Hermann Wissmann
Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost
Hermann Wissmann

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Dorf der Baschilange.

Fünftes Kapitel.
In Lubuku.

Der Einzug in Tschingenge's Stadt war ein großes Volksfest. Eine unabsehbare Menschenmenge empfing uns mit Jubel an den ersten Häusern. Humba mit der deutschen Fahne eröffnete den Zug, dann kam ich mit Tschingenge, der, um zu glänzen, soweit seine Angst vor dem Reitstier überwunden hatte, daß er, auf beiden Seiten gehalten, auf dem von 2 Mann geführten Stier in seinem neuen Anzug prangend, hoch im Sattel saß. Ihm folgten seine Weiber mit eintönigen Gesängen, dann meine Träger und endlich, ein fortwährendes Gewehrfeuer unterhaltend, die Baschilange. Dreimal bewegte sich der Zug im Kreise um das inmitten der Kiota aufgestapelte Brennholz. Nun traten die Großen Tschingenge's, seine Verwandten und Unterhäuptlinge heran und wälzten sich im Staube. Ganz natürlich und mit großer Wärme begrüßte der Häuptling seine erste Frau, die daheim geblieben war, und vier nette Kinder. Nun folgte den ganzen Tag hindurch 85 Hanfrauchen, Hirsebiergelage, Tänze, Gewehrfeuer und große Schmauserei. Ein 36 m langes, 10 m breites Haus aus Lehm, von einem Angola-Neger kürzlich aufgeführt, Tschingenge's weit und breit bekanntes Schloß, bezog ich und richtete mich für einige Wochen häuslich ein. Ein schönes Mähnenschaf, frische Fische, Eier, Hirsebier, Bananen, Ananas, Tomaten, Maniokmehl und süße Kartoffeln wurden herangeschleppt und ich gebeten, während meiner Anwesenheit in diesem Dorfe Lebensmittel nicht zu kaufen, sondern meinen Wirth nur eventuelle Wünsche wissen zu lassen.

Schon am nächsten Tage gab ich Tschingenge meine Geschenke: 2 Steinschloßgewehre, 2 Fäßchen Pulver, rothen Flanell, Taschentücher, Calico und Baumwollenstoff, von jedem 8 Ellen, kleine europäische Schmucksachen aus einem Berliner 50 Pfennig-Bazar, einige Perlen, einen Schirm, Rock, Unterhose und einen Blechkoffer. Im höchsten Grade befriedigt, wollte er mir in den nächsten Tagen Gegengeschenke machen, ich sagte ihm jedoch, da ich kein Händler sei und nur wahrscheinlich seine Begleitung zur Weiterreise brauche, so möge er zuerst seinen Verpflichtungen gegen meine Leute, von denen viele ein Gewehr und etwas Zeug an ihn verkauft hatten, gerecht werden, mir könne er dann später die Geschenke geben. Mit großer Bestimmtheit, jedoch nur unter der Bedingung, daß sein Feind Mukenge, zu welchem Pogge gereist war, nicht mitgehe, sagte er die Begleitung mit so vielen Leuten zu, als wir nur beanspruchen würden, und wohin auch immer wir uns wenden würden.

Schon am 2. November erhielt ich Nachricht von Pogge, der bei Mukenge, nur 5 Marschstunden von hier entfernt, angekommen war; er hatte ohne weitere Verluste die große Stadt des Häuptlings der Baqua-Kaschia erreicht, war ebenso wie ich mit großem Jubel aufgenommen worden, klagte jedoch über Mangel an Fleisch, da von Mukenge alle Hausthiere verboten seien, eine Bestimmung, die mit dem Hanfcultus in Verbindung steht. Pogge glaubte, daß Mukenge mächtiger und daher wohl geeigneter sei, uns zu begleiten, als Tschingenge. Um über diese Frage zu entscheiden, marschirte ich am 4. nach Mukenge's Dorf, um Pogge zu besuchen. In einem völligen Triumphzug ging ich von Dorf zu Dorf. Der »Mukelenge« kam überall mir entgegen, wälzte sich im Staube und führte mich auf die »Kiota«, und bat, dort auf den Mulambo (Tribut) zu warten. Bald erschien er dann mit Bier, Salz, 86 Hühnern, Fischen oder Palmöl, worauf der Marsch in Begleitung Gewehr schwingender Krieger, die Gras und Laub hoch warfen und Scheingefechte aufführten, fortgesetzt wurde.

Bei Pogge angekommen, sandte mir Kalamba sofort einige Geschenke. Ich besuchte ihn und fand einen mächtigen Neger, der, schön tätowirt, wohl 45 Jahre alt, mit seinem auf den riesigen Schultern ruhenden kleinen Kopf, plumpen Bewegungen und gutmüthig bäuerischem Gebahren einen günstigen Eindruck auf mich machte. Weiter zeigte sich die Lukokescha, Sangula-Meta, die 40jährige Schwester Mukenge's, eine Frau von distinguirtem, liebenswürdigem Benehmen, sowie der erste Minister Kakoba, ein schlauer, aalglatter Bangala, der sich, von seiner Heimath fortgetrieben, hier niedergelassen und Mukenge's Schwiegersohn und Hauptberather geworden war. Hauptsächlich aus dem Grunde, weil der Kalamba Mukenge doch mächtiger erschien, als Tschingenge, entschieden wir uns, ihn als weiteren Begleiter nach Osten hin zu wählen. Am nächsten Morgen schon gaben wir Kalamba die Bezahlung dafür, daß er uns mit 100 Mann, von denen 36 kleine Lasten tragen sollten, nach Osten zu dem Flusse Lualaba, von dem man hier natürlich keine Ahnung hatte, begleiten sollte. Die Kenntniß der Gebiete nach Osten hin erstreckte sich nur bis zum Flusse Lubilasch, dessen Name durch einige von dort her eingeführte Sklaven bekannt geworden war.

