Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Neunzehntes Kapitel.

Mit einem schmetternden Hornruf verkündete der Türmer die Ankunft Siegfrieds auf dem Regenstein, und der Liebling des ganzen Burggesindes winkte beim Eintritt dem Bläser auf dem Turme freundlich zu.

»Gott sei Dank! da ist er; nun wird alles gut werden«, sprach Graf Albrecht zu sich, als er den Ruf hörte.

Oda fuhr bei den lustigen Klängen zusammen, denn sie rüttelten an ihrem Herzen, daß es sich mit Gewalt von dem einen Bruder zum andern wenden und fortan dem gehören sollte, den alle hier freudiger willkommen hießen, als gerade sie.

Als ihr jedoch Siegfried, den zu empfangen sie mit Albrecht in den Burghof hinabstieg, in voller Rüstung mit innigem Gruß entgegen trat, eine Welt voll Hoffnung und Liebe im blühenden Antlitz, da empfand sie doch ein herzliches Wohlgefallen an seiner jugendlich kräftigen Rittergestalt, und sie erwiderte ihm Blick und Handdruck mit einer Wärme, die ihn vom Wirbel bis zur Sohle durchschauerte.

Sie war es sogar, die zuerst dabei Worte fand. »Nun?« frug sie lächelnd, »ich dachte, Ihr würdet bei Eurer Heimkehr die Blume von der Lauenburg an Eurem Kettenhemd tragen; habt Ihr sie denn nicht gefunden?«

»Die Blume von der Lauenburg habe ich nicht gesucht,« erwiderte er ihr mit einem vollen Blick; »ich mußte nur immer an die schlanke Lilie des Regensteins denken.«

Sie schlug die Augen nieder, erhob sie aber wieder mit innigem Ausdruck zu Albrecht, als dieser sagte: »Ich habe sie gehütet und gepflegt, wie ich konnte, aber sie ließ manchmal das Köpfchen hängen.«

Siegfried deutete sich das als ein Zeichen ihrer Sehnsucht nach ihm, und froh bewegt sagte er: »Das dürft Ihr nun nicht mehr, liebe Gräfin Oda! Wir wollen wieder reiten, beizen und jagen und fischen und allerlei fröhliche Kurzweil treiben, wozu der für uns alle sorgende Bruder nicht Zeit hat.«

Albrecht nickte ihnen liebevoll zu und sagte: »Du bist wohl ganz gern wiedergekommen, Siegfried?«

»Das siehst du mir doch an«, lachte der Jüngere mit dem ganzen Gesicht. »Ich kann ja auch hier auf dem Regenstein Burgvogt sein, wenn du außen bist und dich mit dem Bischof und der Äbtissin schlägst oder verträgst. Doch eh' ich's vergesse, – sie sendet dir freundliche Grüße, Albrecht!«

»Wer? die Äbtissin? mir?« frug Albrecht verwundert.

»Jawohl!« erwiderte Siegfried. »Sie begegnete mir unweit Quedlinburg, mit dem Stiftshauptmann und sechs Stadtknechten von Halberstadt kommend, und war sehr gnädig.«

»Von Halberstadt kommend? was hat sie denn in Halberstadt gemacht?«

»Weiß ich's. Sie wollte mir gar nicht glauben, daß du nur auf ihren Wunsch mich von der Lauenburg abberufen hast; ich habe ihr dafür gedankt.«

»Ja so!« sagte Albrecht, »das ist richtig; fast hätte ich's vergessen.« Dabei warf er einen Blick auf Oda, die still aufhorchend daneben stand und nicht mitsprach. So hat also Eilika doch recht, sagte sie sich, wenn sie behauptet, Graf Albrecht täte alles, was die Äbtissin will.

Dem Grafen ging der Ritt der Äbtissin nach Halberstadt durch den Kopf, aber die Lösung dieses Rätsels fand Albrecht nicht; ihren Gruß an ihn wußte er sich leichter zu erklären.

»Sage mal, Bruder, hat Ursula gewußt, daß ich heute kommen würde?« frug Siegfried jetzt. Albrecht hatte die Frage überhört, aber Oda antwortete statt seiner: »Es ist alles bereit, legt nur den Panzer ab, Graf Siegfried! Ursula hat Euch ein Mahl gerüstet, als wäre auf der Lauenburg Herr Schmalhans Euer Küchenmeister gewesen.«

»Viel besser war's auch nicht«, versetzte er heiter. »Wenn wir einen Braten haben wollten, so mußten wir ihn uns erst im Forste birschen, und Leutholds Nachlaß im Keller war auch nur ein nothafter Rest.«

»So muß ich doch noch ein Wort mir der Ursula reden,« sagte sie lächelnd und ging in den Palas voraus. Siegfried blickte der Enteilenden mit glückstrahlenden Augen nach.

