Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Als die Kapitularinnen im Schlosse sich zu ihrem gemeinsamen Frühmahle versammelten, fehlte Oda, und da sie als die zuletzt Eingetretene das Gebet zu sprechen hatte, so mußte auf sie gewartet werden. Man war an solche Unpünktlichkeit nicht gewöhnt, und die Äbtissin schickte die Scholastika zu der Vermißten, um nach dem Grunde ihres Ausbleibens zu forschen. Fräulein Hedwig von Hakeborn kam mit der Meldung zurück, die Erwartete würde sogleich erscheinen, und fügte auf eine Frage der Äbtissin hinzu: »Junker Florencius war bei ihr.«

»Florencius?« sagte die Äbtissin erstaunt.

»Zu dieser Stunde?« die Pröpstin.

»Und allein?« die Dekanissin.

»Nein, ihre Zofe Eilika war dabei,« erwiderte die Scholastika.

Kurz darauf trat Oda in den Saal, entschuldigte sich ihrer Säumnis wegen, nahm ihren Platz ein und sprach das Gebet. Aber sie sprach es mit einer empfindungslosen Hast und Zerstreutheit, die deutlich erkennen ließ, daß ihre Gedanken nicht bei ihren Worten waren, und ihr nach Beendigung desselben verwunderte und strafende Blicke zuzog. Während des Mahles, das die Damen in ihrer unbeschränkten Muße gern lang ausdehnten, war Oda wie umgewandelt. Bald saß sie träumerisch vor sich hinstarrend, bald ergab sie sich an Stelle ihrer sonstigen Schweigsamkeit und Niedergeschlagenheit einem sprudeln mitteilsamen Frohsinn, wie man noch gar nicht an ihr kannte. Allen fiel es auf, und alle waren mit sich einig, daß über Nacht eine seltsame Veränderung mit ihr vorgegangen und ihr etwas Außerordentliches begegnet sein müßte. Sollte sie sich wirklich über den Tod des Grafen Siegfried mit dem lustigen Stiftsschreiber Florencius trösten? dachten die einen, und die anderen: sie freut sich über die Enttäuschung und den Grimm er Äbtissin, die zu lieben sie ja wahrlich keine Ursache hat; aber was ist geschehen, daß diese Freude so plötzlich und unverhohlen zum Durchbruch kommt?

Der Äbtissin schien Odas verändertes Wesen sehr verdächtig, und sie gebot ihrer Freundin Adelheid, der Scholastika Hedwig, der sie sich auf der Reise enger angeschlossen hatte, und ihrer Kammerfrau, Oda auf Schritt und Tritt zu beobachten und ihr von deren Tun und Treiben genaue Kunde zu geben.

Niemand ahnte den wahren Grund von Odas Freude, denn niemand außer den vier Eingeweihten wußte etwas von dem in der Nacht gefaßten Entschlusse des Grafen Albrecht.

Dieser ließ am Morgen den Bürgermeister bitten, zu einer Unterredung mit ihm in seinen Kerker zu kommen. Der Bürgermeister kam, und Graf Albrecht erklärte ihm, durch Annahme der kaiserlichen Bedingungen seine Freiheit erkaufen zu wollen, wenn man ihn nach vollzogener Unterschrift und geleistetem Eidschwur heut abend der Haft entledigen und seine Freilassung bis zum nächsten Tage geheim halten wollte.

Herr Nikolaus von Bekheim glaubte dem Gefangenen die Erfüllung dieses Wunsches versprechen zu können, ließ sofort die Ratsherren in aller Stille zu einer geheimen Sitzung berufen, und bis sie kamen, eine Urkunde über den Verzicht des Grafen auf die Vogtei und über seine sonstigen Verpflichtungen und Gelöbnisse vorbereiten.

