Hermann Wissmann
Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost
Hermann Wissmann

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Prairie mit Akazienbüschen.

Siebentes Kapitel.
Bis zum Lomani.

Unweit des Ufers machten wir ein Lager. Nach Osten breitet sich weite wellige Grassavanne aus, mit niedrigen Akazienbüschen dünn bestanden. Das gelbliche Grün der Savanne wird hier und da durch dunkle, sich auf dem Rücken der Terrainwellen langziehende Palmenhaine, die die Dörfer überschatten, unterbrochen.

Die Eingeborenen des nächsten Dorfes, auch Bassonge, sind freundlich und handelslustig. Unsere Leute, von ihrer grausen Furcht befreit, sprachen dem schönen Palmwein tüchtig zu, und bald herrschte allgemein fröhliche Stimmung. Pogge und ich waren im Bewußtsein, eine gefährliche Krisis glücklich überwunden zu haben, in gehobener Stimmung.

Wir gingen in das nahe Dorf. Tiefer Schatten mächtiger Palmen, die das große Alter der Dorfschaft bewiesen, nahm uns 134 auf; wir wanderten die breite Hauptstraße entlang. Mit Gärten umgeben lagen zu beiden Seiten dicht an einander gereiht die Gehöfte. In 4 bis 10, oft 8 m hohen Häusern um den frei und rein gehaltenen Sandplatz, dicht umgeben von Bananen, wohnt eine Familie. Euphorbien, Ricinus und Dornengewächse schließen das Gehöft nach außen ab. Nur schmale Pfade führen durch die dichten Hecken. Die offenen Räume zwischen den Gehöften sind mit Mabondopalmen angepflanzt und bilden Wege. Von rechts und links erhalten wir von hübschen Weibern unseren Gruß; kein wildes Staunen, Verfolgen oder Drängen. Frische Kindergesichter schauen mit weit aufgerissenen Augen aus einer engen Spalte der Thüre auf den weißen Mann. In unabsehbaren Schaaren belebt der graue Weber, unseres Spatzen südlicher Verwandter, mit ununterbrochenem Gezwitscher die schönen dichten Blätterkronen der Palmen.

Ein Weib Katschitsch's, eine braune Bajadere, die uns im Lager drüben oft ihre nicht ungraziösen Tänze für einige Perlen hatte bewundern lassen, kam uns mit einer schön verzierten Schale voll schäumenden Palmweins entgegen und lud uns mit natürlichen, eleganten Gesten, die bei den Bassonge-Weibern so angenehm auffallen, zum Eintritt in des alten Katschitsch hiesiges Residenzgehöft ein.

Wie hatte uns der alte, blinde Fuchs genarrt! Der größte Theil seines Landes Koto lag auf dieser Seite, war also das Land der »wilden Kannibalen«, vor denen er uns gewarnt hatte.

Am nächsten Tage, dem 31., erreichten wir, in südöstlicher Richtung marschirend, Loboia.

Ein Träger, Jassinto, der wegen frecher Antwort von Pogge eine Ohrfeige erhielt, riß das Messer gegen diesen aus der Scheide, floh jedoch, als Pogge einen Stock aufnahm. Ich war dafür, daß der Mann zum Tode verurtheilt, dann begnadigt würde und längere Zeit in der Kette marschiren sollte. Pogge aber meinte, daß eine gehörige körperliche Züchtigung genüge, und überließ mir, da er selbst ein kleines Fieber hatte, die nothwendigen Schritte. Ich rief am Abend die Träger und Häuptlinge zusammen, hielt dem Manne sein Verbrechen vor und ließ ihm eine derartige Züchtigung zu Theil werden, daß er noch längere Zeit in Reue an sein Benehmen erinnert wurde. Das Betragen der übrigen Träger bei diesem Vorgange zeigte, daß der Zweck erreicht sei.

135 Sehr bedauerte ich, daß unsere Mittel so beschränkt waren, denn welch' prächtige ethnographische Sammlungen hätte man hier anlegen können! Wir hatten schon Alles verhandelt, was möglich war, außer den für die Rationen der Leute nothwendigen und daher nicht zu entbehrenden Waaren. Ich besaß nur noch zwei Taschentücher, alle übrigen waren in Waffen und Geräthschaften angelegt. Wenn unsere Reise noch lange dauerte, würden wir nicht mehr genug Waaren gehabt haben, um unseren Leuten Rationen zuzutheilen, und das Peinlichste dabei war, daß wir dies unsere Begleiter nicht merken lassen durften.

Am 22. Februar passirten wir den Bach Lubila, dessen rechtes Ufer von dunkelrothem Sandstein überall so steil war, daß wir zur Passage der Reitstiere mit den Beilen einen Weg in das weiche Gestein hauen mußten.

In Kinowo, wo wir hielten, hatte der Gewittersturm der letzten Nacht sämmtliche Bananen- und Platanenbäume, viele Palmen und Häuser niedergerissen.

Das Lager glich immer noch einem Jahrmarkte. Das Tuten aus kleinen Elfenbeinhörnern, mit denen man sich ruft, Knarren, Trommeln, Pfeifen und Schreien, Auspreisen der Waaren, die ausdrucksvollen Töne der Verwunderung und des Beifalls oder der Enttäuschung machten einen entsprechenden Lärm. Das Gedränge der Handelslustigen war groß; die Eingeborenen schleppten Alles herbei, was sie besaßen, da sie die wunderliche Mähr hörten, daß der Weiße auch Gegenstände ihrer Industrie kaufe. Der Abschluß eines Handels ist schwierig. Die Bassonge sind sehr vorsichtig und ängstlich, rufen Verwandte herbei, um ihre Meinung zu hören, und wollen oft ein schon abgeschlossenes Geschäft rückgängig machen oder Sachen umtauschen.

Am 4. passirten wir ein kleines liederliches Dörfchen der Batua. Nach den Erfahrungen, die ich jetzt besitze, weiß ich, daß sie sehr vermischt mit anderen Stämmen waren; obgleich noch auffallend klein, haben sie doch die Hautfarbe der Bassonge, vielleicht etwas fahler, welcher Ton aber auch von ihrer großen Unreinlichkeit herrühren kann.

Ihre Industrie war sehr tiefstehend; sie besaßen nur einige eiserne Messer, sonst waren alle Waffen von Holz. Sie hatten mit wunderbaren Figuren bemalte Schilde. Als Kleidung wurden nur Häute verwendet; einen Viehstand gab es nicht, jedoch hatten 136 sie recht gute, breitbrüstige und hochgestellte Hunde, die auch ganz gegen Negergewohnheit gut gehalten waren, in Koppeln zu drei oder vier geführt und zur Jagd gebraucht wurden.

