Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Erstes Kapitel.

Auf einem Felsen hoch über der Stadt Quedlinburg im alten Harzgau steht eine Kaiserpfalz, die schaut rundum in das blühende, fruchtbare Land vom fernblauenden Hackelforst und vom Huywald im Norden bis zu dem langhingestreckten Kamme des Gebirges, der den Blick im Süden begrenzt.

Die ragende Burg ist die Schöpfung und zugleich das erinnerungsreiche Grabmal König Heinrichs des Städtegründers, des Vogelstellers und seiner Gemahlin Mathilde aus des alten Sachsenhäuptlings Wittekind Geschlecht. Wie sie beide dort oben gehaust, so ruhen sie auch beide dort in der schönen Krypta der Schloßkirche und mit ihnen ihre Enkelin Mathilde, des großen Ottos rühmliche Tochter.

Bedeutende Menschen und denkwürdige Tage hat dieses Schloß gesehen. Die Kaiser sächsischen und fränkischen Stammes und auch die Hohenstaufen nahmen hier oft langen Aufenthalt und hielten Reichstage und glänzende Hoftage. Mehr als einmal haben auch königliche Frauen von hier aus das Deutsche Reich regiert, so die Kaiserin Adelheid, ferner die geistvolle Theophano und endlich Mathilde, die als Reichsverweserin für ihren nach Italien gezogenen Neffen Otto III. im nahen Derenburg sogar einmal einen Reichstag hielt.

Die jüngere Mathilde, die dort oben in der Krypta schlummernde Tochter Kaiser Ottos I., war die erste Äbtissin des freiweltlichen Frauenstiftes, das König Heinrich hier errichtete und das er und seine Nachfolger mit einer Fülle von hoheitlichen Rechten ausstatteten, wie sie kein zweites geistliches oder weltliches Stift im heiligen Römischen Reiche besessen hat. Für Töchter aus Herrscher- und vornehmen Adelsfamilien bestimmt und an keine Ordensregel gebunden, stand es unmittelbar unter dem Kaiser. Die aus der freien Wahl der Konventualinnen hervorgehende Äbtissin hatte den Rang eines Reichsfürsten, hatte Sitz und Stimme auf der rheinischen Prälatenbank des Reichstages zu Regensburg, und kein Herzog oder Graf hatte irgendwelche Gewalt in ihrem Gebiet, als einzig der von ihr eingesetzte Schirmvogt.

In dem Zeitraume von vier Jahrhunderten, die seit seiner Gründung vergangen waren, hatte das Stift an Land und Leuten stetig zugenommen, und als unter Kaiser Ludwig dem Bayer die fünfzehnte Äbtissin, Jutta von Kranichfeld aus Thüringischem Grafenhause, im Schlosse zu Quedlinburg den goldgefaßten Krummstab führte, gebot sie über einen sehr ansehnlichen Besitz, zu dessen Schutz und Schirm sie eines starken männlichen Armes bedurfte.

Ein solcher fehlte ihr auch keineswegs. Seit zwei Menschenaltern waren Schutzvögte des Stiftes die Grafen von Regenstein, die schon eine fürstliche, auf eigenem Erbgut und beträchtlichen Lehen ruhende Macht besaßen und deren Stammsitz, eine gewaltige Bergfeste, sich fast im Mittelpunkte des großen Harzgaues erhob.

Innerhalb der Grenzen dieses Gaues, d. h. zwischen Oker und Bode im Westen und Osten und zwischen dem Kamme des Gebirges im Süden und der großen Niederung, die sich von Aschersleben bis Börßum zieht, im Norden, lag außer der Grafschaft Regenstein und dem Stifte Quedlinburg auch das von Karl dem Großen gegründete Bistum Halberstadt mit den ihm untergebenen Bezirken, ferner die Herrschaft der Grafen von Blankenburg, einer losgelösten Seitenlinie des Regenstein'schen Gesamthauses, das kleine Gebiet der Grafen von Wernigerode und endlich ein schmaler Streifen des Fürstentums Anhalt in der Gegend von Wegeleben.