Die Sitzung verlief in Gegenwart des Grafen ruhig und würdevoll. Da mit seiner Einwilligung dem Rate ein großer Gefalle geschah, so behandelte dieser seinen ehemaligen Feind mit ausgesuchter Höflichkeit und Rücksicht. Er selber sprach kein Wort mehr, als durchaus notwendig war, und hatte für die versammelten Ratsherren nicht einen Blick. Der Bürgermeister las die Urkunde laut vor, der Graf unterschrieb sie mit fester Hand und schwur zu Gott und den Heiligen, die eingegangenen Verpflichtungen ehrlich und gewissenhaft zu erfüllen. Darauf wurde er los und ledig gesprochen und ihm die Versicherung gegeben, daß seine Freilassung bis zum nächsten Tage verschwiegen bleiben sollte.

Er wartete im Gemache des Bürgermeisters die Abenddämmerung ab und ging dann frei aus der Stadt hinaus, deren gebietender Schutzvogt er gewesen war.

Man hatte ihm sein Schwert und Panzer und Stahlhaube wiedergegeben, und damit angetan und in einen langen Mantel gehüllt schritt er in der Dunkelheit den ihm wohlbekannten Weg nach dem Wipertikloster, einsam und allein wie ein Ausgestoßener und Geächteter. Es war Ende Oktober; die frische Luft und ein kalter Sprühregen, der ihm das Gesicht netzte, taten dem aus dumpfer Haft Erlösten unendlich wohl; er blieb mehrmals stehen und weitete sich die Brust mit tiefen Atemzügen.

Von den Opfern, die er seiner Freiheit gebracht hatte, war ihm keins so schwer geworden wie seine Einwilligung in die Unabhängigkeit der Stadt Quedlinburg, die nun mit ihrem Trotz und ihrer Macht über ihn triumphierte. Der Zornmut darüber wallte jedoch nur einen Augenblick in ihm auf, als er an der zerstörten Gunteckenburg vorüberkam. Urfehde hatte er ja der Stadt glücklicherweise nicht geschworen; die Zeche, die sie jetzt bei ihm auf dem Kerbholz hatte, sollte sie ihm noch einmal mit Zins und Zinseszins bezahlen!

Ihn kümmerte jetzt Näherliegendes. Er verdankte seine Freiheit zunächst Juttas Bemühungen und wußte, welchen Lohn sie dafür von ihm erwartete. Daß er sie um diese Hoffnung betrügen mußte, schmerzte ihn tief und aufrichtig. Aber ohne Odas Wunsch und Odas Liebe hätte er den Pakt mit dem Rate nie unterschrieben.

So war seine Erlösung das Werk der beiden Frauen, die dort oben unter einem Dache wohnten, die ihn beide liebten, von denen aber die eine einen hohen Preis für seine Rettung forderte, während die andere, in reiner, selbstloser Freude, ihn frei zu wissen, nichts begehrte, nichts erwartete und nicht im entferntesten ahnte, welches Glück seine Freiheit ihr entgegentrug. Und nun war er auf dem Wege zu ihnen, um der einen das Herz mit unaussprechlicher Seligkeit zu füllen und der anderen die bitterste Enttäuschung zu bereiten.

Eine Strecke vor dem Kloster, auf dem Wege von der Stadt her, stand Bock in Dunkelheit und Regen und wartete auf seinen Herrn; aber ehe er den Grafen sehen konnte, erkannte er seinen klirrenden Schritt und eilte dem Kommenden freudig entgegen.

»Da bin ich, Bock!« sprach der Graf und drückte seinem treuen Manne die Hand, »nun führe mich zur Gräfin Oda.«

»Erst einen Trunk, Herr Graf, und eine kurze Ruhe,« erwiderte Bock; »jetzt sitzen sie im Schlosse schon beim Nachtmahl, das sie immer sehr früh einnehmen und von dem sich das gnädige Fräulein nicht so schnell entfernen kann.«

Der Graf mußte sich fügen, und erst nachdem er sich beim Prior ein wenig erfrischt hatte, stieg er mit Bock den Schloßberg hinan. Oben trat er vom Schloßhofe durch das neue, von Jutta gebaute Portal in die Krypta, wo bei den Königsgräbern und der Ruhestätte der ersten Äbtissin eine ewige Lampe brannte und den großen gewölbten Raum mit seinen schattenwerfenden Säulen matt erhellte. Hier blieb er in sehnender Erwartung der Geliebten, den Blick auf die Tür und die Stufen gerichtet, die von der hohen Basilika in die Krypta hinabführten. Bock war ins Schloß gegangen, um Florencius und Eilika zu benachrichtigen.

