Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Siegfried war am anderen Morgen der erste im Sattel. Er ritt unter dem bischöflichen Schloß Langenstein vorüber auf Halberstadt, um nach irgendwelchen Zeichen zu spähen, die auf Vorbereitungen zu einem feindlichen Angriff deuten könnten. Etwas später machte sich Bock von Schlanstedt auf, um zu demselben Zwecke in der Richtung auf Wernigerode zu streifen; erst sollte er aber auf der Heimburg vorsprechen und den Grafen Bernhard zu einer Beratung mit Albrecht nach dem Regenstein bestellen. Danach wollte auch Albrecht fortreiten und in der Gegend von Quedlinburg Beobachtungen anstellen. Außerdem wurden noch Nothnagel, Hasenbart und Gutdünkel auf Kundschaft in Wald und Feld ausgesandt, ob etwas von anziehendem oder lagerndem Kriegsvolk zu spüren wäre.

Bock war noch nicht lange fort, als er wieder zurückkam und Hinze Habernack mitbrachte, den er nicht weit vom Regenstein unter ihm verdächtig scheinenden Umständen aufgegriffen hatte. Der Alte hatte vorgegeben, auf dem Wege zum Grafen Albrecht zu sein, dem er wichtige Mitteilungen zu machen hätte, und Bock war mit ihm umgekehrt, um den schieläugigen Landfahrer, auf den er noch eine Pike von seiner Begegnung mit ihm in der Schenke zu Erkstedt hatte, nicht aus den Händen zu lassen.

Vor den Grafen geführt, bestätigte Habernack zunächst den Ritt des Bischofs nach dem Falkenstein, wobei ihn außer dem Grafen von Wernigerode die Ritter Rudolf von Dorstadt und Hans von Kreiendorf begleitet hatten, beides ausgesuchte Feinde Albrechts.

Auf die Frage des letzteren, was der Bischof beim Graf Hoyer wohl zu schaffen gehabt hätte, sah ihn der Alte mit einem verschmitzten Blicke schräg von der Seite an und leckte sich die Lippen wie ein Fuchs, der mißtrauisch vor dem kirrenden Anbiß steht. Dann sprach er: »Ich weiß es, Herr Graf, und wenn ich es vor dem ehrenwerten Ritter Bock hier sagen darf –«

»Daß dich der Bock stößt! drücke los, oder ich hole die Daumenschrauben!« drohte Bock.

»Vorwärts, vorwärts! nur heraus damit!« gebot auch Albrecht ungeduldig.

»Also,« fuhr Habernack fort, »Graf Hoyer hat doch dem Bischof nach dem Ableben der Gräfin Margarethe die Grafschaft Falkenstein versprochen. Nun hat aber die Äbtissin Jutta dem hochwürdigsten Herrn erzählt, daß Ihr die Gräfin Oda heiraten wolltet und die Grafschaft als Mitgift oder Erbe verlangtet. Darum, damit aus der Heirat nichts wird, hat er mit dem Grafen Hoyer abgemacht, Euch die Gräfin Oda mit Gewalt zu entreißen, und das, Herr Graf, das wollen sie mit den Blankenburgern zusammen nun ausführen.«

»Mensch! wer hat dir das alles gesagt?« fuhr ihn der Graf an.

»Hm! Herr Graf,« erwiderte der Alte, »das alles so haarklein herauszukriegen, war nicht leicht, aber ich hatte ja dem großgünstigen Herrn und Ritter Bock von Schlanstedt versprochen, Euch sichere Kundschaft zu bringen, und ich hoffe, Ihr werdet mich für erlittene und aufgelaufene Unkosten billig schadlos halten. Seht, der hochwürdigste Bischof hat ein Liebchen, ein feines Weibsbild, und die Mutter davon ist so ein Stück Freundschaft von mir; der sage ich denn Bescheid, was ihre Tochter, die schöne Wieburg, dem hochwürdigsten Herrn alles so hübsch zur rechten Stunde ablocken soll. Wie sie das anfängt, – ja, das ist ihre Sache, aber – weiß der Teufel! sie bringt's fertig.«

»Und wann wollen sie kommen? weißt du das auch?« frug Albrecht.

»Nein, das weiß und nicht,« erwiderte Habernack. »Ich glaube, sie sind sich noch nicht ganz einig; ein paar Wochen kann es wohl noch dauern, aber es kann auch früher sein, ich weiß es nicht.«

»Weißt du noch mehr?« frug der Graf.

»Nein, weiter weiß ich nichts,« beteuerte der Alte.

»Schabernack! – die Daumenschrauben!« drohte Bock noch einmal.