Die Hauptmachthaber im Gau, der regierende Graf von Regenstein, die Äbtissin von Quedlinburg und der Bischof von Halberstadt, waren alle drei in ihren Ämtern und Würden noch ziemlich neu.

Graf Albrecht II. von Regenstein war als ein Mann Anfang der Dreißiger und als der älteste sechs noch lebender Brüder seinem Vater Ullrich erst vor ein paar Jahren in der Regierung gefolgt.

Nicht lange danach hatte die Gräfin Jutta von Kranichfeld den erledigten Stuhl der Äbtissin bestiegen, jedoch ohne den Wunsch, zeitlebens darauf sitzen zu bleiben.

Und um dieselbe Zeit war auch der Bischof gleichen Namens wie der Graf, Albrecht II., Bruder des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel, nach langen Streitigkeiten im Domkapitel gewählt, hatte auch das bischöfliche Regiment in seiner Diözese sofort übernommen, war aber von dem in Avignon residierenden Papst Johann XXII. nicht bestätigt, weil man sich dort nur einer geringen Fügsamkeit zu ihm versah.

Der herrschsüchtige Prälat wußte jedoch die Bischofsweihe auch ohne den päpstlichen Segen zu erlangen. Der Erzbischof Matthias von Mainz hatte sich endlich bereit erklärt, ihm dieselbe im Dome zu Halberstadt zu erteilen, und auf dem Schlosse Heinrichs des Voglers war ein Schreiben eingetroffen, welches die Äbtissin und das ganze Kapitel des weltlichen Gotteshauses zu Quedlinburg zur Inthronisation des Bischofs feierlich einlud.

Die Fürstin schwankte, ob sie die Einladung annehmen sollte oder nicht, denn manches sprach dafür und manches dagegen. Nicht allein die Pflicht der Höflichkeit, sondern auch Rücksichten der Staatskunst geboten der Äbtissin, der Konsekration mit ihren Dignitarien beizuwohnen, allein sie fürchtete ihrer reichsunmittelbaren Hoheit etwas zu vergeben, wenn sie zur Verherrlichung, gleichsam im Gefolge des trutzigen Nachbars erschien, der ohnehin schon nach einem ihm nicht zukommenden Übergewicht strebte. Schon aus früherer Zeit, wo sie beide Jahre lang an demselben Fürstenhofe gelebt hatten, kannte sie seinen hochfahrenden und begehrlichen Sinn, und diese Erinnerungen trugen sehr dazu bei, der Äbtissin die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der Einladung zu erschweren. Die zwei, mit denen sie in ihrem Wohngemach darüber zu Rate saß, die Pröpstin Kunigunde von Woldenberg und der Stiftshauptmann Willekin von Herrkestorf, der als Kanzler ihren weltlichen Geschäften und Rechtssachen vorstand, waren beide für die Annahme.

»Bedenket wohl, gnädigste Frau,« sprach der Stiftshauptmann, ein untersetzter Herr mit ausdrucksvollem Gesicht und schon stark ergrautem Haar, »bedenket wohl, daß der hochwürdigste Bischof es übel vermerken würde, wenn Ihr nicht kämet! Ist er doch vor Jahr und Tag zu Euch gekommen, als Ihr das Kreuz mit der Reliquie des heiligen Servatius zum ersten Male vor versammeltem Volk auf öffentlichem Markte truget.«

Die Äbtissin sah den Stiftshauptmann mit großen Augen an und sagte: »Glaubt Ihr wirklich, der Bischof hätte uns nur geladen, um uns seine Lieb' und Freundschaft zu beweisen?«

»Welchen anderen Grund könnte er haben, Fürstin?«

»Denselben, Herr Stiftshauptmann, aus welchem er sich im vergangenen Jahre anmaßte, in unserem Stift eine oberhirtliche Visitation vornehmen zu wollen. Ihr erinnert Euch wohl, wie ich dieses hochmütige Ansinnen zurückwies. Und damit fing die Freundschaft an.«

