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Abenteuerromane.

Alle Völker, von den Negern bis zu den Japanern und vor allem die Germanen, haben gern beim Lagerfeuer, beim rauschenden Festgelage oder, wie die Mohammedaner, unter der prallen Sonne des Jahrmarktes von Abenteuern sich erzählen lassen und haben sie dichterisch verherrlicht. Das Nibelungenlied ist die größte deutsche Verherrlichung der Art. Frühzeitig kam auch der Schelmenroman auf, wie Meyer Helmbrecht, der im 13. Jahrhundert in der Nähe von Burghausen spielt, und Till Eulenspiegel. Seit dem 16. Jahrhundert wurde Spanien auf diesem Gebiete maßgebend. Der Pikaro Von den Makamen der Araber beeinflußt. ward das Urbild der Streuner, Vagabunden und Landstörzer, das Urbild von Gil-Blas und von Grimmelshausens Simplizissimus. So sehr hatte der Abenteuerroman alle Sinne umsponnen, daß Cervantes dessen Verspottung für nötig fand: Er schuf den unsterblichen Don Quixote de la Mancha, den Ritter von der traurigen Gestalt. Auch eine weltberühmte Sonderart des Abenteurers, Don Juan, ist auf spanischem Boden erwachsen.

Einen Nachklang der Kreuzzüge und ihrer farbigen Ereignisse, der Karolinger- und der Ottonenzeit, bedeuten die Volkssagen, die etwa im 15. Jahrhundert entstanden sind; Gustav Schwab hat sie in einem unserer beliebtesten Volksbücher gesammelt. Der Schauplatz ist häufig das Ausland, zumal der Orient. Seit dem 17. Jahrhundert kommen Seefahrergeschichten in Schwang. Jedem Kind vertraut ist Robinson Crusoe, aber nicht jedermann weiß, daß der Vater Robinsons, der wirklich gelebt hat, ein Deutscher war. Er war in Bremen geboren und wanderte von dort nach England aus. Er hieß Kreutznaer; das wurde in England zu Crusoe verunstaltet. Der Vater, ein erfolgreicher Kaufmann, heiratete ein Fräulein Robinson. Die drei Söhne, die dem Ehebund entsproßten, wurden dann Robinson Crusoe genannt. Der Älteste wurde englischer Oberstleutnant und fiel bei Dünkirchen gegen die Spanier. Der zweite wurde Gelehrter. Der dritte, der Freund unserer Kinder, ging auf See. Nach allerlei Abenteuern an den marokkanischen Küsten fuhr Robinson nach Brasilien und wechselte dann den Kurs nach den karaibischen Inseln; das war 1659. Das Leben, das dann der Schiffbrüchige auf einer einsamen Insel führte, war die historische Grundlage der Kindermär. Sie wurde von Daniel Defoe 1719 geschaffen, der auch verschiedene andere abenteuerliche Geschichten und außerdem theologische und historische Schriften und eine Abhandlung gegen die Türken geschrieben hat.

Defoe hat viele Nachahmer in Großbritannien und auf dem Festlande gefunden. Einen neuen Aufschwung erfuhr der Abenteuerroman durch die Wiederaufnahme überseeischer Entdeckung seit Cook um 1770 und durch die amerikanischen Freiheitskämpfe. Mit seltsamer Einseitigkeit wandten sich die deutschen Leser den Indianergeschichten zu. Das unsterbliche Vorbild ist Coopers Lederstrumpf. Bei uns hat der Östreicher Postl, genannt Sealsfield, den amerikanischen Abenteuerroman, bei dem er aber keineswegs bloß die Indianergeschichten berücksichtigte, auf die Höhe gebracht. Seinen Spuren folgt Gerstäcker, gestorben 1872. Als Heizer und Matrose, als Landarbeiter und Holzhauer, als Goldschmied und Pillenfabrikant, als Koch und Jäger verdiente er in Nordamerika sein Brot. Von Heimweh ergriffen, ging er 1843 nach Deutschland und schrieb seine ersten Bücher. Dann erfaßte ihn wieder das Fernweh, die Reiselust, und er besuchte Südamerika und Australien. Nachdem er sich lange als armer Schlucker durchgeschlagen, sollte er es auch einmal gut haben. Der Schützenherzog Ernst von Gotha nahm ihn nach Ägypten und Abessinien mit. Gerstäckers Schilderungen verraten kein Übermaß von Phantasie, sind aber gerade deshalb als Kulturdokumente wertvoll, besonders für die Stimmungen und Zustände unserer Auswanderer.