Am 6. erreichten wir ein ebenfalls noch Katschitsch tributpflichtiges Dorf, bei dessen Einwohnern uns sofort die Aehnlichkeit mit den nördlichen Baschilange auffiel. Es waren Bambue, ein Stamm der Baluba. Der Mukelenge-Muteba besuchte uns und gab uns einen Führer, einen Sklaven, von den wilden im Norden wohnenden Bena-Mona, welcher behauptete, schon bei den Arabern im Osten gewesen zu sein.

Weiter geht es durch ein ganz ungewöhnlich coupirtes Terrain, wo überall in dem Gewirr von Bächen und Schluchten ein sehr weicher, dunkelrother, horizontal geschichteter Sandstein ansteht. Wir lassen einen sich 100 m über dem Niveau der tausend kleinen Kuppen ringsum erhebenden Berg Mulunda zur Rechten und marschiren durch ein sich in einer Straße hinziehendes Dorf der Bena-Katende, ebenfalls Baluba. Sofort fällt die geringere Reinlichkeit, Sorgfalt und Ordnungsliebe der Baluba auf im Vergleiche zu den Bassonge. Die Palmen fehlen; die Häuser liegen in einem lang gezogenen, saftig grünen Bananenwald recht malerisch. Die Straße des Dorfes, die sich dem Terrain angepaßt über Kuppen, Sättel und Rücken in langer Windung dahinzieht, hat in Abständen von ca. 1000 m immer einen offenen Platz, Kiota, wie bei den Baschilange, mit Lauben. Dichtgedrängte Menschenmassen umgeben uns, wie früher bei den Baluba, neugierig, bald dreist, bald furchtsam, mit ihrem staunenden Ooooh!

Wenn ich rückwärts sah und die dünne Linie unserer Karawane, umdrängt von diesen Massen sich dahinwindend, beobachtete, kam mir der Gedanke, daß, wenn diese Wilden nicht so friedlich oder vielmehr furchtsam wären, sie uns erdrücken könnten, bevor wir von den Waffen Gebrauch zu machen vermöchten. Daß Derartiges hier nicht zu erwarten stand, zeigte deutlich das Benehmen der Katende. Wenn nur mein braver Reitstier Malucko den Kopf seitwärts wandte, entstand schon wilde Flucht, und unsere Leute erkannten auch bald ihr imponirendes Erscheinen und schafften sich, wo wir es nicht sahen, rücksichtslos mit dem Stocke Raum. Ein großer Theil unserer Baschilange trug nur Stöcke, denn jede Waffe, außer dem Gewehr, ist den Bena-Riamba zu tragen verboten. Ein wunderliches Bild inmitten der mild bemalten und 137 bewaffneten Massen machten diese Leute unserer Begleitung, wie sie vertrauensvoll schwatzend und lachend, den Stock, an dem die mächtige Riambapfeife hängt, über der Schulter, sorglos dahinzogen.

Am Ostende des langen Dorfes machten wir Halt. Unter dem Gedränge der Schaulustigen fiel ein alter, über und über mit Federn geschmückter Barde auf, dessen wohltönende Melodien auch uns bald anzogen. Er trug die Marimba, die sonst nur liegend bearbeitet wurde, an einem Gürtel um den Hals. Offenbar eine Ballade als Melodrama war seine erste Leistung. Den ausdrucksvollen Vortrag begleitete er bald mit weichen, leise wimmernden, bald mit munteren oder kriegerischen Weisen. Er sprach ganze Sätze, die zuletzt in gesungene Worte übergingen und dann in entsprechender Melodie bekräftigt wurden. Mit Wiegen des Oberkörpers oder des Kopfes und lebhaftem Augenausdruck begleitete er den Vortrag. Wurde dessen Inhalt kriegerisch, dann warf er stolz das befiederte Haupt zurück, das Auge funkelte, und stampfend bewegte er sich vorwärts. Mit gellendem Aufschrei endete der fesselnde Vortrag. Später gab er musikalische Kunststücke zum Besten. Die Melodie wurde, als wenn sich entfernend, immer leiser, allmählich fielen einige Töne, wie von Weitem nicht mehr hörbar, aus und verstummten fast, als die andere Hand kräftig in voller Stärke einsetzte, die erste Melodie sich wieder näherte, und dann beide in einander übergingen. Es war die größte musikalische Leistung, die ich in Afrika jemals hörte, selbst eingeschlossen die mit europäischen Instrumenten ausgestatteten Kapellen in den Küstencolonien.

Am 9. bestieg ich den Mulunda und passirte auf dem Wege dorthin ein anderes großes Dorf, nur begleitet von einem Führer, und doch gelang es kaum unseren Bemühungen, die Eingeborenen vom flüchtigen Räumen des Dorfes abzuhalten. Erst als ich mich in demselben niederließ und um Wasser bat, faßten die Bewohner wieder Zutrauen und wußten nun kaum, was sie mir Alles heranschleppen sollten. In dichten Massen begleiteten sie mich dann zum Lager. Diese Bambue feilen die Zähne vielfach rund, wie ich es niemals wieder sah.

Unsere Karawane lebte stets im Ueberfluß, denn wegen der Masse des Angebots von Lebensmitteln waren die Preise sehr niedrig.

138 Eine Gesandtschaft des Fumo-Zappu, Häuptlings einer Bassangesippe, lud uns ein, und ein Sohn desselben mit Bewaffneten geleitete uns zu seinem Vater. Wir passirten den Lukalla und Lukasi, zwei über 50 m breite, über Sandbetten mit nur wenig Wasser rieselnde Bäche. Großes Erstaunen und Vergnügen rief das Einsinken in den Triebsand des Bettes dieser Bäche bei unseren Leuten hervor. Wir stiegen hinauf auf eine Kette von Süd nach Nord ziehender Höhen, auf deren höchstem Punkt wie eine Zwingburg Zappu's Dorf liegt. Am Eingange desselben empfing uns, ganz und gar mit Pemba angemalt, Zappu, der berüchtigte Häuptling wilder, kannibalischer Bassange, der weit ringsum Alles in Tributpflichtigkeit hält. Zu unserem großen Staunen fanden wir hier ein Gewehr, und schon glaubten wir, es sei der erste Gruß vom Osten, als wir erfuhren, daß ein Bihémann, der vor 6 Jahren von einer weiter südlich passirenden Karawane zweier portugiesischer Händler, deren ich noch später Erwähnung thun werde, geflohen war, hier Aufnahme gefunden hatteDieser einsame, am weitesten in das Innere vorgedrungene Abenteurer trat 4 Jahre später in meine Dienste..