Endlich erschien Oda, aber nicht von der Kirche her, sondern auf demselben Wege, den Albrecht gekommen war, und von Florencius geführt, der sich gleich wieder zurückzog und die Tür hinter sich schloß, um mit Bock und Eilika vor dem Portale Wache zu halten.

Graf Albrecht schritt der Zitternden entgegen, und sie war in einer so überwältigenden Aufregung, daß sie nicht wußte, was sie tat, als sie sich seinen umfangenden Armen überließ und, das Haupt an seine Brust gelehnt, in Tränen ausbrach. So hielt er sie lange umschlossen, die Lippen auf ihren duftigen Scheitel gedrückt.

»Oda! Oda!« sprach er endlich leise, »bist du nun mein?«

Bei dem Klange seiner Stimme schrak sie auf und wollte sich von ihm losmachen. Er aber zog ihre schöne Gestalt fester an sich und sagte: »Weißt du denn nicht, Oda, daß ich dich grenzenlos liebe seit langer Zeit? daß ich nur deinetwegen aus meinem Kerker ging?«

Da schaute sie ihn an wie jemand, der aus einem tiefen Traum erwacht, sich nicht gleich besinnen kann, wo er ist, und die Worte noch nicht versteht, die zu ihm gesprochen werden. Liebe? Albrecht liebte sie? hatte sie schon lange geliebt? – Ach sie träumte ja und wollte nicht erwachten. Sie blickte ihn so selig lächelnd an, als flehten ihre blauen Augen: o wecke mich noch nicht! es ist so süß, von deiner Liebe zu träumen! Aber wie sie sich deutlicher an seine Brust, in seinen Armen fühlte und seinen sonnigen Blick in den ihren gebannt, da kam sie allmählich zu Bewußtsein und Klarheit, und in ihrem Busen begann ein Klopfen und Wogen, die Gedanken kreisten, die Stimme versagte ihr. Sie schlang die Arme um Albrechts Nacken und preßte ihn an sich, damit ihr das Herz nicht zerspränge von einem so unfaßbaren, untragbaren Glück.

»Oda, hast du es gewußt, daß ich dich liebe?« frug er nun.

»Nicht gewußt und nie geglaubt und nie darauf zu hoffen gewagt, aber darum gebetet wie um meiner Seele Seligkeit!« sagte sie, mit innigem Entzücken zu ihm aufschauend.

»Und liebst mich, liebst mich wirklich?« sprach er glückestrunken.

»Ach! über alles Denken und Verstehen!« jubelte sie. »Seit ich dich zum ersten Male sah, bist du meines Lebens Stern und meines Herzens Abgott, Albrecht!«

»So sind wir eins auf ewig!« sprach er, »fortan soll uns nichts mehr trennen.«

Da schauderte sie leise zusammen und hauchte mit einem schmerzerfüllten Tone: »Siegfried steht zwischen uns. Er hat den Tod gesucht um meinetwillen.«

Albrecht fuhr betroffen auf. »Wer sagt das, Oda?«

»Er selber hat mir's angedeutet,« erwiderte sie, »beim Abschied; damit wir glücklich würden, sagte er.«

»Das hat er selber gesagt?« frug Albrecht.

Oda nickte.

»Siegfried ist in meinen Armen gestorben; seine letzten Worte waren: Nun bin ich euch nicht mehr im Wege;« halblaut nur, dumpf und gedankenschwer kam es von Albrechts Lippen.

»Er ist uns doch im Wege, Albrecht,« sprach Oda traurig. »Wie sollen wir ein Glück finden, um dessentwillen Siegfried in den Tod gehen mußte?«

Albrecht sah düster vor sich hin. So wie er die Geliebte hier in Armen hielt, so hatte es Siegfried gesollt, und so hatte er selber den verscheidenden Bruder gehalten, dessen Sterben die Brücke war, über die Albrechts und Odas Herzen zu einander kamen. Aber war Siegfried denn nicht in den Tod gegangen, damit sie beide glücklich würden? Hatte er dazu nicht dem Bruder die Botschaft von Odas Liebe gesandt?

