Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Als sich im Osten über den weit sichtbaren Klippen der Gegensteine die Sonne erhob und von der Talsenkung aus Gründen und Schluchten die weißen Nebel vertrieb, da ward es lebendig um den Regenstein, und an seinem nun taufeuchten, bewaldeten Abhange blinkten spiegelnde Waffen. Vor dem Burgtor erschien ein Hornbläser und schmetterte einen Anruf hinauf, den der Türmer sofort erwiderte. Neben ihm stand ein Gepanzerter, der den Rittergurt trug und einen Fichtenzweig in der Hand hielt zum Zeichen, daß er als Herold kam. Er verlangte den Burgherrn zu sprechen oder seinen ersten Dienstmann. Graf Albrecht sowohl wie Bock waren bereits geweckt, und letzterer eilte soeben herbei. Er frug von der Mauer herab nach dem Begehren des Fremden, und der sprach nun mit lauter Stimme:

»Ich bin der Ritter Bosse von Silda. Mein Lehensherr, der hochedle und hochgeborene Graf Hoyer von Falkenstein, entbietet durch mich dem Grafen Albrecht von Regenstein seinen ritterlichen Gruß und verlangt, daß ihr uns sein Schwesterlein, die Gräfin Oda, die ihr wider Recht und Billigkeit hier gefangen haltet, stracks herausgebt. Sofern ihr das aber nicht ohne Verzug in gutem Frieden tut, wollen wir euch mit Heimsuchung anfallen, vor eurer Burg lagerhaftig bleiben, mit Feuer und Schwert, mit Berennen und Stürmen euch Schaden und Abbruch tun, wie wir nur wissen und können, und nicht eher abweichen, als bis ihr uns das Tor auftut und das Fräulein ungekränkt und unversehrt in unsere Hände liefert. Wir sind mit unseren guten Freunden und Genossen an die vierhundert Mann zu Roß und zu Fuß mit Sturmzeug und Kriegsgerät, und ihr dürft keinen Zuzug erwarten, weder an reisig Volk, noch zu eures Leibes Nahrung und Notdurft. Damit habt ihr unsere Absage; nun sorget um eine wohlbedachte Antwort von Eurem Herrn.«

»Die kann ich euch gleich selber geben,« rief Bock von oben herab. »Ich bin der Ritter Bock von Schlanstedt und schere mich mitsamt meinem gnädigen Herrn den Teufel um eure Heimsuchung. Das Fräulein kriegt ihr nicht, und Zuzug brauchen wir nicht, haben reisig Volk und Kriegszeug eher zu viel als zu wenig, und unsere Kammern, Scheunen und Ställe sind rammel-stoppen-voll, denn wir wußten, daß ihr kommen würdet. Wenn ihr also nicht mit langer Nase wieder abziehen wollt, so bleibt meinetwegen liegen, wo ihr liegt; wer uns aber von euren Vierhundert zu nahe an die Mauern kommt, dem schmieren wir eins über den Kopf! Damit habt ihr unsere Antwort, wenn ihr sie von dem Grafen selber noch einmal hören wollt, so will ich ihn rufen lassen; ist aber nicht nötig.«

»Nein, ist nicht nötig,« sprach Graf Albrecht, der jetzt ebenfalls auf den Zingeln des Torturmes erschien. »Was ist der Herren Begehr?« frug er den Untenstehenden.

»Die Auslieferung der Gräfin Oda von Falkenstein,« rief der Herold herauf.

»Wird verweigert ohne jede Verhandlung darüber!« rief Albrecht hinab. »Wer führt euch als Feldoberster?«

»Graf Berthold von Blankenburg.«

»Ich dachte mir's,« lachte der Graf. »Und wer ist der Hauptmann der Bischöflichen?«

»Ritter Rudolf von Dorstadt.«

»Natürlich! Also sagt den Herren, sie möchten sich die Zeit nicht lang werden lassen, bis wir das Tor auftäten und sie zum Imbiß lüden,« sprach Albrecht und stieg wieder vom Turme herab, um die nötigen Befehle zu geben.

»Hätt' ich doch nur den gottverfluchten Hund von Verräter, den Schabernack gestern nicht auf den Klauen gelassen!« sagte Bock, als er an der Brustwehr der Mauern entlang schritt und der Besatzung den Verteidigungsdienst einschärfte.

