Hermann Wissmann
Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost
Hermann Wissmann

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Erstes Kapitel.
Vom Lualaba bis Lubuku.

(Bericht Pogge's an die »Afrikanische Gesellschaft«.)

Am 5. Mai trennte ich mich von Wissmann und trat mit meinen über die Heimreise entzückten Bena-Riamba den Rückzug an. Vom Lualaba bis zum Lomani habe ich, einige kleine Abweichungen ausgenommen, denselben Weg wie auf der Hinreise genommen, bis uns von den westlichen Anwohnern des Lomani an unserem alten Hafenplatze die Passage versperrt wurde. Wir waren genöthigt, ungefähr 4 deutsche Meilen südlich, nach vier vergeblichen Versuchen an vier verschiedenen Häfen, den Fluß zu passiren. An allen Fähren hatten die Bena-Kalebue, ein kleiner, westlich vom Lomani wohnender Stamm, dessen Dörfer kurz vorher von einer Kriegerschaar des bekannten Nyangweer Händlers Tibbu-Tibb, die uns zwei Tagereisen hinter Nyangwe mit einer langen Koppel geraubter Weiber begegnete, heimgesucht worden waren, uns die Kähne versteckt resp. gestohlen. Hunderte von Bewaffneten hielten Tag und Nacht Wache am Fluß, um das Gebahren der Karawane zu controliren, und ließen wir uns am Ufer sehen, so erfolgte ein Hagel zu uns herübergeschleuderter Pfeile. Erst am fünften Hafen, nachdem ich unsere Leute beordert hatte, Hölzer zu fällen und Boote zu bauen und eventuell Feuer zu geben, erschien der Häuptling des Ortes mit einem Kanoe, und mit dem ersten Ruderschlage waren die den ganzen Vormittag über am jenseitigen Ufer des Flusses aufgestellten 309 lärmenden und drohenden Wilden spurlos verschwunden. Wir hatten aber bei dieser Gelegenheit 6 Tage Zeit verloren, und da bereits 6 andere Tage mit der Passage zweier kleiner Flüsse, des Kihango und Lufubu, verstrichen waren, von denen der letzte fast unüberwindliche Schwierigkeiten bot, da sein ebenes, breites westliches Campinenufer mit 4–5 Fuß Wasser, ca. 16 Minuten = ¼ deutsche Meile weit überschwemmt war, so daß die kleineren Mitglieder der Karawane (oft auch Männer und Frauen) von den größeren getragen werden mußten, so war ein Monat vergangen, ehe wir das jenseitige Ufer des Lomani erreicht hatten, gewiß ein beträchtlicher Zeitaufwand für die kurze Strecke Weges, und geeignet, auf die kleinen Vorrathssäcke der Karawane einen bedenklichen Druck auszuüben. Ungefähr ¼ deutsche Meile südlich von dem Punkte, wo ich den Lomani passirt habe, windet er sich in starkem Bogen nach Osten (d. h. er fließt NO.) und behält diese Richtung etwa 3 Tagereisen, so daß wir etwa 3–4 Tagereisen so ziemlich parallel mit dem Flusse marschirt sind durch eine hügelige oder bergige und vielfach mit Felsblöcken und Steingeröll (Granit oder Gneis, Sandstein, Quarz und stellenweise Conglomeraten) übersäte Ebene. Nach sieben sehr starken Märschen bogen wir endlich, eine nördliche Richtung nehmend, wieder in unseren alten Weg ein. Bei diesem Umweg kam uns indessen der Umstand zu Hilfe, daß die Lebensmittel hier sehr billig waren. Ein Huhn kostete beispielsweise in manchen Orten 2–5 größere Kauris oder 18 Stück rothe Perlen, 3–4 Hühner oder 1 Ziege 1 Yard Fasenda u. s. w.

Auf unserem alten Wege angelangt, verfehlten einige kleine, den Arabern freundlich gesinnte Häuptlinge nicht, uns durch Ehrendeputationen mit Sang und Klang begleiten zu lassen. Die Leute waren abgesandt, um ihre mitgebrachten oder unterwegs geraubten Sklaven und Ziegen für Spottpreise gegen Pulver und Fasenda zu verkaufen, und Ziegen wurden regelmäßig für 5 kleine Gewehrladungen Pulver, Menschen für eine Tasse voll Pulver oder 4 Ellen Zeug feilgeboten. Die Karawane fand in der That in allen diesen Gegenden eine gute Aufnahme, bis uns im Lande der Bena-Koto am Lubilasch fast überall ein lauer, nicht freundlicher Empfang zu Theil wurde. In manchen Dörfern des letztgenannten Stammes beklagten sich die Einwohner über unsern nächtlichen Aufenthalt oder unsern Durchzug, weil wir ihnen Kranke oder 310 Todte in's Dorf brächten, da verschiedene Personen in Folge wunder Füße in Tipojas getragen wurden. In dem ersten Koto-Dorfe, welches dem Katschitsch unterthänig ist, raubten die Einwohner einem Nachzügler der Karawane meinen Koffer, so daß ich, und ein Theil der Träger nach dem Abmarsche in's Dorf zurückkehren mußten, um drohend die Rückgabe des Koffers zu verlangen; überhaupt in allen Koto-Dörfern, auch in den nur passirten, gab es Grund zur Klage und zum Streit. Hunderte von Menschen folgten dem Nachtrab der Karawane, warfen die Ochsen mit Knitteln &c., so daß wir oftmals drohend die Gewehre zur Hand nehmen mußten. Im Hafenplatzorte des Lubilasch wurde zufälliger Weise ein Gewehr in unserem Lager abgefeuert. Im nächsten Augenblicke ward in dem etwa 100 Schritte entfernten Dorfe die Kriegstrommel geschlagen, und eine große Anzahl Bewaffneter stürmte aus dem nahen Palmenwalde heraus, wüthend, schreiend und lärmend, direct auf das Lager der Baschilange. Es gelang mir hier, allein, mit dem Gewehre in der Hand, ohne einen Schuß zu thun, etwa 80–100 dieser wilden, im Sturmlauf herbeieilenden Bena-Koto ungefähr 4–5 Minuten lang um 40–50 Schritte vom Lager zurückzudrängen, bis die Träger und Baschilange Zeit gewannen, ihre Gewehre zu laden und zur Stelle zu sein. Inzwischen glückte es dem Dolmetscher Biserra, den Häuptling und seine Leute, welche den Schuß als eine Kriegserklärung betrachtet hatten, durch ein Geschenk von 2 Ellen Fasenda zu besänftigen und zu veranlassen, eine Ziege und diverse Reisegeräthschaften der Baschilange, welche bereits bei dieser Gelegenheit geraubt waren, zurückzugeben, so daß wir am nächsten Morgen ohne Störungen in freundschaftlicher Weise den Fluß passiren konnten, um noch an demselben Tage das Dorf Katschitsch's zu erreichen, wo mir 2 Tage ausruhten. Während des Uebersetzens über den Fluß war, durch die Nachlässigkeit des Trägers verursacht, ein Packet mit einigen ethnographischen Gegenständen, mit ca. 2 Pfund Pulver und 10 Pfund Kauris von den anwesenden Bena-Koto gestohlen worden.