Albrecht folgte dem Bruder in dessen Kammer, um sich während des Kleiderwechsels manches über die Lauenburg berichten zu lassen. Beim Eintritt sah er sich flüchtig darin um; kein frischer Blumenstrauß, wie er bei seiner Rückkehr in seinem Gemache gefunden hatte, stand auf Siegfrieds Tische.

Danach begaben sich beide in den Saal und saßen mit Oda fröhlich beim Mahle. –

Für Siegfried kamen nun Tage des Glückes. Er widmete sich Oda von früh bis spät und suchte sie durch Vergnügungen und tausend kleine Aufmerksamkeiten zu erfreuen, die sie durch ein stets bereites Eingehen auf seine Vorschläge wie durch ein heiter vertrauliches Wesen zu erwidern bestrebt war.

Vorzugsweise gern drang er mit ihr in den Wald. Dort wandelten sie plaudernd oder sinnend und schweigend unter den Wipfeln der Eichen und Buchen und kamen dann oft, ohne es zu wollen, nach Kloster Michaelstein. Schon beim erstenmal, daß dies geschehen war, hatte Siegfried die Geliebte in den schönen, mit steingemeißeltem Laubwerk geschmückten Kreuzgang geführt und ihr die Grabsteine seiner Ahnen gezeigt, soviele der Grafen und Gräfinnen von Regenstein in den zwei Jahrhunderten seit Erbauung des Klosters hier zum ewigen Schlafe gebettet waren.

Da war der würdige Abt mit seinem langen weißen Barte dazu gekommen und kam nun jedesmal, wenn die beiden Grafenkinder sein Kloster betraten, und lud sie in das große Refektorium neben der Krypta, dessen hohe Gewölbe fünf Säulen mit romanischen Kapitälen trugen, zu einem erfrischenden Trunk Wein oder Milch. Mit stiller Freude ruhten seine Augen auf den jugendlichen Gestalten seiner Gäste, und er dachte und wünschte dasselbe, was Siegfried hoffte. Gern saßen sie auch an dem murmelnden Goldbach und an den stillen Klosterteichen, die von Erlen, mannshohem Schilf und quirlstieligem Schachtelhalm umwachsen waren. Auf den Teichen schwammen zwischen ihren breiten, runden Blättern wundervolle Wasserrosen, an deren großen, schneeweiß leuchtenden Blüten sich Oda nicht satt sehen konnte.

Auf dem Heimwege, wenn ihnen das Herz voll war von Glück und Sehnsucht, die doch nicht bei beiden dieselbe Quelle und das gleiche Ziel hatten, glaubte Siegfried manchesmal den Augenblick zum Reden gekommen. Aber der ritterliche Jüngling, der sich, wo es galt, furchtlos an jeden Feind wagte, fand nicht den Mut, dem holden Mädchen seine Liebe zu gestehen. »Gräfin Oda –« hatte er schon mehr als einmal begonnen, aber dann war sie von dem feierlichen Tone und der unsicher bebenden Stimme erschrocken und hatte ihn mit einem ängstlich flehenden Blick angesehen wie ein zages Reh, das den zielenden Jäger um sein Leben bittet. Dann hatte er verwirrt und stotternd seiner Rede eine andere Wendung gegeben, als hätte er seine liebe Gefährtin nur auf eine Blume oder einen Vogel aufmerksam machen wollen; ein Seufzer der Beklemmung bei ihm und der Erleichterung bei ihr endete das kurze Gespräch, und niemals wiederholte Siegfried den Versuch an demselben Tage.

Einmal jedoch, als ihm Oda besonders froh gestimmt erschien, ermannte er sich zu einer schüchternen Frage. Es war in dem Gewirr von steilen Klippen auf der östlichen Abdachung des Regensteins, zwischen denen junge Eichen im dichten Gebüsche standen. Diese hatte jetzt frische Triebe, und die Blätter an den Spitzen der Zweige waren schön rot, mit hellbräunlichem Ton in die grüne Farbe des älteren Laubes übergehend. Von solchen jungen Eichentrieben hatte Oda, mit Siegfried im Schatten breit überhängender Äste sitzend, einen Kranz geflochten und dem Freunde mit einer scherzenden Erinnerung an das Ballenstedter Turnier auf die blonden Locken gedrückt. Er sah prächtig aus in dem prangenden Waldschmuck. Wie er ausgestreckt und auf den linken Arm gestützt, das Haupt zur Erde neigte, streifte ein Sonnenstrahl seinen Scheitel, daß das Haar inmitten des roten Kranzes goldig erglänzte. Sie betrachtete ihn heimlich, während sie einen Haufen gepflückter Blumen zu einem Strauße ordnete. Er aber zupfte gedankenvoll an dem Zittergrase, das hier gleich winzigen Tannenbäumchen stand und sagte nach einem langen Schweigen: »Ist es nicht schön hier, Oda? könntet Ihr Euch wohl entschließen, für immer hier zu bleiben?«

»Ach mit Freuden! immer und ewig!« gab sie selbstvergessen und mit ihren Blumen beschäftigt zur Antwort.