Trotz der großen Worte Bocks vom Turme herab war die Lage der Burgbewohner eine sehr ernste. Der Regenstein war ja vermöge seiner natürlichen Beschaffenheit mit einer verhältnismäßig geringen Mannschaft leicht zu verteidigen und bei gehöriger Wachsamkeit eine Überwältigung mit stürmender Hand kaum zu befürchten. Aber eine dauernde Belagerung brachte darum eine große Gefahr mit sich, weil man sie nicht im entferntesten vermutet und daher nicht daran gedacht hatte, die Burg mit für längere Zeit ausreichenden Lebensmitteln zu versorgen.

Albrecht ließ auf dem Bergfried das Notzeichen aufziehen, um Bernhard von dem Überfall zu benachrichtigen. Konnte auch die Besatzung der Heimburg allein gegen die Masse der Feinde nichts ausrichten, so konnte doch Bernhard durch Aussendung von Boten Hilfe herbeischaffen. Allein sofort meldete dasselbe Zeichen vom Turme drüben, daß der Feind diese Möglichkeit der Rettung vorausgesehen und durch Umschließung auch der Heimburg abgeschnitten hatte. Vom Regenstein aus bemerkte man nun auch in einem weiten Umkreise ausgestellte Wachen und ausgeschwärmte Reiter, augenscheinlich in der Absicht, jeden sich Nähernden zurückzuweisen, damit keine Kunde von der Belagerung in die Umgegend dringen konnte. Die Regensteiner konnten also vorläufig nicht auf Entsatz hoffen.

Die Reisigen und Knechte waren bis auf den letzten Mann guten Mutes, dann Graf Albrecht war ja bei ihnen. Seine Ruhe und Festigkeit, sein sicherer Blick und die Klarheit und Bestimmtheit seiner Befehle flößten ihnen ein unbegrenztes Vertrauen ein. Die schwächsten Punkte der Feste wurden am stärksten besetzt und am reichlichsten mit Kriegsgerät versehen, auch am Burgtore die sorgfältigsten Vorkehrungen getroffen; aber es erfolgte noch kein ernsthafter Angriff. Nur ein leichtes Schützengefecht entspann sich allmählich; aus dem Gebüsch und hinter den Klippen hervor schwirrten Armbrustpfeile zu den Zingeln hinauf und ebenso von dort hinunter. Die Belagerten sandten den Feinden auch größere Wurfgeschosse von mächtigen Fischbeinbogen, die auf hölzernen Gestellen ruhten, weil sie zum Halten viel zu schwer waren. Auch Fußangeln streuten sie, soweit sie von der Mauer werfen konnten, rings umher in das Gebüsch, vierspitzige eiserne Dornen, die, wie sie auch fielen, stets mit einem Stachel nach oben lagen, für Mann und Roß gefährlich.

Hätte Graf Albrecht nur sich und seine Burg zu verteidigen gehabt, so wäre seine Sorge nicht halb so groß gewesen als sie war, weil er Oda zu schützen hatte, die ja der Preis des Kampfes war. Ihn marterte der Gedanke, wenn die Einschließung lange dauerte, auch ihr Entbehrungen auferlegen und sie zuletzt, wenn kein Entsatz kam, vom Hunger zum äußersten getrieben, doch noch ausliefern zu müssen. Am liebsten hätte er ihr auch jetzt noch verschwiegen, daß nur um ihretwillen der Feind vor der Burg lag. Aber das war nicht möglich; sie würde es erraten, wenn er es ihr verhehlte, und es hatten zu viele Knechte die Aufforderung des Ritters Bosse von Silda gehört, als daß sie ein Geheimnis bleiben konnte.

Wirklich erfuhr auch Oda die Wahrheit schon in den ersten Stunden, und nicht in schonender Weise von Albrecht oder Siegfried, sondern von der darüber aufs höchste bestürzten Eilika.

Als der würdige Ritter Bock von Schlanstedt im Vollgefühl seiner Unersetzbarkeit, die Sturmhaube auf dem Kopfe und die eisengeflochtene Helmkapuze um Hals, Kinn und Ohren, so daß nur das Gesicht mit den Kampfmut blitzenden Augen daraus hervorsah, wie besessen zwischen der Mauer und dem Rüsthause hin und her rannte, begegnete ihm auf dem Burghofe sein angebetetes Ehrenwadel, der die Unruhe am frühen Morgen auffiel, so daß sie nach der Ursache derselben frug.

