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Kulturelle Reisläufer.

Die Schweizer Ilg und Münzinger berieten den Kaiser Menelik von Abessinien. Ein deutscher Universitätsprofessor wurde der Rechtsbeistand, namentlich in Patentsachen, für die japanische Regierung. Gar viele Deutsche wurden Beamte und Ärzte in holländischen Diensten auf Java und Sumatra. Düring Pascha wurde Generalarzt der Türkei und Leibarzt des Sultans. Unzählige Deutsche dienten als Kulturbeförderer den Rumänen, den Ungarn, den Tschechen, den Russen, endlich Nord- und Südamerikanern.

Jakob Reineggs war die rechte Hand des georgischen Königs Heraklins, der 1762-1798 regierte. In dem asiatischen Staate führte Reineggs eine Polizeiordnung nach europäischem Muster ein. Er lehrte die Georgier, Pulver herzustellen und Geschütze zu gießen. Der Nutzen hiervon ging jedoch bald verloren, da Georgien seine Unabhängigkeit verlor und unter die russische Fuchtel geriet.

Man weiß, daß die englischen Missionäre letzten Endes zumeist politischen Zwecken dienen. Infolgedessen kann auch die Tätigkeit deutscher Sendlinge, die für Großbritannien wirkten, in keinem anderen Lichte gesehen werden. Es ist ein wirken für fremdstaatlichen Nutzen. Im Jahre 1721 ging Ziegenbalg als britischer Missionar nach Indien. In gleicher Eigenschaft reisten die Schwaben Krapf und Rebmann in den 1850er Jahren nach Ostafrika und entdeckten auf ihren Wanderungen den Kenia und den Kilimandscharo. Den Missionären gesellten sich die Ärzte, die Sanskritisten, die Chemiker, die Ingenieure. Was haben nicht allein Leitner und Gritzschner für die Erschließung Dardistans durch ihre ethnologischen und sprachlichen Entdeckungen getan! Sie haben dadurch dem Vordringen der britischen Macht bis in den Hindukusch den Weg bereitet. Mehrere deutsche Sanskritisten, wie Trumpp (Vater des siamesischen Generalarztes), Kielhorn und Bühler lehrten auf indischen Hochschulen und behielten sogar die Gewohnheit bei, nachdem sie auf deutsche Universitäten berufen, ihre Schriften noch weiterhin in englischer Sprache herauszugeben. Max Müller, ein Hauptförderer des Sanskritstudiums und aller Sprachwissenschaft, lehrte zu London, und sein Sohn trat in das Foreign Office. Abgesehen davon, daß die Söhne solcher Gelehrten, wie dies Beispiel zeigt, häufig ihr Deutschtum verlieren, darf man den belehrenden und belebenden Einfluß, den unsere Philologen und Ethnologen ausübten, keineswegs unterschätzen. Wurde doch durch ihre gründliche Forschung es mit ermöglicht, den Sinn der von Weltbritannien und anderen Staaten beherrschten oder noch zu beherrschenden Völker klar zu erkennen. Schließlich geht es bei der Völkerkunde, bei der Völkerpsychologie, wie der Weltkrieg deutlichst offenbart hat, um Millionen von Menschen und Milliarden von Gütern! Nicht selten wurden übrigens die deutschen Kulturträger unmittelbar politische Agenten fremder Staaten. So hat ein Arzt Ansorge zeitweilig Uganda verwaltet, wobei er auch militärisch eingreifen mußte. Der deutsche Revolutionär Moleschott, der bekannte Chemiker, ist Senator in Rom geworden. Der Sohn eines Deutschen, der sich als Hellene naturalisieren ließ, Herr von Streit, wurde griechischer Gesandter in Berlin. Ein anderer, Schliemann, ist einflußreicher Parlamentarier und unterhält den größten politischen Salon von Athen. Ein Sohn des revolutionären Herwegh, der nach der Schweiz geflohen war, Marcel Herwegh, lebte eine Zeitlang in Genf und dann in Paris und wurde als französischer Politiker ein ausgesprochener Deutschenhasser. Milner, der, in Tübingen geboren, seine Laufbahn bei der Pall Mall Gazette begann, dann vom Foreign Office nach Ägypten gesandt wurde, hat als High Commissioner von Südafrika und als Mitglied der Peers vielfach gegen uns gewirkt. Ähnlich ist Lord Goschen, einst erster Lord der Admiralität, ein Verwandter der Leipziger Verlegerfirma Göschen. Ebenso haben zahlreiche Deutsche, die in Rußland und Amerika politischen Einfluß erlangten, diesen zur Stärkung ihres Adoptivvaterlandes und nicht selten gegen das Mutterland ausgeübt.