»Oda,« sprach Albrecht nun, »ich will es dir gestehen: von Siegfried selber weiß ich es, daß du mich liebst.«

Sie sah ihn erschrocken an.

»Nicht er hat mir's gesagt,« fuhr Albrecht fort. »Als er mit der Todeswunde in der Brust am Wege lag, hat er's dem Ritter Bock vertraut, und der hat es mir gestern gesagt, wie er es dem Sterbenden hatte geloben müssen. Es ist ein Vermächtnis unseres Toten, daß wir uns lieben sollen und glücklich werden. Wir müssen es erfüllen, Oda, wie er es gewollt hat, und wie es unserer Sehnsucht will. An Siegfrieds Grabe wollen wir uns die Hände reichen, sein Geist wird uns segnen.«

»Aber wenn er es nicht tut, Albrecht?« frug Oda in bangem Zweifel. »Wenn er sich zürnend zwischen uns drängt und statt Segen Fluch und Unheil in unser Leben bringt? Albrecht, mir graut vor dem vergeltenden Schicksal!«

»Meines lieben Bruders Geist wird uns nicht schrecken, Oda,« versetzte Albrecht, »denn wir sind nicht schuld an seinem Tode. Er ging dahin, damit wir glücklich würden; laß uns an seine Liebe glauben und getrost den Bund schließen, auf den er mit verklärtem Antlitz lächelnd von oben niederschaut.«

»So sei es und gescheh' es denn in Gottes Namen, mein Geliebter!« erwiderte sie mit schimmernden Augen und bot ihm den Mund zum ersten Kusse. –

Nach dem Abendessen saß die Äbtissin einsam in ihrem Gemach an einem Tische, auf dem ein mit prächtigen Bildwerken geschmücktes Officiale aufgeschlagen lag. Sie hielt den Kopf in die Hand gestützt und blickte auf die großen, bunt verzierten Blätter, ohne zu lesen, was dort geschrieben stand.

Da trat die Kammerfrau ein und meldete eilig: »Gnädigste Domina, soeben hat sich Gräfin Oda mit dem Junker Florencius in die Krypta begeben.«

Die Äbtissin fuhr wie aus einem Traume geschreckt empor. »Wie sagst du? Gräfin Oda mit Florencius in die Krypta?« frug sie, als hätte sie nicht recht gehört. »Hast du dich auch nicht geirrt?«

»Nein, gewiß nicht, Domina!« erwiderte die Kammerfrau, »ich habe es mit diesen meinen Augen gesehen, wie sie beide zusammen durch das Portal getreten sind.«

Die Äbtissin erhob sich und schritt überlegend im Zimmer auf und nieder. »Geh,« sagte sie nach einer Weile, »und rufe mir sämtliche Damen des Kapitels zusammen. Sie sollen sich alle sofort hier einfinden, jede wie zu einem Bittgang mit einer großen Kerze versehen. Weiter sagst du ihnen nichts!«

Die Kammerfrau verbeugte sich und ging ab, um zu tun, was ihr befohlen worden war.

»O wir wollen die Heuchlerin entlarven!« sprach die Äbtissin, als sie allein war. »Eine Gräfin von Regenstein wollte sie werden, die tugendstrenge Unschuld, und gibt sich ein nächtliches Stelldichein mit einem Stiftsschreiber? Daher also der Übermut schon beim Frühmahl, daher das Lachen und Jubilieren den ganzen Tag! Darum also wollte sie an der Gruft ihres Verlobten nicht schwören, weil sie wohl wußte, daß sie das sündenfrohe Blut nicht bändigen würde! O wenn es doch Graf Albrecht erführe, wie sich seine keusche Lilie hier gebärdet!«

Immer heftiger redete sie sich in ihre Zornglut hinein, immer böswilliger sann sie über die unbarmherzigste Weise, die Verhaßte vor den Augen ihrer Stiftsgenossen zu brandmarken.