Der Alte sah ihn mit einem giftigen Blicke an und schüttelte. Darauf lohnte ihm Graf Albrecht seine Nachrichten mit reichlichem Solde. »Da! nun mache, daß du fortkommst!«

»Herr Graf,« fiel Bock ein, »ich traue dem Kerl nicht. Wäre es nicht besser, wir setzten den alten Gaudieb so lange fest, bis wir sehen, daß sich alles so verhält, wie er gesagt hat? Und wenn er gelogen hat, so hängen wir ihn an seinem ausgedörrten Schluckhalse so hoch, daß die Luft über ihm und unter ihm durchstreicht.«

»Was? Ihr krummnasiger, großschnäuziger Heckenreiter!« schrie der Bucklige, »wollt Ihr zum Dank für meine gute Kundschaft bundbrüchig werden? Habt Ihr mir nicht Sicherheit gelobt ein und aus?«

»Hast du das getan?« frug der Graf streng.

»Das hab' ich freilich,« antwortete Bock unwillig, »aber –«

»Dann bleibt es auch dabei.«

»Ich will Euch was sagen, hochgeborener Herr Graf,« sprach der Graukopf, als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, »ich bin früh aufgebrochen heute; gebt mir ein notdürftig Essen und Trinken und laßt mich ein wenig ausruhen. Dann geh ich nach Blankenburg hinüber; ich habe da im Burgflecken mehr als einen guten Bekannten und will mal horchen, ob sie sich da schon rühren, ob sie vielleicht rüsten. Merke ich was, so komm ich wieder und steck' es Euch; bin ich aber bis abend nicht zurück, so hat's noch keine Not.«

»Gut!« erwiderte der Graf nach kurzem Bedenken, »tu', wie du sagst. Bock, nimm ihn und sorge für ihn nach seinem Begehren; dann mache, daß du zur Heimburg hinaufkommst!«

Bock führte Habernack in eins der Weichhäuser, daß er sich da ruhen und pflegen sollte. Der Alte ging sehr langsam, als wenn er wegemüde nicht mehr recht fort könnte, und Bock merkte nicht, wie er sich verstohlen nach allen Seiten umschaute, denn da seine Augen schief im Kopfe standen, so konnte man nie wissen, wo er eigentlich hinsah. Dann ritt Bock ab und ließ den behaglich Schmausenden im Gespräch mit einigen Knechten, denen er mancherlei Späße vormachte und sie dabei nach allem, was er wissen wollte, gründlich ausholte.

Gegen Bittag war Hinze Habernack auf dem Schlosse zu Blankenburg beim Grafen Berthold, der den Kundschafter schon seit ein paar Tagen erwartete, und berichtete ihm für gutes Geld alles, was er auf dem Regenstein gehört und gesehen hatte. »Sie schlafen da drüben wie die Hamster im Winter,« kicherte er, »die Besatzung ist nicht stärker als gewöhnlich, der Viehstand knapp, und sie haben lange keine Zufuhren gehabt. Lauft nur schnell zu, jetzt sind sie am wenigsten vorbereitet und denken an keinen Angriff; ich habe sie noch recht sicher gemacht, wie mir der hochwürdigste Bischof befohlen hatte.«

Daß er dem Graf Albrecht den Plan seiner Feinde verraten und ihn nur über die Zeit der Ausführung getäuscht hatte, verschwieg der alte Schuft natürlich.

»Weißt du nichts von den Falkenstein'schen?« frug Graf Berthold.

»Die liegen schon in Wegeleben, Herr Graf.«

»Wann kannst du in Halberstadt sein?«

»In drei Stunden bin ich beim hochwürdigsten Bischof,« erwiderte Habernack.

»So sag ihm, wir wären bereit,« sprach der Graf. »In Wernigerode warten sie nur auf meinen Wink; ich schicke augenblicks einen Reitenden hin und einen anderen nach Quedlinburg; noch vor Mitternacht können wir alle beisammen sein.«

Darauf schlug sich der heimtückische Botengänger um den Regenstein herum und auf dem kürzesten Wege nach Halberstadt.

Graf Albrecht war von den Eröffnungen des alten Landfahrers, denen er vollen Glauben schenkte, weil sie mit der Warnung des Fürsten von Ballenstedt im wesentlichen übereinstimmten, ebenso beunruhigt wie entrüstet über die dabei gemachte Entdeckung. Siegfried hatte also doch recht: der Anschlag ging auf Oda, und die Äbtissin war schuld daran, denn auf ihren Antrieb hatte sich der Bischof aufgemacht und den Grafen Hoyer mit Gott weiß was für Mitteln endlich dahin zu bringen gewußt, daß er die Schwester mit Gewalt zurückverlangte. Jutta war noch vor Siegfrieds Abberufung von der Lauenburg beim Bischof gewesen in dem Wahne, daß nicht Siegfried, sondern Albrecht die Gräfin Oda heiraten wollte. Also ihrer maßlose Eifersucht allein verdankte er diesen Krieg mit der ganzen Schar seiner Feinde, denn er war überzeugt, daß auch die Quedlinburger nicht müßige Zuschauer dabei bleiben würden.