Ich begab mich sogleich nach Ankunft im Lager zum alten, blinden Häuptling, mich über das Benehmen seiner Leute im Fährdorf und über den Diebstahl beklagend. Der alte Neger bedauerte ebenfalls den Vorfall und versprach, mir noch im Laufe des nächsten Tages das vermißte Packet wieder zu verschaffen, da, wie er sich äußerte, seine Unterthanen nicht in den üblen Ruf gerathen sollten, 311 einen Weißen bestohlen zu haben; und in der That, am andern Tage wurden mir meine 3 Beile und das Pulver unversehrt überbracht, während das Kaurisäckchen um ungefähr 8 Pfund leichter gemacht worden war.

Am Tage des Abmarsches, nachdem das Gros der Karawane bereits das Lager verlassen hatte und sich im Gänsemarsch auf dem Wege befand, wurde sie ohne jeglichen Grund angegriffen. Es befanden sich ungefähr 60 bis 80 Männer aus der Umgegend im Orte vereint, welche mit der Beackerung der Felder des Häuptlings beschäftigt waren. Diese Bande hatte sich in Entfernungen von 100–200 Schritten längs des Weges aufgestellt, trat der langsam dahinziehenden Karawane im Sturmlauf näher, warf ihre spitzen, hölzernen Wurfspeere oder schoß ihre Pfeile und retirirte wieder ebenso rasch. Bei der Länge des Karawanenzuges war es für unsere Bewaffneten schwer, gerade an den betreffenden Orten zur Stelle zu sein, wo der Angriff erfolgte. Dies Spiel dauerte, bis wir nach etwa einstündigem Marsche uns an der Lisière des die kleine Campinenebene von Katschitsch umgebenden, nach Quadratmeilen seinen Flächeninhalt zählenden, großen Mucubu-Urwaldes befanden. Die Karawane hatte sich am Rande des Waldes gelagert, um auf den Nachtrab zu warten. Die Koto-Leute hatten sich etwa 300 Schritte von der lagernden Karawane in der Campine aufgestellt, und nachdem der Nachtrab, zu dem ich stets gehörte, die Lagerstätte erreicht hatte und die Reisegesellschaft wieder aufgebrochen und bis auf einen kleinen Theil im Walde verschwunden war, machte die Kriegerbande plötzlich im Sturmlauf ihren Angriff. Es befanden sich aber die meisten bewaffneten Träger und Baschilange um mich geschaart, und eine einzige Salve, bei der indessen nur einige Koto leicht verwundet worden zu sein schienen, genügte, und in wilder Flucht, unter hoch aufwirbelnden Staubwolken, stoben sie wie fliegende Teufel über die schwarzgebrannten Stoppeln und Büsche dahin. Wir machten auf unserem alten Lagerplatz in einer kleinen Campine, die gleichsam wie eine Insel vom Meere hier vom Walde umgeben ist, Halt. Ich war wieder im Besitz meiner letzten 2 Pfund Pulver und war somit glücklicher Weise im Stande, sofort nach Fertigstellung der Schlafstellen Patronen mit Schrotladung machen lassen zu können; denn einerseits konnten die Bena-Koto uns auf's Neue angreifen, und andererseits hatten wir am nächsten Tage das Gebiet der 312 Bena-Ngongo zu passiren, die schon auf der Hinreise die Nachzügler der Karawane anzugreifen drohten. Wir hatten am andern Tage durch eine lange Strecke Waldes zu marschiren, ehe wir das Wohngebiet der Ngongo betraten, welches, hart von diesem Walde begrenzt, sich in einer mit kleinen, ca. 50–60 m hohen Hügeln übersäten Campine befindet, die von einigen mit Urwald umsäumten Bächen durchschnitten wird, welche in den westlichen, von hier nach Norden fließenden Lubifluß münden. Das Land dieses Stammes scheint nicht groß zu sein, da man dasselbe auf meinem Wege in einer Stunde so ziemlich passiren kann; es scheint, für sich abgesondert, gleichsam in das Gebiet des Basongestammes hineingeschoben, und beide Stämme sprechen verschiedene Sprachen. Als ich auf die Campine hinaustrat, lagerte die Karawane im Schatten eines Baumes in der Nähe einer kleinen Ansiedlung hart am Wege, deren Bewohner bereits mit unseren Leuten in Verkehr getreten waren. Wir hatten nach meiner Ankunft noch zu warten, da einige an wunden Füßen leidende Weiber und eine Tipoja sich noch im Walde befanden. Nachdem auch sie unsern Warteplatz erreicht hatten, brachen wir auf, Biserra den Vortrab, ich den Nachtrab führend. Der Weg führte auf ebenem Boden am Fuße vieler kleiner Hügel und an zahllosen kleinen Ansiedlungen (hier Kibundschi genannt) vorbei. Größere zusammenhängende Dörfer wie jenseits des Lubilasch finden sich hier nicht. Ein Dorf der Ngongo besteht aus kleinen separirten Gehöften, welche, in der Regel von Palmen, Bananen &c. beschattet, nicht weit von einander entfernt liegen. Wir vermieden unsern alten Lagerplatz, um auf kürzerem Wege einen größeren, in westlicher Richtung in den Lubi fließenden Bach zu passiren, der ungefähr die Grenze zwischen dem Basonge- und Ngongolande bildet, um am jenseitigen Ufer, auf gleichsam neutralem Boden, Lager zu nehmen. Aber auf diesem Wege mußte so recht das Centrum des Ngongo-Territoriums durchwandert werden. Eine große Zahl Eingeborener, nach Hunderten zu zählen, bewaffnete Männer, Weiber und Kinder, begleiteten uns schreiend und tobend, und mit jedem Schritte weiter vorwärts vergrößerte sich lawinenartig der Haufe. Ortschaften an Ortschaften lagen, dicht an einander gedrängt, noch vor uns; neben dem Wege und von den Hügelkuppen herunter, auf denen oftmals, im Urwalddschungel versteckt, sich hie und dort eine Wohnung befindet, stürmten schreiend und wüthend sich gebahrende bewaffnete Männer. 313 Ich bemerkte, daß die uns begleitenden Weiber und Kinder sich allmählich zurückzogen und die widerliche Begleitung eigentlich nur noch aus bewaffneten Männern bestand, und machte meine beiden Doppelflinten schußfertig. Von einer Anhöhe aus gesehen, näherten sich die vordersten Reisenden dem Bache, der nur noch zu überschreiten war, um am andern Ufer auf fremdem oder herrenlosem Gebiete endlich der Ruhe vor diesen Quälgeistern genießen zu können. Wir hatten einige kleine Bäche, Mulden und Anhöhen mit etwas Aufenthalt zu passiren gehabt, wodurch größere Lücken im Zuge entstanden waren, so daß ich verschiedene Male genöthigt war, auf die Zurückgebliebenen zu warten. In Folge dessen befand ich mich etwa ¼ Meile vom Bache entfernt, als die Hälfte der Karawane bereits auf der andern Seite desselben angekommen war. In diesem Augenblick begannen die Wilden die Karawane zu attakiren, nicht in geschlossenen Haufen, sondern einzeln. Hier drängte sich im Sturmlauf der eine an ein Weib mitten im Zuge, entriß ihr die Last und stürmte mit ihr in's Weite davon, dort wurde ein unbewaffneter Mann angegriffen &c. Dicht vor mir warfen sich drei Ngongos auf einen Baschilange-Häuptling, rissen ihm ein kupfernes Schmuckbeil aus der Hand und ergriffen schleunigst die Flucht, den sie verfolgenden Muschilange höhnend weit hinter sich lassend. Ich hatte das Gewehr im Anschlag, setzte es aber dennoch wieder ab, immer noch hoffend, ohne Blutvergießen das Lager erreichen zu können. Ich sah in weiterer Entfernung, daß die ganze Kriegergesellschaft sich dem Waldrande des Baches näherte und daß einige Träger und Baschilange mit dem Gewehre in der Hand die vordersten sich nähernden Feinde zurücktrieben, um den Weg der ruhig weiter marschirenden Karawane offen zu halten. Nun fielen Schüsse, die Bena-Ngongo wichen zurück, drängten sich aber immer wieder in die Nähe des Wassers. Inzwischen befand ich mich auch im Walde, und als ein neuer Zuwachs von Wilden die beiden den Weg begrenzenden Anhöhen herunter auf uns einstürmte, schreiend ihre Aexte, die großen Lunda-Messer und ihre Speere schwingend – da commandirte ich Feuer. Es war nicht anders möglich; hätten wir uns noch ferner passiv verhalten, die Uebermacht hätte uns erdrückt. Ich sah, daß nach den ersten Schüssen einige Feinde fielen, aber es entstand noch keine Flucht; ich glaubte, die Ngongo mögen gedacht haben, ihre fallenden Kameraden hätten sich einfach geduckt. Als aber eine zweite Salve erfolgte, 314 wiederholte sich das Schauspiel bei Katschitsch – allgemeine Ausreißerei. Der Platz war nach einigen Minuten gesäubert, und wir konnten den Bach ungestört passiren, um uns endlich nach zehnstündigem Marsche der Ruhe hinzugeben. Biserra hatte bereits den Bach überschritten und befand sich mit der Karawane auf der Höhe des Ufers auf freier Campine, von Walddschungeln und dem Bachwalde begrenzt, gelagert.