Die Konventualinnen, von jeher an die seltsamsten Launen ihrer Domina gewöhnt, fanden sich mit ihren Kerzen im Gemach der Äbtissin ein, allerdings neugierig, zu welchem Zwecke der außergewöhnliche Bittgang führen sollte.

»Vielliebe Schwestern,« sprach die Äbtissin zu den Versammelten, »wir haben uns fern von hier auf unserer Reise gelobt, wenn wir glücklich heimkehrten, mit unserem ganzen Kapitel ein stilles Dankgebet in der Krypta am Grabe unserer in Gott ruhenden ersten Vorgängerin, der Äbtissin Mathilde, zu tun. Kommt nun, das Gelübde zu erfüllen!«

»Gräfin Oda fehlt noch,« sagte die Scholastika; »soll ich sie rufen?«

»Nein!« erwiderte die Äbtissin schnell, »wir können auch ohne sie gehen.«

Da mochten manche der Damen, denen das üble Verhältnis der beiden nicht verborgen war, wohl merken, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung war, aber nur Gräfin Adelheid frug leise: »Was hast du vor, Jutta?«

»Still! laß mich!« gab diese flüsternd zurück.

Die Kerzen wurden angezündet, und die Damen reihten sich zum feierlichen Zuge. Etwas vor der Äbtissin zu ihren beiden Seiten gingen die zwei jüngsten Konventualinnen, um ihr zu leuchten; sie selber schritt allein an der Spitze der übrigen. Sie brauchten nicht über den Hof zu gehen, sondern konnten unmittelbar aus dem Schlosse in die Kirche gelangen, deren Schiff sie bis zu jener Türe, die von dort zur Krypta führte, in tiefem Schweigen langsam durchwandelten.

Schon von der leise geöffneten Tür aus hatte die Äbtissin mit boshafter Freude die beiden Gestalten an den Königsgräbern sofort erblickt; aber weil ihr Oda den Rücken zukehrte und mit ihrem Körper den des Grafen verdeckte, so glaubte sie, die Verratene wirklich in den Armen des Stiftsschreibers zu überraschen, und eilte mit heißgieriger Fanglust auf ihre Beute zu.

Da, von dem Geräusch aufgeschreckt, wandte sich Oda zur Seite, und vor der Äbtissin stand auf einmal hoch und frei Graf Albrecht von Regenstein.

Sein Panzer blinkte im Lichterglanz, sein Blick traf fest und streng die Äbtissin; mit dem linken Arm hielt er Oda umfaßt, die sich in der ersten Bestürzung von ihm trennen wollte, nun aber zitternd und schutzsuchend sich an ihn lehnte.

Die Äbtissin war sprachlos, mit offenem Munde, weit aufgerissenen Augen, wie zur Bildsäule erstarrt; ihr stockte der Atem, ihr wankten die Knie. Den Kapitularinnen, die sich herzudrängten und sie im Halbkreis umgaben, bebten vor Staunen und Erregung die Kerzen in den Händen. Niemand sprach; es war ein fürchterliches Schweigen.

Endlich begann der Graf mit ernster, tiefer Stimme: »Ihr seid mir zuvorgekommen, gnädige Frau! nicht so solltet Ihr meine Befreiung erfahren. Mein zweiter Gang sollte mich zu Euch führen mit meinem Danke für das, was Ihr für mich getan habt; mein erster aber galt der, die Ihr hier als meine Braut an meiner Seite stehen seht.«

Die Äbtissin bewegte ein paarmal langsam nickend das Haupt. Dann sagte sie mit gepreßtem Tone, daß es zischend durch die aufeinander gebissenen Zähne klang: »Und Ihr suchtet und fandet sie hier, heimlich, im Halbdunkel der Krypta. – Nun – Herr Graf, – ich wünsche Euch Glück – zu der Braut! – Ihr nehmt sie doch gleich mit, nicht wahr?«

»Gleich morgen!« erwiderte er, »und dann hoff' ich –«

»Spart jedes Wort! – ich weiß genug!« rief sie drohend, warf mit trotziger Gebärde den Kopf in den Nacken und sagte zu den Konventualinnen gewendet: »Kommt! wir wollen ein andermal beten.« Dann schritt sie, von jenen gefolgt, denselben Weg zurück, den sie gekommen war. –

»Albrecht, da geht unsere Todfeindin hin,« flüsterte sich ängstlich an ihn schmiegend Oda, als die Tür zur Basilika sich hinter der letzten Kerzenträgerin geschlossen hatte, und die Krypta nun wieder im matten Dämmerschein der ewigen Lampe lag.