»Ha! für Euch! Alles für Euch, liebholdeste Jungfrau!« rief Bock begeistert. »Wir sind eingeschlossen, Graf Hoyer verlangt Eure Auslieferung. Die Falkenstein'schen, die Blankenburger, Wernigeröder und Bischöflichen liegen draußen und wollen uns berennen, um Euch herauszuholen!«

»Ach du mein Himmel, das ist ja fürchterlich! Herr Ritter, liebster, bester Herr Ritter! Habt Erbarmen und liefert uns nicht aus!« jammerte die geängstigte Zofe händeringend. »Sie wollen uns ins Kloster stecken, ach du lieber Gott, ins Kloster!«

»Habt keine Bange, liebe Jungfer Eilika,« erwiderte Bock großartig, »dieser Arm und dieses Schwert schützen Eure Unschuld! Wir liefern Euch nicht aus, so lange wir etwas zu brechen und zu beißen haben und dann – –« die letzten Worte verhallten im Innern des Rüsthauses, in welches der Vielbeschäftigte eilfertig verschwunden war.

Eilika lief zu ihrer jungen Herrin und überbrachte dieser die bedrohliche Kunde. Auch Oda erschrak und warf sich mit zitternder Hast in die Kleider, um mit dem Grafen Albrecht zu sprechen.

Sie traf ihn gerüstet und gewappnet von den östlichen Werken kommend, und da er ihr auf den ersten Blick ansah, daß sie schon alles wußte, suchte er sie zu beruhigen, indem er lächelnd sagte: »Sorget Euch nicht, liebe Oda! Ihr seid hier sicher und geborgen. Der Regenstein ist nicht zu erstürmen, es kommt kein feindlicher Mann zum Tore herein oder über die Bauern; sie werden bald wieder abziehen, aber ohne Euch.«

»Laßt mich lieber mit ihnen ziehen, Herr Graf,« erwiderte sie traurig aber gefaßt, »um mich soll kein Schwertschlag fallen; ich gehe, damit Ihr Frieden habt.«

»Mitnichten, Gräfin Oda! Ihr werdet den Regenstein nicht verlassen,« sprach er bestimmt. »Ihr dient denen da draußen nur zum Vorwande. Das ist eine alte Feindschaft, und die Rechnung zwischen jenen und mir ist allmählich etwas aufgelaufen, sie muß endlich einmal beglichen werden.«

»So nehmet ihnen den Vorwand, indem Ihr mich ihnen übergebt,« erwiderte sie. »Ich bringe Euch nur Unglück ins Haus.«

»Oda!« – der Ton, mit dem er ihren Namen sprach, und der Blick, mit dem er sie dabei ansah, kamen ihm aus tiefstem Herzen. Sie blickte verlegen zu Boden.

»Gebt mir die Hand,« fuhr er fort, »bleibt, wie Ihr bisher auf meine Bitte geblieben seid! nicht wahr? Ihr tut es gern.«

Da konnte sie nicht widerstehen; sie wollte bei ihm aushalten, ihn auch in der Not nicht verlassen. Und wie sie schon mehr als einmal in demselben Streite der Gefühle getan hatte, reichte sie ihm auch heute wieder die Hand und dachte: Wenn du nicht mit ihm leben kannst, so kannst du vielleicht mit ihm sterben.

»Ihr wollt es, Herr Graf!« sprach sie mit schimmernden Augen, aus denen doch eine hingebende Freude glänzte, »und wenn diese schwache Hand Euch nützen kann, so gebietet; Ihr sollt mich zu jedem Dienste bereit und willig finden.«

»Wenn ich Euch nur heiter und zufrieden sehe,« erwiderte er freundlich; »mehr verlange ich nicht.«

Auf dem Wege zum Palas begegnete ihnen Siegfried, ebenfalls in voller Rüstung und mit strahlendem Gesicht, glücklich, für Oda kämpfen, sie mit Wagnis seines Lebens schützen zu können. Er sprach zuversichtliche, fröhliche Worte mit ihr, die zwar nicht so prahlerisch klangen, als wenn Bock seine vor dem Kloster zitternde Eilika trösten wollte und mit seinen hochtrabenden Redensarten von blutigen Taten und sich für sie in Stücke-hacken-lassen das Gegenteil erreichte, die aber voll überschäumender Streitlust auch nicht gerade zur Beruhigung Odas beitragen konnten. Ganz ärgerlich sagte er zu Albrecht: »Sie kommen nicht heran; ich glaube wahrhaftig, sie haben gar kein Sturmzeug mitgebracht!«

»Wohl möglich,« erwiderte Albrecht, obwohl er anderer Meinung war, die er nur in Odas Gegenwart nicht aussprechen wollte.