Es waren bei diesem Vorfalle fünf Bena-Ngongo getödtet und mehrere von ihnen verwundet, aber die Luft war jetzt rein – gründlich. Ich kann mich bei dieser Gelegenheit nicht genug lobend über das Verhalten der Baschilange und einiger Träger äußern. Hätten die Leute Furcht gehabt, wären sie geflohen – wir wären vielleicht alle verloren gewesen, denn die Menge der Feinde war zu groß. Wir hatten im Ganzen nur über 24 Musketen und 4 Hinterlader zu verfügen. Einzelne Träger benahmen sich geradezu tollkühn; sie stürmten gegen mein Verbot aus unserer Schaar, drangen im Sturmlauf gegen die Rotten der Ngongo, gaben Feuer und kehrten wieder zurück; und ebenso tapfer benahmen sich die bewaffneten Baschilange. Nachdem ich mich beeilt hatte, das Ende der Karawane zu verlassen, um vorne am Bache zur Stelle zu sein, deckte Kalamba Mukenge, der zufälliger Weise sich hinten befand, mit drei seiner ihn begleitenden und mit Musketen bewaffneten Leute die Nachzügler und trotzte Pfeilen und Speeren von 30 bis 40 Wilden, ruhig in ebenem Schritttempo seinen Weg fortsetzend. Im Lager versammelt, war das Benehmen sämmtlicher Leute ganz dasselbe wie gewöhnlich. Es wurden die Feuer angelegt, Wasser geholt, und Jeder suchte mit etwas Speise und Trank sich zu erquicken, aber von Angst und Unruhe habe ich nicht eine Spur bemerkt. Schon nach etwa einstündiger Rast, nachdem ich mich, auf meinem Lager ausgestreckt, dem Genusse einer Pfeife ergeben, erschien Biserra, im Auftrage Kalamba's mich um die Erlaubniß bittend, daß die Träger und Baschilange vereint nach Ngongo zurückkehren könnten, um die Wohnungen zu plündern und zu verbrennen. Ich versagte zuerst meine Einwilligung zu diesem Unternehmen, da ich die Strafe, welche den Ngongo zu Theil geworden war, für genügend erklärte; als aber Kalamba mir antworten ließ, es sei zweifellos, daß unsere Feinde uns nächtlicher Weile angreifen würden, wenn wir sie nicht ferner züchtigten, zog ich meinen Einwand zurück, und nach zehn Minuten brachen die Träger und 315 Baschilange unter den Klängen ihrer Kriegsgesänge und dem Knallen der Musketen nach Ngongo auf. Schon nach einer Stunde, mit Sonnenuntergang, stiegen dicke Rauchsäulen hinter der Anhöhe des Baches am Horizonte empor zum Zeichen, daß die Mission mit Erfolg vollführt war. Erst nachdem vollständige Dunkelheit hereingebrochen war, kehrten unsere Leute gruppenweise in's Lager zurück. Die ganze Einwohnerschaft, an 1000 bis 2000 Menschen zählend, hatte vor 16 mit Gewehren und etwa 60 mit Aexten &c. bewaffneten Männern die Flucht ergriffen und in dem nahen Mucubuwalde Zuflucht gesucht. Zwei Ngongomänner wurden noch von unseren Leuten getödtet und 16 wurden gefangen.