Es ist wohl hier der Ort, darüber nachzudenken, wie diese Wilden dazu kamen, den ersten weißen Mann, den sie gesehen, ein fremdes, Scheu und Bewunderung einflößendes Wesen, zu begleiten. Ein Volk, das bis vor kurzer Zeit in steter Fehde mit seinen Nachbarn gelebt, sich kaum über die Grenzen des Gebiets seiner Dorfschaft wagen konnte, das von den Ländern, in die es uns begleiten sollte, auch nicht die geringste Kenntniß hatte, ja nach allen Seiten hin nur von Kannibalen, von Zwergen, Waldmenschen und anderen Ungeheuern zu berichten wußte, war so schnell bereit, Leben und Freiheit dem weißen Fremdlinge anzuvertrauen. Hatten schon die Bangala und Kioques, die Eröffner dieser Länder, von weiten Gegenden, von weißen Menschen und dem fernen Meer erzählt, so verlangten wir doch gerade nach der anderen Richtung hin, wo Alles noch im Dunkel lag, Beistand und Hilfe. Es hält schon schwer, bei Küstennegern, die Hunderte von Jahren bereits den weißen Mann kennen, für hohe Bezahlung 87 Begleitmannschaften zu finden, und noch niemals waren vom Westen aus mit Küstennegern jene Länder überschritten, von denen durch schwarze Händler berichtet war. Nur langsam gelang es den Arabern im Osten, sich von Stamm zu Stamm nach dem Innern vorzuschieben, und ist die in den nächsten Blättern verzeichnete Reise in der Beziehung ein Unicum in der Geschichte der Erforschungen, daß ein ganz neues Volk dem weißen Mann ein so unbegrenztes Vertrauen entgegenbringt. Nur der, der wilde Völker kennt, kann recht beurtheilen, wie erstaunlich dieser Umstand ist. Sehr viel trug zu dem Entschluß der Baschilange eine Fabel bei, die sich über uns, Pogge und mich, gebildet hatte. Vor einigen Jahren war der Vorgänger und Bruder Mukenge's, Kassongo, in Begleitung von Kioques westwärts gereist und in der Fremde gestorben, und auch Kabassa-Babu, der vor Tschingenge Oberhäuptling der Baqua-Tschirimba war, war zu derselben Zeit westlich am Kassai auf der Jagd von einem angeschossenen Büffel getödtet worden. Jetzt erschienen wir; Pogge, der Aeltere, ging zu Mukenge, ich zu dem Häuptling der Baqua-Tschirimba, und man behauptete, daß jene beiden nicht zurückgekehrten Fürsten in's Maiji-Kalunga, Geisterwasser, in das Meer hinabgestiegen seien und nun in unserer Person, zu weißen Menschen metamorphosirt, zurück in ihre Länder kämen. Pogge hieß daher allgemein Kassongo-Munene und ich Kabassu-Babu a Mohamba, Namen, die wir bis zum heutigen Tage beibehalten haben. Der allgemeine Glaube in Lubuku, daß die »Baschangi«, Geister der Verstorbenen, in irgend welcher Form zurückkehren und je nach dem bewahrten Angedenken, gut oder schlimm, in's Leben der Zurückgebliebenen eingreifen können, beförderte das Entstehen der für uns so äußerst vortheilhaften Fabel. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß im Beginn das ganze Volk fest an die Metamorphose glaubte, daß später aber die gegen uns stets agitirenden Bangala und Kioques bemüht waren, die ihnen unbequeme Fabel zu dementiren, und daß unsere Baschilange, als sie auf weiteren Reisen viele weiße Menschen sahen, von selbst wohl anderer Meinung wurden. So wurde ich bei einem späteren Besuche im Jahre 1884 wohl noch mit dem mir beigelegten Namen angeredet, auch war mein Einfluß noch bedeutend, dennoch lagen die Verhältnisse nicht mehr so günstig, wie zu der Zeit, von welcher ich hier spreche. Die kindliche Leichtgläubigkeit unserer halben 88 Unterthanen war so groß, als ihr Vertrauen, das bisher in rücksichtsloser Art von den gerissenen Bangalas und Kioques ausgebeutet war und jetzt der Wissenschaft und der Eröffnung Afrika's in hohem Maaße zu Nutzen kam.

Kalamba erhielt als Bezahlung für seine Dienste mit 100 Mann und auf unbestimmte Zeit folgende, im Verhältniß zu der Leistung geradezu lächerlichen Werthe, und daher haben wir auch später stets die Leistung nicht als besoldete, sondern als aus Freundschaft dargebrachte beurtheilt. Er empfing: 2 Stücke weißes Baumwollenzeug; 8 do. Calico; 2 Fäßchen Pulver à 2 Pfund; 2 Steinschloßflinten; 1 Hose, Rock und altes Hemd; 1 Bettdecke; 6 Ellen rothen Kattun und 6 Ellen do. Flanell; 1 Tischdecke, sowie je 2 Pfund schwarzer, rother und Stick-Perlen. Nach vollendeter Reise sollte Kalamba noch meine Doppelflinte und eine Spieluhr erhalten. In dem rechteckigen großen Hause Mukenge's, mit thurmartig hohem Dache, wurde der Contract gemacht und durch Handschlag besiegelt; am 6. brach ich auf, um wieder zu Tschingenge heimzukehren.

Die Bäche, deren Wasser bei meinem Herritt dem Reitstier nur bis an's Knie gereicht hatten, mußten in Folge der starken Gewitterregen der letzten beiden Nächte durchschwommen werden und waren so reißend, daß ich in einem derselben fast meinen Malucko verloren hätte, da er unter in das Wasser hängende Bäume getrieben wurde. Der früher so wilde Reitstier war mit der Zeit gegen mich ganz fromm geworden, er kam auf Ruf, ließ sich ungehalten satteln und besteigen, marschirte bei schlechtem Terrain, wenn ich abgestiegen, ungeführt vor mir, lief mir im Lager um etwas Salz bettelnd nach, wie ein Hund, und war mir ganz an's Herz gewachsen.

Heimgekehrt, theilte ich Tschingenge möglichst schonend mit, daß wir Kalamba zum Reisebegleiter ausersehen hätten. Sehr betrübt ging er von dannen, kam aber bald darauf mit einem 0,75 m messenden stahlblauen Karpfen, einem Schaf und Bier zurück und bat um das Versprechen, daß, wenn ich zurückkäme, ich wieder bei ihm wohnen müsse, was ich ihm auch zusagte.

Ein Träger, der, an epileptischen Krämpfen leidend, Nachts in's Feuer gefallen war, hatte so furchtbare Brandwunden davongetragen, daß er starb.

