Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Vierzehntes Kapitel.

Bocks unbedachte Geschwätzigkeit gegen Habernack, besonders daß er dem alten Landstreicher die Absicht der Regensteiner auf die Lauenburg verraten hatte, war dem Grafen Albrecht ein sehr ärgerlicher Zwischenfall, denn es war mehr als wahrscheinlich, daß der Bischof sowohl wie die Blankenburger von seinem Plane Kunde erhielten und ihm dann mindestens große Schwierigkeiten bereiten würden. Jetzt konnte er ihre Fehdedrohung und ihr Verlangen, ihnen selbst zur Lauenburg zu verhelfen, nicht mehr unbeachtet lassen, sondern mußte ihnen eine gebührende Antwort darauf geben, und damit dieselbe den gehörigen Nachdruck hätte, beschloß er, ihnen einen Besuch abzustatten.

Er entbot auf den nächsten Tag die Besatzungen der Heimburg, der festen Häuser Westerhausen und Derenburg und der Vorwerke Benzingerode und Börnecke, vereinigte sie mit der gesamten Mannschaft des Regensteins und ritt an der Spitze dieser ansehnlichen Schar mit seinen Brüdern Bernhard und Siegfried nach Blankenburg. Der nur wenig geschützte Burgflecken wurde besetzt, das Schloß umstellt, und Albrecht forderte mit Bernhard Einlaß in dasselbe, nachdem er Siegfried den Befehl über das reisige Volk übergeben hatte mit der Weisung, das Schloß zu berennen und den Burgflecken in Brand zu stecken, wenn sie von oben mit dem Schwerte winkten oder binnen einer Stunde noch nicht wieder heraus wären.

Der Einlaß wurde den beiden in voller Rüstung erscheinenden Grafen unter sotanen Umständen nicht verweigert, aber ihr Empfang seitens der Blankenburger, Vater und Sohn, war nicht der zuvorkommendste.

»Wir sind den Herren Vettern noch eine Antwort schuldig und wollen sie zu mehrerer Klarheit der Sache selber bringen,« begann Albrecht, als er mit Bernhard zu ihnen in den Saal trat. »Ihr habt uns abgesagt mit Euren Gesellen wegen Gersdorf, wenn wir Euch nicht die Lauenburg verschafften. Denkt Ihr noch heute so?«

»Allerdings tun wir das!« entgegnete barsch und finster Graf Berthold, ein untersetzter, stämmiger Mensch in den fünfziger Jahren von trotzigem und wüstem Aussehen.

»So möcht' ich Euch auf andere Gedanken bringen, Vetter,« sprach Albrecht. »Gersdorf ist unser, und die Lauenburg wird unser.«

»Das wollen wir abwarten,« sagte Berthold.

»Dazu rat' ich Euch auch,« erwiderte Albrecht. »Was geht Euch Gersdorf an? und wie könnt Ihr eine stiftische Burg verlangen?«

»Gersdorf ist uns seit langer Zeit schon zugesagt worden,« behauptete Berthold.

»Von wem denn?« frug Albrecht. »Vom Bischof, nicht wahr? Er hat Euch die Burg, die er so wenig zu vergeben hat wie Ihr, als Köder vorgehalten, damit Ihr als sein Schleppenträger hinter ihm herlauft und mit ihm gemeine Sache gegen uns macht, sobald es ihm in den Kram paßt, Euch auf uns zu hetzen wie die Rüden auf den Eber.«

»Der Vergleich ist nicht übel, Vetter!« lachte Graf Berthold, »wild und borstig genug seid Ihr!«

»Ihr sollt mein Gewehr fühlen, sanftmütiger Vetter!« grollte der Regensteiner. »Aber erst frage ich noch einmal im guten: Wollt Ihr Frieden mit uns halten, oder wollt Ihr Euch mit uns auf die Faust stellen?«

»Wir wollen Gersdorf oder die Lauenburg haben!« trotzte der Blankenburger.