Siegfried wich und wankte nicht von den Mauern, war immer an den gefährlichsten Stellen und suchte die Feinde zu einem Angriff herauszufordern und zu reizen. Als aber ein solcher auch nicht am zweiten und nicht am dritten Tage der Einschließung erfolgte, wußte sich Albrecht dieses auffällige Zögern nicht zu erklären und glaubte, sich mit dem untätigen Abwarten und der strengsten Wachsamkeit bei Tag und Nacht nicht begnügen zu dürfen. Abgezogen war der Feind nicht; sollte er zu schwach sein, um einen Sturm zu wagen? Darüber mußte sich Albrecht Klarheit verschaffen, und er beschloß, zu diesem Zwecke einen Ausfall zu machen.

Die Belagerer hatten vor den Belagerten den großen Vorteil, daß der Regenstein zwar mehrere Angriffspunkte, aber nur ein einziges Ausfalltor hatte, so daß Albrecht den Feind nicht von zwei Seiten zugleich angreifen konnte.

In der Frühe des nächsten Morgens wurde der Ausfall unter Albrechts Befehl ausgeführt. Es sollte nur ein kleiner Vorstoß sein, und nur ein kleines Häuflein konnte dazu verwandt werden, um die Mauern nicht zu sehr von Verteidigern zu entblößen.

Die vordersten feindlichen Wachen wurden allerdings überrascht und geworfen, aber sie erhielten schnell von allen Seiten Beistand, und nach einem kurzen, heißen Gefecht mußte sich Albrecht vor der Übermacht eilig zurückziehen, um nicht umgangen und von der Burg abgeschnitten zu werden. Siegfried ging in blinder Wut so weit vor, daß er auf Albrechts endlich zornigen Ruf gar nicht mehr hörte und unzweifelhaft gefangen genommen wäre, wenn nicht Bock, der die Unvorsichtigkeit des Tollkühnen zur rechten Zeit bemerkte, ihm mit seinen Getreuen wie eine Leibwache gefolgt wäre und ihn mit großer Gefahr aus dem Gedränge herausgehauen hätte. In dem Gebüsch, zwischen Bäumen und Steinen war ein beschwerliches Kämpfen; deckten auch die Klippen den Fechtenden den Rücken, so verhinderten sie auch die freie Umsicht und boten Hinterhalte und Gelegenheit zum Anschleichen. Von den Regenstein'schen fielen drei Mann, ein für sie schon empfindlicher Verlust; den schwer verwundeten Rupfer von der bösen Sieben konnten sie noch mit Mühe und Not in die Burg hinein retten. Zu den leichter Verwundeten gehörte auch Siegfried; er hatte einen Kolbenschlag auf den Kopf bekommen, den seine gute Stahlhaube aushielt, weil Bock die stärkste Wucht des Schlages noch so ziemlich abgefangen hatte. Aber Siegfried wankte doch und wäre umgesunken, hätte ihn Gutdünkel nicht gehalten und zurückgeführt, während Bock mit anderen die scharf nachdringenden Feinde abwehrte. Unter Albrechts Hilfe, der mit seiner Streitaxt wuchtige Hiebe austeilte und sich dabei sehr aussetzte, dem aber die Seinigen in diesem gefährlichsten Augenblick opfermutig und tapfer zur Seite blieben, erreichten sie glücklich das Tor, das sich schnell hinter dem Letzten schloß. Dieser Letzte war der alte Werwolf Nothnagel.

Albrecht war sehr böse auf Siegfried und machte ihm zu seinem dröhnenden Kopfe noch bittere Vorwürfe. Von der Stärke des Feindes hatte er sich nun überzeugt; an ein Zurückdrängen desselben im offenen Kampfe war nicht zu denken.