»Hast du einen Nachtriegel in deiner Kemenate?« frug Albrecht.

»Ja,« erwiderte sie.

»So stoße ihn vor, ehe du dich zur Ruhe begibst,« sagte der Graf, »und genieße hier im Schlosse nichts mehr, als was du aus Eilikas Hand empfängst. Morgen nach dem Frühmahl haltet euch bereit, dann hol' ich euch.«

»Wohin, Albrecht?« frug Oda leise.

»Wohin, du Liebe?« sprach er glückselig lächelnd. »Nach dem Regenstein, auf unsere Burg! In zwei Tagen bist du mein Weib; der gute Abt von Michaelstein soll unsere Hände ineinander legen.«

Oda barg ihr errötendes Antlitz an der Brust des geliebten Mannes.

Er küßte sie und sagte: »Schlafe wohl, meine Oda! dies ist unsere letzte Trennung.« Dann ging er zur Tür und rief Florencius, Bock und Eilika herein. »Gräfin Oda von Falkenstein ist meine Braut,« sprach er freudevoll zu den dreien. »Morgen reiten wir heim, Bock! Du sendest Botschaft an meine Brüder; in zwei Tagen ist Hochzeit auf dem Regenstein.«

Bock beugte das Knie vor seiner jungen Herrin. Eilika küßte ihr gerührt die Hand, und Florencius wünschte ihr und dem Grafen Heil und Segen.

Nun begab sich Oda mit den letzteren beiden in das Schloß, und Graf Albrecht kehrte mit Bock nach dem Wipertikloster zurück.

In der Kemenate frug Oda mit strahlenden Augen und bebender Stimme ihre Vertraute: »Sage mir, Eilika, ist es ein Traum oder ist es Wahrheit? bin ich seine Braut? werde ich sein Weib?«

»Gnädiges Fräulein,« lachte die Zofe, »übermorgen seid Ihr Gräfin von Regenstein!«

Und Oda fiel in der Überfülle ihres Glückes dem Mädchen schluchzend um den Hals. –

Die Äbtissin war in einer schrecklichen Verfassung. Den Rückweg von der Krypta, wo Graf Albrecht mit zwei Worten ihr Hoffnungen gebrochen hatte, wie der Richter den Stab über einen Verdammten bricht, legte sie festen Schrittes und stolz erhobenen Hauptes zurück. Aber in ihrem Gemache angekommen, brach sie von der übermäßigen Anstrengung, sich vor ihren Kapitularinnen so beherrschen und verstellen zu müssen, einer Ohnmacht nahe, zusammen und glaubte einem hitzigen Fieber anheimzufallen. Ihre starke Natur sträubte sich jedoch mit Gewalt gegen jede Schwäche und behielt die Oberhand. Sie schrie und tobte nicht, sie hatte nicht einmal Tränen. Ohne Rast und Ruhe schritt sie auf und ab, bis sie nicht mehr konnte und erschöpft auf eine Polsterbank sank, wo sei mit glanzlosen Augen vor sich hinstarrend liegen blieb, daß die Kammerfrau sie nur mit vieler Überredung erst spät in der Nacht zu Bett bringen konnte. Ihre Seele war so mit Haß gegen Albrecht und Oda erfüllt, daß sie dafür keinen Ausdruck hatte und sich keines anderen Gefühles mehr bewußt war, als einer grenzenlosen Rachgier.

Am anderen Morgen, nachdem sie den Kapitularinnen Lebewohl gesagt hatte, begab sich Oda reisefertig zur Äbtissin, um auch von ihr Abschied zu nehmen. Es war ein schwerer Gang.