89 Meine Zeit ging hin mit meteorologischen und astronomischen Beobachtungen, kleinen Ausflügen und Gesprächen mit Tschingenge. Nicht wenig erstaunt war ich, als Letzterer mir eines Tages die Mittheilung machte, daß meine Mutter und einige Vettern kämen, um mich zu besuchen. Eine alte Negerin, die Mutter des Kabassu-Babu, war doch über die Verwandlung ihres Sohnes höchst überrascht und eingeschüchtert. Als ich sie freundlich begrüßte, mich nach meinen, bei meiner damaligen Abreise zurückgelassenen Weibern erkundigte und ihr ein aus dem Maiji-Kalunga mitgebrachtes hübsches Perlenhalsband umhing, erholte sie sich und versprach ganz glücklich, mir Alles herzuschaffen, was noch von meinem früheren Besitze in ihrem Dorfe vorhanden sei. Zu meiner nicht allzugroßen Trauer ersparte sie mir den Abschiedskuß, als sie, beglückt über dies unverhoffte Wiedersehen, mit meinen lieben Vettern davonwatschelte.

Die Baschilange, Singular Muschilange (Baschi ist die weiter im Nordwesten gebräuchliche Form für Baqua oder Bena, und heißt Leute, wie z. B. Baschilēle Baschipasch am Kassai und andere), die von den vom Südwesten kommenden Völkern mit dem dort gebräuchlichen Präfix Tu-schilange, Singular Ka-schilange, genannt werden, sind das Product einer Mischung der früheren Bewohner eines wahrscheinlich den Batua ähnlichen Stammes und der vom Westen erobernd eingedrungenen Baluba. Für die Mischung spricht die außerordentliche Verschiedenheit in Körperbau und Farbe und die Ueberlieferung. Dies Volk, das sich nach dem erobernd eingedrungenen Theile desselben gern nur Baluba nennt, ist doch so außerordentlich verschieden von dem Gros des Stammes der bis zum Tanganjika reichenden reinen Baluba, die ich später kennen lernte, daß es durchaus gerathen scheint, ihnen den Namen Baschilange zu belassenIn der unzeitgemäß zuerst erschienenen Beschreibung meiner zweiten Reise »Im Innern Afrika's« sind die Baschilange stets Baluba genannt; da ich erst nach Europa zurückkehrte, als das Werk schon zum größten Theile von meinen Reisegefährten bearbeitet war, schien es nicht mehr gerathen, diese Bezeichnung, die auch eine gewisse Berechtigung hat, abzuändern.. Dieses Volk besitzt einen derartig ausgeprägten Hang zum Nachahmen, der sich in mancher Beziehung als Nachäffen, hauptsächlich aber als reger Wunsch, Besseres anzunehmen, ja als Wißbegierde äußert, daß man sehr vorsichtig 90 sein muß im Unterscheiden des kürzlich von Kioque und Bangala Eingeführten von dem Eigenthümlichen. Das Begriffs- und Urtheilsvermögen der Baschilange ist nicht annähernd derartig durch den Fetischglauben beschränkt, wie bei allen übrigen mir bekannten Völkern Afrika's, und daher bemerkenswerth, daß uns oft die Frage nach dem Grunde einer Behauptung, ein »Warum« vorgelegt wurde, eine Thatsache, die beim Neger äußerst selten ist. Den Kioque und Bangala hilft der Glaube an Fetisch schnell über alles Unverständliche hinweg, der Muschilange gibt sich damit nicht zufrieden. So wurde unser Schießen auf weite Ziele und der Fall, daß wir mit einer kleinen Büchse mächtige Flußpferde tödten könnten, von den Kioque leicht abgethan mit dem Fetisch, während sich z. B. Tschingenge genau erklären ließ, woher die weit über dem ihm bekannten Gewehre stehende Kraft käme. Lachend erzählten mir oft die Baschilange, wenn sie mit den Kioque auf Jagd gegangen seien, wie diese vorher Jagdfetisch gemacht und Nichts geschossen hätten, während sie ohne solche Vorbereitungen glücklicher gewesen seien.

Erstaunlich ist bei dieser Begabung die Ungeschicklichkeit im Handel. Während der Neger im Allgemeinen einen sehr ausgeprägten Handelssinn hat und bei Gelegenheit Alles heranschleppt, was er für verkäuflich hält, stets äußerst vorsichtig, ja verschlagen ist, läßt sich unser Sohn Lubuku's in wahrhaft kindlicher Weise übertölpeln. Viele Baschilange trafen wir bei den Kioque, die dorthin gekommen waren mit Elfenbein und Gummi, um sich dafür die schönen Sachen von der Küste einzuhandeln. Man nimmt ihnen die Waaren ab, vertröstet sie mit der Bezahlung von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr, bis sie, zuletzt entschlossen selbst ohne Zahlung ihrer Heimath zuzuwandern, oft noch als Sklaven zurückgehalten werden.

Der Muschilange arbeitet nicht, er jagt, fischt, raucht Hanf, schwatzt mit unglaublicher Zungenfertigkeit, trinkt sein Hirsebier, nicht Palmwein, welcher verboten ist, ist aber bei alledem äußerst mäßig. In den 5 Jahren, die ich mit jenem Volk arbeitete, sah ich nie einen Trunkenen.

Baschilange-Pfeifenkopf.

Die Hauptnahrung des Muschilange ist sein »Bidia«, ein Brei von Maniokmehl, und »Mussapu«, ein zu einer Suppe verdünntes Hirsepüree; dazu gelten als »Niama« (eigentlich Fleisch, aber auch Bezeichnung aller Zuspeisen) alle Arten von Fleisch, 91 gedörrte Raupen, Heuschrecken, Erdnüsse, Flugtermiten, Fische, Bohnen, ja oft nur Salz und rother Pfeffer.

Der Muschilange ist infolge seines sanguinischen Temperaments leicht zu behandeln; er ist geduldig, und es dauert lange, bis er sich zum Zorn reizen läßt. Im Zustande der Wuth sah ich ihn sehr oft die Oberzähne auf die Unterlippe beißen und zischende Laute krampfhaft hervorstoßen, als wenn die übergroße Erregung ihn nicht zu Worte kommen ließe.