Auch Bock hatte eine Beule an der Schulter davongetragen und einen Stich in den Oberschenkel erhalten, den aber der Kettenpanzer am Eindringen gehindert hatte, so daß er aus beiden nicht viel machte und nur Eilika gegenüber stolz darauf war, ein paar Tropfen Blut für sie verloren zu haben. Er schonte sich nicht und blieb in seinem rastlosen Dienste, während sich Siegfried Odas Pflege gefallen lassen mußte. Er blickte selig lächelnd zu ihr auf, wenn sie ihm mit leichter, sanfter Hand nasse Tücher auf die Stirn legte, und auch sie war glücklich, ihm die Schmerzen, die er für sie erduldete, lindern und sich nützlich machen zu können. Aber in ihrem innersten Herzen dachte sie: wenn sie doch Albrecht einmal so pflegen könnte! und war doch wieder sehr froh, daß er's nicht nötig hatte.

Am nächsten Tage antworteten die Belagerer auf den Ausfall endlich mit einer Berennung der südöstlichen Mauern, die aber nach hartnäckigem Ringen und ohne Verlust für die Belagerten zurückgeschlagen wurde. Siegfried durfte zu seinem größten Leidwesen dabei nicht mitkämpfen, weil er die Stahlhaube noch nicht wieder aufsetzen konnte.

Beide Teile hatten nun, der eine durch den erfolglosen Ausfall, der andere durch den mißglückten Sturm, die Stärke des Gegners erprobt und ließen sich von jetzt ab unbehelligt. Albrecht erkannte aus dem Verhalten der Feinde ihre Absicht, ihn auszuhungern, was ihn mit wachsender Sorge erfüllen mußte, denn nach Berechnung der vorhandenen Lebensmittel konnte er sich kaum länger als zwei Wochen halten; ein Glück noch war der abgrundtiefe, unversiegliche Brunnen auf dem Burghof.

Sehnsüchtig schauten Albrecht, Siegfried und Oda von der Höhe des Felsens nach einem heranziehenden Ersatz aus. Oda blieb den größten Teil des Tages oben wie ein ausgestellter Wachposten, hielt die Hand über die Augen und spähte, ob sich in der Ferne nicht blitzende Helme und ragende Speere zeigen wollten. Sie malte es sich so lustig aus, wie sie die Stufen hinab fliegen und Albrecht zujubeln wollte: Sie kommen, sie kommen, zu Roß und zu Fuß! Aber sie kamen nicht, und Oda wurde mit jedem Tage niedergeschlagener. Um ihretwillen war die Fehde entbrannt, um ihretwillen war Blut geflossen, hatte es Verwundete und Tote gegeben, zu welchen letzteren um ein Haar Siegfried gehört hätte, und wer wollte ermessen, welche Opfer der Kampf noch kosten würde. Sie wagte es nicht, Albrecht noch einmal den Vorschlag zu ihrer Auslieferung zu machen, aber es las es ihr vom Gesichte, wie sie sich grämte und härmte.

Das konnte er nicht länger mehr mit ansehen, und er strengte seine Gedanken an und sann und suchte, wie er durch Kriegslist oder Gewaltstreich sich und die Seinen aus ihrer Notlage befreien könnte.

Endlich tauchte ihm ein Plan auf, fast traumhaft und abenteuerlich, aber wie er ihn näher und näher erwog und durchdachte, da reifte ihm der Plan zum Entschlusse und stand nun fest in ihm als ein unbeugsamer Wille. Es war eine überaus kühne Tat, und wer sie wagte, der wagte sein Leben; aber wie oft hatte Albrecht das schon getan! und diesmal war es für Oda.

»Siegfried,« sprach er zum Bruder, »wenn uns von selber keine Hilfe kommt, so müssen wir welche herbeiholen, und ich werde es sein, der das auf sich nimmt. – Wie ich durchwill, meinst du? höre mich an! Wir haben nur einen Weg, der offen und frei ist, den der Feind nicht sperrt und bewacht, an den der gar nicht denkt, und diesen einzigen Weg werde ich gehen, – dort, den Felsen hinab!«

»Albrecht! ist das Scherz oder Ernst?« frug Siegfried verblüfft.