Siegfried fuhr empor. »Wirklich? immer und ewig, Oda?« rief er trunken vor Glück.

»Ja! solang' ich das Leben habe!« sprach sie fröhlich und dachte nicht an den ganz verschiedenen Sinn seiner Frage und ihrer Antwort.

Siegfried haschte ihre Hand und mit einem Blick voll überströmender Liebe stammelte er: »Und das mit mir, Oda?«

Sie sah ihn groß an. Jetzt mit einem Male begriff sie. »Um Gott, Siegfried! was hab' ich gesagt?« rief sie in bebender Angst. »Fragt mich nicht, quält mich nicht! Ihr wißt nicht, – ich kann Euch nicht Rede stehen, – mir schnürt sich das Herz zusammen.«

Aber seine Hoffnung hob die Flügel und schwang sich in alle Himmel empor. Noch nie hatte er ähnliche Worte und in einem so freudigen Tone gesprochen aus ihrem Munde vernommen. Ihr Erschrecken darüber, ihre ängstliche Abwehr gegen sein weiteres Fragen und die Schwermut, in die sie gleich darauf wieder verfiel, hielt er für das Ringen ihres Herzens mit der aufsteigenden Liebe zu ihm, und er nahm sich vor, sie in ihrem jungfräulichen Bangen mit keinem vorschnellen Worte zu bestürmen, sondern ihre Ruhe zu lassen, bis sie sich in das Gefühl, von ihm geliebt zu sein, gefunden habe und imstande sei, das offene Geständnis seiner Liebe zu hören und ihm Gleiches mit Gleichem zu erwidern.

Wie er nun alle seine Zeit mit Oda verbrachte, mußte ihn Albrecht daran erinnern, die gewohnten Waffenübungen nicht ganz zu vernachlässigen, und Siegfried gehorchte der Mahnung gern, um seine Kunst im Reiten und Stechen zu zeigen.

In dem Baumgarten zwischen der Oberburg und der Vorburg war ein weiter Raum als Reitbahn freigelassen, wo Herren und Knechte unter Albrechts oder Bocks Leitung und Lehre ihre Reit- und Fechtübungen hielten.

Hier stiegen nun eines Tages Siegfried und Bock zu einem Speerstechen zu Pferde, die Brust mit einer leichten Brünne geschützt, den dreieckigen Reiterschild am Arme und lederne, vorn mit Blech beschlagene Stechhelme auf dem Haupte. Ihre Speere trugen statt der scharfen Eisen kleine, mit Werg umwickelte Scheiben auf der Spitze, mit denen sich die Kämpfenden wohl aus dem Sattel stoßen, aber nicht verwunden konnten. Albrecht, Oda, Eilika sowie einige der Burgmannen sahen dem Spiele zu. Bock, der nicht seinen Schecken, sondern ein Pferd aus dem Marstalle ritt, war Siegfried in der Führung der Lanze überlegen, aber so höflich, die Zuschauenden nicht merken zu lassen, wie er seinen jungen Herrn schonte. Beide bemühten sich, mit ihrer Geschicklichkeit vor den Augen ihrer Angebeteten zu glänzen, die dem Tummeln der Rosse, den gut gezielten Angriffen und dem geschmeidigen Ausweichen der Tjostenden mit Aufmerksamkeit folgten und in eifersüchtiger Freude jeden errungenen Vorteil des einen über den anderen mit Beifall begrüßten. Dann und wann rief Albrecht ein Wort der Ermunterung, der Belehrung oder des Tadels, immer nur Siegfried treffend, dazwischen und ließ die Reiter bestimmte Wendungen und Gefechtsarten nach seinen Befehlen ausführen. Unterdessen hatte er einem Knechte den Auftrag gegeben, ihm ein Pferd zu satteln und Stechzeug zu bringen. Als beides zur Stelle war, wappnete er sich und forderte Siegfried zum Kampfe heraus, was diesem nicht sehr willkommen war, weil er wußte, daß er Albrecht gegenüber nicht bestehen konnte.