Die Äbtissin empfing sie sitzend und sagte, ohne sich vom Platze zu erheben: »Also Ihr folget dem Grafen von Regenstein nun wieder auf seine Burg, wo es Euch so gut zu gefallen scheint, daß Ihr um jeden Preis dahin zurückzukehren wünschet, ist's nicht mit dem einen, ist's mit dem andern.«

»Mit keinem andern als mit Graf Albrecht würde ich dahin zurückgekehrt sein,« erwiderte Oda.

»So! – Ei saget mir doch, mein Fräulein,« versetzte die Äbtissin, »waret Ihr nicht mit Graf Siegfried versprochen?«

»Nein, das war ich nicht, Domina!« antwortete Oda.

»So! – Ihr leugnet es,« sagte Jutta. »Nun, er ist tot und kann Euch nicht mehr widersprechen.«

»Domina! ich habe nichts zu leugnen, ich sprach die Wahrheit,« entgegnete Oda erregt.

»Aber Graf Albrecht hat mir doch gesagt, daß er Eure Verbindung mit Siegfried dringend wünschte, – der Grafschaft Falkenstein wegen, natürlich!« sprach die Äbtissin. »Und als ich selber auf dem Regenstein Euch mit Siegfried verkehren sah, mußte ich annehmen, daß ihr Brautleute wäret.«

»Das war ein Irrtum, gnädige Frau,« erwiderte Oda. »Allerdings wünschte es Graf Albrecht, solange sein Bruder lebte, hatte sogar für ihn bei mir geworben, aber ich konnte mich nicht entschließen –«

»Weil Ihr Albrecht liebtet?«

»Ja,« sagte Oda sanft errötend.

»Liebt Ihr ihn jetzt noch« frug Jutta mit scharfer Betonung.

»Würde ich ihm sonst folgen, Domina?« sprach Oda leise.

»Und Ihr bedenkt Euch keinen Augenblick, seine mit dem Blute des Bruders befleckte Hand zu nehmen?«

»Was sagt Ihr?« rief Oda zitternd.

»Ich sage,« erklärte Jutta mit grimmigem Nachdruck, »daß er den Bruder aus dem Wege räumte, um sein Erbe in Eurer – Gunst zu werden.«

»Domina! – was hat Euch Albrecht getan, daß Ihr ihn –,« sie konnte nicht weiter sprechen vor Scham und Entrüstung.

»Was kümmert das Euch, was Graf Albrecht mir getan hat?!« sprach die Äbtissin hochmütig und sich schnell erhebend. »Euch hat er den einzigen, der Euch liebte, in den Tod geschickt!«

»Das ist eine Lüge!« schrie Oda außer sich.

Ein gellendes Lachen war Juttas Antwort.

Da ließen sich aus der Vorhalle dröhnende Schritte vernehmen, und mit der anmeldenden Kammerfrau zugleich trat Graf Albrecht ins Gemach, gewaffnet, behelmt und gepanzert.

Oda flog auf ihn zu. »Albrecht, sie sagt, du hättest Siegfried in den Tod geschickt!« rief sie unter hervorstürzenden Tränen.

Da stand nun der Graf zwischen den zweien, denen er seine Freiheit verdankte. Die Äbtissin mit einem finsteren Blicke messend sprach er stolz und ruhig: »Wer Euch das gesagt hat, Domina, – –«

»Euer Bruder Bernhard,« unterbrach sie ihn höhnisch.

»Nein! das hat Graf Bernhard nicht gesagt und nicht gemeint,« fuhr Oda empor. »Ich war zugegen, als er uns den Tod Siegfrieds meldete.«

Aber den Grafen hatte das Wort getroffen wie ein Speerwurf.

»Ich werde Bernhard fragen, wie er's gemeint hat,« erwiderte er sehr ernst; »aber jetzt frage ich Euch, Domina, – und bedenket wohl Eure Antwort! – glaubt Ihr's?«

»– Ja! –«

Albrecht machte eine rasche Bewegung, als wollte er auf sie losstürzen. Oda hielt ihn sanft zurück.