Am häufigsten ist der Fall, daß Deutsche als Kaufleute und Ingenieure im Auslande eine bedeutende Stellung erringen und so den Reichtum ihrer neuen Heimat fördern, was schließlich sich auch politisch bemerkbar macht. Ein Drittel der Londoner City soll deutschen Ursprungs sein. Die Astor und die Rockefeller stammen aus der Gegend von Mannheim. Der kalifornische Zuckerkönig Spreckels ist ein Mecklenburger; auch sein Nebenbuhler, Havemeyer, trägt einen deutschen Namen. Von Pullmann, dem Schöpfer der gewinnbringenden Schlafwagengesellschaft, wird der deutsche Ursprung bestritten. Ein Pfälzer, aus Neustadt, begründete 1883 die Northern Pacific, jenen wichtigen Schienenstrang, der Nordamerika durchquert und verschaffte sich das Geld dazu nicht zum geringsten Teile aus Deutschland. Er war ein richtiger Abenteurer. Er war zuerst Zeitungsmann und als solcher Kriegskorrespondent und dann Finanzier großen Stiles. Überhaupt sind viele Pfälzer in den Vereinigten Staaten Bankengründer und -direktoren geworden. Auf demselben Blatt steht es, wenn ein deutscher Ingenieur, Röchling, die Brücke, die einst das Staunen der ganzen Welt erregte, über den East River schlug, Neuyork und Brooklyn verbindend.

Ein ähnliches Bild in Rußland. Dort hat ebenfalls ein Zuckerkönig, der zufällig auch König hieß, unermeßlichen Reichtum erworben und hat dem Zarenreich eine wichtige neue Industrie geschaffen. Neben Engländern waren es Deutsche, die zu Lodz die Weberei einführten. Hamburger Firmen, wie Kunst und Albers und ein Halberstädter Metallhaus haben ein gut Teil dazu beigetragen, die kommerziellen und mineralischen Schätze Ostsibiriens für die Russen zu erschließen. In Moskau nimmt die deutsche Kaufmannschaft, die im zweiten Geschlechte schon verrußt, einen ansehnlichen Platz ein. Bei Industriegesellschaften war es geradezu Gesetz, daß ihre Inhaber Russen waren; so ist es nicht zu verwundern, daß die Deutschen, die im Zarenreiche die Siemms-Schuckert- und die Diesel-Motorengesellschaft leiteten, ihrer Heimat entfremdet wurden.

Japan hat bewußt und gewohnheitsmäßig deutsche Lehrmeister und Organisatoren auf allen möglichen Gebieten herangezogen, und Jahre hindurch, wenn nicht auf Lebenszeit, an sich zu fesseln gewußt. Das Gesetzbuch, Post und Telegraphen, das Forstwesen, die Lazarette und zur Hälfte das Heerwesen, die Museen und Schulen, alles wurde von Deutschen und nach deutschen Mustern eingerichtet. Es kam so weit, daß in einigen Fakultäten der Hochschule von Tokio, so in der medizinischen und in der philologischen, wie auch in rein philosophischen Fächern deutsch geradezu die Lehrsprache wurde. Ein Stuttgarter, Dr. Bälz, war jahrzehntelang der Leibarzt des Mikado. Von den Instrukteuren der Armee haben wir bereits gesprochen. Während jedoch früher diese in ihrer Eigenschaft als Fremde leicht erkennbar waren und auch amtlich als Ausländer auftraten, sind kurz vor dem Weltkriege etwa zehn deutsche Offiziere nach dem fernen Osten geschickt worden, um auf dem gleichen Fuße wie die einheimischen Offiziere dem japanischen Heere eingereiht zu werden. Am bekanntesten darunter ist der General Haushofer geworden, der ein ausgezeichnetes, für das Inselreich vielleicht ein wenig zu günstiges Werk geschrieben hat, das seine Eindrücke von jener Lehrzeit widerspiegelt. Alle diese Vorliebe für deutsches Wesen und die häufige Zitierung des einheimischen Sprichwortes: der Lehrer ist der zweite Vater, hat nicht gehindert, daß 1914 die Japaner sich unseren Feinden zugesellten und im Kriege gerade die Künste verwerteten, die sie von uns gelernt hatten.

