Hermann Wissmann
Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost
Hermann Wissmann

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Empfang bei Mirambo.

Dreizehntes Kapitel.
Bei Mirambo.

Aus dem Thore der Umzäunung trat, von zwei Alten gefolgt, Mirambo mir entgegen. Wir standen uns einen Augenblick mit musternden Blicken gegenüber, dann trat er auf mich zu, gab mir die Hand und führte mich über zwei durch Befestigungen getrennte Ringhöfe auf einen Platz vor seinem Wohnhause, wo wir uns im Schatten eines dichtbelaubten Baumes niederließen.

Mirambo war ein Mann von ca. 50 Jahren, hohen sehnigen Wuchses, mit einem feinen Hüftentuch, sowie einfachem grauen europäischen Rock bekleidet. Das Haupt etwas geneigt und ein freundliches, stillvergnügtes Lächeln auf dem mageren Gesicht, 258 das einen leidenden Ausdruck hat, bot er in leisem Tone und langsamer Rede mir ein Willkommen. Hierauf drückte er seine Verwunderung aus über die weite Reise, die ich zurückgelegt, und besonders, daß ich mit so geringer Macht Uha durchzogen hätte. Bescheiden, fast schüchtern war sein Wesen, mild seine Sprache, und der ruhige Ausdruck seiner Züge wurde nur durch eine feine Tätowirung auf der Stirn, die einer starken Zornader glich, gestört. Es hätte kaum Jemand in diesem ruhigen Mann den großen Krieger, der Ostafrika erzittern machte, erkennen können.

Mirambo bot mir eine Wohnung an, erlaubte mir aber dann auf meinen Wunsch, mein Zelt im Schatten des schönen Baumes aufzuschlagen, nur stellte er die Bedingung, daß keiner meiner Leute in diesem innersten Hofe übernachten, und auch nur meine Diener bei Tage ihn betreten dürften.

In einen eisernen Lehnstuhl gehockt, mit aufgezogenen Beinen, rieb er unausgesetzt nervös mit einem Stückchen Holz die Zähne, oder kauete auf demselben.

Mirambo, so geht die Sage, war als Sohn eines Dorfhäuptlings im Dienste eines Arabers mehrmals nach Zanzibar gegangen. Einst schlug ihn sein Herr mit dem Stock, welche Beleidigung er später furchtbar rächte. Schon dieser Umstand zeugt von einer feiner Rasse fremdartigen Auffassung.

Er entfloh in die Wälder zwischen Tabora und Ugogo und begann mit raub- und kriegslustigem Gesindel die große Karawanenstraße zu belagern. Nachdem er manches arabische »Safari« (Karawane) ausgeplündert hatte, und, an Gewehren reich geworden immer größere Ueberfälle unternommen hatte, begann er sich einen festen Stützpunkt, das jetzige Urambo, einzurichten. Häuptlinge, die es mit den Arabern hielten, waren bald überwunden, abgesetzt, und ihre Nachfolger tributär und unterthan gemacht. Der ganze Westen und Norden von Graganza war bald sein Reich. Nach Norden zog er oft bis zum Ukerewe, nach Westen bis in's Land der Waha und im Süden reichte sein Einfluß bis ungefähr zum 6. Grad.

Nur Tabora, die starke Niederlassung vieler Araber im Bunde mit den Häuptlingen von Unianiembe setzt ihm noch eine Grenze, und weiter östlich die Wataturu, ein Stamm, der, wohl zu den Massaivölkern gehörend, einst Stanley schwere Verluste beibrachte.

259 Der Ruhm der vielen Siege hatte allmählich Mirambo zum gefürchtetsten und bei den Seinigen zum populärsten Manne gemacht. Mirambo schlafe nie, er könne fliegen, sei unverwundbar, und manche andere Eigenschaften schrieb man ihm zu. Trotz seines scheinbar milden Wesens soll er durch wenig Worte seine Krieger zu wildem Muth entflammt haben. Er focht heute hier und erschien am nächsten Morgen 6 gewöhnliche Tagereisen weiter entfernt mit seinen sieggewohnten Horden, den Tag über und eine ganze Nacht im Dauerlauf unglaubliche Entfernungen durcheilend. Er war überall.