Höchst eigenthümlich ist es, daß ein geistig so hoch stehendes Volk, wie dies für Neger unstreitig die Baschilange sind, im Verkehr mit der Frau ein so geringes Schamgefühl besitzen, ein Umstand, der bei allen anderen Völkern, mit denen sie in Berührung kommen, Anstoß erregt. Es haben schon Mädchen, die kaum die erste Entwicklung der Brust zeigen und die wir höchstens auf 10 Jahre schätzten, Verkehr mit Männern. Es mag dies wohl mit der ganzen Stellung der Frau zusammenhängen, die nur Sklavin ist. Der Mann, dem sein Weib kein Kind gebiert, ist berechtigt, dasselbe ihren Eltern zurückzuschicken. Er sagt, was soll ich mit dieser Gefährtin, die nur mein Fleisch ißt und mich nicht mit Kindern bereichert! – Von schlankem Körperbau, mager und sehnig, ist doch durchschnittlich der Mann als schwach zu bezeichnen, während das Weib, das durch Arbeit mehr gekräftigt und nicht so stark unter dem Einfluß des Riambarauchens steht, auffallend muskulös ist. Als Schmuck sind nur noch Perlen im Gebrauch. Amulette, Federn, Kupferringe und anderer afrikanischer Schmuck ist in Lubuku nicht mehr Sitte, und auch die prachtvoll ausgeführte Tätowirung wird seit 4 Jahren an dem neuen Nachwuchs nicht mehr vollzogen. Bei besonders wichtigen Gelegenheiten beschmiert man sich mit weißem Thon Gesicht und Arme; ein ganz besonderer Segen ist es, wenn der Häuptling seine Unterthanen mit Pemba, das ist dieser weiße Thon, vor einer Reise oder einem Kriege mit einem Längsstrich über Stirn und Oberkörper zeichnet. Durch Baden bereitet man sich auf diese Ceremonie vor, zu der man völlig unbekleidet vor den Häuptling tritt.

Sehr ausgebildet ist das Gerechtigkeitsgefühl des Muschilange. Das Gottesgericht besteht im Rauchen. Der Angeklagte muß so lange an der stets von Neuem von den Umsitzenden gefüllten Riambapfeife ziehen, bis er, bewältigt von der narkotisirenden 92 Wirkung, Geständnisse macht, oder aber niederstürzt. Das Trinken von »Bambu«, wie in Angola, das oft einen tödtlichen Ausgang hat, ist hier verboten. Kleinere Streitigkeiten werden ausgemacht, indem die beiden Streitenden sich gegenüber auf den Boden hocken, die Hände geben und, gleichzeitig den streitigen Punkt erwähnend, mit aller Kraft den Boden schlagen, so daß oft die Hände bluten. Ein Schwächerwerden oder Zurückzucken eines der Beiden gibt dann den Ausschlag; der Zaghafte hat Unrecht oder ist schuldig.

Richter über Leben und Tod sind nur die beiden ersten Fürsten von Lubuku, Mukenge und Tschingenge. Die Todesstrafe wird durch Verbrennung vollzogen; nur Tschingenge soll dies einigemal angeordnet haben. Der zu Verbrennende wird in sein Haus gesperrt, dieses mit trockenen Gräsern vollgestopft und dann angezündet. Alles lagert sich umher im Kreise, raucht Hanf und schreit, man sagt, um die im Todeskampfe ausgestoßenen Klagerufe des Verurtheilten zu übertönen: »O Mama, o Tatu,« (Ach Mutter, ach Vater), »warum hast Du getödtet, siehe, jetzt mußt auch Du sterben!« Mord ist das einzige Verbrechen, welches nicht durch Zahlung gesühnt werden kann, obgleich Mukenge auch in solchem Falle stets anderweitig entscheidet und noch nie eine Todesstrafe verhängt hat.

Die mächtige unsichtbare Gottheit über sich, also im Himmel, ist Fidi-Mukullu, und die Baschangi, die Geister der Verstorbenen, kehren, durch seine Macht verwandelt, je nach Verdienst, als Häuptlinge oder arme Leute wieder.

Die Bevölkerungszahl von Lubuku ist sehr schwer anzugeben. Durchschnittlich trifft man in den bewohnteren Gebieten nach einer halben Stunde Marsches je ein kleines Dorf; 4 bis 10 Dörfer bilden eine Gemeinde, die mit dem Worte Baqua oder Bena bezeichnet wird. Die Dörfer haben 30 bis 50 Häuser, die gruppenweise, je nach der Verwandtschaft der Bewohner, zusammenliegen. Die kleinen Häuser sind in zwei Räume eingetheilt, in deren einem gekocht wird, während der andere der Schlafraum ist; letzterer ist mit einem ½ m hoch über der Erde angebrachten Lager aus Schilfrohr versehen. Die Häuser in Lubuku haben keine Thüren; man sagt, es gäbe unter den Bena-Riamba keine Heimlichkeiten. Inmitten jedes Dorfes befindet sich ein großer Pavillon, der, mit einem hohen, thurmartigen Dache überdeckt, von Weitem aussieht, wie unsere alten Dorfkirchen. Unter ihm findet 93 der Fremde Unterkunft, oder halten die Männer Versammlungen bei schlechtem Wetter ab. Seitwärts von ihm auf der Kiota ist in langen Reihen Brennholz aufgestapelt, um welches bei gutem Wetter beim Rauchen der Riambapfeife alles Wichtige verhandelt wird.

Das Feuer läßt der Muschilange weder Tag noch Nacht in seiner Hütte ausgehen.

Die vorher erwähnten, aus mehreren Dörfern bestehenden Gemeinden sind gewöhnlich durch eine größere unbewohnte Strecke von einander getrennt. Die Dörfer sind von prachtvollen Culturen umgeben, und die Häuser von kleinen Gärten, in denen Hanf, Kürbisse, Tabak, Tomaten und, seit Kurzem eingeführt, auch Zwiebeln gebaut werden. Die Gestalt der Hütten ist je nach der Zeit verschieden, alle aber sind rechteckig. Die Hauptbekleidung derselben besteht in Gräsern, doch sieht man auch geflochtene Palmenblätter, Baumrinde und Bananenblätter verwandt.

Die Macht Tschingenge's besteht aus ca. 100 Gewehren, die des Mukenge aus 150.

Männliche Sklaven gibt es in Lubuku nichtBei meinem späteren Besuche waren solche schon von den östlich angrenzenden Baluba eingeführt.. Man kauft oder verkauft niemals Männer oder Knaben.