Ich kann nicht umhin, gerade bei dieser Gelegenheit den künftigen Reisenden, welche von Mukenge aus aufbrechen werden, zu empfehlen, sich reichlich mit Waffen zu versehen, mit Hinterladern und Musketen. Die Baschilange von hier, gut bewaffnet, sind zu allen Reisen bereit, und das hat mich die Erfahrung gelehrt, sie besitzen mehr Muth als im Allgemeinen die Träger von der Westküste. In den von Wissmann und mir bereisten Gegenden ist die Bevölkerung zu groß, um, schlecht bewaffnet, dort sicher reisen zu können, und im Norden von hier wird sie auch gewiß nicht viel geringer sein. Der Charakter dieses ganzen Gesindels taugt nichts. Ihre auf der Hinreise uns bewiesene Freundlichkeit hatten wir nur ihrer Furcht vor unseren Waffen zu verdanken. Sie sind feige bis zum Exceß, und ihr Muth zu einem Angriffe besteht im Vertrauen auf ihre Schnellfüßigkeit und die schnelle Flucht. Das günstigste Terrain für ihre Kriegsweise ist die Ebene: der dichte Wald, welcher in den Ländern, wo Feuerwaffen existiren, für eine Karawane verhängnißvoll werden kann, wird im Allgemeinen bei größeren Attaken möglichst von ihnen gemieden, weil sie ihre Beine und Waffen im Dickicht nicht so gut gebrauchen können: und mir war der Urwald während der Reise oftmals eine willkommene Erscheinung, da seine Passage regelmäßig der lästigen Begleitung der neugierigen Eingeborenen eine Schranke setzte. Vergehen gegen die Gesetze des Landes sind auf der Rückreise im Lande der Bena-Koto und Bena-Ngongo absolut nicht vorgekommen; es war eben nur Habgier, Raublust und der Glaube an die Unschädlichkeit des Gewehrknalls, was die Leute veranlaßte, uns anzugreifen. Außerdem erweckte das Aussehen unserer Karawane auf der Rückreise schwerlich einen besonderen Respect. Die meisten 316 Männer waren unbewaffnet, da viele der Baschilange ihre Gewehre unterwegs verkauft hatten, und ein großer Theil der Karawane bestand aus Weibern und Kindern, von denen womöglich die Hälfte, auf wunden und müden Füßen humpelnd, kaum im Stande war, sich mühsam dem Zuge nachzuschleppen. Leider vermißten wir in Ngongo fünf Personen: ein Träger aus Biserra's Gefolge und ein Sklave, welche beide eine kranke Frau in der Tipoja trugen, wurden ermordet. Am Morgen des nächsten Tages erschien die kranke Frau am jenseitigen Ufer des Baches, schreiend um Hilfe bittend. Sie berichtete, im Lager angekommen, daß der Träger, welcher zu sehr hinter dem Karawanenzuge zurückgeblieben war, durch die Bena-Ngongo veranlaßt worden sei, einen kürzeren Weg nach dem Lager zu nehmen. Sie hatten die Tipoja bis in den nächsten Urwald auf eine Bergkuppe begleitet und dort den Träger und Sklaven getödtet, während sie selbst von ihnen verschont blieb, weil sie krank sei. Meine Leute behaupteten, die Ngongo hätten die Frau laufen lassen, nur weil ihr Körper, mit Geschwüren bedeckt und zu mager, kein besonders einladendes Aussehen zum Verspeisen gehabt habe, und das glaubte ich wahrhaftig auch. Außer diesen zwei Personen fehlten zwei marschunfähige invalide Kinder und eine Frau.

Am nächsten Tage früh Morgens wurden im Lager der Baschilange lange Reden gehalten, die Männer imitirten zur allgemeinen Erheiterung ironischer Weise die Kriegstänze der Wilden, und Kalamba schickte mir einen Träger, nur zu erklären, daß es nöthig sei, hier mindestens vier Tage zu bleiben, um sämmtliche Ngongo-Wohnungen zu zerstören, damit das Gerücht dieser Züchtigung weit in die Umgegend dringe und uns bei den benachbarten Basonge in Respect setze. Es gelang mir indessen, den Häuptling noch im Laufe des Vormittags zum Aufbruch zu bewegen, da es ihm schließlich auch rathsam erschien, in Anbetracht des Pulvermangels seine Ziegen- und Hühnernachlesegelüste aufzugeben.