Ein Stamm der am Nyassa-See wohnenden Zulu, die Watuta, war durch einen mächtigen Häuptling aus seinen Sitzen aufgetrieben und wanderte nach Norden. Urori und Ukononga durchziehend, warfen die kriegerischen Zulu Alles vor sich nieder, bis sie an Mirambo's Grenze kamen. Sofort trat dieser mit großer Uebermacht den Fremdlingen entgegen, zwang sie zum Frieden und wies ihnen im Nordwesten von seiner Residenz Gebiete an, mit der Bedingung, im Kriegsfall Heeresfolge zu leisten.

Mirambo sagte mir, daß er innerhalb dreier Tage 10 000 Mann aufbringen könne, ohne die Watuta.

Seine Krieger heißen »Ruga-Ruga«, eine Benennung, die von der Zeit herrührt, wo Mirambo noch als Straßenräuber die Karawanenwege unsicher machte. Noch heute wissen die Träger viele Stellen zu zeigen, an denen blutige Gefechte stattgefunden haben, und ist noch jetzt der große Weg von Tabora nach Ugogo fast ganz entvölkert.

In dem Jahre, als Stanley, um Livingstone aufzusuchen, in Unianiembe war, wagte Mirambo einen Schlag gegen die in Tabora mächtigen Araber, schlug dieselben, plünderte die Stadt und brannte Alles nieder. 200 Elefantenzähne sollen die Beute gewesen sein. Seit jener Zeit sind Maßnahmen getroffen, daß Mirambo nur wenig Pulver kaufen kann, und jetzt gerade, als ich hier war, hatte er, um den Pulvermangel zu ersetzen, mit der ihm eigenen Energie einen vollkommenen Waffenvorrath angelegt. In den weiten Höfen waren viele Menschen beschäftigt, Speere, Bogen und Pfeile anzufertigen. Hier saßen 20 Mann, die nur Pfeilschäfte glätteten, dort Schmiede, dem Eisen die Form von Pfeil- und Speerspitzen gebend, andere schliffen an Steinen diese Spitzen, wieder andere fügten Federn in den Pfeilschaft 260 ein, in einer neuen Gruppe wurden Sehnen für die Bogen gedreht u. s. w.

Mirambo führte mich in eins seiner in arabischem Styl gebauten Häuser, sein Arsenal. Ein großer Raum war angefüllt mit Tausenden von Speeren, Bogen, und eine ganze Wand bedeckt mit Bündeln schöner Pfeile. »Siehe hier mein Pulver«, sagte er, »noch bin ich nicht waffenlos!«, und als einen anderen Ausdruck, als ich ihn fragte, gegen wen diese Rüstungen gerichtet seien, gebrauchte er, den fast genau in Kiswahelisprache übersetzten Spruch: »Si vis pacem, para bellum«.

Ich hörte, daß der Einfluß eines Missionars, Mr. Southon, auf Mirambo ein großer gewesen sei, und ihn von seiner kriegerischen Laufbahn in den letzten Jahren mehr auf die friedliche Beschäftigung des Handels geleitet habe. Dieser Herr war erst vor kurzer Zeit gestorben und wurde aufrichtig von Mirambo betrauert. Letzterer erzählte mir, daß sein Freund auf der Jagd von dem ihm das Gewehr tragenden Diener aus Versehen durch den Arm geschossen sei, er habe dem Fahrlässigen nur auf Bitten des Verletzten die Todesstrafe erlassen. Er habe den Rath gegeben, man solle den zerschmetterten Arm nur schienen, der Missionar habe jedoch auf Amputation, die von zwei Weißen, dem Deutschen Dr. Böhm und einem Missionar aus Ujui ausgeführt worden war, bestanden. Eintreten des Brandes habe eine zweite Amputation nöthig gemacht, doch auch diese habe seinen Freund nicht retten können.

Die aufrichtige Betrübtheit, mit der er von dem Verluste seines Freundes sprach, berührte mich sympathisch.