Wir erhielten hier viel Auskunft über die vor uns liegenden Gebiete. Einen südlichen Weg, der zwei große Häuptlinge der Bene-Ki, Zappu-Zapp und Mona-Kakesa, berührte, verwarfen wir, wegen Waarenmangels, große Gegengeschenke scheuend, und wählten einen direct von hier nach Osten führenden.

Man wußte hier auch von vier Arabern, Kihungo, Mukehuba, Famba (Djumma-Merikani) und Tuba-Tupa (Tibbu-Tibb), die ihre Leute am Lomani haben sollten.

Am 11. führte Zappu uns zu Ehren einen interessanten Tanz auf, oder mehr eine pantomimische Darstellung, die der Häuptling mit 4 Weibern sehr gewandt und mit viel Natürlichkeit zum Besten gab. 6 Trommeln und 2 Marimbas begleiteten die Vorstellung, und ein gebrüllartiges Stöhnen der Umstehenden schien die Tänzer fortwährend anzufeuern und trieb sie anwachsend zur höchsten Ekstase und Verzückung, in der sie sich mit wild glühenden Augen und Gestampf des Bodens wie außer sich vor wilder Lust gebärdeten. Das Motiv des Tanzes war so obscön und lüstern, oft geradezu raffinirt, daß es sich der Beschreibung entzieht. Zu 139 Ende des Tanzes sprang der Häuptling plötzlich zwischen die zuschauenden Unterthanen, ergriff nach einander zwei der Aelteren, nach ihrem Aeußeren zu urtheilen, wohlhabende Leute, und schlenderte Pogge und mir je einen zu, wie wir erfuhren, als Geiseln, bis der Betreffende sich durch Bezahlung eines Sklaven an uns auslösen würde. Zum Erstaunen Aller und nicht zur geringen Freude der Geiseln wiesen wir dies zurück. »Unsere Verwandten im Osten (Araber) raubten so viele Leute mit Gewalt, und wir wollten nicht einmal solche zum Geschenk?«

Die Bassange haben zwei Arten von Häusern, solche wie die Bassonge, zu welchem Stamme sie auch gehören, und andere, quadratische, mit senkrechten Wänden und spitzem Dach. Sämmtliche Waffen und Geräthschaften sind schön, sorgfältig und geschmackvoll ausgeführt. In Holzschnitzerei, Eisenbearbeitung und Töpferei sind die Bassange Meister. Die Haare tragen sie kurz gehalten; in scharfen Umrißlinien rasirt, läßt man die Schläfe weit nach dem Hinterkopf zu frei. Auf dem Wirbel ist ein kleiner Haarbüschel zusammengebunden. Die Bassonge sind wild, räuberisch und Kannibalen. Alle Männer nach der Beschneidung und diejenigen Weiber, welche unfruchtbar sind, dürfen Menschenfleisch essen, die anderen nicht, da es unfruchtbar machen soll.

Bassangedorf.

Als Gruß reibt man sich den inneren Arm mit Erde; um zu bitten, schlägt man sitzend mit der geballten Faust die Erde, und wenn sich Zwei trennen, verabschiedet sich stets der Jüngere und wartet ein Zeichen der Erlaubniß sich zu entfernen ab.

Am 12. wurden große Waffentänze ausgeführt. Zuerst wurden uns gewissermaßen die verschiedenen Waffengattungen vorgeführt. Krieger, in der einen Hand den mächtigen Schild und einige Reservespeere, in der anderen einen Wurfspeer, sprangen vor- und rückwärts und stachen einen supponirt als am Boden liegenden Feind nieder. Ebenso folgte Beil, Keulen und Messerfechten, in Lufthieben dargestellt. Um siegreichen Erfolg anzuzeigen, zog man zum Schluß des Tanzes das rechte Bein so hoch, daß der Fuß auf dem linken Oberschenkel ruhte, erhob die Waffen, warf den Kopf zurück und bog den Oberkörper langsam in den Hüften hinten über, eine Bewegung, die viel Gewandtheit und Muskelkraft erfordert. Nun trat plötzlich Zappu mit seinen schön kriegerisch geschmückten Söhnen aus der Masse hervor; sie sprangen in mächtigem Anlauf vorwärts, die bemalten Schilde vorgestreckt, 140 und schleuderten nach einem Anlauf und Vorschnellen des Körpers aus zurückgebogener Stellung ihre Speere. Andere Krieger folgten. Bis zu 40 Schritt durchmaßen die schlanken Lanzen zitternd und ricochettirend, dann noch vier bis fünfmal vom Boden aufspringend. Zwischendurch doublirten Bogenschützen ein, die unter fortwährenden Schlangenwindungen, Seit- und Vorwärtssprüngen, Ducken und Niederwerfen, oder Deckung hinter den Schilden der Speerwerfer suchend, ihre Pfeile mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit fliegen ließen. 10 Gommas und Trommeln, Geheul und Gejauchze und ein eintöniges gesangartiges Wimmern der Weiber begleitete das schöne Schauspiel.

Nie wieder sah ich derartig gute Leistungen im Gebrauch der Waffen bei Negern.

Am 13. begruben wir einen unserer Leute, der an Lungenentzündung gestorben war. Hat man einen derartigen Verlust im Lande der Massongo und Kioque in Westafrika, so fordert der Häuptling des Dorfes, in dessen Bereich der Todte eingesenkt wird, hohe Zahlung.

Der zweite Sohn von Zappu war ein so schöner Mann, daß die Weiber unserer Karawane und selbst die des Dolmetschers ihm geradezu nachliefen. Er schenkte mir einen schönen Speer, und hing ich ihm dafür mein letztes Epaulett mit der Nummer 90 um den Nacken.

Wer die Wirkung kennt, die das ruckartige Aufspannen eines Regenschirmes auf einen Hund äußert, hätte unwillkürlich daran denken müssen, wenn er den grimmigen Zappu gesehen hätte, wie er bei dieser fürchterlichen Procedur rückwärts von seinem Sessel zwischen die vor Schreck starr ihn umsitzenden Großen seines Reiches fiel.

