Wildheit. »Macht auf! ich will heraus! Bock, hilf doch! hast du kein Eisen? schlage zu, Bock! brich auf! ich will los, ich will heraus!« So schrie er wütend und riß an seiner Kette und tobte gegen die Wände seines Käfigs, daß die starken Bohlen in ihren Fugen krachten.

Der Kerkermeister sprang erschrocken herzu und mahnte: »Ruhig! ruhig, Herr Graf! Ihr weckt ja mit dem Lärm die Leute im Rathaus, Ihr weckt die Bürger in der Stadt, sie müssen es ja auf dem Markte hören.«

»Sie sollen es hören!« schrie der Graf mit furchtbarer Stimme. »Laß sie kommen mit ihrem verfluchten Geklexe! ich will alles tun, was sie verlangen, ich will alles unterschreiben, alles geloben, alles beschwören, aber frei will ich sein, frei, nur frei!«

»Morgen könnt Ihr frei sein, wenn Ihr es wollt!« rief nun Bock durch die Öffnung zum Grafen hinein.

»Meinst du, Bock? meinst du, daß sie mir Wort halten und mich herauslassen?« antwortete der Graf von innen. »Schaffe mir die Freiheit, Bock, und bringe mich zu ihr! Nichts anderes will ich mehr, aber die Freiheit, Bock! und ein Schwert und ein Pferd und sie, die mich liebt, ohne die ich nicht leben will!«

»Morgen, morgen, Herr Graf!« sagte Bock.

»Morgen? Wann siehst du sie wieder, Bock?« frug er nun ruhiger.

»Morgen abend in der Krypta.«

So sagte ihr, daß ich die Bedingungen des Kaisers annähme, weil sie es wünschte, nur weil sie es wünschte, Bock! Weiter sagst du ihr nichts, und sie soll es noch verschweigen und du auch, Bock. Sobald ich frei bin, will ich sie sprechen, aber allein, unter vier Augen. Kannst du das machen?«

»Gewiß, Herr Graf!« erwiderte Bock, »in der Krypta. Niemand fällt es auf, wenn sie dahingeht; ich bringe Euch zu ihr, und Florencius hilft uns. Kommt nur ins Kloster, sobald Ihr frei seid, und überlaßt das Übrige uns.«

»Gut, Bock, gut! morgen lasse ich dem Rate melden, daß ich meine Freiheit wieder haben will.«

»Herr Graf,« sagte Bock, »Florencius sieht Gräfin Oda schon morgen früh. Darf er es ihr nicht melden? er ist zuverlässig und verschwiegen, er hat mich zu Euch geführt, ohne ihn wäre ich nicht hier.«

»Ja, Bock! laß es Florencius ihr sagen; ist er hier?«

Bock rief den Stiftsschreiber heran. »Habt Dank, braver Freund! hier ist meine Hand,« sprach Albrecht und streckte ihm die halbe Hand durch das Eisenkreuz. »Bock wird Euch um eine Botschaft an die Gräfin Oda bitten, richtet sie gut aus!«

»Sicher, Herr Graf! verlaßt Euch darauf!« erwiderte Florencius, »aber nun müssen wir fort, ehe die Wache wechselt.«

»Geht! geht! bald sehen wir uns wieder!« sagte der Graf bewegt und zwängte noch einmal seine Hand durch das Eisengitter, die sie beide in ihrer großen Freude über seinen Entschluß herzlich drückten. Dann schlichen sie davon und ließen in dem engen düstern Kasten einen Glücklichen.


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