Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Zwölftes Kapitel.

Auf dem Wege nach Gersdorf klang die Unterredung, die der Graf eben mit der Äbtissin gehabt hatte, mächtig in ihm nach. Immer noch hörte er Juttas heftige Rede: »Gebt mir die Gräfin, Ihr habt keinen Grund, sie zu halten!«

Keinen Grund? Hatte er denn der danach Verlangenden nicht Gründe genug angegeben? hatte er ihr nicht gesagt, daß er Oda auf dem Regenstein für sicherer aufgehoben hielte, als irgend anderswo? Freilich, wenn erst die Fehden mit dem Bischof und den Blankenburgern ausgebrochen waren, so gab es keinen ungünstigeren Aufenthalt für die Gräfin als diesen. Mit Sorge dachte er daran, das liebe Mädchen den Wechselfällen und Schrecken des Krieges preisgeben zu müssen. Dem war sie allerdings auf dem Schlosse zu Quedlinburg nicht ausgesetzt; nirgends konnte sie dann besser geborgen sein, als unter der gefriedeten Obhut der Fürst-Äbtissin, die ja versprochen hatte, sie in ihren Schutz zu nehmen, und was Jutta versprach, das hielt sie.

Aber Siegfried! was würde der sagen, wenn er die Geliebte missen sollte? Jutta hatte gut reden; aber so ungestört wie da oben auf dem durch seine steile Höhe weltentrückten Felseneiland des Regensteins oder unten in den bergenden Einsamkeiten des verschwiegenen Waldes konnten die beiden nimmer auf dem Quedlinburger Schlosse verkehren unter den beobachtenden Augen der Äbtissin und der übrigen Kapitularinnen. Wie sollten da ihre Herzen sich finden und den Bund schließen, den Albrecht so dringend wünschte!

Und er selber! auch ihm würde es nicht leicht werden, sich von Oda zu trennen. Ihre Anwesenheit wirkte auf alle Bewohner der weiten Burg wie ein fortdauerndes, von Tag zu Tage sich erneuendes Wunder, und sie wußten nicht, hatte der Frühling als seine schönste Gabe sie, oder hatte sie den Frühling mitgebracht, der ihnen nach der Winters absperrender Einsamkeit und Öde noch niemals so sonnig, so blütenreich und duftig erschienen war wie dieses Mal. Seit dem vor einer Reihe von Jahren erfolgten Abscheiden der Gräfin Mutter hatte keine Frau vornehmer Geburt auf dem Regenstein geweilt und Mann und Magd zur Rücksichten gezwungen, die ein unvermählter, ritterlicher Kriegsmann wie Graf Albrecht von den Seinigen nicht verlangte. Er war zufrieden, wenn sie in Burg und Feld ihre Schuldigkeit taten und seinen Befehlen gehorchten; im übrigen ließ er ihnen jede Lust und jede Freiheit.

Nun aber stieg eine edle Jungfrau, die Gefangene genannt und als Herrin gehalten wurde, die Treppen herab und herauf, wandelte auf dem Empor des Felsens, daß sich, von unten gesehen, ihre schlanke Gestalt am blauen Himmel zeichnete, schritt schwebenden Ganges über die Höfe und durch das gewölbte Tor, und ihr Kommen glich dem Erscheinen eines Genius des Friedens, der auf der waffenstarrenden Feste alles erfreuend und segnend waltete.

Und diesen guten Geist sollte Graf Albrecht aus seiner Behausung verbannen? nimmermehr! Wie Waldvogelgesang, wie sanfte, süße Saitenklänge schmeichelte seinem Ohr ihre Stimme; aus ihren Augen grüßte ihn der lachende Morgen am freudigsten; nach ihrem Verschwinden am Abend sank ihm die schweigende Nacht willkommen hernieder und schenkte ihm friedlichen, wohligen Schlummer.

Immer aber sah er Oda neben Siegfried und Siegfried neben ihr. Die beiden waren ihm in seiner Vorstellung schon so untrennbar voneinander, daß er sich ihre Vereinzelung nicht mehr denken konnte. Er war überzeugt, daß jeder in dem andern sein höchstes Lebensglück finden würde, und dieses gönnte er von Grund der Seele ebenso seinem Liebling Siegfried, der ihm von klein auf unter seinen schützenden Händen an die Augen herangewachsen war, wie dem holden Mädchen, das er erst seit wenigen Wochen kannte und doch schon wie ein trautes Schwesterlein von Herzen lieb gewonnen hatte.