Am 14. Morgens hörten wir, daß Zappu fort sei, um den Bena-Katende einen kriegerischen Besuch zu machen. Auch am nächsten Morgen, als wir aufbrechen wollten und die schon längst versprochenen Führer erwarteten, kam der Häuptling nicht. Die ganze letzte Nacht war aus den in der Tiefe liegenden Urwäldern Trommellärm zu uns heraufgeschallt. Zappu war mit 10 geraubten Weibern und 3 gefangenen und verwundeten Männern vom Kriege zurückgekehrt. Letztere waren unten im Walde bei einem nächtlichen Feste aufgezehrt worden. Erst am Abend, als wir drohten, die Weiber des Häuptlings als Geiseln zu nehmen, bis wir 141 einen Führer hätten, kam Zappu. Nachdem wir ihm handgreiflich unseren Abscheu über die Sklavenjagd und seine wilden kannibalischen Gelüste ausgedrückt, marschirten wir am 16. ab durch mit vereinzelt großen Bäumen bestandene Prairie und einen Urwald, in dem wir wieder einige Batua antrafen.

Einen schweren Verlust hatte ich an diesem Tage zu beklagen. Mein prächtiger Reitstier Malucko nahm beim Erklimmen eines steilen Hanges einen innerlichen Schaden und war nicht mehr zu besteigen. Noch mehrere Tage wurde er geführt mitgeschleppt, war jedoch nicht zu retten. Ich mußte jetzt den Reitstier nehmen, den wir Kalamba geliehen hatten, worüber Letzterer sehr betrübt war. Wie die meisten Neger jedes Thier verderben, so war auch dieser Stier in Mukenge's Behandlung so unartig geworden, daß er mehrfach durchging, in's Dickicht rannte und mich beim Absteigen im Lager über den Haufen warf. Ein Stier, welcher lange nicht von einem Weißen bestiegen ist, entwöhnt sich des Geruchs und wird scheu und wild, genau so, wie umgekehrt mein Malucko sich schon lange nicht mehr von einem Neger reiten, ja nicht einmal satteln ließ, was mein Humba, der mehrmals den Versuch gemacht hatte, zu seinem Schaden öfters ausprobirte.

Wir betraten jetzt das offene wellige Land der Bene-Ki, eines Bassongestammes, der in mächtig großen, alten Städten ein so glückliches Leben zu führen scheint, wie dies überhaupt nur für Wesen, die im Kampfe um's Dasein unseren Planeten bevölkern, möglich ist. Heute jedoch schon sind sie durch die rohe Habgier der Araber und deren Folgen von der Erde verschwunden, wie ich zu meinem unbeschreiblichen Erstaunen, schmerzlichen Bedauern und mit berechtigtem Gefühl der tiefsten Empörung gegen die Vernichter von Hunderttausenden glücklicher Menschen im Jahre 1886 feststellte.

Ein 8 m langer, dicht schattiger Palmenhain, der in seiner ganzen Länge von zwei Reihen dicht an einander grenzender Gehöfte durchzogen war, die Stadt Fungoi, nahm uns am 18. auf, und die Eingeborenen brachten zu billigen Preisen Alles, was des Negers Herz oder besser Magen sich nur wünschen kann. Es war Alles so billig, daß jeder Mann der Karawane täglich zwei bis drei Hühner sich leisten konnte, eine Schlemmerei, die für den Neger unerhört ist. Es wurde für eine große Perle oder eine große Kaurimuschel ein Huhn gekauft.

142 Vier wild aufgeputzte Boten des südlich wohnenden Häuptlings Zappu-Zapp erschienen, um uns zu holen. Die Leute hatten Gewehre, und zwar Percussionsgewehre, die durch die Unterhändler der Araber hierher gekommen waren. Wir hatten jetzt schon Fühlung mit dem Osten.

Unsere Hütten konnten nur von Palmenzweigen hergestellt werden, da andere Bäume mangelten. Ueber die Nachtheile einer solchen Palmenhütte habe ich schon früher gesprochen.

Die Eingeborenen sind freundlich und ängstlich, da sie von einigen großen Häuptlingen, die Gewehre haben, belehrt sind, im Feuergewehr eine furchtbare Waffe zu vermuthen, gegen die alle übrigen Waffen unnütz sind.

Die Riesenstädte der Bene-Ki sind lauter kleine Republiken; sie haben keinen Häuptling. Regierungsangelegenheiten wie Rechtsfragen und Vertretung benachbarten Häuptlingen gegenüber werden von den Aeltesten besorgt. Es ist dies sicher eine höchst auffallende Erscheinung in dem despotisch-monarchischen Afrika.

Einige unserer Baschilange hatten, die Einschüchterung der Eingeborenen benutzend, Lebensmittel genommen, ohne sie zu bezahlen. Die Aeltesten ließen daher die höchst eigenthümliche Drohung an uns ergehen, daß, wenn dies abermals geschehe, sie ihre Stadt uns allein überlassen würden. Die Diebe wurden bestraft und die gestohlenen Sachen bezahlt.

Auch Mona-Kakesa sandte uns Botschaft und Einladung, der wir nicht folgten. Die kriegerischen Männer der Gesandtschaft, die mit maßlosem Stolz ihre schön gehaltenen Gewehre trugen, näherten sich uns, feuerten, wie im Scheingefecht, unter Sprüngen ihre Waffen ab und legten dann nach jedem Schuß dieselben zu unseren Füßen nieder: es werden diese Eingeborenen einstmals gut zum Kriegsdienst zu verwenden sein.

Am 20. zogen mir in ein Dorf, das die Einwohner bei unserer Annäherung geräumt hatten. Im Nu waren unsere Leute in den Häusern, begannen Alles herauszureißen und auf Brauchbarkeit zu untersuchen, ja zu zerschlagen, was irgend möglich war, bis wir dem durch energische Anwendung des Stockes ein Ende machten. Natürlich kamen nun die Eingeborenen nicht zurück.

Sehr empfindlich war es seit einiger Zeit für uns, daß kein Salz zu kaufen war. Wir hatten schon seit mehreren Wochen dieses so nöthige Gewürz entbehrt.

143 Ueberall am Horizont erheben sich 50 bis 60 m hoch über dem Terrainrücken tafelförmige Berge. Große Schwierigkeit bereitete uns das Passiren des Lubesu, eines Baches, dessen 50 m breites Bett, so weit das Auge reichte, 40 m tief senkrecht in den weichen Sandstein eingeschnitten ist. Auf seinem rechten Ufer liegen die beiden Berge Ngulu und Kondo, weithin sichtbar.

Die nördlichen Nachbarn der Bene-Ki sind die wilden Bena-Mona und Batetela, die südlichen die Belande und dann die Baluba.