Eine hohe, halb freudige, halb ängstliche Spannung bemächtigte sich Odas, als nun die Brüder gegeneinander in die Schranken traten; mit glühenden Wangen beobachtete sie jede kleinste Bewegung derselben und zuckte bei jedem Speerkrach zusammen. In ihrem Herzen wünschte sie dem Älteren den Sieg, hätte aber auch dem Jüngeren eine Niederlage gern erspart gesehen. Anfangs schien Albrecht nur den Lehrmeister machen zu wollen und nach keinem Erfolge zu streben; mit spielender Gewandtheit und Sicherheit fing er Siegfrieds Stöße ab, ohne sie mit voller Kraft zu erwidern oder hielt sie mit unerschütterlicher Festigkeit aus, so daß dem Jüngeren mehr als eine Lanze brach. Als aber Siegfried durch die unerwartete Schonung des Älteren gereizt, immer eifriger und hitziger wurde und immer heftiger auf Albrecht einrannte, gab auch dieser, um das Jugendfeuer des seine Ruhe verlierenden Bruders nicht zum Zorne werden zu lassen, das leichte Geplänkel auf, legte die Lanze fester ein, ritt schärfer darauf los und warf Siegfried mit einem wuchtigen Stoße mitten auf den Schild aus dem Sattel in die Bahn hinein.

Ein Schreckensruf tönte aus Odas Munde. Ohne Besinnen wollte sie dem zu Boden Geschleuderten beispringen; aber Eilika hielt sie zurück, und Siegfried stand auch schnell wieder auf den Füßen.

Den vorwurfsvollen Blick, den Oda ihm sandte, bemerkte Albrecht ebenso gut, wie er ihren Angstschrei gehört hatte, und nun tat es ihm fast leid, den Bruder mit so rücksichtsloser Gewalt niedergeworfen zu haben. »Alles gut abgelaufen, Siegfried?« frug er laut.

»Vollkommen!« erwiderte der Besiegte ohne eine Spur von Empfindlichkeit, »aber reiten kann ich heute nicht mehr.«

Der jähe Sturz mußte ihm doch etwas verstaucht haben, denn er hinkte ein wenig. Oda betrachtete ihn mit herzlicher Teilnahme.

War es, um den Ärger über seinen harten Stoß gegen Siegfried in einem neuen Kampfe zu vergessen, oder um Siegfried nicht den einzig Überwundenen bleiben zu lassen, – Albrecht rief dem Ritter Bock, der noch zu Pferde saß, zu: »Nun, Bock, wir sind auch lange nicht gegeneinander geritten; komm an und wehre dich, wie du magst und kannst!«

»Das will ich wohl tun, Herr Graf!« antwortete Bock und seufzte, während er sich den Helm wieder festband, denn er sah sein Schicksal ziemlich sicher voraus.

Beide ritten an die entgegengesetzten Enden der Bahn, und nun begann ein die Umstehenden aufregendes Turnier, denn zwei vorzügliche Renner senkten jetzt ihre Lanzen gegeneinander. Selbst den Burgmannen und Knechten, deren sich immer mehr als Zuschauer eingefunden hatten, war es ein Hochgenuß, ihren unbezwinglichen Herrn mit dem sich für ebenso unbesiegbar ausgebenden Ritter tjosten zu sehen. Alle wünschten dem Grafen den Sieg und gönnten dem manchmal etwas großschnäuzigen Bock einen tüchtigen Denkzettel als Mahnung zu gebührender Bescheidenheit.

Fast bei jedem Anritt trafen die Speere krachend und zersplitternd auf den Schild des Gegners, der dann mehr oder minder stark im Sattel schwankte, sich aber immer darin hielt, bis es dem Grafen gelang, Bock mit einem besonders fest und gerade geführten Stoß auf den Sand zu setzen. Jauchzender Zuruf belohnte den Sieger. Oda winkte ihm mit ihrem Tuche zu, und das Herz schlug ihr in stolzer Freude. Eilika war schon froh, daß es den Grafen doch wenigstens Mühe gekostet hatte, ihren tapferen Ritter bügellos zu machen, und noch froher war sie, als sie ihn mit heilen Knochen wieder aufstehen sah.