»Mein voller Ernst,« erwiderte Albrecht. »Ihr laßt mich in der Nacht an Seilen hinab, ich schleiche mich nach Ditfurt, schicke von dort nach den Burgen, nehme selber ein Pferd, hole den Grafen Burchard von Mansfeld, der wieder Boten nach Stolberg und Hohnstein senden muß, und in drei, längstens vier Tagen bin ich mit einem stattlichen Haufen zur Stelle und mache euch frei. So lange könnt Ihr euch halten, und komme ich glücklich und unangetastet durch, so kann es nicht fehlen; also vorwärts, rufe Bock!«

»Aber warum mußt du es denn sein, der auf diesem fürchterlichen Wege sein Leben einsetzt und durch Nacht und Nebel als Bote schleicht?« hielt ihm Siegfried entgegen, »das kommt doch viel eher mir zu als dir, unser aller Herrn. Denke, wenn du stürztest oder gefangen würdest! Was fingen wir an ohne dich?«

»Ich muß es sein,« sprach Albrecht. »Du bleibst bei Oda, bist ihr Schirm und Schutz fürs ganze Leben, darfst nicht fallen, sie nicht zur Witwe machen, ehe sie mal dein Weib war.«

Aber Siegfried bat noch einmal: »Laß mich hinabsteigen, Albrecht! Du bist hier nötiger als ich. Mit Freuden übernehm ich's. Albrecht, laß mich auch einmal etwas Ordentliches tun!«

»Kein Wort mehr!« gebot Albrecht. »Ich will es sein, der den Weg geht und mit einem Heere wiederkommt, das ich führen und im Kampfe befehligen kann, aber nicht du.«

Das mußte Siegfried zugeben. »Noch eins!« sprach Albrecht. »Oda erfährt heute nichts davon! erst morgen, wenn ich fort bin, sagst du es ihr.«

Nun wurde Bock in das Geheimnis eingeweiht; auch er erbot sich sofort zu dem Wagnis an Stelle seines Herrn, wurde aber von diesem ebenso entschieden davon zurückgewiesen wie Siegfried. Dann schritt man in aller Stille zu den Vorbereitungen.

An der Kette des Ziehbrunnens, die von der Welle abgelöst und noch durch starke Taue verlängert, hoffentlich ausreichte, sollte Albrecht etwas vor Mitternacht an der schroffsten und glattesten Stelle des Absturzes in Gegenwart Siegfrieds und Bocks von dem Waffenmeister Klinkhard und zwei Knechten hinabgelassen werden. So lange auf dem Regenstein alles gut stände, sollte Siegfried den roten Wimpel vom Turme flattern lassen, damit Albrecht bei seiner Rückkehr mit den Bundesgenossen schon von weitem sähe, daß er nicht zu spät käme. Ein eigenartiger Hornruf sollte dann das Zeichen zum Angriff sein, den Siegfried durch einen Ausfall der ganzen Besatzung unterstützen sollte.

So war alles verabredet und bestimmt, und es hatte auch keine Schwierigkeit, Albrechts gefahrvolles Vorhaben bis zur vollendeten Ausführung Oda zu verheimlichen, um sie nicht in Aufregung und Angst zu versetzen. Seit Beginn der Belagerung hielten Albrecht, Siegfried und Bock der Reihe nach abwechselnd Nachtwache, so daß einer von ihnen in Wehr und Waffen die Nacht aufblieb und öfter einen Rundgang machte, um die Wachen zu beaufsichtigen. Die anderen beiden leisteten diesem stets noch eine gute Weile über die gewöhnliche Schlafenszeit hinaus Gesellschaft. Es hatte daher für Oda nichts Auffälliges, da sich die Grafen noch nicht zur Ruhe begaben, wenn sie ihnen Gute Nacht sagte. Albrecht, der mit der Nachtwache an der Reihe war, antwortete ihr auch heute nicht anders, als er allabendlich tat, nur daß er ihr einen unsäglich liebevollen Blick schenkte; konnte er doch nicht wissen, ob es nicht der letzte war.

Als die Stunde gekommen war, stiegen die drei Männer zum Felsen empor, Albrecht in Panzer und Sturmhaube, mit Schwert und Dolch bewaffnet und in einen dunklen Mantel gehüllt. Oben harrten ihrer schon Klinkhard, Nothnagel und Schatte mit der bereitgelegten Kette.