Am 22. marschirten wir durch einen Theil der größten Stadt der Bene-Ki. 17 km zieht sich von Nordwest nach Südost dieselbe als Wohnort der Baqua-Peschi auf der Scheitellinie von Höhenzügen entlang, von Weitem einem langgezogenen schmalen Palmenhain gleichend. Zu beiden Seiten der von der Stadt getrennten Rücken sind viele Quellstellen, die nach dem Mussongai ablaufen. Nur drei kleine Seen im Osten der Stadt scheinen unterirdischen Abfluß zu haben. Die Hänge der Höhenzüge sind mit Feldern bedeckt, die sich in langen Streifen zum Grunde hinabziehen, und zwischen ihnen führen wie Zähne eines Kammes Fußsteige zum Wasserholen in das Thal. Die Stadt muß sehr alt sein, denn hier und da ragt ein mächtiger Schattenbaum über die Kronen der Palmen empor. Die Hauptstraße ist 20 bis 40 m breit und zeichnet in ihren Windungen den Grat des langen Rückens der Terrainwelle, der auf einer Breite von 300 m ziemlich eben ist und sich dann zu beiden Seiten hinabsenkt. Hinter den Gehöften, die dicht an die Straße stoßen, liegen zunächst die Gärten, auch noch von Palmen beschattet, dann kommt ein breiter Streifen von Bananen, und hinter diesen schließen sich die Felder an. Die Gärten bringen Ananas, deren Saft man hier nur trinkt, und von deren Blättern man behauptet das wirksamste Pfeilgift zu gewinnen, Tomaten, Pfeffer, ein Gemüse »Ʒimboa«, Ricinus, aus dessen Bohnen gestampftes Oel ebenso wie bei uns verwandt wird, Tabak, Zuckerrohr und wilden Hanf. Auf den Feldern cultivirt man Erdnüsse, Maniok, süße Kartoffeln, Mais und Hirse. Die Raphia vinifera, meist an der Außenseite der dichten Palmenbestände angepflanzt, hier und da auch im Grunde in der Nähe des Wassers, liefert Palmwein und Bast zum Anfertigen der Kleiderstoffe, die Elaëis Nüsse und Oel. Es beginnt sonach der Bereich einer Familie an der Straße mit den Häusern, an die sich 144 Gärten, Palmenbestände, Bananenpflanzungen und Felder der Reihe nach anschließen bis hinab in die Nähe des Wassers. Das Grundstück je einer Familie ist von den zum Wasserholen bestimmten Wegen eingeschlossen und begrenzt. Die Ziegen sind schön, tief in der Brust und kurzbeinig, Schafe und Schweine sind seltener, Hühner in großer Anzahl vorhanden. Wild ist natürlich in dieser so außerordentlich bevölkerten Prairie nicht denkbar. Wir haben seit dem Sankurru kaum die Spur eines Stückes gesehen, und man kann dreist behaupten, daß solche Theile Centralafrika's wildarmer sind als Deutschland. Einzig und allein die Herbeischaffung des Brennholzes aus den bewaldeten Schluchten bedingt eine einigermaßen weite Entfernung der Bewohner von der Stadt, da alle übrigen Bedürfnisse des Lebens in Fülle dicht um sie herum vorhanden sind. Eine solche Stadt kann natürlich eine derartige Streitmacht aufstellen, daß sich die Baqua-Peschi bis dahin noch völlig selbständig erhalten hatten.

Was fehlt diesen Centralafrikanern im Schatten der prächtigen Palmen, im Ueberfluß eines reichen Fleckchens Erde, in Unkenntniß anderer Bedürfnisse, als derjenigen, die sie leicht befriedigen können, zum Glücklichsein?

Bei derartigen Betrachtungen beschleichen den Forscher eigenthümliche Gedanken. Er zieht einen Vergleich zwischen den fast paradiesischen Verhältnissen von hier und jenen mehr der Küste zu, wo leider immer die schlimmen Gaben der Civilisation tief störend in das Glück vorher zufriedener Menschen eingreifen. Der Forscher selbst ist es, der die erste Verbindung mit dieser schlimmen Zukunft anknüpft, die damit beginnt, durch blinkende Glasperlen und bunte Stoffe die Habgier der Wilden anzureizen, das Gefallen an den Producten seiner eigenen Industrie und damit die Freude an der eigenen Arbeit zu verdrängen. Wenn dann der Eingeborene den letzten Elefantenzahn verschachert hat und ihm sonst Nichts von Werth für den Handel nach der Küste zu Gebote steht, um Pulver und Gewehr, Zeuge und Perlen einzutauschen, dann greift er zum Sklavenhandel. Will er nicht seine eigene Familie verhandeln, so muß er rauben, zum Sklavenraub muß Krieg gemacht werden, der rings die Schwächeren, bisher noch glücklich Lebenden in's Unglück stürzt. Der Eingeborene, der dann kaum noch einen Tag seiner Person, der Seinen und seines Besitzes sicher ist, gibt sich nicht mehr die Mühe, seine Felder zu bebauen, denn morgen 145 muß er vielleicht schon flüchten und hat umsonst gearbeitet. Hungersnoth ist daher stets die erste nothwendige Folge, und in ihren Spuren folgen Epidemien, unter denen die furchtbarste die Pocken sind. Dies sollte auch die Zukunft der schönen Riesenstadt der Baqua-Peschi sein! Jetzt ein kleines Paradies, waren 4 Jahre später dieselben Palmenhaine verödet. Welche Veränderung war vorgegangen! Rechts und links vom Wege überwucherte das Gras die Stellen, wo früher glückliche Menschen lebten. Nur ein halb verkohlter Pfahl oder ein in der Sonne bleichender Schädel zeigte, was hier geschehen war. Grauenhaft war die Todtenstille, als ich im Jahre 1886 unter dem Schatten derselben Palmen wandelte, unter denen nur so wenig früher noch lautes Jubeln und freundliches Grüßen von Tausenden mir entgegenschallte, und heiß überlief mich das Gefühl des Zornes über die, welche hier solch' entsetzliche Aenderung hervorgerufen hatten, die Araber.

Auf den Spuren der Araber.