»Nun, mit der Visitation war es wohl nicht so ernst gemeint,« erwiderte Herr Willekin. »Der ritterliche Bischof suchte wohl nur nach einer schicklichen Gelegenheit, Euch wiederzusehen und Euch seine große Verehrung zu bezeugen.«

Die Äbtissin schüttelte das Haupt; die Pröpstin aber nickte dem Stiftshauptmann verständnisvoll lächelnd zu und sagte: »So mein' ich auch, und jedenfalls haben wir alle Ursache, die Hand, die er uns aus eigener Bewegnis zur Versöhnung bietet, anzunehmen.«

»Versöhnung, Gräfin Kunigunde? Nein, nein! ich kenne ihn besser,« sprach die Äbtissin. »Sein Gemüt und Fürnehmen steht ganz wo anders hin. Unter der langen Regierung unserer in Gott ruhenden Vorgängerin Bertradis hat kein Bischof von Halberstadt versucht, sich in die Angelegenheiten unseres Kapitels zu mischen.«

»Laßt das vergessen sein, gnädige Frau!« begütigte der Stiftshauptmann. »Er wird den Versuch nicht wiederholen, und am Ende gebietet es die Klugheit, den geistlichen Nachbar bei gutem Frieden und Wohlmeinung zu erhalten. Dann könnten wir in schwierigen Fällen leicht Freundschaft, Hilf und Trost von ihm haben.«

»Was meint Ihr für schwierige Fälle?« frug die Äbtissin. »Ist in dem eisernen Kasten unserer Schwester Thesauraria wieder einmal Ebbe?«

Der Stiftshauptmann nickte nur.

»Freilich!« sagte die Pröpstin spitz, »wie soll der Schatz sich füllen, wenn man ans Sparen niemals denkt!«

Jutta warf ihr einen finsteren Blick zu, schwieg aber still.

»Das ist's auch nicht allein,« sprach der Kanzler, »und für unseren Stiftsschatz wüßte ich schon noch eine andre Quelle.«

Die Äbtissin sah ihn fragend an.

»Dort unten unsere gute Stadt,« fuhr er fort.

»Die Stadt?«

»Nun ja. Ihr wißt wohl, erlauchte Herrin, wohin des Rates Wünsche zielen.«

»Ihr meint die Lauenburg,« sprach die Äbtissin und zog die Brauen zusammen.

»Die Stadt würde Euch für die Belehnung damit einen guten Pfandschilling zahlen, einen besseren, als Euch die Grafen von Blankenburg dafür geboten haben.«

»Soll ich die Burg Heinrichs des Löwen dem Meistbietenden im Aufstrich geben?« erwiderte die Äbtissin unwillig. »Wahr ist's, die Blankenburger machen sich starke Hoffnung auf die Burg, aber so lange Leutfried lebt, der seligen Bertradis alter Getreuer, soll dort kein andrer hausen. Sagt das Euren wohlweisen Freunden im Rat!«

»Der Burgvogt ist mit vielen Jahren beladen, also daß er langen Lebens keine Hoffnung mehr hat; er liegt krank danieder und wird sich vom Siechbett schwerlich wieder erheben,« bemerkte Herr Willekin. »Die Burg ist fast schutzlos, gnädige Frau!«

»Schutzlos! Wenn Euch Graf Albrecht von Regenstein so reden hörte, Herr Willekin!« Die Äbtissin sprach das mit ihrer tiefen, klangvollen Stimme und im Tone eines ernsten Vorwurfs.