Die Nacht war sternenklar, der Mond sollte nach Mitternacht aufgehen, und es war hell genug, um mehrere Schritte weit sehen zu können. Die Tiefe aber lag schwarz und unergründlich vor den Lauschenden da, und trotz der vollkommenen Stille drang nicht der leiseste Ton von unten herauf. Am Ende der Kette war ein Querholz befestigt, auf das sich Albrecht rittlings setzen sollte; ein damit verbundenes Seil ward ihm um den Leib geschlungen, so daß er Hände und Füße frei hatte, um sich beim Hinabschweben gegen den Felsen stemmen zu können. Während sie ihn festbanden, empfahl er still dem Allbarmherzigen seine Seele; dann umarmte er Siegfried, drückte den anderen, auch den beiden Knechten, die Hand zum Abschied und kletterte, während Klinkhard, Nothnagel und Schatte die Kette straff hielten, über den Rand des Absturzes hinaus.

Die fünf Zurückbleibenden überlief ein kalter Schauer, als sie ihren geliebten Herren auf diesem furchtbaren Wege in der Dunkelheit verschwinden sahen. Keiner sprach ein Wort; sie hörten, wie er mit den eisenbeschuhten Füßen gegen den Felsen trat und dann und wann ein paar losgelöste Brocken in die Tiefe rollten. Bald aber erstarb das Geräusch; nur die Kette, die sie langsam, Zoll um Zoll, nachließen, klirrte und scharrte leise über das Gestein, und auch dieser Ton verstummte, als die Kette zu Ende war und nun auch das daran geknüpfte Tau immer weiter und weiter hinabglitt.

Eine bange Viertelstunde verging in der steten Sorge, ob Tau und Kette auch halten und tief genug hinablangen würden. Plötzlich fühlte sie, daß kein Gewicht mehr daran hing. War die Kette zerrissen? oder in einer Felsspalte eingeklemmt? war der Graf abgestürzt? oder hatte er den Boden erreicht? Sie warteten eine Weile und zogen dann vorsichtig an. Die Kette war frei und gab nach, und als sie das Ende wieder oben hatten, fanden sie das Seil, das der Graf um den Leib gehabt hatte, um das Querholz gewickelt; er war also lebend und gerettet unten angekommen, das grausige Wagestück war gelungen.

Erleichterten Herzens verließen die Fünf den Ort der heldenmütigen Tat ihres Herren, und Bock übernahm die Wache für ihn.

Siegfried war am Morgen wieder früh bei Wege, erfüllt von dem stolzen Gefühl, Odas Beschützer und Befehlshaber der großen, im Kriegszustande befindlichen Burg zu sein. Er beauftragte Bock, den Reisigen und Knechten mitzuteilen, daß, wie und zu welchem Zwecke Albrecht den Regenstein verlassen hatte, damit sie in der Hoffnung auf baldigen Entsatz ihren Dienst desto freudiger täten. Noch in der Nacht hatte er lange überlegt, wie er sich damit gegen Oda verhalten sollt. Bei ihrer beständigen Furcht vor den Gefahren, denen sich die Brüder ihretwegen aussetzten, und ihrem selbstquälerischen Gram darüber, als hätte sie allein diese Gefahren heraufbeschworen und verschuldet, durfte er ihr ein so mit dem Leben spielendes Wagnis, wie Albrechts Fahrt den Felsen hinab, auch jetzt noch, nachdem es geglückt, nur in der vorsichtigsten Weise beibringen, wenn er ihr nicht einen Todesschrecken einjagen wollte.

Den ersten Morgenimbiß genossen Albrecht und Siegfried während der Belagerung nicht zu bestimmter Stunde, sondern wann jeder Zeit hatte, so daß Oda bei ihrem Frühmahl oft allein blieb. So hatte sie es auch heute schon beendet, als Siegfried zu ihr in die Halle trat.

Gleich frug sie ihn: »Hat Graf Albrecht in der Nachtwache mit Euch oder dem Ritter Bock getauscht?«

»Wieso?« entgegnete Siegfried.

»Es war nicht sein Schritt, den ich diese Nacht über den Burghof schallen hörte,« behauptete sie.

»Kennt Ihr Albrechts Schritt denn so genau?« frug er erstaunt.

Gern hätte sie gesagt: ja, ganz genau! aber damit hätte sie zuviel verraten; so wußte sie nicht, was sie darauf erwidern sollte.