Kehren wir zurück in die glückliche Zeit und sehen wir durch oben beschriebene dicht bewohnte Palmengärten unsere kleine Karawane weiter ziehen. Zu beiden Seiten staunen Tausende von Eingeborenen, auch die Weiber sind hier nicht geflohen, und die Männer stehen mit den Waffen in der Hand ruhig beobachtend vor ihren Hütten. Kein wildes Rennen, Geschrei oder Jubeln bemerken wir; ernstes, sorgenvolles Gespanntsein prägt sich in ihren Mienen aus, denn schon kennen sie die entsetzlichen Scenen der Menschenjagden, die sich in ihrer Nähe abgespielt haben. Dicht umschlossen marschiren wir, ruhig der Hauptstraße folgend, weiter; die Massen schüchtern unsere Leute doch wieder etwas ein, und auch wir sind besorgt, daß durch eine Unvorsichtigkeit oder einen Zufall etwas vorfallen könnte. Ich winkte daher an der Tête rechts und links mit beruhigenden Gesten und freundlicher Miene den Leuten zu, die Waffen aus der Hand zu legen, und einige Aeltere marschiren bald neben mir und rufen ihren Stammesgenossen zu: »Uta pasch, nascha vita!« (die Waffen nieder, kein Krieg!). Ruhig, im schroffsten Gegensatz zu den Märschen bei den wilden, tobenden Baluba, ziehen wir dahin. Im nordwestlichen Theile der Stadt hatten mir heute Morgen unseren Marsch begonnen, am südöstlichen, aber noch lange nicht dem äußersten, machten wir gegen 11 Uhr Halt und Lager.

Bassonge-Waffen

Als wir am nächsten Tage, dem 23., die Wasserscheide der nach Norden zum Lomani fließenden Bäche und des Lukassiflusses 146 überschritten, passirten wir einige lang gestreckte Palmenwälder, in deren Schatten statt blühender Gehöfte verkohlte Reste uns erzählten, was hier vor einigen Monaten sich ereignet hatte. Famba nannte man den Araber, den Urheber dieses schrecklichen Wechsels.

Wir machten in Mangoia, dem ersten Dorfe der Milembue, auch zum Bassongestamme gehörig, Lager und wurden hier von der Gesandtschaft des mächtigen Häuptlings der Kalebue, Mona-Lupungu, nach dessen Residenzdorf eingeladen. Die Gesandtschaft bestand aus zwei Brüdern des erwähnten Häuptlings mit ihren Leuten. In kurzärmlige, weite Hemden von schwarzem Mabelestoff, die bis zum Knie reichten, und ein gelbes Hüftentuch gekleidet, sahen die fetten, untersetzten Burschen mit kahl geschorenem Kopfe ganz wie Chinesen aus.

Wir marschirten jetzt öfter zu Fuße, da die Stiere recht ermüdet waren und einige, besonders der des dicken Kaschawalla, schweren Satteldruck hatten.

Das Flüßchen Lukassi oder Lukassia wurde am 23. auf einer Hängebrücke dicht unterhalb zweier schönen Wasserfälle passirt. Das Gestein, das aus den Cascaden sichtbar wurde, glich täuschend weißem Marmor. Das linke Ufer war sumpfig und mit Dickichten eines schlanken Bäumchens bestanden, und ähnelte unseren Erlenbrüchen.

Am 24. wurden abermals zerstörte Dorfschaften passirt, bevor wir einige Höhenzüge überschritten, deren Hänge schroff abfallende 147 Sandsteinwände zeigten. Wir erreichten den mäandrisch gewundenen Lui und die Mussumba (Hauptstadt) der Lupungu. Auf diesem Marsche hatte ich zum ersten Male wieder seit dem Luebo Wild gesehen. Ein Trupp von 8 schwarzbraunen, mächtig breiten Büffeln suhlte sich im Schlamm eines großen Tümpels, der nahe am Wege in einem Kessel der weiten welligen Prairie lag. Ich schlich mich an, trotz des übermannshohen Grases, kam aber nicht zu Schuß, da einer unserer Baschilange, Mona-Tengo, ein eifriger Jäger, voreilig schoß. Pogge, der von der Höhe der Jagd zugesehen hatte, war besorgt geworden, als ich in dem hohen Grase, ohne es zu wissen, dicht bei einem abseits der Heerde stehenden Büffel, der, ohne flüchtig zu werden, meine Bewegungen ruhig verfolgt hatte, vorbeigekommen war. Zweifellos war es ein von der Heerde abgeschlagener alter Bulle, und ist gerade ein solcher Eingänger ein gefährliches Wild, da er unbefriedigt und erbost ohne Veranlassung oft Alles annimmt, was sich zeigt.

Fumo-Lupungu erschien mit den fürstlichen Geschenken von 6 Ziegen, 1 Schaf, 1 Schwein, 4  Hühnern, viel Palmwein, Bananen und Maniok, und erhielt dafür 2 Tücher und 1 Tasse Pulver.

Lupungu ist ein erst 20jähriger, etwas starker Neger mit bescheidenem Auftreten, und ebenso wie seine Brüder, die uns herbeigeholt hatten, kahlköpfig mit lang geschlitzten Augen, ein völliger Chinese. Das Dorf, das nicht mehr in einer Straße angelegt und nicht mehr von Palmen beschattet ist, zeigt einen großen Reichthum an Kleinvieh. Lebensmittel kommen in Masse, viele Sklaven werden angeboten, und wir kramen noch einmal alles nur irgend Entbehrliche hervor, um von den zierlich schön gearbeiteten Geräthschaften und Waffen möglichst viel zu kaufen, uns an das befriedigte Gesicht des uns befreundeten Prof. Bastian daheim erinnernd. Lupungu bietet mir für meine Büchse 8 ausgewachsene männliche Sklaven. Alles ist sehr billig, und auch unsere Leute erhandeln für das schmutzige letzte Stückchen ihrer Kleidung von europäischem Stoffe Messer, Töpfe, Körbe und anderes Geräth. Sie sind jetzt alle in von Eingeborenen verfertigte Stoffe oder Häute gekleidet.

Mona-Lupungu-(Kalebue-)Waffen.

Unsere freundlichen Bena-Riamba sind schon recht ermüdet. Sie klagen oft über zu lange Märsche und müssen täglich aus dem Lager aufgetrieben werden. Am 28., als sie ein Dorf Massango 148 durchwandert hatten, wollten sie schon nach anderthalbstündigem Marsche liegen bleiben, und obwohl ich weiter gehen wollte, ließ ich mich doch erweichen durch die Rufe, die mich verfolgten: »Kabassu-Babu, bleibe, wir können schon nicht mehr!« Dieses Zögern war für uns sehr peinlich, die Waaren gingen ihrem Ende entgegen, und es konnte lange dauern, bis wir Araber treffen und von ihnen vielleicht Tauschartikel erhalten würden.