Aber der Stiftshauptmann erwiderte schnell: »Graf Albrecht von Regenstein! Das war es, was ich meinte, wenn ich von schwierigen Fällen sprach, derowegen wir uns zum hochwürdigsten Bischof von Halberstadt gut zu stellen hätten. Es könnte sein, daß wir einmal seines Schutzes auch gegen unseren edlen Schutzvogt bedürften.«

»Herr von Herrkestorf,« fuhr die Äbtissin auf, »da sprecht Ihr wieder einmal als Quedlinburger! Ich weiß, in der Stadt grollen sie dem Grafen, weil seine Knechte ihnen eine Schafherde oder ein paar Kühe oder dann und wann eine Wagenladung Frachtgut weggenommen haben.«

»Auch Bürger der Stadt, die er auf der Landstraße niedergeworfen, hat er eingelegt und will sie nicht freilassen,« eiferte der Stiftshauptmann.

»Dann wird er auch wissen warum, und solltet Ihr es nicht wissen?«

»Er raubt, wo er kann; darum heißt er der Raubgraf.«

»Wer nennt ihn so? Ihr Städter, sonst niemand. Und ich will das Wort nie wieder hören, Herr von Herrkestorf!« sprach Jutta sehr erregt und faßte mit rascher Bewegung nach dem großen silbernen Kreuz mit einem goldenen Kruzifixus darauf, das sie an einer Goldschnur um den bloßen Hals trug.

»Burgen und feste Häuser hat er ringsum zwischen Oker und Bode, als wäre ihm schon der ganze Harzgau untertan, wonach er ja mit aller Gewalt strebt,« fuhr der Stiftshauptmann im Zorne fort. »Wir haben sichere Kunde, daß er mit dem Fürsten Bernhard von Ballenstedt auch um die Belehnung mit Burg und Gericht Gersdorf verhandelt.«

»Das ist mir lieb zu hören,« erwiderte die Äbtissin kurz.

»Höret mich nur weiter an, achtbare Fürstin!« sprach Herr Willekin. »Im ganzen Reiche treten die großen Herren heimlich oder offen zur Unterdrückung der Städte zusammen, die in hohem Ton und Aufgang begriffen sind und dem Adel Abbruch tun, wie die Herren meinen. Wenn sie aber erst die Städte bezwungen haben, dann kommt die Reihe an Euch, an die großen Stifter und die geistlichen Fürsten, nach deren Lehen sie trachten und denen sei ein Recht nach dem anderen nehmen werden.«

»Unnötige Sorge!« sprach die Äbtissin mit geringschätzigem Tone. »Das wird der Kaiser nicht dulden.«

»Der Kaiser! du lieber Himmel! als wenn der nicht schon genug mit sich selber zu schaffen hätte!« versetzte der Stiftshauptmann. »Ich beschwöre Euch, gnädige Frau, beleidigt den Bischof nicht mit einer Ablehnung! Er ist Euer nächster und natürlichster Bundesgenosse, der einzige, der Euch Farbe hält. Versaget ihm nicht die kleine Höflichkeit, die Euch doch so wenig kostet!«

»Domina!« mahnte auch die Pröpstin noch einmal, »Herr Willekin hat recht; laßt uns hinüber nach Halberstadt! das ist auch mein Rat. Ihr vergebt Euch ja nichts damit, könnt ja dem Bischof zeigen, daß Ihr hier im Stifte die Herrin seid, so gut wie er in seinem Bistum der Herr ist!«

Jutta erhob sich, trat an ein Fenster und blickte in die Landschaft hinaus nach dem westlichen Harze.

»Wann kommt der Erzbischof nach Halberstadt?« frug sie endlich, ohne sich umzuwenden.

»In zehn Tagen,« antwortete der Stiftshauptmann.

»Also haben wir noch Zeit zur Entscheidung.«

»Nicht lange, gnädige Frau! und nicht wahr? ich darf mit Eurer Erlaubnis das Domkapitel unter der Hand schon wissen lassen, daß Ihr kommen wollt.«

»In Gottes Namen, ja! wenn es denn sein muß,« erwiderte die Äbtissin.