Bernhard ließ lange auf sich warten, ehe er von der Heimburg herüber kam, und Albrecht verbrachte die Zeit bis dahin in Gesellschaft Odas. Sie war wieder ruhig und sanft wie immer und zeigte das unverkennbare Bestreben, ihre gestrige schroff abweisende Antwort durch eine doppelte Freundschaft gut zu machen. In ihren Augen las er die stumme Bitte, mit keiner Frage darauf zurückzukommen. Albrecht verschonte sie auch damit, schob ihren Unmut auf eine Nachwirkung von Juttas sonderbarem Benehmen und dachte, den Kopf mit anderen Dingen voll, nicht weiter darüber nach, so daß sie wieder die besten Freunde waren.

Als Bernhard endlich kam, gingen die Brüder in Albrechts Gemach und hatte dort, nachdem ersterer in das jüngst Geschehene und demnächst zu Erwartende eingeweiht war, eine ziemlich scharfe Auseinandersetzung. Bernhard warf Albrecht vor, daß es durch seinen Starrsinn einerseits und sein unverständliches Zaudern andererseits nun so gekommen wäre, wie ihm Bernhard vorausgesagt hätte, daß ihnen um dieses Mädchens willen noch harte Kämpfe erblühen würden. Er hätte, wie Bernhard stets geraten, Oda längst nach dem Quedlinburger Schlosse schicken und ebenso längst die Gräfin Jutta, die er nun auch schon seit Jahr und Tag mit Hoffnungen hinhielte, zum Weibe nehmen sollen, wenn er überhaupt ernsthaft daran dächte. Dann hätte sie keinen Grund zur Eifersucht gehabt und ihnen nicht eine so heiße Suppe einbrocken können. Bernhard ließ dabei durchblicken, daß er Albrecht im Verdacht des eigenen Verliebtseins in Oda hätte und dies der wahre Grund wäre, warum er sie bei sich festhielte.

Je mehr Albrecht im seinem Innern dem Bruder recht geben mußte, desto mehr ärgerten ihn dessen Vorwürfe. Mürrisch entgegnete er ihm: »Der Kampf um die Grafschaft Falkenstein wäre uns nie und nimmer erspart geblieben. Siegfried liebt Oda, und wird sie sein Weib, so müssen wir doch über kurz oder lang dem Bischof ihr Erbe abjagen.«

»Wer weiß, ob wir das gemußt hätten!« erwiderte Bernhard, »ob sich nicht Hoyer über die Enterbung der Schwester noch besonnen hätte, wenn Siegfried in Frieden und Freundschaft ihr Gatte geworden wäre und sich mit seinen Ansprüchen bis zum Tode des regierenden Grafen geduldet hätte, und ob dann der Bischof noch gewagt hätte, uns den Falkenstein auch nur mit einem Worte streitig zu machen.«

»Und darauf sollten wir warten?« fuhr Albrecht auf. »Was ich heute kriegen kann, das laß ich nicht bis morgen liegen, damit es sich ein anderer nimmt.«

»Das ist ja eben das Unglück,« sagte Bernhard, »diese ruhelose Gier nach Macht, die dir im Blute, in deinem tapferen, ehrlichen Herzen steckt wie ein Pfahl im Fleische! Sie wird dich noch einmal in Unheil und Verderben stürzen, Albrecht! Dich und uns alle.«

»Wenn du lieber Kinder wiegst, als Speere brichst und Burgen nimmst, so will ich dich in deiner Ruhe nicht stören,« lachte Albrecht; »meines Lebens Lust und Ziel geht mit Pferd und Schwert in die Weite.«

Darauf schwieg Bernhard, und da sie beide einsahen, daß bei dem Streiten nichts herauskam, so gaben sie es auf und hielten besonnen Kriegsrat. Am nächsten Tage wollte Albrecht die Vögte und Amtleute sämtlicher Regenstein'schen Burgen und festen Häuser von dem nahen Ausbruch einer Fehde benachrichtigen und zur schärfsten Wachsamkeit ermahnen lassen und wollte auch an die befreundeten Harzgrafen im Schwaben- und Helmgau, die ihm schon im Frühjahr ihren Beistand gegen das widerrechtliche Umsichgreifen der bischöflichen Macht zugesagt hatten, Botschaft senden, daß die Stunde des Kampfes gekommen sei und sie sich dazu bereit halten möchten. Auch sollte der Regenstein für alle Fälle mit reichlichen Mundvorräten versehen werden.