»Tröste dich, Bock!« rief sich die Stirn trocknend Albrecht, »nichts kann den Lehrer mehr rühmen, als wenn ihn sein eigener Schüler bemeistert.«

»Ach ja!« sagte Bock, »den Stoß kenn' ich!« Er reckte und streckte seine langen Glieder und wünschte sich Glück, noch so leichten Kaufs davon gekommen zu sein. –

Wenn Oda auch sonst schon in Albrechts Beisein gerade am freundlichsten zu Siegfried war, so erwies sie ihm an dem Tag und Abend nach dem Kampfspiel eine so entgegenkommende Herzlichkeit, daß es beiden Brüdern auffallen mußte. Beide errieten auch ihre Absicht, den Jüngeren für die ihm von dem Älteren bereitete Niederlage durch eine doppelte Freundlichkeit ihrerseits entschädigen zu wollen, legten es ihr aber beide, ohne Verständigung untereinander, nicht als bloßes Mitleid und wohlgemeinte Tröstung, sondern als sich mehr und mehr offenbarende Liebe aus.

Siegfried jubelte. Albrecht aber ward es schwer ums Herz, und er fing an, zu fürchten, daß er sich eine größere Kraft der Entsagung zugetraut hätte, als er nun wirklich aufzubringen imstande wäre. Die Hoffnung, in Siegfrieds Gegenwart seine eigene tiefe Neigung zu Oda bewältigen und still begraben zu können, hatte ihn getäuscht. Wenn er Zeuge war von dem Eifer, mit dem sich Siegfried um Odas Huld bewarb, und dabei zu bemerken glaubte, mit welcher Freude sie diese Bewerbungen entgegennahm und begünstigte, so konnte er nicht umhin, sich zu sagen: O wärst du an Siegfrieds Stelle! Ja, ein böser Dämon raunte ihm zu: Tu' doch, wie Siegfried tut! wirb um sie! Wie zu Pferde um den Sieg, so kämpfe nun auch um ihre Liebe mit ihm, und wie du ihn aus dem Sattel geworfen hast, so wirf ihn auch aus ihrem Herzen; er hat kein größeres Recht, darin zu sein, als du!

Was er am schmerzlichsten entbehrte, waren die glücklichen Stunden, die er mit ihr allein in traulichem Gespräch oder auch nur im stillen Anschauen ihrer verlebt hatte. Die waren unwiederbringlich dahin, denn wo Oda war, da war auch Siegfried; er konnte ihn nicht entfernen, konnte sie nicht von ihm fortlocken, daß sie ohne Siegfried ihm folgte, und es kamen Augenblicke, in denen er die Rückberufung des Bruders bereute.

Was er davon erwartet und gewünscht, hatte sich in das Gegenteil verkehrt; seine Leidenschaft war nicht geschwunden, vielmehr im steten Anblick von Siegfrieds Liebe noch mächtig gewachsen. Wie lange war es denn her, daß er sich Vorwürfe gemacht, ihn nicht schon früher zurückberufen zu haben, daß er sich geschämt hatte, sich erst von Bernhard und Reginhild dazu überreden lassen zu müssen; jetzt zürnte er den Geschwistern, daß sie ihn mit Gründen, die er heute nicht mehr als stichhaltig anerkennen wollte, dazu förmlich überlistet hatten. Er hatte vergessen, warum er eigentlich so schnell in ihren Vorschlag gewilligt, und daß es geschehen war, um Siegfried als Schild und Schirm zwischen sich und Oda zu stellen. Er wußte nicht mehr, ob er den Schritt mehr Reginhild oder mehr Jutta zu Gefallen getan hatte, von denen sich die eine unbefugter Weise in seine Herzensangelegenheiten mischte und die andere voll Eifersucht selber nach seiner Liebe begehrte. Das wenigstens hatte Jutta nun erreicht, daß Siegfried wieder bei Oda auf dem Regenstein war, darum hatte sie ihn durch jenen so freundlich grüßen lassen und über die Erfüllung ihres Wunsches so unverhohlen frohlockt. Hatte sie denn seine geheimsten Entschlüsse erraten, jenen Vorsatz, den er im Tale des Goldbaches gefaßt hatte, und der ihm jetzt, bei dem Gedanken an Jutta, mit einem Male wieder in Erinnerung kam? Wenn er sich von Odas Liebe zu Siegfried überzeugte, – hatte er sich damals gelobt – dann wollte er seine eigene zum Schweigen bringen und sich in Juttas sehnende Arme retten.