»Gar nichts sollt Ihr haben!« rief Albrecht und schlug mit der Eisenfaust derb auf den Tisch. »Zwackt dem Bischof ab, was Ihr Lust habt, aber kommt mir nicht ins Gehege; sonst rupf' ich Euch Eure besten Federn aus!«

»Dazu gehören immer zwei, einer, der rupft, und einer, der sich rupfen läßt,« erwiderte Berthold störrisch.

»Vetter, nehmt Ihr Eure Absage zurück?« frug Albrecht drohend.

»Nein! nein! nein!« schrie der Blankenburger, kirschrot im Gesicht.

»Gut! dann seht mal her!« sprach Albrecht, langte aus seiner Jagdtasche, die er am Gürtel trug, ein zusammengefaltenes Pergament nebst einem hörnenen Tintenfaß und einer kurzen Rohrfeder heraus und fuhr in höhnischem Tone fort: »Ihr habt uns mit Eurem Fehdebrief einen so heillosen Schrecken eingejagt, daß Ihr uns dafür mit einem kleinen Schmerzensgeld entschädigen müßt. Hier ist ein fertiger Kaufbrief über Eure Harzforsten um Allrode, Stiege und Hasselfelde herum; sie liegen mitten zwischen dem Lauenburger Gebiet und unserem eigenen Regensteinschen bei Elbingerode und Botfeld, und darum muß ich sie haben.«

Graf Berthold schlug eine helle Lache auf, während er doch vor Wut bebte.

»O, es ist ein wirklicher Kaufbrief, ich will sie Euch bar bezahlen,« versicherte Albrecht ruhig und holte nun auch einen schweren Beutel aus der Jagdtasche hervor, der klang und klirrte, als er damit auf den Tisch klopfte. »Hier! Ihr sollt nicht sagen, der Raubgraf hätte Euch geplündert, wie ihr Schnapphähne den Pilger auf der Landstraße. Hier sind zweitausend Mark Gold! sackt ein und unterschreibt!«

»Zweitausend Mark!« wiederholte Graf Berthold verächtlich, »die Forsten sind das Vierfache wert.«

»Wenn Ihr den Preis macht,« lachte Albrecht, »aber diesmal mach' ich ihn, und was daran fehlt, ist Reugeld für den Fehdebrief.«

»Das ist Raub im eigenen Hause!« rief Berthold grimmig.

»Nennt es, wie Ihr wollt! Ihr verlangt die Lauenburg, ich verlange die Forsten; nur daß ich meinen Willen durchsetze und Ihr nicht,« versetzte Albrecht, indem er die Tintenkapsel öffnete und ihm samt der Feder zuschob.

»Es ist schlimmer als Raub, es ist schnöder Verrat und Friedensbruch, den wir uns nicht gefallen lassen,« sprudelte der junge Graf.

»Vetter Rudolf, Ihr schweigt!« sagte Graf Bernhard und trat dem Hitzkopf einen Schritt näher. Zornig maßen sie sich mit den Augen.

»Ihr vergeßt, daß Ihr hier ungeladene Gäste seid, Vetter Bernhard!« fuhr Berthold heraus.

»Eindringlinge, Wegelagerer, räuberische Nachbarn!« schimpfte Rudolf.

»Schweigt! oder ich stopfe Euch hiermit den Mund!« schnob Bernhard und hob die geballte Faust im Eisenhandschuh, daß Rudolf vor ihm zurückwich.

»Was Gäste! Eure Feinde sind wir!« rief Albrecht und stieß mit einem Schemel auf den steinernen Fußboden, daß er knackte. »Ihr wollt es ja, habt uns ja abgesagt, und wer sich die Regensteiner zu Feinden bestellt, der soll es merken! Unterschreibt den Brief, meine Geduld ist zu Ende.«

»Nein! ich will nicht! schert Euch zum Teufel!« schrie Berthold.

»Bernhard, tritt ans Fenster und zieh' blank!« sprach Albrecht zum Bruder.

Dieser zog das Schwert und öffnete das Fenster.