Nach Quedlinburg ritt Albrecht heute nicht mehr, und Bernhard blieb bei ihm, bis am Abend Siegfried, Bock und die ausgesandten Knechte, einer nach dem andern, zurückkehrten. Keiner von ihnen hatte etwas Auffälliges bemerkt. Wer aber nicht wiederkam, war Hinze Habernack, woraus die Brüder, seinem trügerischen Versprechen gemäß, schlossen, daß der feindliche Angriff so bald noch nicht zu erwarten wäre.

Als Bernhard aufbrach, um zu seiner in Ungeduld und Neugier harrenden Reginhild heim zu reiten, wollte ihn Albrecht bis zum Burgtor geleiten und er dort erst zu Pferde steigen. Wie sie nun beide gemächlichen Schrittes in der Dämmerung nicht den Reitweg, sondern in einem Bogen an dem aufragenden Felsen entlang gingen, blieb Albrecht plötzlich vor der dunklen Öffnung im Boden, wo der halb verschüttete Gang schräg nach unten in den Felsen hinein führte, stehen und sagte: »Horch! – hörst du's?«

»Was?« frug Bernhard.

»Den Tempelherrn; er klopft und bohrt wieder mächtig,« sprach Albrecht leise.

»Ich höre es,« sagte Bernhard, »er will uns melden, was wir schon wissen, daß uns harte Kämpfe bevorstehen.«

»Ein böses Zeichen, daß er sich heute so laut vernehmen läßt!« erwiderte Albrecht in anfallender Sorge.

Bernhard bewegte langsam nickend das Haupt, und sie gingen schweigend weiter.

Aus der Tiefe drang ein dumpfes Geräusch, das sich nicht mit Bestimmtheit auf natürliche Weise erklären ließ. Der dunkle Gang war das Tempelherrnverlies, und bei den Regenstein'schen ging seit Menschenaltern folgende Sage darüber.

Ein Vorfahr der jetzt lebenden Grafen hielt dort im tiefen Verlies Jahre lang einen Tempelherrn gefangen, der sich rastlos in verzweifelter Anstrengung quälte, den Felsen mit einem Stück alten Eisens zu durchbrechen, um sich aus seinem Kerker einen Weg zur Flucht zu bahnen. Man ließ ihn gewähren, weil er sich in vergeblichem Mühen nach dem jähen Absturz des Felsens hin bohrte. Er kam auch in dem harten Gestein nicht weit und sah das Licht des Tages niemals wieder; das Pochen da unten verstummte endlich, der Tempelherr war tot. Aber sein Geist fand keine Ruhe; der setzte die hoffnungslose Arbeit in sehnsüchtigem Drange nach Erlösung noch immer fort, und wenn dem Regenstein'schen Hause irgendein besonders gefahrdrohendes Ereignis bevorstand, dann war sein Klopfen und Bohren in der Stille des Abends und der Nacht deutlich zu hören. Vor einem großen Unglück aber, das nicht immer gleich einzutreten brauchte, jedoch nie länger als höchstens ein Jahr auf sich warten ließ, wollte man den Geist schon mit Augen gesehen haben, wie er nächstens in seinem weißen wallenden Tempelherrenmantel auf der Höhe des Felsens rundum wandelte und dann die Stufen langsam hinabschreitend wieder in sein dunkles Verlies zurückkehrte.

Als sich Bernhard am Burgtor zu Pferde geschwungen hatte, ging Albrecht denselben Weg zum Palas zurück. Am Tempelherrenverlies blieb er wieder stehen und horchte. Das Klopfen tönte noch. »Wenn ich wüßte, wie ich dich erlösen könnte, armer, ruheloser Geist,« sprach er leise, »ich tät' es. Aber wider dich hilft kein Beschwören, du bist die Schicksalsstimme für uns Regensteiner und unser treuer Wächter und Warner. Kampf ist mir allstunds willkommen, aber du weissagest Unheil, du ewig Gefangener, den kein Gnadenwort und keine Gewalttat befreit! Und von Oda soll uns aller Unsegen kommen, meint Bernhard? Töricht Geschwätz! er muß immer murren und mäkeln und kann einem den lustigsten Fehderitt mit seinen endlosen Bedenken vergällen. – Und Oda! ach! ein Blick in ihre blauen Augen macht Leid und Sorge vergessen.«

Und ruhig schritt der Graf durch das Dunkel hinauf zum Palas.


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