In einer halbverfallenen kleinen Hütte, die inmitten der schönen Gebäude in dem reinlichen Hofe auffällt (man sagt, es sei in derselben Mirambo's Mutter gestorben), bringt Mirambo den größten Theil des Tages zu in Geschäften der Regierung. Hier empfängt er alle Gesuche und Bitten; man nähert sich ihm in gebückter Haltung mit mehrfachem Klatschen in die Hände; ein Gruß, den er mit kaum bemerkbarem Kopfnicken erwidert. Ein alter, hübscher Neger mit einer Adlernase und schlauem Gesichtsausdruck scheint der Hauptberather zu sein. Wenn derselbe Vortrag hält, so spricht er fließend und ausdrucksvoll vor sich hin, ohne seinen Herrn anzusehen, denn er weiß, daß selbst die überraschendsten Nachrichten auf den ruhigen, stillvergnügten Zügen 261 desselben keine Veränderung hervorrufen würden. Ganz nach dem Gesetz afrikanischer Rhetorik macht er Vergleiche, spricht in Bildern, oder malt das Schlimme drastisch aus, um dann das Erwünschte im Gegensatze dazu glänzend hervorzuheben.

Plötzlich unterbricht er seine Rede und beginnt mit leiser Stimme einen der vielen Gesänge, in denen die Waniamwesi ihren Mirambo verherrlichen. Ausdrucksvoll, mit leuchtenden Augen endete der Alte jeden Vers mit dem Refrain »Mirambo«, dann läßt er eine Gefühlspause eintreten und fährt fort in seinem Vortrag. Mir schien der Alte für einen Wilden ein sehr feiner Diplomat zu sein.

Ich mußte Mirambo viel von unserer Tactik erzählen, ihm zeigen, wie man sprungweise mit Schützen vorgeht u. s. w. Er zeigte viel Verständniß für das Alles; er hatte von dem großen Kriege Deutschlands auch gehört, und machte sich seinen Ideen angepaßt ein herrliches Bild von unserem Kaiser, den er bewundere, daß er bei so hohem Alter noch solch' ein gewaltiger Krieger sei. Er war erstaunt, daß ich die französischen Missionare in Tabora besuchen wolle, da sie doch zu unseren Feinden gehörten.

Mirambo hatte mir zum Empfange eine schöne junge Kuh und 2 Flaschen Champagner, wenn ich nicht irre von der Marke Pommery & Greno, geschenkt. Als ich überrascht über diese Gabe im Laufe des Gesprächs auf die durch seine Ruga-Ruga überfallenen und im Kampfe getödteten beiden Engländer Carter und Catanhead zu sprechen kam, wurde er still und bat mich, abzubrechen. Die Angelegenheit, in der er völlig schuldlos sei, sei schon erledigt.

Meine Leute beschwerten sich bei mir, daß sie für die erhaltenen Perlen hier Nichts kaufen könnten, da man Zeug verlange. Da ich keine Stoffe hatte, erzählte ich Mirambo meine Verlegenheit. Er schickte sofort in sein Haus und ließ 4 Stücke Zeug à 40 Ellen holen und mir überreichen. Ich fragte ihn, ob ich den Betrag von ca. 32 Dollar in Tabora an ihn zahlen könne, er sagte indeß, er habe weder dort, noch irgendwo Verbindung, und möchte ich das kleine Geschenk von ihm annehmen. Weiter fügte er hinzu Pfeile, Bogen und Speere aus seiner Waffenfabrik, eine von ihm selbst zurecht gemachte Pfeife, deren Kopf aus einem Speckstein, der nördlich von hier gefunden wird, geschnitzt war.

262 Des Abends versammelten sich sämmtliche näheren Verwandten, natürlich nur männlichen Geschlechts, zum gemeinsamen Mahl, das nur aus Brei von Reismehl und Milch bestand. Mirambo genießt nie etwas Anderes. Auch ich wurde eingeladen. Später saßen wir Alle um ein helles Feuer, es wurde gefragt und erzählt, und da man sich stets des Kiswaheli's bediente, in welcher Sprache ich mich schon verständlich machen konnte, waren dies höchst interessante Stunden.