»Draußen steht Siegfried mit achtzig Mann,« wandte sich Albrecht zu dem Blankenburger, »ein Wink, und Euer Schloß wird gestürmt und mitsamt dem Burgflecken bis auf den Grund niedergebrannt.«

»Mordbrenner! es sieht Euch ähnlich,« höhnte Berthold.

»Schreibt!« donnerte Albrecht.

»Nein!« brüllte Berthold.

Albrecht nickte Bernhard zu, und dieser winkte mit dem Schwerte zum Fenster hinaus. Ein lautes Jubelgeschrei erhob sich unten, und gleich darauf ließen sich dröhnende Axtschläge gegen das Burgtor vernehmen.

»Eilt Euch, ehe sie eindringen!« mahnte Bernhard, »Euer Häuflein ist im Umsehen niedergemacht.«

»Ich zahl' es Euch heim! ich zahl' es Euch heim!« knirschte Berthold, beide Fäuste schüttelnd.

»Verlang' ich gar nicht,« lachte Albrecht. »Das Geld ist Euer, nehmt nur und unterschreibt.«

Das Geschrei und Waffengetöse unten ward immer lauter. Das Burgtor krachte, und die Blankenburgischen Knechte schossen auf die Angreifer.

»Kommt her und seht!« sprach Bernhard, »der Burgflecken brennt.«

Die Blankenburger sprangen beide ans Fenster und überzeugten sich; ein dicker Qualm wälzte sich empor.

»Vater, unterschreib!« flüsterte der Sohn, »sie machen Ernst.«

Berthold ging an den Tisch, nahm das Pergament und unterschrieb es mit bebender Hand. »Da!« stöhnte er, Albrecht mit einem Blick voll Gift und Galle die Feder vor die Füße werfend.

Während Bernhard zur Einstellung der Feindseligkeiten hinabwinkte, streute Albrecht auf die Unterschrift etwas Staub und Sand, woran es im Saale nicht fehlte, und sagte dann, das Pergament zusammenfaltend und mit dem Tintenfaß wieder in die Jagdtasche steckend: »So! jetzt sind die Forsten mein! Wer sich da ihme mein Erlaub im Wildbann betreffen ließe, dem möchte Gnade nutzer sein denn Recht. Vergeßt das nicht, Vetter Berthold! Und nun wollen wir Euch am Löschen da unten nicht weiter hindern. Komm, Bernhard!«

Die Regensteiner wandten sich zum Gehen. Graf Berthold rief ihnen drohend nach: »Den Besuch bleib' ich Euch nicht lange schuldig; wir kommen, wir kommen, Vetter Raubgraf!«

Nur ein kräftiges Lachen antwortete ihm.

Im Burghof zog auch Albrecht das Schwert und herrschte die Wache an: »Die Riegel weg! macht auf!«

Die Knechte gehorchten, und die beiden Grafen schritten zum Burgtor hinaus. Dann stiegen sie zu Pferde, rückten mit Siegfried und ihrem Kriegsvolk ab und ließen brennen, was brannte.

Die Regenstein'schen, namentlich Bock mit seinen rüstigen Gesellen von der bösen Sieben, hatten die gute Gelegenheit, ein wenig zu plündern, doch nicht vorüber lassen können und führten nun eine kleine Herde Schlachtvieh mit fort. Graf Albrecht litt es, ohne ein Wort darüber zu verlieren.

Nach diesem Gewaltstreich, mit dessen Verlauf und Erfolg Graf Albrecht außerordentlich zufrieden war, dünkte es ihn aber nun um so notwendiger, auch mit dem Angriff auf die Lauenburg nicht mehr zu zögern, und er bestimmte dazu von heute an den dritten Tag.

Als derselbe herangekommen war, gab sich auf dem Regenstein schon von früh an eine ungewöhnliche Bewegung kund, die Oda sowohl wie Eilika um so weniger entging, als es sich gerade im Wesen und Benehmen beider, Siegfrieds und Bocks, am deutlichsten zeigte, daß etwas Besonderes, Geheimnisvolles im Werke sei, ernster und bedeutender als der Überfall in Blankenburg, aber auch ein Unternehmen mit Waffengewalt, dessen Plan und Ziel man den Frauen verschwieg, dessen Vorbereitungen sich ihnen aber von selber verrieten.