»Schreibt nur, Herr Willekin!« sagte die Pröpstin. »Unsere schöne Domina wird sich in Halberstadt recht gern einmal im vollen Glanz und Schmuck ihrer fürstlichen Würde zeigen.«

»Herzog Albrecht sieht schöne Frauen gern,« bemerkte der Kanzler halblaut und mit einem bewundernden Blick auf den herrlichen Wuchs der Äbtissin, die ihm den Rücken zuwandte und in Gedanken versunken auf das weitere Gespräch der beiden nicht hörte.

Seit fast fünf Jahren nun war Jutta als Konventualin auf dem Schlosse zu Quedlinburg. Ihr Vater, ein kampflustiger Herr, dem es auf abenteuerlichen Fehdezügen im ganzen Reiche herum viel wohler war als in seinem stillen Burgfrieden zu Hause, hatte nach dem Tode seiner Gemahlin die einzige, damals kaum siebzehnjährige Tochter an den Hof des Landgrafen von Thüringen Friedrichs des Ernsthaften auf die Wartburg gebracht, wo sie drei Jahre lang als Edelfräulein blieb und in so hoher Gunst bei der Gemahlin des Landgrafen, einer Tochter Kaiser Ludwigs, stand, daß diese sie durchaus nicht von sich lassen wollte, als der etwas hitzköpfige Graf von Kranichfeld eines zwischen ihm und dem Landgrafen ausgebrochenen Streites wegen ihre Entfernung verlangte. Die stolze Kaisertochter bat umsonst; sie konnte der ungern scheidenden Jutta nur ihre dauernde Zuneigung und ihren Schutz in allen Schicksalsfällen geloben, aber nicht hindern, daß ihr Vater sie nach dem freiweltlichen Stifte Quedlinburg entführte.

Auch hier gewann das lebhafte, reichbegabte Mädchen schnell die Liebe aller Schloßbewohner, besonders die der Äbtissin Bertradis, so daß sie, als diese Würde neu zu vergeben war, Kanonissin wurde. Aber damit nicht genug. Bertradis, ihr Ende nahe fühlend, empfahl statt der ihr dem Range nach am nächsten stehenden Pröpstin Kunigunde und der dann folgenden Dekanissin Gertrud von Meinersen, die beide wenig beliebt im Stifte waren, den Kapitularinnen ihren Liebling, die Kanonissin zu ihrer Nachfolgerin.

Darauf wurde Gräfin Jutta von Kranichfeld trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre vom Kapitel gewählt, und als sie sich nach altem Brauche auf dem Markte zu Quedlinburg von Rat und Bürgerschaft öffentlich huldigen ließ, entfaltete sie vor den Augen des über ihre blendende Erscheinung entzückten Volkes eine Pracht, welche diejenige ihrer Vorgängerinnen bei derselben Gelegenheit noch überstrahlte. Sie erschien mit ihren Kapitularinnen und von ihrem Hofstaat umgeben, in kostbarem, goldschimmerndem Gewande, ein blitzendes Diadem auf dem Haupte, einen langwallenden Purpurmantel um die Schultern, alle Frauen und selbst viele Männer an Hoheit überragend. Der Bischof Albrecht von Halberstadt mit Domherren und Klerikern, der Schirmvogt des Stiftes, Graf Albrecht von Regenstein mit seinen Brüdern, die ritterlichen Inhaber der vier stiftischen Erbämter und viele Grafen und Edle aus den benachbarten Gauen waren mit stattlichem Gefolge herbeigekommen, der glänzenden Feierlichkeit beizuwohnen.

Die Erwählte mit ihren Damen sowie der gesamte Rat standen auf einer erhöhten Bühne; der erste Bürgermeister Herr Nikolaus von Bekheim verlas mit lauter Stimme den Treuschwur, die versammelten Bürger sprachen ihn nach, und alles jubelte und jauchzte der neuen Äbtissin begeistert zu.