Für weitaus den bedeutendsten Schöpfer auf diesem ganzen Gebiete erachte ich Sir John Retcliffe. Das ist durchaus kein englischer Baron, wie der Name deutet; denn er ist weder Engländer noch Baron, sondern ist ein deutscher Postrat, namens Gödsche, der auf verschiedenen Reisen, jedoch, wie es scheint, nur in Europa die nötigen Erfahrungen für seine ausgezeichneten Werke gesammelt hat. Diese bilden eine ganz besondere Abart der Literatur: Es sind politische Abenteurerromane. Sie spielen in den 1840- und 50er Jahren und führen uns von Uruguay, wo Garibaldi kämpft, zum Kaukasus und zum Ganges. Es ist ganz erstaunlich, ja schier unfaßbar, mit welcher Meisterschaft dieser Postrat nicht nur in den Geheimnissen aller Verschwörer und der europäischen Kabinette sich auskennt, sondern auch die Sprache so der vornehmen Welt wie der Gauner, seiner Landsleute wie der Russen und Türken beherrscht. Auch sollte man glauben, so eine Büroseele, namentlich einer vormärzlichen, sei ein gewaltig trockener Hering. Aber weit gefehlt! Er schreibt sehr lebendig, lustig und leidenschaftlich. Am verblüffendsten ist die Darlegung des Einflusses, den damals schon, obwohl den meisten verborgen, die Juden ausübten, und die Prophezeiung ihres die Erde umspannenden Erfolges. In der Neuzeit wurde Retcliffe durch Karl May in den Schatten gestellt. Es ist nicht ganz leicht über den Radebeuler gerecht zu urteilen. Er war im Leben ein unverfrorener Renommist. Er ritt schlecht und konnte richtig kaum eine der 26 Sprachen, deren er sich rühmte. Immerhin ist nicht zu leugnen, daß die Himmelstochter Phantasie ihm genaht ist und daß Karl May das Verdienst hat, den Sinn vom Gelderwerb abzulenken, zu rüstigen Taten anzuspornen und zu hoher Heldengesinnung emporzuziehen. Auch geben seine Bücher – 19 von seinen 49 sind den Indianern gewidmet – ganz anschauliche Vorstellungen von allerlei Länder und Leuten, um die sich sonst der Leser nicht gekümmert hätte. Wenn er auch die türkischen und arabischen Gespräche sich von orientalischen Tabakhändlern, die in Dresden verkehrten, besorgen und herrichten ließ, so ist doch wenigstens das Türkisch und das Arabisch vollkommen einwandfrei. (Wo er keine Vermittler hatte, wie bei dem dreibändigen Werke über Albanien, da hat er bezeichnenderweise auch nicht einen einzigen albanischen Satz.) Wenn er die meisten Gegenden seiner Abenteuer nicht gesehen hat, so schildert er sie doch so ziemlich wahrheitsgetreu. Ich möchte da eine merkwürdige Einzelheit erwähnen. In dem Romane »Von Bagdad nach Stambul« greift ein Zweikampf in einem unterirdischen Labyrinth bei Baalbek Platz. In der ganzen Literatur wird man vergeblich nach einem solchen Labyrinthe fahnden. Zufällig traf ich nun einmal den Archäologen Brandenburg, der Vorderasien wie seine Westentasche kennt: der erzählte von unterirdischen Gelassen, die er ausgerechnet bei Baalbek entdeckt habe, mit dem Zufügen, daß bis jetzt noch nichts darüber veröffentlicht sei.

Den Reigen schließt Nord, der eine Spezialität pflegt, nämlich politische Verwicklungen in Mittelasien. Er gibt Karl May an Phantasie kaum nach und hat den Vorteil, daß er Türkei, Persien, Turkistan, Sibirien und Nordchina aus eigener Anschauung kennt und sozusagen wissenschaftlicher zu Werke geht. Seine bekanntesten Bücher sind Sir Anusch, Das Land ohne Lachen und der Blaue Teppich.


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