Das Weib erwirbt der Mann durch Kauf von ihren Eltern. In früheren Zeiten zahlte man bis zu 20 Ziegen und 12 Kupferkreuze, jetzt bringt der Bewerber dem Vater seiner Auserkorenen nur das Ergebniß seiner Jagden während einiger Zeit und ein Hüftentuch aus europäischem Stoff. Stirbt das Weib, so braucht der Mann dem Vater Nichts zu zahlen, wie dies bei vielen Stämmen Gebrauch ist. Die Knaben werden schon mit 4 bis 6 Jahren beschnitten und wunderbarer Weise ganz ohne irgend welche Festlichkeit. Der mannbar gewordene Sohn, der sich ein Weib nimmt, baut sich sein eigenes Haus, bleibt aber noch in der Gewalt des Vaters. Hat der Mann mehr als 2 Weiber, so ist ein weiteres Wohnhaus nöthig, denn nur 2 Frauen dürfen in einem Hause wohnen. Stirbt der Vater, so erbt der älteste Sohn am meisten; es gehen auch die Weiber seines Vaters auf ihn über und werden seine Frauen, mit Ausnahme seiner Mutter.

Vor Kurzem, mit Einführung des Riambacultus, hatte man 94 alle alten Leute mit weißem oder grauem Haar verjagt, als »Tschipulumba«, ein Wort, mit dem man auch die Baschilange bezeichnet, die noch nicht dem Hanfcultus angehören. Durch uns ist diese Unsitte abgeschafft.

Alle Arbeit auf dem Felde und im Hause wird von dem Weibe besorgt, auch zum Verkaufen kommen nur diese auf die Märkte, die an verschiedenen Wochentagen in verschiedenen Dörfern abgehalten werden.

Sämmtliche Hausthiere bis auf Tauben waren bei unserer Ankunft in Lubuku dem Hanfraucher zu halten verboten.

Früher Anthropophagen und in beständigen Kriegen mit einander lebend, war mit der Hanfcultur die Aera des Friedens angebrochen, und man war so weit gegangen, daß es selbst verboten war, das Blut der Thiere zu vergießen. Pogge und ich hoben sofort diese für uns höchst unangenehme Bestimmung auf.

Der Handel mit den Küstennegern beschränkt sich auf wenig Elfenbein, Gummi und viele Weiber. Der Preis eines Weibes ist ein Gewehr oder 32 Ellen Calico. Die Stämme unter sich handeln mit Salz, das aus dem gelben Lehm einiger Quellen und auch aus verbrannten Gräsern gewonnen wird, Kupferkreuzen, die weit vom Südosten, von Katanga aus von Stamm zu Stamm hierher gelangen, und Mabelezeug, welcher Stoff, aus den Fasern der Mabondopalme hergestellt, schon jetzt in seinen Mustern nur Nachahmung der europäischen Stoffe ist.

Da der Elefant und Büffel fast verschwunden und auch das kleinere Wild nur noch selten ist, erstreckt sich die Jagd des Muschilange fast nur auf Ratten, Vögel und dergleichen und wird auf höchst verschiedene Art mit Schlingen, Leimruthen unter Anwendung eines klebrigen Harzes und Fallen angestellt. Netze zum Fischen sind Gewebe, in deren Schlingen sich der Fisch festläuft. Von mir mitgebrachte Reusen, die sich im Lulua als höchst praktisch zeigten, wurden bald nachgemacht. Die Kanoes sind plump und nur zum Fischen oder zum Passiren der Flüsse hergestellt; Reisen oder weitere Touren zu Wasser werden nicht gemacht. Das schwere Ende des Kanoes liegt vorn und ist kurz abgestutzt, damit der Mann, mit dem löffelartigen Ruder vornüber fassend, scharfe Wendungen ausführen kann, die in dem an Schnellen und Steinen reichen Fluse nöthig sind.

95 Die Baschilange sind das unmusikalischste Volk, das ich kenne; sie kennen fast nur eine Melodie, die für alle Gelegenheiten ausreicht. Hört man einmal eine andere Weise, so ist sie sicher von den Kioques übernommen. Auch sieht man fast nie ein Musikinstrument. Der Tanz besteht aus wiegenden Hüftenbewegungen, die von den hoch gehaltenen Armen mit flimmernder Bewegung der ausgespreizten Finger begleitet werden.

Jeder Große ist auf einer Reise berechtigt, in den von ihm passirten Dörfern Tribut zu erheben, der sich besonders auf Lebensmittel erstreckt. Regelmäßige Tributgaben kennt man nicht, sondern hängen dieselben jedes Mal von der Aufforderung des Oberhäuptlings ab.

Die dem Volk eigenthümliche Art des Grüßens war nicht mehr zu erkennen, da man Vieles von den Kioques und Bangala angenommen hatte, wie späterhin das von uns eingeführte Reichen der Hand ganz allgemein ward.

Von Krankheiten beobachteten wir am meisten Schwindsucht und Lungenentzündung, eine Folge des übermäßigen Rauchens von Riamba. Syphilis war von Küstennegern eingeführt und zur Zeit furchtbar verbreitet. Hautkrankheiten, unseren Masern ähnlich, waren häufig. Die Kunst des Heilens beruhte hauptsächlich auf der Anwendung des Radicalmittels »Riamba«, und in Folge dessen stehen die Baschilange in dieser Beziehung viel tiefer, als andere Völker, die manches gute Mittel kennen.

Der Lulua, der von Buchner und Pogge fast 3° südlicher auf derselben Länge passirt war, macht hier bei Tschingenge die erste Biegung nach Nordwesten und behält diese Richtung bei bis zu der Mündung in den Kassai. Von da an, wo er den Luebo aufnimmt, also nur auf einem verschwindend kleinen Theile des Laufes, ist er schiffbar. Genau so, wie von ihm im Süden berichtet ist, drängt er auch hier seine gelben Wasser durch ein Gewirr von Barren und Felsblöcken, stürzt sich über mächtige Wasserfälle und bildet Schnellen. Die Ufer senken sich von ca. 50 m Höhe des Plateaus zu dem nur schmalen Ueberschwemmungsbereich am linken Ufer hinab. Ein dünner Saum von weit über das Wasser hinaushängenden, Weiden ähnlichen Bäumen faßt das Bett des Flusses ein. Flußwiesen mit schilfartigem Grase, bei Nacht die Weiden der Flußpferde, reichen bis zum mit reiner Grassavanne bedeckten Aufstieg zur Höhe des Plateaus. Zahllose 96 Bäche, von Urwald oder Palmen überschattet, durchkreuzen die Savanne. Am Rande des Plateaus, das weiter rückwärts mit Baumsavanne bestanden ist, ragen vereinzelt stehende hohe Bäume über das Niveau des Bestandes der Savanne hinweg und ähneln von Weitem gesehen einer Chaussee, die am Rande des Thales entlang führt. Mit Sand gemischter Thon von rother Farbe, die der Eisengehalt bewirkt, steht zuoberst an. Er liegt auf einer Schicht von dunkelrothem Sandstein, die von Bächen durchschnitten ist. Im Thale tritt vielfach Gneis und Granit zu Tage, und Felsgeröll von demselben Gestein liegt umher. Die Stromschnellen und Fälle sind von Granit gebildet; das Bett der Bäche und des Flusses besteht aus weißem Sand, der, aus dem Laterit ausgeschieden, zurückgeblieben ist. Unterhalb von Schnellen und kleinen Fällen bildet der Lulua Stromerweiterungen, in deren ruhigem Wasser Flußpferdheerden ihre Tagesruhe halten. Der Fischreichthum ist groß, und ganz besonders häufig sind stahlblaue große Karpfen. Die Vogelwelt ist für die scheinbar so günstigen Bedingungen ziemlich arm. Kleine Flüge Enten, die Sporengans paarweise, der Schlangenhalsvogel vereinzelt, treten auf; verschiedene Reiher, unter denen der über Tag im dichten Schatten der überhängenden Bäume sich verbergende Nachtreiher am häufigsten ist, bevölkern die Ufer. Der graue Papagei belebt in großen Schaaren die bewaldeten Inseln. Oben in der Savanne ertönt des Abends das Locken des Savannenhuhns. Perlhühner bäumen gern in die hohen Bäume am Rande der Savanne auf, und für verschiedene Arten wilder Tauben sind die Sandbänke im Fluß ein erwünschter Versammlungsort.