Der Auftritt mit der Äbtissin hatte ihn erregt und beunruhigt, beunruhigte ihn jetzt noch. Sie glaubte nicht an seine selbstlose Absicht mit Oda, sondern hatte ihn in dem Verdacht, daß er nur seinetwegen die junge Gräfin bei sich festhielte, daß er sie liebte und selber zu besitzen begehrte. Er und Oda! die bleiche Lilie seine Gattin! ein wunderlicher, ein närrischer Gedanke! nicht im Traume wäre ihm der gekommen und gewiß noch weniger dem unschuldsvollen Mädchen; der konnte nur in Juttas eifersüchtigem Herzen entstehen.

Ein größerer Gegensatz von Weib und Weib wie zwischen den Zweien, die beide jetzt unter seinem Schutze standen, war kaum denkbar. Jutta von Kranichfeld liebte ihn mit Leidenschaft, mit herrschsüchtiger, unduldsamer Gewalt. An ihre Launen, die wie Wund und Wellen umschlugen, war er gewöhnt; aber mochte sie ihn nun mit der warmen Sonne ihrer Gunst beglücken oder wie Sturm und Gewitter mit ihrem Zorn überfallen, immer blickte ihre Liebe durch und ihre Sehnsucht, ihn zu besitzen. Halb stieß ihn ihr ungestümes Wesen ab, halb zog es ihn an; er wollte nicht geworben und gewonnen sein, er wollte selber werben und erringen, sei es eine feindliche Burg oder ein geliebtes Weib. Widerstand reizte ihn, wo immer er ihn fand; hier aber war er es, der ihn leistete. Und doch war es ihm ein lockender Gedanke, dieses stolze, verführerisch schöne Weib sein zu nennen, diese ungebrochene Kraft, diesen launenhaften Trotz kampflich zu bezwingen und in ruhevolle Stetigkeit zu verwandeln, zu hingebender Liebe zu erziehen. Sein starker Arm, der Schwert und Lanze führte wie kein zweiter im Gau, würde gewiß auch weich und behutsam den Leib der Geliebten umfangen, und sollte der strenge Mund, der bis jetzt nur laute Befehle zu rufen verstand, nicht auch leichtes Geplauder und wonniges Kosen lernen können?

Welcher Art und welchen Sinnes mußte die künftige Lebensgefährtin des Grafen Albrecht sein? Ein willenloses, schmiegsam unterwürfiges Kind, das mit zarter Hand seine umwölkte Stirne glättete, mit ängstlichem Blick ihm jeden Wunsch von den Augen las u seine Gedanken und Meinungen widerspruchslos als die höchste Weisheit auf Erden verehrte? Oder ein reisiges Weib, stahlhart wie er selber, das seinen eigenen Verstand und seinen eigenen Willen hatte, mit Rat und Tat ihm treu zur Seite stand, für ihn eintrat, wenn es galt, und ihm nicht nur bis an den Rand der Gefahr, sondern ohne Bedenken in sie hinein, durch sie hindurch zu jeder Stunde folgte?

Nun denn, ein solches Weib saß auf der alten Kaiserpfalz zu Quedlinburg und wartete nur auf das eine Wort aus seinem Munde: Komm!

Unter solchen Betrachtungen war Graf Albrecht ohne es zu merken vor der Feste Gersdorf angelangt; aber wie aufgescheuchtes Federwild flatterten ihm die Liebesgedanken davon, als ihn der Türmer von der Brustwehr herab mit einem frohlockenden Hornruf begrüßte. Er überdachte schnell noch einmal, was er mit Günther alles zu besprechen hätte, und da fiel es ihm plötzlich schwer auf die Seele, daß er ja ganz vergessen hatte oder vielmehr nicht dazu gekommen war, mit der Äbtissin über die Lauenburg zu reden.

Auf dem Hinritt nach Quedlinburg hatte er sich vorgenommen, die Domina mit guten Worten um die Belehnung mit der Burg anzugehen, denn es war ihm doch lieber, wenn er sie mit allem Glimpf und Fug als ein rechtes Lehen erhielt, als wenn er sie durch einen Gewaltstreich nehmen müßte; aber haben mußte er sie, es koste, was es wolle, und es war Gefahr im Verzuge.