Er befand sich in sehr unbehaglicher, unzufriedener Stimmung. Nichts war ihm mehr zuwider, als ein unmännliches Wanken und Schwanken. Dem mußte ein Ende gemacht werden. Er hatte Wichtigeres zu tun, als unter den blauen Augen eines Mägdleins, das ihn nicht liebte, sich tatenlos auf seiner Burg zu verliegen, während rings um ihn drohende Wolken aufzogen. Er wünschte sich Kampf mit seinen Feinden, um dem Kampfe in seiner Brust zu entfliehen; er war ärgerlich auf die Blankenburger, daß sie mit ihrem Angriff zögerten, und hatte Lust, sie zu reizen und herauszufordern; er hätte gern einen neuen Streit mit dem Bischof vom Zaune gebrochen oder den Quedlinburgern in ihrem Geschrei nach der Lauenburg und der Befreiung von seiner Schirmvogtei die großen Mäuler gestopft, nur um etwas zu tun zu haben, sich herumzuschlagen und sein törichtes Minnen zu vergessen.

Aber um sich rundum nach außen seiner Haut zu wehren und seine Feinde bestehen zu können, mußte er erst innen in seinem Hause reine Bahn haben. Darum drängte er zur Entscheidung. Siegfried sollte offen um Oda werben. Es war nicht denkbar, daß sie ihn abwies; tat sie es aber dennoch, – nun, so sollte deshalb der Bischof die Grafschaft Falkenstein doch nicht haben, aber Oda sollte dann in Frieden als Kapitularin nach dem Quedlinburger Schlosse ziehen und Jutta als Herrin auf den Regenstein. Vielleicht wurde Oda später einmal Äbtissin und er selber dann der Schutz- und Schirmvogt derer, die er einmal mit ganzer Seele geliebt hatte, seiner einstigen Gefangenen. Er mußte selber den Kopf schütteln über diesen absonderlichen Gedanken, aber er ging ohne Zaudern ans Werk.

»Siegfried,« sprach er zu dem Bruder, den er zu einer Unterredung in sein Gemach beschieden hatte, »wie stehen die Dinge zwischen dir und Oda? Daß du die Gräfin liebst, weiß ich, aber ich frage: liebt sie dich wieder? will sie dein Weib werden?«

Siegfried, nicht im mindesten vorbereitet, erschrak über die kurz angebundene Weise und die etwas geradezu tappende Frage seines Bruders und konnte in der Verwirrung darüber nichts anderes antworten als: »Ich weiß es nicht.«

»Du weißt es nicht? weißt es immer noch nicht?« herrschte ihn der Ältere an. »Höre, Brüderlein, dieses Hoffen und Harren hab' ich satt; wir müssen damit zu Rande kommen. Geh hin zu deiner Lilie, biete ihr offen und ehrlich Herz und Hand und frage sie rund heraus, ob sie dein eigen werden will. Und wenn sie, wie ich hoffe und vermute, ja sagt, so macht ihr Hochzeit, und dann ziehen wir Regensteiner mit unserem Volk zu Roß und zu Fuß ins Selketal und nehmen deinem edlen Schwager Hoyer die schöne Grafschaft, die er nicht wert ist, ohne langes Federlesen über seinem fromm grüblerischen Kopfe weg, ehe er selber und sein Freund und Erbschleicher, der Bischof, sich's versehen. Dann mag Graf Hoyer mit seiner bußfertigen Margarethe sich in eine Halberstädter Kurie einnisten, und du hausest mit deinem jungen Weibe auf dem Falkenstein im Schwabengau. Was meinst du dazu?«

Siegfried hatte diese Rede mit wachsender Verwunderung und Freude angehört. Albrechts Vorschlag, die Art, wie er von Oda als von seinem, Siegfrieds jungen Weibe sprach, und die höchst lockende Aussicht, mit ihr in Liebe vereint auf dem Falkenstein horsten zu sollen, hatte ihm das Herz in der Brust entflammt. Darüber war es ihm vollständig entgangen, wie seltsam bewegt Albrecht selber beim Sprechen gewesen war, der sich mit Mühe zu einem entschiedenen und heiteren Tone gezwungen hatte, während ihm doch recht schwer dabei zumute war.

Dennoch gab der Jüngere keine Antwort, sondern blickte verlegen zu Boden.

»Wie? Du besinnst dich? Du willst nicht?« rief Albrecht mit großen Augen.

»Ich will wohl, aber ich kann nicht,« erwiderte Siegfried kleinlaut.

Albrecht runzelte die Brauen. »Was kann Graf Siegfried von Regenstein nicht?« frug er finster, »nicht um ein Mädchen freien?«

»Höre mich an, Albrecht!« bat der Jüngere. »Mehr als einmal habe ich versucht, der Vielholden meine Liebe zu gestehen; aber vergeblich, immer wich sie mir aus; ich konnte den Satz nie vollenden, denn sobald ich davon anfing, sah sie mich so erschrocken, so ängstlich flehend an, daß es mir ins Herz schnitt und ich nicht weiter sprechen konnte. Ich glaube, daß sie mich liebt, und neulich sagte sie einmal, daß sie am liebsten ihr Leben lang hier bliebe; aber sie ist viel zu schüchtern und zaghaft, mein Geständnis anzuhören, geschweige denn zu erwidern. Albrecht, – wirb du für mich! Du bist unbeteiligt, du kannst von ihr verlangen, was du willst.«

»Siegfried!« sprach Albrecht betroffen, »du weißt nicht, was du forderst!«

»Nichts, was ich nicht mit Freuden für dich tun würde, wenn du an meiner Stelle wärest und ich an der deinigen,« erwiderte Siegfried treuherzig.