An höheren Thieren ist das Land schon arm. Der Muschilange, der erst seit Kurzem das Gewehr kennt, ist unermüdlich im Verfolgen des Wildes. Von Antilopen, die schon recht selten sind, sieht man noch am ehesten den Tragelaphus scriptus; Wildschweine entziehen sich in den dichtesten Urwalddschungeln der Bäche und der Inseln leicht der Verfolgung. Büffel wechseln ab und zu vom Norden in diese Gegend. Der Elefant ist ganz verschwunden.

Der erste Häuptling der Baluba, der in das Land der alten unvermischten Baschilange eindrang, war Kapuku-Muluba, ein Sohn Kassongo's, des mächtigen Mulubakönigs, auf den auch Kanjika, Kassenge, Kasembe und Kassongo, der erste Muata-Jamvo des Lundareiches, ihre Abstammung zurückführen. Die Baluba 97 vermischten sich mit den unterjochten Urbewohnern und nahmen Tätowirung, sowie Benennung von denselben an, obwohl in der Sprache die Mundart der Baluba das Uebergewicht bekam. Viele Söhne des Kapuku-Muluba theilten sich nach dessen Tode in die eroberten Gebiete, und deren Söhne wiederum, wodurch die vielen jetzt mit Baqua oder Bena bezeichneten Namen der Gemeinden entstanden. Es scheinen dann noch öfter Einbrüche von anderen Stämmen der Baluba gefolgt zu sein und weitere Schiebungen nach Westen bis zum Kassai zur Folge gehabt zu haben. Auch ist bei dieser Gelegenheit das Volk der Bakete zersprengt, denn im Süden, Nordwesten und Nordosten des heutigen Baschilange finden sich Theile dieses Volkes. Der Stamm Mukenge's sind die Baqua-Kaschia, denn ihr erster Häuptling hieß Kaschia; Tschingenge's Volk heißt Tschirimba. Kaschia's Söhne, Kischimbi, Kassongo und Mukenge, folgten sich dem Alter nach, indem die beiden Ersteren auf Reisen nach dem Lande der Kioque starben. Tschingenge war Kabassu-Babu, einem Urenkel des Tschirimba, in der Herrschaft gefolgt.

Die Entwickelung des Riambacultus gab den ersten Anstoß zu mächtigen Umwälzungen; einige der bisher in steter Fehde lebenden Gemeinden thaten sich zusammen, zwangen mit Gewalt benachbarte zur Annahme der neuen Lehre und vertrieben diejenigen, die sich nicht fügen wollten. Die friedlichen Gesetze und Einrichtungen, die allmählich unter der narkotisirenden Wirkung des Hanfes sich ausbildeten, waren auch dahin gerichtet, das Land Fremdlingen zu öffnen und nicht wie bisher in jedem Fremden einen Feind zu sehen. Hierdurch begünstigt, erschienen zuerst die Kioque, die schon seit langer Zeit umsonst in die kriegerischen Stämme einzudringen versucht hatten. Mit den Kioques kam auch das Gewehr und mit diesem die Bildung einiger mächtiger Reiche. So war es Kassongo, des Kischimbi zweiter Bruder, der Häuptling von Kuschia, und Kabassu-Babu von Tschirimba, die zuerst durch Elfenbein zu einer Anzahl von Gewehren kamen und mächtiger wurden als andere Häuptlinge im Lande. Da Kassongo und der ihm folgende Mukenge der älteste der Fürsten war, die zu dem Bunde der Riambasöhne zusammengetreten waren, so wurden sie bisher auch stets als Erste anerkannt. Als jedoch der unternehmende Tschingenge durch die Anzahl seiner Waffen sich stark genug fühlte, Mukenge den Tribut zu verweigern, und dieser nicht energisch 98 genug war, Tschingenge zu zwingen, hatte sich Letzterer seit fünf Jahren unabhängig gemacht. So lagen die Verhältnisse, als wir in Lubuku erschienen.

Am 15. hatten wir Nachts ein außerordentlich starkes Gewitter, und ließen einige knallartige Donnerschläge vermuthen, daß es in der Nähe eingeschlagen habe. Beim ersten Morgengrauen hörte ich Tschingenge's Händeklatschen, mit dem er stets Erlaubniß zum Eintritt erbat. Ganz verstört redete er auf mich ein, und der herbeigerufene Dolmetscher übersetzte mir, daß der Blitz in mein Haus eingeschlagen habe und zwar durch den Fetisch von Mukenge, den Todfeind meines Wirthes, gelenkt. Da nur ich im Hause gewesen sei, wäre der Fetisch ohne tödtliche Folge geblieben, hätte aber doch bewirkt, daß er, Tschingenge, erkrankt sei, und wirklich hatte derselbe ein ziemlich hohes Fieber. Der rasende Gewittersturm der Nacht hatte einen Theil des Strohdaches hochgeweht, und schrieb man dies der Wirkung des Blitzes zu.