Zwei Tage lang hatte Eilika aus Ärger über die durch Bock über sie verhängte Einsperrung mit dem strengen Ritter geschmollt und getan, als sähe sie ihn nicht, wenn er ihr begegnete. Aber länger hielt sie es nicht aus, seinem höflichen Gruß oder seinen gezierten Anreden und launigen, zur Antwort reizenden Bemerkungen ein vollkommenes Schweigen entgegenzusetzen. Bald schlug auch sie, die ja kein Herz von Stein hatte, wieder einen freundlichen Ton an, und das Verhältnis zwischen beiden wurde wieder ein leidlich gutes, wenn sie auch immer noch auf einem mehr neckischen, als erbitterten Kriegsfuß miteinander blieben.

Heute morgen tat Bock außerordentlich wichtig und machte sich möglichst bemerkbar. Er rannte mit einer eilfertigen Geschäftigkeit auf dem Burghof hin und her, lief von Palas oder Rüsthaus bald zu den Weichhäusern, bald nach den Ställen, schalt und schrie Befehle und schielte dabei stets nach dem Palas, ob sich Eilika nicht sehen ließe, die sein auffälliges Tun und Treiben längst mit Verwunderung und Neugier heimlich beobachtete. Und als sie ihm endlich den Gefallen tat, aus dem Palas auf den Hof zu kommen, stürzte er förmlich auf sie los, ein Beil in der Faust schwingend, daß Eilika erschrocken zurückwich. Mit furchtbar ernstem Gesicht und wütigen Gebärden sprach er abgerissen dunkle Worte zu dem Mädchen, sprach von Abschiednehmen, kühnem Vorhaben, sie sollte in der nächsten Nacht an ihn denken, da würde sich etwas ereignen, was nicht alle Tage geschähe, sie möchte ihm etwas von sich mitgeben, ein Busentuch oder ein Strumpfband, ganz gleich was, er könne alles brauchen, was von ihr käme, zu seinem Heil und Schutz in großer Gefahr.

»Nun, so haut mir mit dem Beil eine Locke ab, Herr Ritter!« lachte sie, »aber es darf nicht weh tun.«

Bock nahm den Spott für Ernst und prüfte mit dem Daumen die Schneide des Beiles. »Gutdünkel!« schrie er dann erbost, »das Beil ist ja stumpf wie ein Pferdehals! gleich schärfen!«

Gutdünkel zog brummend mit dem Beil ab.

»Wann kommt Ihr denn wieder, Herr Ritter?« frug Eilika vergnügt.

»Wiederkommen? ach, das weiß Gott!« rief Bock. »Gebt mir den Scheidekuß, liebste Jungfrau! Es ist vielleicht ebensogut der letzte, wie es leider der erste wäre.« Und er strich sich schon den Schnurrbart von den Lippen.

»Huhu!« kreischte das Mädchen, hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und schwirrte in schneller Flucht davon.

Bock stand da und sah ihr verblüfft nach wie einer, dem ein schon gefangener Vogel wieder entschlüpft, und die Knechte hatten seinen Verdruß zu entgelten.

Im Laufe des Vormittags verließ die böse Sieben den Regenstein; aber sie ritten nicht zusammen auf einmal, sondern zu zweien und dreien, zu verschiedenen Stunden und auf verschiedenen Wegen von dannen.