Das Versehen war nicht mehr gutzumachen; wieder umkehren und zur Äbtissin zurückreiten konnte er nach dem eben stattgehabten Auftritt nicht. Darum blieb er bei seinem ersten Plane, den er Bernhard heute durch Siegfried hatte ankündigen lassen, nämlich die Lauenburg einfach zu nehmen.

Er weihte Günther in alles auf dem Regenstein Vorgefallene ein und erteilte ihm ausführliche Weisung. Der Überfall sollte unter seinem Albrechts Befehl von den Reisigen der Gersdorfer und der Gunteckenburg unternommen werden, denn viel Mannschaft war dazu nicht nötig. Über die Zeit der Ausführung wollte Albrecht dem Bruder durch einen Reitenden Botschaft senden; dann sollte sich Günther mit den Seinigen unter dem Schutze der Dunkelheit an das Gebirge heranschleichen und an einem bestimmten Punkte mit Albrecht zusammentreffen.

Günther versprach, treulich Panier zu halten, wie Albrecht befohlen, und dieser ritt mit seinem schweigsamen Schildknechte wieder hindan und auf dem kürzesten Wege nach Hause. –

Siegfried hatte Oda den ihm von seinem Bruder gewordenen Auftrag, Bernhard eine geheime Botschaft zu bringen, mitgeteilt und ihr den Vorschlag gemacht, mit ihm zu Fuß nach der Heimburg zu gehen und die Pferde nachkommen zu lassen, um zurückzureiten, womit Oda gern einverstanden war.

Sie machten sich auf den Weg, aber Oda war still und in sich gekehrt. Sie pflückte im frühsommerlichen Walde hier und da eine Blume und gab auf Siegfrieds Rede zwar freundliche, aber kurze, zuweilen etwas zerstreute Antworten. Endlich frug sie, im langsamen Gehen gedankenvoll ihr Sträußchen ordnend: »Wohin ist Graf Albrecht heute geritten?«

»Nach Quedlinburg zur Äbtissin,« erwiderte Siegfried. »Nun, was erschreckt Ihr, Fräulein? Meint Ihr etwa, das sei eine Vorbereitung zu Eurer Entsendung ins Stift? Daran denkt Albrecht nicht.«

»Aber die Äbtissin wird es verlangen,« sprach Oda; »sie hat ja ihren Schreiber schon darum gesandt.«

»Das hilf ihr alles nichts,« lachte Siegfried. »Meinem Bruder widersteht niemand, nicht einmal die Äbtissin, die sonst viel über ihn vermag. Ihr kennt sie wohl nicht?«

»Nein,« sagte Oda. »Kennt Ihr sie denn?«

»Ja gewiß!« erwiderte er. »Sie ist herrisch und launenhaft; aber sie hat etwas Freudiges und Berückendes in ihrem Wesen, ist schön und stolz wie eine Königin und kann sich die Menschen untertänig und die Herzen gewogen machen, wenn sie nur will.«

»Ich möchte sie wohl einmal sehen,« sprach Oda halb für sich.

»Das braucht Ihr nur Albrecht zu sagen,« erwiderte er; »dann nimmt er Euch einmal mit, wenn er sie besucht. Aber dann reit' ich auch mit, damit sie Euch auf dem Schlosse nicht festhalten.«

Oda seufzte leise und schwieg.

»Ihr seid nicht fröhlich, Gräfin Oda,« begann Siegfried nach einer langen Pause. »Drückt Euch ein Leid?«

Oda schüttelte das Haupt.

»Da muß ich sehen, wie ich auch den anderen Auftrag meines Bruders erfüllt,« fuhr er fort. »Ich soll Euch aufheitern, soll Eure Gunst zu erwerben suchen, gebot mir Albrecht.«

»Das hat Euch Euer Bruder geboten?« frug Oda.

»Ja! denkt Euch!« lachte Siegfried. »Es war freilich nicht vonnöten, mir das noch besonders auf die Seele zu binden. Aber er hat noch mehr gesagt. Du mußt ihr Freund und Vertrauter werden, Siegfried! ich wünsche das, sprach er. Und wenn Albrecht sagt: ich wünsche das! – ja, Gräfin Oda, dann hilft nichts in der Welt, dann muß das geschehen; aber ich fange es gewiß recht dumm an.«

Oda lächelte und sagte unbefangen: »Ihr seid schon mein Freund und Vertrauter, Graf Siegfried.«

»Wirklich? bin ich das?« frug er mit freudeglänzendem Gesicht.

