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In Rußland.

Schon unter Iwan dem Schrecklichen betreffen wir reichsdeutsche Artilleristen im Zarenreiche, dann unter Peter dem Großen in der Sloboda, der »Freistadt« bei Moskau.

Ernst Johann Bühren, der Sohn eines kurländischen Gutsbesitzers, studierte zu Königsberg und gelangte 1714 nach Petersburg. Er kam sehr in Gunst bei der Herzogin von Kurland, Anna Iwanowna, der Nichte Peters des Großen. Nach der Thronbesteigung Annas, 1730, wurde er der allmächtige Herr in Rußland. Er nahm den Namen und das Wappen der französischen Herzoge von Biron an, die ihn von Haut und Haar nichts angingen. Stolz und despotisch, überließ er sich allen Leidenschaften des Hasses gegen die Nebenbuhler seines Ehrgeizes. Die Fürsten Dolgoruki und ihre Freunde waren die ersten Opfer, welche fallen mußten; mehrere tausend Menschen ließ er hinrichten und noch viel mehr schickte er in die Verbannung. Oft soll die Kaiserin sich ihm zu Füßen geworfen haben, um ihn zu besänftigen, aber auch ihre Bitten und Tränen vermochten nicht, ihn zu rühren. Doch läßt sich nicht leugnen, daß die Stärke seines Charakters Tätigkeit und Kraft in alle Teile der Staatsverwaltung des großen Reiches brachte. Er ward Herzog von Kurland und Regent des russischen Reiches. Als Elisabeth sofort nach der Thronbesteigung ihres Sohnes Iwan das große Aufräumen anhob, wurde Biron durch Münnich in seinem Bette verhaftet, nach Schlüsselburg abgeführt und dort zum Tode verurteilt, der jedoch in Vermögenskonfiskation und Verbannung nach Sibirien umgewandelt wurde. Ein Jahr darauf ward er von Elisabeth zurückberufen. In Kasan an der Wolga traf er mit dem seinerseits verbannten Münnich zusammen. Beide erkannten einander, setzten aber, ohne ein Wort zu wechseln, in entgegengesetzter Richtung auf ihrem Schlitten die Reise fort. Durch Katharina erhielt Biron sein Herzogtum Kurland zurück. Er starb erst 1772.

Burkard Christof Reichsritter von Münnich wurde als Sohn eines Deichgrafen zu Oldenburg geboren und wurde achtzehnjährig Hauptmann in Hessen-Darmstadt. Er trat 1716 als Oberster in polnisch-sächsische, dann als Generalmajor in schwedische und 1726 in russische Dienste. Durch Peter II. wurde er Generalissimus und durch die Zarin Anna zugleich Feldmarschall und Präsident des Reichskollegiums, also eine Art Kanzler. Er hat der russischen Landesverteidigung neue Grundlagen gegeben. Er organisierte das Landheer, und errichtete das adlige Kadettenkorps. Für die Russen eroberte er Danzig und entriß es den Polen. Im Jahre 1736 verwüstete er die Krim und erstürmte Oczakoff. Er ging über den Dnjestr und besetzte die Moldau. Da er die Türken noch weiter zurücktreiben wollte, machte der Friede zu Belgrad Schluß. Kraft seiner Empfehlung ernannte die sterbende Zarin den Herzog Johann von Kurland zum Reichsregenten. Münnich hoffte, den Herzog in der Hand zu haben und selbst die Gewalt auszuüben. Da ihm jedoch nicht alles nach Wunsch ging, ließ er den Herzog gefangennehmen und sich zum Erstminister erklären. Mit Eifer betrieb er ein Bündnis mit Preußen. Bei Kaiserin Elisabeth fiel er in Ungnade, wurde 1741 in den Kerker geworfen und zum Tode verurteilt. Man begnügte sich jedoch damit, ihm seine Güter zu nehmen, und ihn nach Sibirien zu verbannen. Dort lebte er einundzwanzig Jahre, bis ihn Peter III. befreite und ihn in seine Würden wieder einsetzte. Katharina II. ernannte ihn zum Admiral der Häfen am Baltischen Meere. Münnich starb 1767 in Petersburg. Dieser Oldenburger, der so vielen fremden Regierungen gedient und der den Aufstieg Rußlands von der Groß- zur Weltmacht wesentlich befördert hat, schrieb ein französisches Buch über russische Regierung und Verfassung.