Albrecht schaute den Bruder mit einem tiefen, stummen Blick an, den dieser nicht verstand. Dann reichte er ihm die Hand und sagte sehr ernst: »Ich will tun, was du verlangst, Siegfried, und Gott gebe, daß es dir und mir zum Heile ausschlägt!«

»Ich hoffe, Albrecht!« sprach Siegfried. »Ich werde morgen früh nach Gersdorf reiten zu Günther; dann bleibst du allein mit Oda und kannst mit ihr reden. Und wenn mein Wunsch Erhörung bei ihr findet, so laß den roten Wimpel vom Turme wehen, daß ich heimkehrend mein Glück schon von ferne winken sehe.«

»Gut!« nickte Albrecht, »aber wenn sie –«

»Wenn sie mich aber nicht will, so brauche ich auch kein Zeichen; ich will darum doch nicht den Mut verlieren, sie mir noch zu erringen.«

»Reite nur,« sprach Albrecht, »und komm als Glücklicher wieder!«

Damit war die Unterredung zu Ende. Siegfried ging erleichtert von dannen; auf Albrecht lag es bergeschwer. Mit einem bitteren Lächeln blickte er dem ihm fest Vertrauenden nach und wiederholte dessen Worte: »Du bist unbeteiligt, du kannst von ihr erlangen, was du willst!« Am Tische sitzend stützte er den Kopf auf beide Hände und flüsterte: »Ihm soll ich gewinnen, woran meine ganze Seele hängt! Herr Gott im Himmel, führe mich nicht in Versuchung! In meiner Hand liegt jetzt das Ja und das Nein; wie ich spreche, so kommt's und geschieht's; namenloses Glück und unsägliches Leid, sein ist es oder mein, wie ich es drehe und wende.«

Dann sprang er auf und warf die argen Gedanken aus Kopf und Herzen heraus. »Nein!« rief er laut, »ich verrate dich nicht, mein Siegfried! Ich will für dich werben, als wenn ich für mich selber würbe!«

Am nächsten Morgen – Siegfried war schon lange weggeritten – stieg Albrecht mit Oda zu ihrem Lieblingsplatze, der Felsbank empor, und jede Stufe, die er hinan mußte, um dort oben eine verhängnisvolle Frage zu tun, dünkte ihn heute noch einmal so hoch und beschwerlich zu überschreiten als sonst. Oda dagegen, ahnungslos heiter und in dem beglückenden Gefühl, mit Albrecht einmal wieder allein zu sein, war ihm schnellfüßig vorausgeeilt, und dabei etwas außer Atem gekommen, stand sie nun oben und sog durch die lächelnden, sanft geöffneten Lippen die Luft in tiefen Zügen ein, daß ihre Brust sich lebhaft hob und senkte, während sie die Blicke fröhlich in die Runde schweifen ließ. Sie stand mit dem Gesicht gegen den Wind, der ihr das Haar kräuselnd durchwehte, ihr Gewand flattern machte und es anschmiegend gegen ihren wohlgeformten Körper drückte.

Albrecht sah es und rastete vor den zwei obersten Stufen, sich an dem entzückenden Bilde zu weiden. Mit dieser herrlichen Maid, deren Liebe ihn zum glücklichsten Menschen gemacht hätte, war er nun hier allein und durfte sie nicht, was er doch von Herzen gern getan hätte, in seine Arme schließen, sondern sollte dieses wonnevolle Recht dem Bruder erkämpfen.

Ihm schwindelte fast vor Gram und Herzeleid, und es war, als wollten ihm die Füße den Dienst versagen. Da wandte sich Oda nach ihm um und rief ihm neckisch zu: »Nun, Herr Graf? könnt Ihr nicht herauf? Hier, nehmt meine Hand! – Haltet fest!«

Lachend streckte sie ihm die rechte Hand entgegen, und er, auf den Scherz eingehend, tat so, als müßte er sich von ihr heraufziehen lassen; aber wunderbar ward ihm zu Sinne, als sie ihm in dieser Stunde ihre Hand bot.