»Ich bin die Gefangene Eures Bruders und muß ihm gehorchen,« erwiderte sie. »Aber es gehorcht sich ihm gut und leicht, und da will ich Euch nur helfen, seinem Befehle nach zu tun, damit wir nicht in Ungnade fallen,« schloß sie mit einem schelmischen Blick.

»Seht Ihr wohl!« rief er vergnügt, es ist mir gelungen, ich habe Euch aufgeheitert, wie Albrecht es wollte.«

So waren sie am Fuße des Berges angekommen und stiegen nun den steilen Weg zur Heimburg langsam hinauf.

Gräfin Reginhild empfing die Ankommenden freudig und herzlich, und während die Brüder sich über Albrechts Botschaft unterhielten, saß sie mit Oda plaudernd auf der Fensterbank im Erker. Das tat Oda, der ein traulicher Verkehr mit anderen, ihr ebenbürtigen Frauen so gut wie neu war, unendlich wohl, und sie gab sich dem Genusse rückhaltlos und mit Freuden hin.

Reginhild aber streckte in dem munteren Gespräch mit klugen Worten und unverdächtigen Fragen leise Fühler nach Odas Meinung über Siegfried aus, um zu erfahren, ob seine Hoffnung auf ihre Liebe Grund und Boden hätte, oder ob schon ein anderer ihr Herz besäße. Oda ging arglos in alle die kleinen, listig gestellten Fallen, und bald wußte die gewandte Frau mehr, als ihr zu wissen lieb war.

Siegfried und Oda blieben den Tag über auf der Heimburg, und es gab ein fröhliches Mittagsmahl zu vieren. Nur Reginhild war zuweilen etwas still und nachdenklich; desto glücklicher aber war Siegfried, denn er sah sich und Oda schon als ebensolches Paar wie die mit ihnen zu Tische sitzenden Bernhard und Reginhild.

Gegen Abend ritten die ersteren auf den ihnen nachgeschickten Pferden zum Regenstein zurück.

Als sie fort waren, sagte Bernhard zu seiner Frau: »Ein liebes Mädchen! und ich gönne unserm Blonden sein Glück von ganzem Herzen, aber – ich kann mich noch nicht darüber freuen. Ich habe das dunkle Gefühl, als sollte uns diese Verbindung noch in böse Händel bringen.«

Reginhild nickte betrübt vor sich hin und erwiderte nichts.

»Dir geht es ebenso?« fuhr Bernhard darauf fort, »nicht wahr? Du hast auch kein Vertrauen dazu?«

»Nein, aber aus ganz anderen Gründen,« sprach Reginhild. »Ich habe heut eine seltsame Entdeckung gemacht.«

»Nun?«

»Mit scheint, Gräfin Oda liebt nicht Siegfried, sondern – Albrecht!«

»Albrecht? Albrecht?« frug der Graf bestürzt. »Hat sie dir's gesagt?«

»O nein! aber es ist mir fast außer allem Zweifel,« erwiderte Reginhild.

»O Hilde, Hilde! siehst du, da kommt es schon heran, das Unheil!« rief Bernhard erregt. »Prügeln könnt' ich den Bock, daß er uns dies Unglücksmädchen auf die Burg gebracht hat!«

»Schilt die Ärmste nicht!« bat Reginhild mitleidig, »sie ist selbst schlimm genug daran.«

»Ach! – warum geht sie nicht nach Quedlinburg zur Äbtissin, wohin sie gehört!«

»Sie lassen sie ja nicht fort,« sagte Reginhild; »der eine hält sie aus Liebe fest und der andere aus Trotz.«

»Ob er es denn schon weiß?« frug Bernhard.

»Albrecht, meinst du? das glaube ich nicht. Der hat nicht Zeit dazu und auch nicht den Blick dafür. Aber was wird werden, wenn Siegfried, dessen Hoffnung mit vollen Segeln fährt, sein erträumtes Glück vor sich versinken sieht!?«

Graf Bernhard seufzte schwer auf. »Das hat uns gerade noch gefehlt,« sprach er düster, »zu allem Orloch und Fehdedrohen auch noch bittere Herzenskämpfe unter uns Brüdern!«

Und tief bekümmert blickten die Gatten den sorglos Dahinreitenden von oben nach.


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