Nach ihrem Wegritt war es viel ruhiger auf dem Regenstein. Aber die Ruhe war nur eine äußere. Eilika zwar bangte nicht um das gefährdete Leben und glaubte nicht recht an die großen Taten ihres prahlerischen Verehrers. Oda jedoch las in den stummen Blicken Siegfrieds einen geheimen Kummer, den sie sich nicht zu deuten wußte. Das Schwermütige, das sich seit einigen Tagen in seinem Wesen zeigte, konnte sie nicht auf eine mattherzige Furcht vor Kampf und Gefahr schieben, die seiner jungen Feuerseele völlig fremd war, und eben weil sie das wußte, kam sie auf die Vermutung, daß es sich bei der kriegerischen Unternehmung der gräflichen Brüder vielleicht um die Entscheidung ihres eigenen Schicksals handelte. Sie ahnte ja nicht, daß Siegfried nichts anderes bedrückte, als das Leid über seine bevorstehende Trennung von ihr. Wenn nämlich der für die Nacht geplante Streich gelang, und die Lauenburg in die Hände der Regensteiner fiel, hatte Graf Albrecht angeordnet, sollte Siegfried vorläufig als Vogt auf der Burg bleiben, womit also seine Entfernung vom Regenstein auf unbestimmte Zeit ausgesprochen war.

Bald nach dem Mittagsmahle nahm er Abschied von ihr, hatte dabei Mühe seine innere Bewegung zu verbergen, sagte aber nichts von Scheiden und Meiden. Er wollte sich am Fuße des Regensteins mit Bernhard treffen und mit ihm nach dem Kloster Wendhusen reiten, das ebenso wie die Lauenburg im Gebiete des Stiftes Quedlinburg und also auch in der Schirmvogtei des Grafen von Regenstein lag.

Albrecht selber wollte, um jedes Aufsehen zu vermeiden, ihnen erst am Abend nachfolgen und blieb bis dahin mit Oda allein.

Er leistete ihr Gesellschaft und stieg mit ihr zu einer auf der Höhe befindlichen Felsbank empor, von wo sie einen weiten Blick über den Wald, nach dem Gebirge hin und in das offene Land hinaus hatten.

Eine tiefe Ruhe schwebte über der weiten Burg; still lagen Häuser und Höfe, und nur selten drang ein gedämpfter Ton von unten zu der einsamen Felsbank hinauf, wo die beiden miteinander saßen. Oda war es ein wohliges Gefühl, mit Albrecht einmal ganz allein sein zu können und wie ihr die Seele – sie wußte selbst nicht wovon – so voll war, hätte sie sich am liebsten an den festen Mann ihr zur Seite geschmiegt, den Kopf an seine Schulter gelegt und sich mit geschlossenen Augen einem seligen Träumen überlassen.

In ihre unbegrenzte, still glühende Verehrung mischte sich aber immer noch eine tiefe, fast heilige Scheu vor dem Ernst und der Kraft des Grafen. Wie sie seiner nur mit einer hingebenden Herzensdemut dachte, so begegnete sie ihm auch stets mit einer sanften Unterwürfigkeit, und wenn sie den Blick zu ihm zu erheben wagte, so hatte dieser etwas Rührendes, um Verzeihung Bittendes; sie fühlte sich dabei erröten und konnte das laute Klopfen ihres Herzens in Albrechts Nähe nicht zum Schweigen bringen.

Dazu kam die fortwährende Angst, daß er sich ihretwegen Feinde machen und in gefährliche Händel einlassen möchte, eine Bangigkeit, die heute durch das ungewöhnliche Treiben auf der Burg und das geheimnisvolle Reiten der gräflichen Brüder neue Nahrung empfing und bis zu einer atemraubenden Beklemmung gesteigert wurde, so daß Oda ihre Furcht nicht länger verhehlen konnte.

»Herr Graf,« begann sie zagend auf der Bank neben ihm, »mich erfüllt eine namenlose Unruhe, eine unbestimmte Ahnung von folgenschweren Dingen, mit denen Ihr Euch befassen wollt. Ich merke, Ihr habt etwas Gefährliches, Entscheidendes vor, das ich mit meinem Verweilen auf dem Regenstein in Zusammenhang bringe. Wenn ich es wissen darf, so sagt es mir, was Ihr plant; ich bitte Euch darum, Herr Graf! um meiner Ruhe willen.«

Albrecht blickte sie freundlich an und sagte mit ruhigem Lächeln: »Wovor bangt Euch denn, Gräfin Oda? Doch nicht davor, daß wir, wie wehrhafte Männer es lieben, einmal ausreiten und mit fester Hand zugreifen nach dem, was wir haben müssen, um bleiben zu können, was wir sind?«

»Ihr reitet nicht aus, Herr Graf, um auf der Straße einen Fang zu tun, wie Ritter, die sich aus dem Stegreif nähren,« erwiderte sie.