»Ihr habt recht gehört,« fuhr Siegfried fort, als sie nicht antwortete. »Bock hat diese Nacht die Wache getan.«

»Warum das?« frug sie wieder, »Euer Bruder war doch an der Reihe. Ist Graf Albrecht nicht wohl? wo ist er?«

Wo ist er? Dieser einfachen, schnurgeraden Frage gegenüber kam er in große Verlegenheit. Was sollte er nun sagen? Sie wartete auf Antwort.

»Albrecht ist – fort,« kam es unsicher und zögernd heraus.

»Fort?!«

»Ja, – er ist fort vom Regenstein.« Siegfried war überzeugt, daß er das mit dem dümmsten Gesichte sagte, das er je in seinem Leben gemacht hatte.

Oda schwieg und blickte ihn grübelnd an, als hätte er in fremder Sprache zu ihr geredet und sie ihn nicht recht verstanden. Plötzlich verwandelten sich ihre Züge zu dem Ausdruck des Entsetzens, und überstürzt frug sie: »Hat es in der Nacht einen Kampf gegeben? hat sich der Graf allein hinausgewagt? ist er gefangen?«

»Nein,« erwiderte Siegfried, »er hat sich durchgeschlichen, um Hilfe zu holen.«

»Sich durchgeschlichen? mitten durch die Feinde?« sprach sie ungläubig und fügte erregt hinzu: »Graf Siegfried, Ihr verbergt mir etwas. Sagt alles auf einmal! was ist geschehen? wo ist Graf Albrecht?«

Siegfried fühlte sich angesichts dieser plötzlich auflodernden Heftigkeit Odas und ihrer zitternden Angst um Albrecht von einer seltsamen Beklemmung ergriffen, und eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf.

»Nicht durch die Feinde ist Albrecht gegangen, sondern den Felsen hinab,« sprach er sehr ernst, indem er Oda mit schnell tagender Erkenntnis unverwandt ansah.

»Den Felsen? wo? welchen Felsen? – welchen Felsen, Graf Siegfried!?«

»Da oben am Absturz, wo er am steilsten –«

Sie sprang auf ihn los, packte ihn am Arme und rüttelte und schüttelte ihn mit einer rasenden Kraft. »Da?! da hinab? hinabgestürzt? zerschmettert und tot? tot? Die Wahrheit, Graf Siegfried! o mein Gott, mein Gott!« Aus stürmender, keuchender Brust schrie sie die Worte; ihre Augen traten aus den Höhlen, ihre Lippen zuckten; dann schlug sie die Hände vor das Gesicht, in ihrer Verzweiflung nicht wissend, was sie tat und sagte.

Bleich und starr, mit einem Blicke, in dem Licht und Leben erloschen schien, stand Siegfried vor ihr, mitten ins Herz getroffen, und sprach matt und leise: »Seid ohne Sorge, Gräfin Oda! Albrecht lebt. Wir haben ihn sanft und sicher hinabgelassen. In drei Tagen kommt er mit einem Heere zurück und wird als Sieger durch das Burgtor reiten. Und dann« – die Stimme sank immer mehr zu einem Flüsterton hinab – »dann, Gräfin Oda, dann werd' ich ihm sagen, daß Ihr ihn liebt.«

»Das werdet Ihr nicht tun!« rief sie glühend und bebend. »Euer Ritterwort, daß Ihr es nicht tut! Wenn Ihr es ihm aber dennoch sagt, es ihn nur ahnen laßt, so springe ich den Felsen hinab da, wo Graf Albrecht hinunterstieg! Ich schwöre es Euch beim Haupte Eures Bruders!«

Kaum hielt sie sich noch aufrecht. Endlich, endlich war das, was sie so lange im übervollen Herzen zurückgedrängt und unter einer ruhigen, sich stets gleichbleibenden Freundlichkeit mühsam verborgen gehalten hatte, mit einer Gewalt, die stärker war, als sie selbst, einmal hervorgebrochen, hatte sie in heißer Leidenschaft mit fortgerissen und Siegfrieds holden Blütentraum mit einem Schlage vernichtet. Sie sah, wie all sein Glück in Trümmern vor ihm lag, und er jammerte sie im Grunde der Seele. Aber sie hatte keine Worte mehr. Erschöpft, wie nach einer übermenschlichen Anstrengung, wankte sie mit einem Blicke herzinnigen Mitleids, den er nicht sah, an ihm vorbei und aus dem Saale hinaus.

Siegfried sank auf einen Schemel am Tische, verhüllte das Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich.


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