Bei solcher Gelegenheit versprach mir Mirambo, wenn ich zu ihm zurückkehre, wolle er mir zum Besuche des Mutu a Nzige-Sees soviel Mann zur Begleitung geben, als ich nur wolle, nur solle das auf der Reise aufgekaufte Elfenbein ihm gehören, mir aber die Karawane ganz gehorchen. Ich sollte nur Pulver mitbringen, denn die Stämme dort, die Wasongora oder Bassonga seien wild und kriegerisch.Der Tod Mirambo's, den ich in Nyangwe im Jahre 1886 erfuhr, war einer der vielen ungünstigen Umstände, die mich damals verhinderten, meine Absicht, den erwähnten See zu besuchen, auszuführen, was mir auch deshalb besonders leid that, da ich dann auch Emin Bey, von dem ich gleichzeitig in Udjiji hörte, angetroffen hätte. – Einige Beludschen behaupten, Mirambo sei auf Anstiften der Araber vergiftet worden.

Muniamwesi-Typus.

Der dritte Tag meiner Anwesenheit war ein wichtiger auch für Mirambo. Der erste Araber zog friedlich in die Thore seiner Residenz, die beiden mächtigsten Männer Ostafrika's, Tibbu-Tibb und Mirambo, schlossen Freundschaft.

Wie ich später hörte, hatte Tibbu-Tibb, der bei Tabora lag, in Erfahrung gebracht, daß ein Weißer, nämlich ich, von Nyangwe und Udjiji kommend, Freund der Araber, zu Mirambo gekommen sei. Der schlaue Patriarch, der sich die Verbindung zwischen Tabora und dem Tanganjika-See durch die Verwüstung Uwinza's unterbrochen hatte, suchte sich die nördliche Route, auf der ich 263 gekommen war, die aber von Mirambo beherrscht wurde, dadurch zu öffnen, daß er seinen Sohn Zefu-bin-Mohammed mit Geschenken hierher sandte, in der Hoffnung, meine Anwesenheit werde einen guten Empfang seines Gesandten sichern. Mirambo empfing den Sohn des mächtigen Arabers höflich, behandelte ihn jedoch durchaus als einen mit einem Anliegen Kommenden.

Zefu, ein wohl 20 Jahre alter Mann, dessen hübsches Aeußere und chevaleresques Wesen leider zu oft durch einen lauernden Blick beeinträchtigt wurde, kam mit Mirambo zu dem Resultat, daß seines Vaters Karawanen ungefährdet hier passiren könnten. Dafür solle derselbe Alles thun, um Said-Bargasch günstig gegen Mirambo zu stimmen, damit Letzterer seine Elfenbeinkarawanen bis zur Küste senden könne. Mirambo hatte viel Elfenbein bei sich liegen, konnte es jedoch wegen Feindschaft mit dem Arabern nicht verkaufen. Ein Weißer hatte vor einigen Jahren versucht, in Tabora Elfenbein anzukaufen, und so das von Mirambo zu erhalten, hatte aber, von den Arabern bedroht, sein Unternehmen aufgeben und zur Küste zurückkehren müssen.

Um die vielen Geschenke und Beweise der Freundschaft, die ich hier erhalten hatte, nach Möglichkeit zu erwiedern, bot ich Mirambo eine Büchsflinte an, die Pogge mir gelassen hatte. Mirambo sagte mir, er möchte nicht, daß ich glaube, daß er mir in Erwartung eines Gegengeschenkes mit einigen Kleinigkeiten ausgeholfen habe, nehme aber das Gewehr als Zeichen der Freundschaft an. Er bat mich, mit demselben eine Schußprobe zu machen. Ich machte mit Holzkohle einen Fleck an die Wand seines Hauses und drückte, da ich durch Zufall sofort das Ziel in der Visirlinie hatte, so schnell ab, daß ich kaum gezielt zu haben schien. Die Kugel saß mitten im Ziel und der schnelle Schuß rief allgemeine Bewunderung hervor. Mirambo gab durch ein herzliches Lachen seine Freude zu erkennen.

Der junge Sohn Tibbu's sagte mir, daß sein Vater im Begriff stehe, nach Zanzibar abzureisen. Da man mich versicherte, daß die Reise durch die Wildniß von Ituru und durch Ugogo nur mit einer starken Karawane zu machen sei, und ich noch lebhaft die in Uha mir ertheilte Lehre im Gedächtniß hatte, beschloß ich, mit Tibbu-Tibb abzuschließen, und brach am 31. August von Mirambo auf, um noch vor der Abreise der großen Karawane Tabora zu erreichen. 264

 


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