Nach zwei kleinen Tagemärschen von hier, im Lande der Bassonge, erreichten wir, in westlicher und südlicher Richtung marschirend, die uns bereits bekannte Fähre des Lubiflusses und bewerkstelligten noch an demselben Tage die Passage desselben. Ich kann wohl sagen, mit mir war unsere ganze Reisegesellschaft froh, endlich die größeren Flüsse hinter sich zu wissen. Es galt nur noch, den Lulua zu überschreiten, aber wir waren bei einer 317 Kanoepassage doch nicht mehr abhängig von dem Wollen und Nichtwollen wilder Menschen. Der Lubi scheint eine Art von Grenzscheide zu bilden zwischen körperlich verschiedenen Stämmen. Die schlanken Gestalten, die schmäleren und längeren, mit freundlicherem Blicke ausgestatteten Gesichter der uns am Westufer des Flusses empfangenden Eingeborenen übten einen guten Eindruck auf mich aus im Vergleiche zu den Bassonge und ihren östlichen Nachbarn mit ihren robusten Körpern, der breiten Stirn und den starken Kinnbacken, überhaupt mit der bulldoggähnlichen Physiognomie. Es waren BaquaBaqua, Plural von Muqua »Die Familie«., Tschilumba und Bena-Putu, von denen die Ersteren dem Luntu-Stamme angehören, deren Land sich in der Breite ungefähr vom kleinen Mucamba-See bis zum Lubi erstreckt. Die Tschilumba hatten allerdings das Gesicht nicht so kunstvoll hübsch und symmetrisch mit bunten Farben bemalt wie ihre Verwandten am See, die bemalten Baschilange, wie Wissmann und ich sie nannten. aber immerhin waren auch sie vielfach bunt genug bemalt und boten mit ihren chignonartigen, bizarren Frisuren, geschmückt womöglich mit wehenden Federbüschen, Lehmklumpen oder rother Farbe, und mit der Lanze oder dem Bogen und Pfeil in der Hand, ein hübsches, malerisches Bild. Vom Lubi nahmen wir in direct westlicher Richtung unsern Weg durch das Land der Bena-Putu-Lupula, eines kleinen Stammes, der die Sprache der nördlichen Baschilange spricht, und der Bena-Kassongo, passirten einige Dörfer nicht hanfrauchender Baschilange und erreichten am vierten Tage schon das gelobte Land des heiligen Hanfes, das geliebte Heimathsland unserer Bena-Mojo, der gläubigen Verehrer und Raucher des Riamba. Das westliche Lubiplateau ist besonders fruchtbar und gut bevölkert, obgleich im Gebiet der Baschilange die vielen verlassenen Wohnstätten Zeugen sind von dem unbarmherzigen Vorgehen der Hanfraucher gegen ihre, den alten Sitten treu gebliebenen Brüder, die Lästerer ihrer heiligen Lehre, die Tschipulumba. Unendlich viel Urwald, an den unzähligen kleinen, tief in den Boden eingeschnittenen Wasserläufen und in deren breiten, tiefen Quellschluchten wachsend, oder als kleine Dschungel oder große zusammenhängende Waldungen die Ebene bedeckend, findet sich auf diesem Landstriche zwischen dem Lubi und Lulua, so daß der Farbencontrast zwischen der Campine und dem Urwald der 318 Landschaft einen mit einem buntgefleckten Tigerfelle vergleichbaren Anblick verleiht. Der verhältnißmäßig bequeme Weg windet sich fortwährend schlangenartig an den Schluchten vorbei, und nur selten ist einer der vielen Bäche zu passiren, die nach allen Richtungen hin ihren Lauf nehmen, so daß es schwer hält, die Wasserscheide dort herauszufinden. Das meiste Wasser wird indessen durch die beiden kleinen Flüsse oder größeren Bäche, den Lubudi und Moansangoma, dem Sankurru zugeführt. In der Campine und in den Bachwäldern wachsen vielfach Palmen, und Kautschuck findet sich in allen auf trockeneren und nicht zu steil gelegenen Orten wachsenden Urwäldern noch in ziemlicher Menge; außerdem sind die Gegenden des Moansangoma reich an schönen Eisenerzen. Nach einem Zeitraum von 11 Tagen und neun sehr starken Märschen (von durchschnittlich 6- bis 7stündiger Dauer) erreichten wir Mukenge. Am 20. Juni, während des Uebersetzens über den Lulua, nahm ich eine Zählung der Karawane vor, welche eine Zahl von 135 Männern, 80 Weibern, 50 Kindern und 1 Säugling ergab. Verloren hatte sie 3 Baschilangemänner, 1 do. Sklaven und 2 do. Weiber natürlichen Todes, 1 Träger von Malanʒe durch ein Raubthier, 1 Träger aus Mieketta und 1 Muschilangesklave waren ermordet, 1 Muschilangeweib und 2 do. Kinder vermißt. An Waaren für Bezahlung von Rationen standen mir in Nyangwe 320 Ellen Baumwollenzeug, 2 Stück Malanʒe-Fasenda à 18 Ellen, 40 Pfund Kauris und ca. 10 Pfund Perlen zu Gebote, mit denen ich zu meiner großen Genugthuung nahe an 300 Menschen ungefähr 2½ Monate lang verpflegt habe, ohne daß auch nur ein Einziger Grund gehabt hätte, sich über Hunger zu beklagen.

Unser Einzug, am 21. Juli, wurde mit großem Pompe vollführt. Etwa ¼ deutsche Meile vor dem Ziele, wo die Anpflanzungen der Stadt beginnen, wurde plötzlich an einer buschfreien, mit jungen Anpflanzungen bewachsenen Stelle Halt gemacht, und ein hochkomischer Anblick zeigte sich dem Zuschauer. Es war ein kurzer, aber ein ernster, wichtiger Act, als alle die schwarzen Gestalten sich plötzlich in bunte, zum Malen geschaffene Caricaturen verwandelten. Die Baschilange machten Toilette, um in ihre Heimathsstadt würdig einziehen zu können, und zu meiner großen Verwunderung kam bei dieser Verpuppung ein Stück Fasenda nach dem anderen, die ganze Nyangweer Rationsfasenda &c. &c., zum Vorschein. Wovon hatten diese Leute unterwegs gelebt? 319 Allerdings war ihnen in denjenigen Gegenden, wo die Macht der Araber, der Bakalanga, in Ansehen steht, der Umstand zu Hilfe gekommen, daß die Pflanzungen der Eingeborenen-Dörfer gleichsam als eine res nullius den Reisenden zur freien Disposition stehen. Früchte der Pflanzungen kann jedes Karawanenmitglied ad libitum sich aneignen; ein Vergehen gegen die Regel ist es nur, sich an Hausthieren zu vergreifen. Außerdem hatte ihnen stellenweise das nach den Bränden ausgesprossene junge Gras einen guten Vorrath an Raupen und anderen eßbaren Insecten geliefert; und überhaupt waren die Preise auf der ganzen Reisestrecke doppelt billiger als z. B. in Kioque; aber ein Wunder bleibt es mir doch, wie karg diese Leute ihre Lebensbedürfnisse zu bemessen wissen. Nachdem die ganze Gesellschaft in alle möglichen Kostüme und Umhängsel sich gehüllt hatte, ordnete sich der Zug, und die beiden großen Trommeln (»Engomma«) gaben das Zeichen zum Abmarsch. Der Häuptling Kineme, ein schon bejahrter Mann, dessen Favoritin während vergangener Nacht in Folge ihrer Entbindung gestorben und begraben war, erschien in rother Husarenuniform und in Pantalons von rothem Flanell hergestellt. Sangula, die Schwester und Rathgeberin Kalamba's, ein für die Expedition wichtiges und tüchtiges Mitglied, prunkte in einer schwarzseidenen, alten Mantille auf alten, von Wissmann ihr verehrten Socken – mit einem Worte, die Pracht der Kostüme war groß. Drei Neger mit drei großen, mit Bändern gezierten Fahnen des Häuptlings eilten jetzt in schnellem Laufe, freudeschreiend und die Fahnen schwenkend, vorauf, während die Karawane sich langsam unter den Schlägen der Engomma's in Bewegung setzte. Kalamba vorauf, hinter ihm her die Trommeln und seine Leute, so daß ich mit den Trägern zuletzt folgte. In der Stadt tobte ein nicht enden wollender Jubel der Baschilange, ihren Häuptling wieder in ihrer Mitte zu sehen, denn ein Theil der Einwohner hatte ihn schon für verloren gehalten und geglaubt, er sei mit dem Weißen in dem unendlichen Wasser verschollen.