Bei einem meiner täglichen Bäder im Lulua erhob sich plötzlich mit gewaltigem Prusten der Kopf eines Flußpferdes dicht bei mir über Wasser. Der erschreckte Dickhäuter verschwand sofort, und die aufgeregten Wasser zeigten, daß er sich mit möglichster Eile aus meiner unheimlichen Nähe entfernte; aber auch ich erstrebte mit langen Stößen das Ufer. Ich hatte dieses tägliche Bad gewagt, da sich die Eingeborenen seit langer Zeit eines Unglücksfalles durch Krokodile nicht zu entsinnen wußten und auch gewohnt waren, sich an der Fährstelle im Wasser zu erquicken. Daß man sich auf das Kindergedächtniß der Neger nicht allzusehr verlassen darf, bewies der Fall, daß am 20. ein Knabe vor den Augen Anderer weggerissen wurde und bald darauf ein starkes Krokodil sich öfters an der Fährstelle zeigte, bis es von meinem Humba erlegt wurde. Natürlich machte dieser Fall meinen Bädern im Flusse ein Ende.

99 Nach mehrfachen Bemühungen gelang es mir, ein Flußpferd zur Strecke zu liefern. Nach dem Schuß überschlug sich der Koloß, kam dann noch öfters mit den Füßen schlagend über Wasser und verschwand; genau nach zwei Stunden trieb es an der Oberfläche, wurde an's Land geholt und zerlegt. Die Fleischvertheilung war durch die widerwärtige Gier der Leute wieder der wenigst angenehme Theil des Jagderfolges. Groß war das Staunen über die Kraft meiner kleinen Büchse. Die Kioque hatten behauptet, wir hätten nur Gewehre, um damit nach Bäumen zu schießen, tödten könnten dieselben nicht, und nun war ein gewaltiges Flußpferd, von dem nur ein ganz kleiner Theil des Kopfes über dem Wasser zu sehen war, mit einem Schuß getödtet. Von jetzt ab hatte man vor der kleinen Waffe gewaltigen Respect.

Der Lulua ist der schönste Fluß, den ich je gesehen habe: an Stellen, wo sich eine Gneisbarre durch sein Bett zieht, wie 1 km oberhalb der Fähre, bietet er ein mannigfaltiges, liebliches Bild. Zwischen fünf Inseln, die mit dichtem Urwald und zierlichen Palmen bedeckt sind, von deren dunkelem Grün die flußabwärts an die Inseln angeschwemmten hellgelben Sandbänke sich grell abheben, stürzt und sprudelt in vielen Armen der Fluß herab. Pandamusdickichte klettern an den felsigen Ufern der Inseln entlang, und dunkle Granitblöcke ragen aus dem schäumenden Wasser hervor. In dem 200 m breiten Pfühl, der sich unterhalb der Schnellen ausdehnt und in dem sich die wild bewegten Wasser beruhigen, dehnen sich langgezogene Sandbänke aus, auf denen sich Krokodile mit aufgesperrtem Rachen sonnen. Sich putzend, oder den Kopf angezogen und auf einem Beine ruhend, sieht man wilde Gänse unbekümmert in der Nähe der unheimlichen Saurier. Schönfarbige Reiher stolziren mit gewichtigen Schritten längs des Ufers, und mit wiegendem, lautlosem Fluge sucht sich der aufgescheuchte Nachtreiher einen neuen Platz im tiefen Schatten.

Noch weitere zwei Flußpferde erlegte ich, und kann sich nur der die Feste vorstellen, die in unserem Dorfe gefeiert wurden, der da weiß, was für den Neger Fleisch ist. Für mich lieferte die Jagdbeute nur während des ersten Tages ein saftiges Flußpferdsteak, während ich von sämmtlichen Thieren das Schmalz ausbriet und aufbewahrte, so daß es noch monatelang den Bedarf für unsere Küche deckte. Das Flußpferdschmalz ist zart, wohlschmeckend und 100 wird, gut ausgebraten, sehr langsam ranzig. Es ist das beste Material zur Behandlung von Waffen. Der Neger zieht das Fleisch des Flußpferdes dem des Elefanten vor, da es zarter und saftiger ist; für den Europäer wird es jedoch schon nach 12 Stunden wegen eintretender Fäulniß ungenießbar. Die Baschilange schneiden das Fleisch in handgroße flache Stücke, rösten dasselbe während der Nacht über dem Feuer und am Tage in der Sonne und bewahren es so monatelang auf; es ist dann schwarz und hart wie Holz und wird zum Genusse durch Kochen im Wasser wieder zubereitet. Bei der Jagd auf das Flußpferd mit einem kleinkalibrigen Gewehr ist nur ein Schuß in das Gehirn tödtlich, und zeichnet das angeschossene Thier so regelrecht, daß der Jäger nicht im Zweifel ist über den Erfolg seines Schusses. War derselbe tödtlich und das Gehirn zerstört, so sinkt der Dickhäuter ohne weiteres Zeichen langsam hinab. Schnelles Verschwinden bedeutet nichts, da jedes Thier vor Schreck, getroffen oder nicht, sofort untertaucht. Kommt jedoch das Flußpferd nach dem Verschwinden wieder in die Höhe und zwar mit den Beinen schlagend, was sich drei-, viermal wiederholen kann, dann war der Schuß auch tödtlich. Toben im Wasser, Ueberschlagen und Gebrüll ist nur das Zeichen eines schmerzenden Anschusses. Nach dem sicheren Zeichen des Verendens sinkt es zu Boden, je nach der Tiefe oder Strömung abwärts der Anschußstelle, und kommt, wenn Morgens, d. h. mit gefülltem Bauche, schneller, oder Abends nach vollendeter Verdauung in Folge der geringeren Entwickelung von Gasen langsamer, aber stets zwischen 1½ und 2½ Stunden, an die Oberfläche. Zur Aesung tritt es Nachts heraus und entfernt sich selten weiter als einige tausend Meter von dem Ufer; nur in ganz unbewohnten stillen Gegenden sah ich es auch am Tage äsen. Die heißesten Stunden der Tageszeit bringt es gern auf einer Sandbank zu, um sich an den Strahlen der Sonne zu erwärmen. Nachdem ich jetzt mehr als 20 Flußpferde zur Strecke geliefert und sehr viel mehr erlegt habe, die ich durch die Ungunst der Verhältnisse verlor, sind mir oben angegebene Regeln zur Sicherheit geworden.