»So? meint Ihr?« lachte der Graf, »ei, wißt Ihr denn nicht, Gräfin Oda, wie sie mich im Lande nennen? bin ich nicht der Raubgraf?«

»Nein! das seid Ihr nicht!« rief sie mit hochrotem Antlitz. »Eure Feinde mögen Euch so nennen, aber die Armen, Unterdrückten, denen Ihr helft und wohltut und Zehnten und Gülten erlaßt, die preisen und segnen Euch und nennen Euch nicht so. Und sie haben recht, Ihr tut für andere alles, aber für Euch selbst nahmt Ihr nichts.«

»Ich danke Euch für Eure gute Meinung,« lächelte er, »aber Ihr täuscht Euch, herzliebes Fräulein! Ich will's Euch nur gestehen: diese Nacht wollen wir uns nicht mehr und nicht weniger nehmen als eine ganze Burg mit allem, was darin und darum ist.«

»Den Falkenstein?« frug sie erschrocken.

»Nein, diesmal noch nicht den Falkenstein,« erwiderte er. Dann zeigte er mit der Hand etwas rechts von Quedlinburg nach dem Harze hin. »Seht Ihr das graue Gemäuer mit dem Turme da hinten im Bergwalde?« sprach er. »Das ist die Lauenburg; die muß morgen früh, wenn die Hähne krähen, unser sein.«

Oda blickte ihn überrascht an. »Ist die Burg stark?« frug sie, »wird es einen harten Kampf kosten?«

»Sorget nicht,« erwiderte er, »ich denke, wir werden lebendig wiederkommen. Das Fühlbarste werde wohl ich davon heimbringen, nämlich den Zorn der gnädigen Frau von Quedlinburg, denn die Burg gehört dem Stifte, und bei meinem Streit mit der Äbtissin morgen wird es heißer hergehen, als beim Ersteigen der Lauenburg.«

»Ihr werdet doch die Fürstin zu versöhnen wissen, Herr Graf,« sprach Oda beklommmen.

»Ich hoffe es,« erwiderte er, »denn ihre Heftigkeit schwindet immer bald wieder vor der besseren Einsicht ihres klaren Verstandes; sie ist ein starkmütig, hochherzig Weib.«

Oda neigte das Haupt und schwieg.

»Wir streiten stets, wenn wir zusammen kommen,« fuhr Albrecht fort. »Als ich sie neulich besuchte, waret Ihr es, Gräfin Oda, um die ich mit ihr kämpfen mußte.«

»Um mich?« frug Oda bestürzt.

»Jawohl, um Euch. Die Äbtissin wollte Euch durchaus zu sich aufs Schloß haben und gab mit auf den Kopf schuld, ich hielte Euch hier mit Gewalt fest, nur um Euch nicht von mir zu lassen und immer in Eure schönen blauen Augen blicken zu können.«

»Woher weiß sie denn –«. Oda vollendete die rasche Frage nicht; errötend brach sie ab.

»Daß Ihr blaue Augen habt?« lächelte der Graf. »Das werde ich ihr wohl gesagt haben, werde ihr wohl erzählt haben, wie holdselig und wunderlieb Ihr seid, Gräfin Oda! und daß mit Euch ein Engel des Friedens und der Liebe seinen Wohnsitz auf dem Regenstein aufgeschlagen hat.«

»Herr Graf!« hauchte die Erschrockene, der es in den Ohren sang und sauste.

»Es ist so, liebe Oda!« sprach er mit tiefer Innigkeit, indem er sich zu ihr neigte und freundlich ihre Hand in die seine nahm.

Oda schlug das Herz zum Zerspringen; ihre Hand zitterte heftig in der des Grafen.