Ich war bei meiner Ankunft auch freudig überrascht, da Germano während meiner Abwesenheit zum großen Nutzen der Station gewirkt hatte. Ich fand ein geräumiges, solide gebautes Haus vor, auf einem großen, gut gesäuberten, viereckigen Platze, ferner schöne, reingehackte, breite Wege, Bananenpflanzungen, Ziegenheerden &c. Mit einem Worte, mich empfing ein 320 freundliches, wohnliches Heim, und es war mir wirklich ein Genuß, endlich einmal wieder ein bequemes und sauberes kleines Haus betreten zu können. Ich habe seit den zwei Monaten, die ich hier bereits nach meiner Ankunft verweile, einige Verbesserungen an den Bauten und einige neue Pflanzungen beschafft und glaube im Stande zu sein, zukünftigen Mitgliedern der Station eine einigermaßen wohnliche Stätte überliefern zu können. Ich werde meine Thätigkeit indessen auf die jetzigen Einrichtungen beschränken, da es mir an Arbeitskräften resp. an Fasenda zu ihrer Bezahlung fehlt. Den neuen Ankömmlingen wird es obliegen, je nach ihren Bedürfnissen, für mehr Wohnungen zu sorgen. Das hiesige Wohnhaus, aus Pfählen und Lehm aufgebaut und mit einem Strohdach versehen, ist ca. 10 m lang und 5 m breit. Ein geräumiger Corridor trennt zwei geräumige Gemächer, die mit Tischen und Bänken und einer Bettstelle möblirt sind, natürlich Alles in primitiver Weise hergerichtet, aus Pfählen, gespaltenen Palmenzweigen u. s. w. Das eine Zimmer dient augenblicklich mir als Wohnung, das andere als Waarenlager und Schlafstelle für Germano, während der Corridor zwei kleine Diener des Nachts beherbergt. Außer diesem Hause besitzt die Station eine Küche, ebenfalls aus Lehm erbaut, und einen Viehstall aus Stroh für die Ziegen.

Die kleine Ansiedlung liegt auf unserer alten Fundostelle, ungefähr 200 m östlich von der Wohnung des Häuptlings entfernt, die, am äußersten Südende der Stadt gelegen, ungefähr 250 m nördlich von der Quelle des kleinen, sehr gutes Trinkwasser liefernden Kempebaches entfernt ist. Der Bach fließt in einer 20–25 m tiefen, ziemlich steilen und breiten Schlucht, die überall mit Urwald bewachsen ist, nach Osten, vereinigt sich aber bald mit dem etwas größeren Mucalangibache, der in den Lulua mündet. Die Ebene hier ist flach, nur einige Mulden benehmen hier und da die weitere Aussicht. Die nächste Umgebung der Stadt ist mehr oder weniger in Folge von Anpflanzungen und des Bedarfs an Feuerungshölzern von den Campinenbäumen entblößt, aus deren Stämmen aber vielfach wieder Büsche hervorgewachsen sind. Der Boden der Ebene besteht aus röthlichem, lehmigem Sande, welcher dem Maniok, den Getreide- und Gemüseanpflanzungen zuträglicher zu sein scheint, als der strengere Lehmboden. Es wachsen sehr ergiebige Maniokfelder in der Nähe des 321 Ortes, und die Anlage von Mais, Hirse, Erdnuß und anderen Pflanzungen kann ohne weitere Auswahl fast an jeder beliebigen Stelle vorgenommen werden. Ich habe bereits eine ziemlich große Reispflanzung herrichten lassen; Biserra, Kalamba und einige Baschilange sind meinem Beispiele gefolgt, so daß ich den Reis als sicher hier eingeführt betrachten darf. Ferner habe ich in der Nähe des Hauses Melonenbäume und Guyaven und am Rande des Waldes Kaffee angesamt. Ueber einen Erfolg kann ich, was die letzten Pflanzungen betrifft, noch nicht berichten, indessen hoffe ich, daß meine Nachfolger bei ihrer Ankunft schon einige Sprößlinge der erwähnten Bäume vorfinden werden. Für die Station ist es von großer Wichtigkeit, einige fruchttragende Bäume zu besitzen, da die Stadt und Umgebung nicht im Stande sind, auch nur eine einzige cultivirte süße Frucht zu liefern. Maniok, Mais, Hirse, Erdnüsse, eine kleine Bohne, rauchbarer Tabak und wenige Bataten ist so ziemlich Alles, was bis jetzt hier zum Lebensunterhalt cultivirt wird und was der Reisende käuflich erstehen kann; aber was Früchte und Fleisch anlangt, so ist er mehr oder weniger auf Selbsthilfe angewiesen. Am jenseitigen Ufer des Lulua gibt es allerdings verwildert wachsende Ananas, indessen ist es immer mit Umständen verknüpft, sie von dort holen zu lassen, und rücksichtlich der Fleischprovisionen herrscht hier geradezu Mangel, und es hält oft schwer, die nöthigen Fleischrationen für die regelmäßigen Mahlzeiten zu erlangen. Kalamba gibt sich alle Mühe, etwaigen Klagen meinerseits abzuhelfen; er schickt Lebensmittel, wann und so viel er kann, aber er besitzt außer Tauben keine Hausthiere; und das mir zugeschickte Wildfleisch, welches meistens als Tributsendung seiner unterthänigen Häuptlinge an ihn eingeht, kommt regelmäßig in für mich ungenießbarem Zustande in die Küche. Der Häuptling hat zu Anfang seiner Regierung, 1874, als zu eifriger Hanfraucher, namentlich auf Wunsch seiner noch strenggläubiger rauchenden Schwester Sangula, in allen Dingen, welche er mit den nicht rauchenden Ungläubigen, den Tschipulumba, gemein hatte, gebrochen. Er hat wirklich beabsichtigt, sich und seine Leute thunlichst mit anderen Speisen zu ernähren. In Folge dessen sind bis 1876, wie Biserra angibt, der zu gleicher Zeit hier geweilt hat, in den Kalamba unterthänigen Orten sämmtliche Hausthiere auf seinen Befehl abgeschafft, sämmtliche Bananen- und Ananas-Pflanzungen u. s. w. 322 zerstört worden. Dieser gut gemeinte Vandalismus ist so weit gegangen, daß in hiesigen Buchwäldern und in der Campine die meisten Palmen abgehauen sind, weil der Genuß von Palmenwein, als Tschipulumbagetränk, verboten und nur Hirsebier, das Getränk der Kioque, zu genießen erlaubt wurde. Als ich Ende October vorigen Jahres hier ankam, war buchstäblich in der Stadt kein Huhn anzutreffen; nur wenige Tauben, eine Hausthiergattung, welche von den Karawanen der Küste eingeführt wurde, und welche die Tschipulumba nicht besaßen, fanden sich an Hausthieren vor. Das Blatt hat sich indessen, nachdem unsere Expedition hier eingetroffen ist, gewendet. Schon gleich nach meiner Ankunft wurden die Unterthanen Kalamba's auf meine Veranlassung beordert, Hühner und Ziegen anzuschaffen und Bananen &c. zu pflanzen, aber es hält in einem Negerlande schwer und dauert lange, neue Einrichtungen zu schaffen. Einige Hühnerhöfe befinden sich bereits in der Stadt, so daß ich, allerdings für hohe Preise, schon im Stande bin, meinen Bedarf zu decken, aber Zuchtziegen oder Schafe und Schweine befinden sich bis jetzt noch nicht im Besitze Kalamba's oder der hiesigen Einwohner. Es sind bereits während der letzten zwei Monate diverse Ziegen als Mulambo-Sendung (Tribut) von den am jenseitigen Ufer des Lulua wohnenden und unterthänigen Häuptlingen hier eingegangen, die indessen nicht zur Zucht geeignet waren. Ebenso geht es einstweilen noch mit den Bananenpflanzungen; ich ermahne den Häuptling und namentlich seine Schwester, so oft sich eine Gelegenheit dazu bietet, pflanzen zu lassen, aber trotz ihrer Versprechungen sehe ich bis jetzt noch nicht eine einzige Staude in der Stadt. Unter diesen Umständen sind eigene Viehstapel und Fruchtbaumplantagen hier fast unentbehrlich, und bin ich bei jeder möglichen Gelegenheit auf die Vermehrung der Ziegenheerde und der Anpflanzungen bedacht.