»Worauf horchtet Ihr denn? oder wonach spähtet Ihr?« frug sie unbefangen, als er nun oben war und ihre Hand noch immer festhielt.

»Ich sah nach Euch, Gräfin Oda,« sprach er bewegt, »denn Ihr standet vor meinen Augen wie eine gnadenbringende Erscheinung, die dem glücklich Schauenden die Seligkeit verheißt.«

»Welche Seligkeit hätte ich zu bringen!« erwiderte sie, ihre Hand aus der seinigen lösend.

»Die höchste – dem, der sie eben jetzt von Euch erbitten will.«

Sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück, zitternd, marmorbleich, mit stockenden Pulsen.

»Erschreckt nicht,« fuhr er mit einem trüben Lächeln fort; »nicht für ich selber will ich bitten. Ihr müßt denken, statt meiner stünde Siegfried hier. Kommt, setzt Euch her und hört mich freundlich an.«

Sie ließ sich auf die Bank mehr niedersinken, als daß sie sich setzte.

»Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen,« fuhr er alle Kraft zusammennehmend fort, »daß Euch mein Bruder Siegfried von ganzem Herzen liebt. In seinem Namen und Auftrag werbe ich bei Euch um Eure Hand, Gräfin Oda! Wollt Ihr sein ehelich Gemahl werden, so laßt es mich hier aus Eurem Munde hören.«

Oda mußte Haupt und Rücken an die Steinwand lehnen; ihre Augen waren geschlossen, ihre Arme hingen matt und schlaff herab. Dann sah sie Albrecht mit einem Blicke an, wie ihn nur hoffnungslos verzweifelnde Liebe hat, und sagte langsam und leise: »Wünschet Ihr's, Herr Graf?«

»Wenn Ihr meinen Bruder liebt und mit ihm glücklich zu werden glaubt, so ist es mein größter Wunsch auf Erden,« erwiderte er, aber es klang wie im Traume gesprochen.

Sie starrte wieder vor sich hin und schüttelte das Haupt. »Ich kann Euch auf Eure Frage – keine Antwort geben, Herr Graf,« sprach sie endlich mit halb von Tränen erstickter Stimme, »weder ein Ja, noch ein Nein. – Ich bin Graf Siegfried von Herzen zugetan, – aber die Seine zu werden, –«

»Ihr habt ihm doch gesagt, daß Ihr gern Euer Leben lang hier auf dem Regenstein bliebet; damit meintet Ihr doch an Siegfrieds Seite?« sprach er die tief Erregte gespannten Blickes ansehend.

»Nein, nein! so hab' ich es nicht gemeint; ich meinte den Wald, die Ruhe, das Wandern und Leben im Walde,« gab sie ganz verwirrt zur Antwort, und eine dunkle Röte ergoß sich über ihr Antlitz.

»Aber was soll ich Siegfried sagen? weiset Ihr ihn ab?« frug er dringend und mit klopfendem Herzen.

»Nein, Graf Albrecht! das tu' ich nicht, denn ich sehe, – es ist Euer Wunsch,« sprach sie ergebungsvoll, »und was ich vermag –«

»Halt, Oda!« unterbrach er sie jäh, »nicht mein Wunsch, um alles in der Welt! nicht mein Wunsch, Ihr, Ihr selber sollt wählen, Euer Wille nur soll entscheiden.«

Sie schüttelte das Haupt und sagte: »Ich habe keinen Willen. Laßt mir Zeit, mich hierin zu finden, einen Entschluß zu fassen; ich hoffe –, Ihr sollt nicht unzufrieden mit mir sein.«

Ihre Augen blinkten; sie erhob sich und wollte hinab.

»Und Siegfried?« frug er noch einmal.

»Danket ihm herzlich,« erwiderte sie mit ihrer letzten Kraft, »und er soll der Zukunft vertrauen.«

Albrecht blieb sitzen und horchte auf die allmählich verhallenden Schritte der Hinabsteigenden.

»Sie liebt ihn doch!« sprach er düster vor sich hin, »und du hast keine Hoffnung!«

Bald schmerzvolle, bald trotzige und kühne Gedanken durchkreuzten sein Hirn, wie er noch lange einsam und allein hier auf der Höhe seiner gewaltigen Felsenburg saß und Pläne schmiedete.

Endlich stand er auf und ging hinab in den Palas und in sein Gemach. Dort schrieb er auf einen Streifen Pergament die Worte: »Kein Wimpel, aber hoffe!« Mit diesem Zettel schickte er einen Reitenden seinem Bruder Siegfried auf dem Wege nach Burg Gersdorf entgegen.


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