»Dann habe ich nichts mehr mit Euch zu reden; nicht den Dank bring' und über die Lippen, den ich Euch schuldig bin!« sprach er heftig, und wie von einem Grauen erfaßt, wandte er sich von ihr ab und sagte: »Komm Oda! hier hausen Geister der Hölle!«

So schied er von ihr und schritt, Oda in seinen Armen mit sich führend, zornbebend hinaus.

Bock, der immer und überall Rat wußte, hatte in der Frühe seinem Herrn ein Pferd besorgt, seinen Schecken aus dem Klosterstalle gezogen und war mit Albrecht aufs Schloß geritten, wo sie Odas und Eilikas Pferde schon gesattelt und gepackt fanden. Als Albrecht gehört hatte, daß Oda bei der Äbtissin wäre, hatte er sich von dieser Unterredung nichts Gutes versehen und war zu Odas Beistand geeilt. Jetzt kam er nun mit ihr die Treppen hinab auf den Hof; die vier saßen auf, kehrten dem Schlossen den Rücken und ritten durch den kühlen, nebligen Morgen ihres Weges nach dem Regenstein.

Albrecht und Oda, noch von dem Auftritt mit der Äbtissin erschüttert und in ihren Gedanken damit beschäftigt, ritten voran, Bock und Eilika eine Strecke hinter ihnen.

»Sehr Ihr wohl, herzliebe Jungfer Eilika! hab' ich es Euch nicht gesagt?« begann der vortreffliche Ritter zur Angebeteten seines Herzens, »nun reiten wir wieder denselben Weg wie vor einem halben Jahre, aber wie anders heute, als damals!«

Sie nickte ihm freundlich zu und sagte: »Heute folgen wir Euch lieber, mein edler Ritter, als damals, da Ihr uns ohne unsern Dank als Gefangene diese Straße schlepptet.«

»So manches gute Ritterstück hab' ich vollführt,« sprach er wohlgefällig, »aber dies dünket mich von allen das beste, daß ich Euch gefangen nahm und auf den Regenstein brachte. Ein solcher Fang wird mir so bald nicht wieder glücken.«

»Das wollen wir allerdings auch hoffen, Herr Ritter!« erwiderte sie lachend.

»Denkt doch, welcher Gestalt sich das alles nach Will' und Gewalt des Mächtigen so wunderbar gefügt hat!« sagte er. »Ich hatte nicht anders gemeint, als von dem lieben Oheim in Quedlinburg, den Ihr mir damals frischbacken auf die Nase bandet, ein erkleckliches Lösegeld für Euch zu erhalten, und nun wird aus der Gefangenen, die Ihr als Euer Ehrenwadel ausgabt, die Herrin des Regensteins, und Ihr – Ihr braucht nun auch nicht Nonne zu werden.«

»Meint Ihr?« frug sie aufmerksam.

»Nein, holdseligste Jungfrau!« erwiderte Bock, »ich habe mein Herz geprüft und Eures auch, und so ich nur erst über andere umständliche Dinge mit mir einige bin, werde ich an den Herrn Grafen ein gebührliches Ansuchen richten, und wenn der Entscheid, wie ich hoffe, nicht abgünstig ausfällt, so werde ich eines Tages vor Euch hintreten, Jungfrau Eilika, und Euch fragen, ob Ihr Lust habt, die Gemahlin eines Ritters zu werden.«

»Ach Herr Ritter!« sagte Eilika freudig bewegt und sehr verschämt tuend, indem sie sich auf den Hals ihres Pferdes beugte.

»Antwortet mir jetzt nicht,« sprach er; »ich lasse Euch noch lange Zeit zur Überlegung, und wenn es Euch eine zu schwere Sache bedäucht, so ist es ja immer noch nicht zu spät, ins Kloster zu gehen.

Eilika seufzte, aber der höfliche Ritter ließ die Unterhaltung nicht ausgehen und brachte das Gespräch auf andere Dinge. So ritten die beiden immer munter plaudernd neben einander her. –

Zu derselben Stunde trug ein Bote vom Quedlinburger Schlosse einen versiegelten Zettel zum Bischof von Halberstadt; darin standen von zitternder Hand die Worte geschrieben:

»Rächet mich und fordert! Jutta.«


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