Im Uebrigen gibt es keinen Grund zur Klage für mich. Im Gegentheil, das Land und seine Leute entsprechen in jeder Hinsicht den Wünschen und Anforderungen der Station. Die hanfrauchenden Baschilange, d. h. derjenige Theil des Stammes, welcher am meisten mit den Kioque und Bangala in Handelsverkehr steht, sind nach meinem Urtheil, was Bildungsfähigkeit betrifft, geistig weit mehr begabt, als alle anderen mir im Innern Afrika's bekannten Stämme. Sie haben ihre großen Fehler; ihre 323 Scham- und Sittenlosigkeit ist geradezu empörend, und ihre Handelswuth ist derartig groß, daß es vorkommen mag, daß der Vater Frau und Kind verkauft, um in den Besitz einiger Ellen Kattun oder eines Gewehres zu kommen; aber sie haben ein gewisses Streben, etwas mehr zu werden, eine höhere Stellung einzunehmen, und an mich sind von den mir Bekannteren schon oftmals religiöse Fragen gestellt, die wirklich eine Spur von Phantasie verrathen. Es sind die hiesigen Baschilange ein Volk, wie geschaffen für das erfolgreiche Wirken eines Missionars. Ihre Strafgesetze sind milde und für den Reisenden nicht lästig, und ihr Fetischglaube äußert sich, im Vergleich mit den Kioque und Bangala, in milden Formen; das bei jenen übliche Gifttrinken wird durch Hanfrauchen ersetzt. Völker, welche nicht mit den Kioque oder mit den Europäern handeln, sind für die Baschilange Barbaren, und Sitten und Gebräuche, Geräthschaften, Waffen &c., welche nicht denen ihrer Handelsfreunde gleichen, sind ihnen ein Greuel. Ihre Häuser, Geräthschaften, Musikinstrumente &c., Alles ist Imitation der Bangala oder Kioque. Lanzen, Bogen und Pfeile finden sich hier im Orte höchstens heimlicher Weise im Besitze eines armen Muschilange. Das einzige eigene Industrieproduct, welches sie beibehalten haben, sind die aus der Blattfaser der Palme gewebten Bekleidungsstoffe. Der Häuptling Kalamba Mukenge ist in der That ein guter Mann; ich wenigstens kenne keinen besseren Negerhäuptling. Die Reisenden, welche Mukenge besuchen sollten, mögen aber nicht glauben, daß sie einen Engel von Häuptling hier vorfinden. Das ist er nicht. Er ist auch ein echter Neger, aber wenn es möglich wäre, bei Charakterisirung eines solchen von denjenigen geistigen Eigenschaften zu sprechen, die wir Tugenden nennen, dann würde ich vielleicht sagen, Kalamba besitzt die eine oder die andere. Aber für die Station genügt er. Er ist empfänglich für die Rathschläge eines Weißen, ist bis jetzt nicht unverschämt und lästig im Betteln, und ist bereit, dem weißen Reisenden auf Wunsch Leute für seine Reisen zu stellen – natürlich gegen entsprechende Bezahlung, die indessen einstweilen noch eine Bagatelle zu nennen ist. Von mir hat er einschließlich der Geschenke, Rationen &c., ausschließlich einer Musikdose, eines Chassepot und eines Doppelgewehres, im Ganzen für die Nyangwe-Reise ungefähr die Importanz von 150 Stück Malanʒer Fasenda à 18 Yards oder in Geld ca. 1250 Mark bekommen. Daß die Baschilange 324 in diesen Gegenden bessere Reisende sind als die Träger von der Westküste, haben sie bewiesen; als Lastträger stehen sie ihnen allerdings nach, indessen Lasten von 30–40 Pfund wissen sie ebenfalls im Allgemeinen gut zu handhaben. Am Munkamba-See war ich genöthigt, einige Lasten der desertirten Träger den Baschilange zu übergeben, welche mit vieler Freude für die einfache Ration ohne weiteren Lohn ihre »Carga«, darunter auch Blechkoffer, trugen und ehrlich am Lualaba ablieferten.