Dann gab es auf dem Schlosse ein großes Festmahl, zu dem die edlen Gäste, der Rat und die vornehmsten Bürger der Stadt geladen waren, und bei dem Jutta wie eine Königin geehrt und gefeiert wurde. Die Augen der Männer hingen mit Bewunderung an ihrer voll entwickelten Schönheit, und vor allen war der nur wenige Jahre ältere Bischof von Halberstadt, der als Junker fürstlichen Standes ihr fröhlicher Genosse auf der Wartburg gewesen war, eifrig beflissen, ihr wieder wie damals die wärmsten und minniglichsten Huldigungen darzubringen.

Sie nahm alle die Ehren, alle das Werben um ihre Gunst lächelnd und verbindlich, aber mit einem gewissen gnädigen Stolze wie etwas ihr vollkommen Gebührendes hin und verstand es gleich von Anfang an, ihren hohen Rang mit Anmut und Würde zu tragen. Obwohl sich ihr Ehrgeiz manchmal schon in dieses Glück hineingeträumt hatte, erstaunte sie doch, als es ihr wirklich zuteil wurde, und suchte die durch ihre Zurücksetzung tief gekränkte Pröpstin damit zu entschädigen, daß sie sich in wichtigeren Angelegenheiten wenigstens scheinbar ihres Rates bediente, was zu beanspruchen jene durchaus kein Recht hatte.

Eine ihrer ersten Handlungen war, daß sie die große Krypta unter dem hohen Chore der herrlichen, im reinsten romanischen Stil erbauten Basilika mit einem wunderschönen, reich verzierten Portale schmücken ließ. Da in dieser Krypta nicht allein die Königsgräber waren, sondern es auch von dort zu der Gruft der Äbtissinnen hinabging, so rechnete man ihr diesen Bau als einen Ausdruck der Verehrung der dort Schlummernden an und lobte sie dafür. Manche aber legten es ihr als Stolz aus, als wäre sie nur bestrebt, die Fürstin zu zeigen, die ihr Andenken selbst durch Ausschmückung ihrer künftigen Ruhestätte sichern wollte.

So ganz Unrecht hatten die Bedenklichen nicht, denn Jutta schien zum Herrschen geboren. In ihren Adern rollte das heiße Blut ihres Vaters, und ihre heftige, leidenschaftliche Natur trug ungern die Fesseln eines fremden Willens. Als sie mit der unumschränkten Gewalt im Stifte bekleidet war, trat sie sofort als gebietende Herrscherin auf, die ihren Winken und Befehlen überall Gehorsam zu verschaffen wußte.

Der einzige, bei dem ihr dies nicht immer gelang, war Graf Albrecht von Regenstein. In seiner freimütigen, zuweilen etwas derben Kraft und in seinem hellen, weitschauenden Geiste trat ihr etwas entgegen, das ihr überlegen war, dem sie mit aller Gewalt ihrer fürstlichen Stellung nichts anhaben konnte, und an dem ihre schnell wechselnden Launen machtlos abprallten. Dabei machte auch die äußere Erscheinung des in schöner, fester Männlichkeit erblühten Grafen und sein ritterliches Wesen einen Eindruck auf sie, dem sie auf keinerlei Weise zu wehren versuchte. Vielmehr strebten Herz und Sinne der jungfräulichen Äbtissin mit starken Gefühlen zu dem Helden hin, und ihre Gedanken beschäftigten sich viel mit ihrem noch unvermählten Edelvogte. Anwesend oder abwesend übte er auf ihre Entschließungen einen nicht geringen Einfluß, und auch in dem vorliegenden Falle, angesichts der bischöflichen Einladung, die zweifellos auch ihm zugegangen war, hätte sie gern seine Meinung gehört.

Darum schaute sie beinahe mit Sehnsucht, als könnte ihr Blick den tapferen Grafen herbeiziehen, in das Land hinaus nach Westen, wo sich der Regenstein mit seiner hohen, schroff abstürzenden Felswand klar und scharfkantig am Horizont zeigte.


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