Endlich Südamerika und Mexiko. Auch dort spielt unsere kulturelle Reisläuferei eine höchst beachtliche Rolle. Sie erzeugt eine Menge von Grenzfällen in der Art, wie wir sie oben S. 99 ff. erörtert und beleuchtet haben. Man kann nicht ohne weiteres sagen, daß die Befruchtung von Lateinisch-Amerika mit deutschem Geiste zum unmittelbaren Nachteil für uns erwachsen sei; man kann aber ebensowenig mit gutem Gewissen sagen, daß sie zum Vorteil für uns ausschlagen werde. In der Vergangenheit haben zwar Brasilien und Bolivia die Zahl unserer Feinde vermehrt; die Zukunft aber ist undurchsichtig und dunkel. Wiederum Völkerdünger oder aber neuer Aufschwung? Vorläufig freilich, das dürfen wir einräumen, dient das deutsche Element in Mexiko wie Südamerika zu einer Stärkung des Gesamtdeutschtums auf der Erde. Wie in Japan und Rußland, haben unsere Volksgenossen durch Kaufmannschaft, durch Technik und Gelehrsamkeit in den romanischen Freistaaten Lateinisch-Amerikas Ansehen errungen. So haben reichsdeutsche Firmen Drahtseilbahnen in den Anden und haben elektrische Zentralen erbaut. Deutsche Entdecker haben für Argentinien und Chile die letzten Rätsel ihrer Länder entschleiert. Deutsche Forscher und Gelehrte haben Akademien in Buenos Aires und Santiago di Chile gegründet, von denen eine Flut von Anregung und Wissen auf die einheimischen Kollegen ausströmt. Auch kommt es hin und wieder vor, daß einer unserer Landsleute sich politisch emporringt. So ist Lourenzo Müller Minister in Brasilien geworden. Wie vieler Landsleute Geschicke sind dort verschollen, wie viele Abenteuer wurden erlebt, von denen kein Sänger kündet! Nur der Zufall bringt manche seltsame Erlebnisse an den Tag. So sprach ich im Münchner »Franziskaner« mit einem Münchner, der türkischer Offizier und dann hoher Beamter auf Java geworden war. So wurde ich mit einem Schlierseer bekannt, der im Auftrage Armours, des großen Fleischpackers von Chikago, ganz Südamerika und nicht minder Australien durchschweifte; mit einem Deutsch-Chilenen, der als Spekulant bis Westsibirien kam; ferner mit einem in Chile geborenen Hannoveraner, der bei den Königshusaren gedient hatte und sich im Weltkriege von Chile, ich glaube als Heizer, nach Deutschland zu seinem Regimente zurückfand; mit einem Münchner Uhrmacher (Haggenmiller), der 20 Jahre auf Upolu, einer Insel des samoanischen Archipels gelebt hatte und jetzt nach Mexiko ausgewandert ist, mit einem deutschen Goldgräber, der umsonst in Transvaal sein Glück versucht hatte, um sich hierauf den Diamantenfeldern Borneos zuzuwenden, mit einem hannöverischen Offizier, der in Alaska nach Gold suchte und dann einen »Plaats« in Südwestafrika kaufte, und weiß von einem Verwandten Bismarcks, der zu Durango in Mexiko sich als Estanziero niedergelassen hat. Von Mexiko aus wurde während des Weltkrieges ein dort geborener Deutscher, der Oberst und Doktor Krumgießer, als Geschäftsträger nach Berlin entsandt. Wäre das von unserem Staatssekretär Zimmermann ausgeheckte, aber so plump eingeleitete Bündnis mit Mexiko Wirklichkeit geworden, dann hätte man hier nicht mehr mit Fug von Reisläuferei sprechen können. So aber ist alles zerronnen und in Mexiko streiten sich Engländer und Yankees um die Vorherrschaft. Die Deutschen werden auch hier, sei es als Kaufleute, sei es als Pflanzer, in der Eigenschaft von Trockenwohnern gedient haben.


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