Als wir am 3. Morgens aufbrechen wollten, fehlten uns 2 Ziegen, und man behauptete, die Eingeborenen hätten sie gestohlen. Da dies wahrscheinlich war, forderten wir zur Rückgabe auf und feuerten, als dies erfolglos blieb, einige Schüsse ab, um einzuschüchtern und dadurch sicherer zu unserem Eigenthum zu gelangen. Aber die Kalebue waren nicht so furchtsam, als die bisherigen Bassongestämme. Zunächst verschwanden sie, und wir marschirten ab. Als wir jedoch das Dorf durchziehen wollten, wurde der Weg von einigen 50 Kriegern verschlossen. Hinter den großen Schilden schauten die zum Wurf ausgeholten Speere hervor, seitwärts waren die Gehöfte mit Bogenschützen besetzt. Ohne daß ein Geschoß abgesandt wurde, hielt ich dicht vor dieser malerischen Barrière, die sich bald öffnete, als ich versicherte, daß der weiße Mann nicht Krieg mache wegen einiger Ziegen, besonders, da es noch nicht einmal festgestellt sei, ob und von wem dieselben gestohlen seien.

Beim Passiren des Kilebabaches wurde wieder, was längere Zeit nicht der Fall gewesen war, die reine Grassavanne durch sumpfigen Urwald unterbrochen. Weiter, stets dem Laufe des Lukassi folgend, hielt ich gegen Mittag in dem großen Dorfe der Bena-Lualaba, die sich geflüchtet hatten. Ich war mit vier Leuten, die mich in einer Hängematte trugen, da schmerzhafte Furunkeln mir das Marschiren unmöglich machten, der Karawane weit voraus im Dorfe angekommen; ein alter Mann näherte sich kriechend, warf sich nieder und bedeckte sich buchstäblich mit Staub, bittend, daß wir nicht Krieg machen und plündern möchten. Ich gab ihm einige Perlen und beruhigte ihn, so daß bald mehrere Eingeborene erschienen, sich niederwarfen und zum Dank den Boden schlugen. Als die Karawane eintraf, konnten wir doch nicht überall verhindern, daß unsere Leute die geräumten Häuser nach irgend Brauchbarem durchsuchten. Am nächsten Tage erschienen aber doch die Bewohner, und Abends auch die Weiber, da wir des 149 Nachts nach den benachbarten Waldschluchten hatten rufen lassen, daß, wenn man nicht käme, um uns Lebensmittel zu verkaufen, wir gezwungen wären, dieselben uns zu nehmen.

Auch beim Anmarsche auf das Dorf der Bena-Gongo am 5. flößten wir Furcht und Schrecken ein. Als wir in glühender Sonnenhitze lautlos des Weges zogen, wurde ich von einem durchdringenden Schrei aufgeschreckt. Ein Weib, welches mich ganz unerwartet bei der Feldarbeit erblickt hatte, rannte in wahnsinniger Furcht, mit den Armen fuchtelnd, davon. Im Dorfe zeigte umher geworfenes Hausgeräth, daß die Bewohner in eiliger Flucht sich nicht schnell genug für das des Mitnehmens Werthe hatten entscheiden können, Alles Beweise, daß hier schon Araber raubend und plündernd des Weges gezogen waren. Als sämmtliche Versuche, die Leute zur Rückkehr in ihre Dörfer zu bewegen, fruchtlos blieben, konnten wir nicht mehr verhindern, daß unsere Leute sich in die verlassenen Hütten einquartierten und von den zurückgelassenen Vorräthen lebten.

Auf einer aus starken Bäumen hergestellten Fischwehr kletterten wir über den Lukassi und erreichten das Dorf Kitenge, wo wir so plötzlich erschienen, daß die überraschten Eingeborenen, die nicht mehr Zeit zu haben glaubten, Weib und Kind zu retten, kampfbereit in den Gehöften standen. Das Dorf hatte 3 parallel laufende Straßen mit Baumalleen, zwischen denen die fest eingezäunten Höfe dicht gedrängt und regellos lagen. Ein Kampf wäre hier sehr mißlich gewesen, da man nicht weiter als 20 Schritte sehen konnte, und das Dorf ein Labyrinth von soliden, mit Pallisaden umgebenen Gehöften war. Das Dorf umgehend, machten wir dicht am nördlichsten Theile desselben Lager. Als unsere Leute den Zaun eines verlassenen Gehöftes zerstörten, um dessen Theile zum Hüttenbau zu verwenden, traten die Eingeborenen ihnen bewaffnet entgegen. Schnell wuchsen die Parteien; die Baschilange ergriffen die Gewehre und stürmten nach dem Orte des Streites, doch kam Pogge noch zur rechten Zeit auf dem Platze an, um die Streitenden zu trennen. So heftig die wilden Kalebue gegen unsere Leute waren, so leitsam wurden sie durch unser ruhiges Dazwischentreten, und bald brachte der Häuptling 3 Schafe zum Geschenk, wofür er drei Ellen Zeug zur Besiegelung der Freundschaft erhielt. Auch einige sehr fette Schweine brachte man zum Verkauf in's Lager. Die armen Thiere hatten weite Wunden, die bald tödtlich werden 150 mußten. Als man zuerst vor uns fliehen wollte und nicht mehr Zeit zu haben glaubte, die Schweine mitzuschleppen, hatte man die Thiere uns nicht lebendig überlassen wollen, und im Moment der Flucht noch den Versuch gemacht, sie durch tiefe Schnitte zu tödten. Für je 2 Ellen wurden die armen Opfer des Schreckens von uns erstanden.

Dieses Dorf, sowie Ndala-Mumba, wo wir am 7. lagerten, gehörte dem Fumo Kassai-Moana, der, nachdem von uns das Geschenk von einigen Sklaven zurückgewiesen war, mit einem Schwein erschien, das so fett war, daß es von 10 Mann getragen werden mußte. Der Häuptling war ein großer, breitschulteriger, sehniger Mann mit ernsten Mienen und gesetztem Wesen. In unzähligen Falten war das dunkelrothe Hüfttuch vom büffelledernen Gürtel zusammengehalten; ein Messer von wunderschöner Arbeit, mit dem Griff aus einem Stücke Eisen angefertigt, hing ihm an der Seite. Es war mit Kupfer ausgelegt und mit einem Knauf versehen, der den Kopf eines Mannes darstellte, dessen geflochtener und eckig gestutzter Bart an die Assyrertracht erinnerte. Um den Hals trug er eine Kette von den Klauen und Zähnen des Leoparden, und in der Achselhöhle über die Schulter gehängt ein von durchbrochener Arbeit, ebenfalls mit Kupfer ausgelegtes kurzes Schwert. Die hohe, sehnige Gestalt stützte sich in ritterlicher Haltung auf einen mächtigen Speer. Als ich sein Messer bewunderte, bot er es mir mit höflicher Verbeugung zum Geschenk an. Ich acceptirte und erwiderte dasselbe mit einem Taschentuch, das mit dem Entwurf des Reichstagsgebäudes bedruckt war.