Bei meiner Rückkehr von Nyangme habe ich wider Erwarten sämmtliche Träger hier vorgefunden. Mein Brief vom 28. November 1881 ist durch unseren früheren Kioque-Begleiter Mauila expedirt worden. Die Träger, welcher vor meiner Abreise von hier 8 Ellen Fasenda pro Kopf als Ration für die Rückreise nach Malanʒe empfangen haben, schützten als Grund ihres Hierbleibens vor, keine passende Reisegelegenheit gefunden zu haben; indessen hätten sie sich entweder der Karawane Silva Porto's, der bekanntlich nördlich von hier in Cabao war, bis Kimbundu anschließen können, oder sie hätten mit der Karawane kleiner Händler aus Angola, die während meiner Abwesenheit in Tschingenge gewesen war, direct nach Hause gehen können. Der Grund ihres Bleibens bestand indessen darin, daß sie an die Baschilange »Lubuku« gegeben hatten, ein ähnliches Handelsgeschäft, wie in Lunda das »Bansageben«, eine Pränumerando-Bezahlung des Kaufobjectes. Der Schuldner in Lubuku hat die Gewohnheit, nach Empfang des Preises seinen Gläubiger gratis mit Speise zu versorgen, bis die Schuld getilgt ist, in Folge wovon das Geschäft »Lubuku« (Freundschaft) genannt wird. Nach meiner Rechnung nehmen einige 70 Träger ca. 80 Frauen und Kinder mit in die Heimath; es ist kaum Einer unter ihnen, der nicht eine Lebensgefährtin für ein Gewehr oder 16 Ellen Fasenda erstanden hätte. Für die Baschilange sieht es allerdings traurig aus, wenn sie fortfahren, so zu wirthschaften. Ich habe mit den Dolmetschern die Berechnung aufgestellt, daß in den letzten zehn Monaten ungefähr 300 Weiber exportirt worden sind aus den kleinen, höchstens 20–30 Quadratmeilen haltenden Districten von Kalamba und Tschingenge. Außer von unserer Expedition wurden diese beiden kleinen Länder während dieser Zeit von einer Bihé-Karawane, einer größeren Kioque-Karawane des Häuptlings Mucanjanga (nördlich von Hongolo zwischen dem Tschikapa und Luatschimo wohnend), von einer Küsten- und 325 einer Bangala-Karawane heimgesucht. Die Handelsproducte hier bestehen aber nur in Weibern und Kautschuck; Elfenbein findet sich nur ausnahmsweise zum Verkauf. Die Söhne Kalamba's, welche während seiner Abwesenheit den Vater vertraten, verhandelten an Mucanjanga allein 40 Weiber gegen 12 Gewehre, 26 Fässer Pulver und 16 Stück Fasenda.

Ich habe mich entschlossen, die Träger mit Germano nach Hause zu schicken; mit der ganzen Gesellschaft hier noch lange zusammen zu bleiben, würde wegen Fasendamangel nicht gut möglich sein, und die Station jetzt in ihrem Entstehen so ohne Weiteres zu verlassen, wäre geradezu Sünde, und würde auch nicht mit meinen contractlichen Verpflichtungen im Einklange stehen. Wenn Germano in Malanʒe Reisende der Gesellschaft oder Nachrichten ihres Kommens vorfindet, so ist er instruirt, sich bei ihnen zu melden und eventuell in ihre Dienste zu treten. Er hat sich hier besonders nützlich gemacht, indem er die Station fast ganz allein während meiner Abwesenheit geschaffen hat. Außerdem kann er, wenn es nöthig ist, die Träger anwerben und über den nächsten Weg hierher berichten, da er nicht über Kimbundu, sondern vom Kassai südwestlich durch Lunda und das nördliche Kassanʒe gehen wird. Sollte Germano indessen weder Reisende, noch Nachrichten in Malanʒe antreffen, so ist er beauftragt, für mich ca. 10 Träger mit Waaren zu belasten und zu versuchen, mit einigen kleinen Händlern oder dem »Empregado Saturninos« vereint die Rückreise nach hier anzutreten. Von den hiesigen Trägern sind, wie ich höre, einige auch bereit, als Händler auf eigene Rechnung mit Germano zurückzukehren. Wenn er aber nicht im Stande ist, auf diese Weise eine Karawane zu arrangiren, so ist sein Contract mit mir erloschen. Nach meiner Rechnung kann Germano innerhalb 8 Monaten von Malanʒe hierher zurückgekehrt sein. Bringt er mir dann keine Nachrichten und ist inzwischen keine neue Expedition hier eingetroffen, so muß ich mit Sicherheit annehmen, daß die Gesellschaft meine Rückkunft erwartet. Ich werde alsdann von hier abreisen.

Ob ich Elfenbein als Gegengeschenk von Tschingenge und Mukenge empfangen werde, weiß ich noch nicht. Ersterer ist seit etwa vier Tagen von einem Elfenbeinzug zurückgekehrt und hat mich bereits bitten lassen, ihn zu besuchen und einen rothen Papagei von ihm als Geschenk entgegen zu nehmen. Wie ich höre, 326 befindet er sich überhaupt im Besitz nur eines Zahnes, und ob derselbe für mich bestimmt ist, scheint mir auch noch fraglich. Inzwischen haben sich die Einwohner seines Dorfes so schlecht gegen die Leute Biserra's betragen, daß ich vom Häuptling verlangt habe, Biserra Genugthuung für die Mißhandlung seiner Leute zu geben, ehe ich oder ein anderer »Inglesch« (Benennung der wissenschaftlichen Reisenden) sein Dorf betreten würde. Außerdem hat sich Tschingenge öffentlich den Kioque und Trägern gegenüber beklagt, daß Wissmann nicht wieder zurückgekehrt sei und Fasenda und Pulver von Lualaba mitgebracht habe, da er ihm bei seinem Besuche nur wenig Geschenke mitgebracht habe – sic! Mukenge hat mir bereits verschiedene Male sagen lassen, er würde mir bei meiner Abreise nach Malanʒe reichlich Elfenbein als Geschenk für meine Landesherren mitgeben; indessen auf die Versprechungen eines Negers ist Nichts zu geben.

Der Gesundheitszustand der Karawane ist unberufen immer ein guter gewesen. Schwere Krankheiten sind überhaupt nicht vorgekommen, und an Todesfällen nur ein einziger, einer Frau, die schon krank von Malanʒe abgereist ist. Seit den zwei Monaten, die ich hier nach meiner Rückkehr verweile, ist nicht ein einziger Krankheitsfall gemeldet worden. Von den sechs aus Malanʒe mitgenommenen Ochsen ist einer am Kassai wegen Wildheit getödtet, einer am Lomani eingegangen, einer mit Wissmann nach Zanzibar und einer mit Germano nach Malanʒe gegangen. Den meinigen habe ich ununterbrochen von Malanʒe bis Nyangwe und zurück bis nach Mukenge geritten.

Die Regenzeit hat hier mit dem 16. August begonnen. Seitdem ist im Allgemeinen der Regen, immer von Gewittern begleitet, nur spärlich gefallen; in den letzten acht Tagen nicht ein Tropfen, obgleich die Temperatur fortwährend sehr warm ist. Meine Thermometerablesungen ergaben in der Regel: des Morgens mit Sonnenaufgang zwischen 19 und 21° C., Mittags 12 Uhr 28 bis 30°, um 2 Uhr Nachmittags 31–33°, und Abends mit Sonnenuntergang, gegen 6 Uhr, 24–27°. Der höchste Thermometerstand bis jetzt war 34½°, der niedrigste 18°. 327

 


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