»Und die böse Jutta wollte mir das nicht glauben,« fuhr er fort. »Aber fragt nur meinen Bruder Siegfried, sagte ich zu ihr, der weiß es noch besser.«

Odas Hand zuckte, und sie wollte sie dem Grafen entziehen; der hielt sie aber mit sanftem Drucke fest und frug: »Hat Euch Siegfried gesagt, daß er so bald nicht wiederkommt? daß er auf der Lauenburg bleiben wird?«

»Nein,« erwiderte sie ruhig und konnte ihn unbefangen ansehen, »davon weiß ich nichts.«

»Ich haben es so angeordnet,« sprach er, »und Ihr müßt nun eine Zeitlang mit mir allein hier aushalten.«

Odas Herz jubelte bei der Nachricht, aber bescheiden sagte sie: »Da werdet Ihr Euch hier sehr einsam fühlen, Herr Graf.«

»Mit Euch, liebe Oda?« lächelte er, »das glaube ich nicht.«

»Aber wenn nun die Äbtissin auf meinem Eintritt in das Stift besteht,« frug sie schüchtern, »muß ich dann nicht ihrem Gebote Folge leisten?«

»Nein, darüber habe ich sie bereits aufgeklärt,« erwiderte er bestimmt.

»Wird Euch das nicht ihre Gunst und Gnade kosten, wenn Ihr mich ihr verweigert?«

»Wenn auch; darauf hin wag' ich es,« sagte der Graf und stand schnell auf.

Auch Oda erhob sich, und sie gingen miteinander hinab zum Burghof.

»Ich sehe Euch noch, eh' ich reite,« sagte der Graf, als sie zum Palas schritt, während er sich nach dem Marstall begab.

Am Abend forderte der Graf einen Imbiß und ließ Oda bitten, sich zu ihm zu gesellen.

Sie kam sofort und setzte sich zu ihm, nippte auch ihm zu Gefallen an einem Becher Wein, aß aber nichts.

Graf Albrecht langte tüchtig zu, um sich für die Nacht zu stärken und sah daher nicht, daß Odas Augen nicht von ihm wichen und wankten. Er war völlig gerüstet und trug ein Büffelwams über dem Kettenpanzer; aber Schatte mußte draußen mit den Rossen lange warten, ehe sich der Graf heute von seinem Weinkruge trennte. Endlich erhob er sich, setzte die Sturmhaube mit der Helmbrünne auf und zog die Blechhandschuhe an. Ehe er auch mit der Rechten hineinschlüpfte, bot er Oda die Hand und sprach: »Lebet wohl, Gräfin Oda! und schlaft ruhig; Klinkhard, der Waffenmeister, wacht über Euch; Ihr seid unter ihm in sicherer Hut, und ich denke, spätestens morgen abend bin und zurück. Auf glückliches Wiedersehen, liebe Oda! Ich freue mich schon darauf,« schloß er mit einem innigen Blick.

»Lebet wohl, Herr Graf! und Gott beschütze Euch!« erwiderte sie mit klopfendem Herzen.

Sie geleitete ihn hinab auf den Hof. Er schwang sich in den Sattel und ritt eilig von dannen.

Unten auf dem ebenen Weg im Walde gab er seinem Brun die Sporen und sprengte mit wildem Ungestüm dahin, daß Schatte auf seinem plumpen Gaul nur schwer folgen konnte und über den Gewaltritt seines Herrn den Kopf schüttelte.

Oda stieg wieder zu der Felsbank empor und lauschte hinab. In der Abendstille drang durch die unbewegte Luft der Hufschlag der galoppierenden Rosse deutlich herauf und erstarb allmählich. Aber noch lange saß die Einsame dort mit ihren sehnenden Gedanken. Die Tiefe entschwand ihren Blicken; wie emporgehoben, wie über dem Irdischen schwebend fühlte sich Oda, und von den Sternen droben, zu denen sie fragend und vertrauend aufblickte, strahlte ihr wie aus unermeßlicher Ferne ein Schimmer von Hoffnung.


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