Kassai-Moana ist der größte Häuptling der östlichen Kalebue, wie Lupungu der der westlichen. Beide liegen fortwährend mit einander in Streit und Krieg. Die Kalebue sind sehr berüchtigte Kannibalen. Ich hörte, daß hier auch an Krankheiten gestorbene Leute aufgefressen werden. Um nicht gerade seine nächsten Verwandten zu verzehren, gibt man dieselben nach ihrem Tode dem benachbarten Dorf in der Erwartung, daß bei dem nächsten Todesfalle von dort die Schuld zurückgezahlt wird. Die Eingeborenen sagten, als man sich darüber wunderte, daß auch an Krankheiten Gestorbene gegessen würden, man schnitte dem Todten die äußersten Glieder der Finger und Fußzehen, wohin nach dem Tode die Krankheit dringe, ab, salze dieselben ein, wickle sie in Blätter und werfe sie ins Wasser; alles Uebrige könne man unbesorgt verzehren.

151 Als wir am nächsten Tage in das Thal des Lomani hinabstiegen, griffen die uns mitgegebenen Führer in einem Dorfe Hühner auf und nahmen Alles, was am Wege lag, ohne daß die Einwohner, Untergebene des Kassai, wagten, Einspruch zu erheben. Ich rief die Führer zu mir, nahm ihnen das Gestohlene ab und gab es den Besitzern zurück. Das Staunen und die Freude war groß. Ein lebhaft an den Ausdruck des Gefallens bei unseren Kindern erinnerndes langgezogenes, freudiges »Ei« drückte ihren Beifall aus. Es sollte dieser kleine Zwischenfall uns bald von großem Nutzen werden.

In dem einem parkartigen Garten gleichenden Thale des Lomani machten wir Lager, und da es mich trieb, den Fluß zu sehen, bat ich unsere alte Führerin, uns dorthin zu begleiten. Diese, die Tante des Mona-Lupungu, hatte uns vom Lukassi bis hierher geführt und sich in dieser Zeit unser ganzes Zutrauen erworben. Die alte Dame, die überall bekannt und hoch angesehen war, war nie bettlerisch und aufdringlich geworden. Sie hatte in ihrem Aeußeren durchaus etwas Distinguirtes, wußte geschickt und freundlich alle Leute auszufragen, Mißtrauen zu beschwichtigen, Streit zu verhindern, und war uns oft von großem Vortheile. Es war etwas in ihr, was auch die tapfere Meta, Mukenge's Schwester, hatte, etwas, das uns vergessen ließ, daß wir nur eine halbbekleidete Negerin aus dem wilden Innern vor uns hatten, das uns unbewußt ihr gegenübertreten ließ, wie einer älteren Dame in unserer Heimath.

Das Gefühl der Geringschätzung, das im Anfange oft der Europäer im Verkehr mit Wilden hat, verliert sich bald, die Nacktheit der Leute sieht man gar nicht mehr, ebenso lernt man auch bald Gesichter unterscheiden, was zuerst sehr schwer ist. Ja, wir fanden häufig große Aehnlichkeiten mit Bekannten in Europa. Besondere Gesichtsausdrücke, wie Gutmüthigkeit, Wildheit, Biederkeit, Verschlagenheit &c., erschienen mir mit der Zeit viel ausgeprägter, als bei Europäern, und sicherer zur Beurtheilung des Individuums. Dies liegt wohl daran, daß bei uns die gleichmäßige Erziehung und die Etiquette Vieles abschleift, was bei dem wild aufgewachsenen Neger sich individueller entwickelt und markirter bleibt.

In Begleitung unserer liebenswürdigen Führerin erreichte ich vom Lager aus ein weites, mit Papyrusdickichten bestandenes 152 Ueberschwemmungsland, welches durch einen schmalen Saum von Oelpalmen und Gebüsch dicht an dem Ufer vom Flusse getrennt war. Der Lomani hat hier eine Breite von 130 m, gelbes Wasser und fließt in nordnordöstlicher Richtung, wie man hier sagt, dem Lualaba zuDr. Wolf fand im Jahre 1885 seine Mündung in den Sankurru.. Das rechte Ufer, von schmalem Galleriewald eingefaßt, steigt sogleich in sanfter Böschung zum Platean hinauf.

Drüben hatte sich schon auf die Nachricht von unserem Eintreffen ein großer Haufe Eingeborener angesammelt. Auf die Frage, ob sie uns Kanoes senden wollten, entstand lebhaftes Verhandeln. Bald rief man uns zu, wir hätten ja Gewehre, und alle Leute mit Gewehren seien schlecht, raubten und plünderten, wir sollten uns einen anderen Weg suchen, sie würden uns nicht zu ihrem eigenen Verderben hinüberholen. Die Vorstellungen meiner Führerin hatten hier keinen Erfolg. obgleich sie von uns erhaltene Perlen und ein rothes Tuch zeigte und unsere Friedfertigkeit und Güte in ausdrucksvoller Rede schilderte, auch darauf hindeutete, daß ich ganz allein und ohne Gewehre hierher gekommen sei. Einige neugierige Eingeborene von unserer Seite waren uns gefolgt und erreichten uns jetzt dicht am Ufer. Sie mischten sich in die Verhandlung und erreichten ein abermaliges eifriges Besprechen unserer Vis-à-vis, die dann uns plötzlich zusagten, morgen mit 3 Kanoes bereit zu sein. Auf meine erstaunte Frage, was so plötzlich diese Aenderung der Lage bewirkt habe, wurde mir bedeutet, daß man den Furchtsamen erzählt habe, wie ich gestern die von Kassai-Moana's Leuten genommenen Hühner den Besitzern zurückgegeben habe, und daß diese Handlung Vertrauen erweckt habe.

In der Nacht konnte ich seit langer Zeit einmal wieder astronomische Beobachtungen machen. Seit dem Sankurru hatten wir stets ungünstigen Himmel gehabt; obgleich in der letzten Hälfte des Februar die Regenzeit schwächer geworden war, so war doch die Wolkenbildung eine so schnell wechselnde, daß viele Versuche, genügende Beobachtungen zu erhalten, gestört wurden und viel Arbeit verloren ging. 153

 


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