In eine, wenn auch komische, so doch keineswegs angenehme Lage gerieth ich nach einer Jagd am 26. Ein erlegtes Flußpferd war inmitten von Stromschnellen auf einen Stein getrieben. Da nur ein ganz kleines Kanoe zur Stelle war, ging ich mit einem Eingeborenen in den Fluß, um das erlegte Thier aus dieser 101 ungünstigen Stellung herauszubringen und weiter flußabwärts aufzufischen. Als wir uns von oberhalb der Schnellen näherten, wurde das Kanoe mit derartiger Gewalt vorwärts gerissen, daß es uns nur gelang, dasselbe auf die angetriebene Jagdbeute zu dirigiren, auf die wir auch mit mächtigem Stoße auffuhren. Ich sprang auf den Bauch des Dickhäuters und hielt das Kanoe. Rings um uns tobten die Wassermassen mit solcher Gewalt, daß wir gezwungen waren, in dieser wunderlichen Stellung zu verharren, da wir die weitere Fahrt und das wahrscheinliche Umschlagen des Kanoes nicht riskiren wollten wegen eines gewaltigen Krokodils, das, von dem Schweiße des Flußpferdes angezogen, flußabwärts auf der Lauer lag. Bald gerieth, um unsere Stellung noch angenehmer zu machen, unsere Rettungsinsel, der angetriebene Dickhäuter, in langsames Hin- und Herschwanken, und wir waren, zum tollen Gelächter der am Lande Stehenden, gezwungen, eine volle Stunde lang fortwährend balancirend den Bewegungen zu folgen, bis endlich ein größeres Kanoe mit Tschingenge selbst uns aus der lächerlichen und doch höchst peinlichen Situation in glühender Sonnenhitze befreite.

Flußpferdritt.

Die mächtigen Schädel meiner Jagdbeuten traf ich noch in den Jahren 1884 und 1886 in Tschingenge's Stadt als Reliquien aufbewahrt.

Die Eingeborenen, welche mit ihren Flinten den armen Dickhäuter nur quälen können, stellen ihm mit Fallgruben oder durch die von Livingstone bekannt gewordene Falle nach, bei der eine vergiftete Eisenspitze, durch einen gewichtigen Baumstamm beschwert, in das Genick des die Falle passirenden Thieres sich eingräbt.

Nachdem Tschingenge von seinem Fieber genesen war, mußte ich ihm verschiedene Medicinen schenken, und überzeugte mich, daß er bald deren Anwendung völlig begriffen hatte. Durch die Heilung seines Fiebers hätte er ganz das Zutrauen zu den Mitteln seiner Leute oder der Kioques verloren, meinte er, und wolle nur noch meine Mittel anwenden.

Pogge schrieb mir, daß er 18 Küstenträger zur Weiterreise angenommen habe. Ich hatte deren 13, die übrigen noch nöthigen mußten von Mukenge gestellt werden. Wir gaben unseren Leuten je 4 Stücke Zeug, 2 in Natura und für die anderen beiden einen Bon, zahlbar nach der Rückreise. Dieser Lohn für eine Reise, 102 die mindestens 6 Monate in Anspruch nehmen mußte, erscheint sehr gering; aber abgesehen davon, daß die Arbeitspreise in den portugiesischen Besitzungen durchaus noch nicht verdorben sind, wie dies in vielen anderen Kolonien sehr der Fall ist, so repräsentirt diese Zahlung einen ganz respectablen Werth in einem Lande, wo der Preis für ein Weib nur ein halbes bis dreiviertel Stück Zeug ist. Pogge beklagte sich, daß Mukenge immer neue Entschuldigungsgründe suche, um Zeit zu gewinnen. So wären unter Anderem Bihéleute von Kabao, dem Elfenbeinmarkte Luquengo's, gekommen, um Sklaven zu kaufen und dieselben dort gegen Elfenbein zu verhandeln. Kalamba benutzte, da er keine Sklaven vorräthig hatte, einen Streit zweier Häuptlinge als Vorwand zum Kriege, um bei der Gelegenheit Gefangene an die Biannos zu verkaufen. Pogge erfuhr erst später diesen Umstand und machte Mukenge große Vorwürfe.

Eines Tages war ich Zeuge von einem Gespräch, das Tschingenge mit den Baschangi, den Geistern seiner verstorbenen Eltern, hielt. Er stand vor einem kleinen Erdaufwurfe hinter seinem Hause mit seinem Lieblingsweib und seinen Kindern. Aus Thon gemachte Thiergestalten, die im Boden vergraben lagen, hatten seine Eltern hier zu vertreten, denn Beide lagen weit von hier begraben. Mit vernehmlich lauter Stimme sprach er, das Gesicht zu Boden gewendet, die Geister an: »Seht Ihr jetzt, daß ich Recht hatte, als ich Euch vertrieb und viele Eurer Anhänger tödten ließ? Ihr riethet mir, bei Euren alten, schlechten, milden Sitten zu verharren, die schönen Sachen und das mächtig machende Gewehr, was Alles von den Weißen kommt, nicht anzunehmen, und die Kioque, die uns solche brachten, zu bekriegen. Hier steht er neben mir, der weiße Mann, mit langem, schlichtem Haar, und ist mein Freund. Mein Wunsch ist ganz erfüllt, ich bin gekleidet wie der Weiße und bin mächtig durch das Gewehr und Pulver. Der Weiße ist ein guter Mann, er füttert alle meine Söhne mit dem Fleische des Flußpferdes und hat mich gesund gemacht, als Mukenge mich verzaubert hatte, und wenn Ihr nun am Leben wäret, würde er auch an Euch so handeln! Ich will Euch etwas Fleisch von den Geschenken des Weißen geben, und auch zu trinken!« Er legte hierbei einige, nebenbei gesagt, die schlechtesten Stücke des Fleisches, fast nur Knochen, auf den Erdaufwurf und schüttete einen Becher mit Hirsebier darüber.

103 Ich hatte jetzt zum Abmarsche Alles vorbereitet und erfuhr, daß auch bei Kalamba am 29. große Abschiedsfeste mit Hanfrauchen und Schmausen gefeiert wurden, und daß er am 30. mit Pogge zum Passiren des Lulua abmarschirt wäre. Der Verabredung gemäß sollte ich nördlich des Lulua zu Pogge stoßen, brach daher am 1. December auf, passirte den Fluß und traf an demselben Tage noch meinen Reisegefährten in dem Dorfe des Mona-Tengo, eines Unterhäuptlings von Tschingenge. 104

 


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