Sein Zeitgenosse Heinrich Johann Friedrich Ostermann, einer der ersten Diplomaten seines Jahrhunderts und ein feiner Hofmann, wurde als Sohn eines Predigers zu Bockum in Westfalen geboren, studierte in Jena und trat 1704 in die russische Flotte. Er war 1711 am Pruth, als Peter der Große durch die Türken aufs äußerste bedrängt wurde, und half der Gemahlin Peters, die den Großvezier mit einer stattlichen Summe bestach, den Zaren aus seiner gefährlichen Lage zu befreien. Er schloß den für Rußland so günstigen Frieden von Nystadt mit Schweden, 1721. Er ward Oberhofmeister des minderjährigen Peters II. und Mitglied des Regentschaftsrates. Durch Anna stieg er zum Generaladmiral empor. Die launische Elisabeth ließ ihn jedoch, zugleich mit Münnich, bald nach ihrer Thronbesteigung verhaften und zum Tode verurteilen. Wie er schon auf dem Blutgerüste stand, teilte man ihm mit, daß das Urteil in Verbannung nach Sibirien umgewandelt sei. Noch bevor er den Ural erreichte, holte er den kurz vorher verbannten Münnich auf der Reise ein. Ostermann starb in der westsibirischen Stadt Beresow 1747. Man rühmte seinen weitumfassenden klaren Verstand, seine Menschenkenntnis, und »ein feines Zartgefühl«, endlich seine Zähigkeit. Er war untadelhaft in seinem Lebenswandel, unbestechlich und treu, erfahren und geschäftsgewandt, zudem mit den Wissenschaften vertraut und mit seltenen Sprachtalenten ausgerüstet, daher ein Beschützer des Verdienstes und der Gelehrsamkeit. Unübertroffen war er als Staatsmann. Aufs genaueste kannte er die Verhältnisse der europäischen Höfe und ihre Beziehungen. Nur schade, daß alle diese glänzenden Eigenschaften nicht dem eigenen Vaterlande zugute kamen. Seine Nachfahren, die in einheimische Adelsfamilien einheirateten, wurden vollends verrußt. Ostermann-Tolstoi kämpfte 1806/7 gegen die Türken, und 1812/13 gegen Napoleon. Er nahm an den Schlachten von Ostrowa, Borodino und Tarutino teil. Schulter an Schulter mit den Deutschen siegte er bei Bautzen und Kulm. An der Spitze des Gardekorps überwand er bei Kulm einen fünfmal stärkeren Feind, freilich kostete ihm der Sieg den rechten Arm. Vereint mit Klenau eroberte er Dresden. Zuletzt wurde er russischer Gesandter in Paris, wo ihn der Korse Pozzo di Borgo ablöste.

Goethe spricht vom Weltsinn der Franken. Er selbst, den eine rastlose Wanderlust bis in sein hohes Alter umhertrieb und der die Welt verstand wie kein anderer, ist das beste Zeugnis dafür. Engere Landsleute von ihm, Frankfurter, waren Klinger, der leichtsinnige Friedrich, der in französischen Diensten nach Korfu kam, und in der Gegenwart Daniel Diehl, der Südamerika durchschweifte und auf der Rückkehr mit einem Segelschiff ertrank.

Friedrich Maximilian von Klinger, 1753 geboren, wurde Leutnant in einem Freikorps während des Bayerischen Erbfolgekrieges. Er schrieb unendliche Theaterstücke und lyrische Gedichte. Eines seiner Dramen heißt Sturm und Drang: danach ist die ganze Periode, die sich von Götz von Berlichingen bis zu den Räubern erstreckt, benannt. Seinem großen Landsmann, den er in Weimar besuchte, wurde er durch seine Unbändigkeit lästig. Dafür gefiel er sehr den Hofdamen. Von Weimar ging er 1786 nach Petersburg, wo er als Offizier und zugleich als Vorleser bei dem Großfürsten Paul angestellt wurde. Das Jahr darauf machte er im Gefolge des Großfürsten eine Reise durch Polen, Österreich, Italien, Frankreich, die Schweiz, die Niederlande und Deutschland. Im Jahre 1784 als Offizier in dem adeligen Kadettenkorps zu Petersburg angestellt, stieg er unter Katharina bis zum Obersten. Im ersten Jahre der Regierung Pauls wurde er Generalmajor und 1799 Direktor des Kadettenkorps. Auf dieser schlüpfrigen Laufbahn unter mißlichsten Verhältnissen, zu einer Zeit, wo fester Männlichkeit und kühnem Mut von allen Seiten Gefahr drohte, erhielt er sich das unwandelbare Vertrauen des sonst so überaus mißtrauischen Paul, der bei niemandem Widerspruch duldete, allein Klinger seine unerschrockene Gradheit verzieh. Der einst so lockere, leichtherzige Dichter, der mit Heinze, dem »Liebling der geilen Grazien« (laut Goethe), durch Freundschaft verbunden war, wurde in der rauhen Schule des Lebens immer rauher und härter. In der Schlacht bei Borodino verlor er seinen einzigen Sohn. Die Mutter weinte sich blind, und der Vater lebte seitdem in ernster, tiefer Einsamkeit. Überhaupt hatte Klinger im Grunde eine trübe Lebensansicht. Er gefiel sich bei seinen Stücken in der Ausmalung des Schauderhaften und Gräßlichen. Melancholisch ist auch »Der Weltmann und der Dichter«, eines seiner besten Stücke, das für die Zwiespältigkeit seines Wesens bezeichnend ist. Er starb ein Jahr vor Goethe.

Die Mutter des Zaren Paul war eine Württembergerin. Sie zog verschiedene Landsleute nach sich, darunter den Herzog Viktor. Dieser leistete als General den Russen große Dienste. Es hätte dahin kommen können, daß nach 1807, als Napoleon und Alexander I. die wärmsten Freunde geworden, dieser Herzog von Württemberg auch gegen Deutsche hätte ziehen müssen. Es kam nicht dazu. Viktor hat im Gegenteil bei den Befreiungskriegen uns geholfen, jedoch immer im russischen Dienste. Ebenso haben sich zahlreiche Deutsche nach 1807 nach Petersburg geflüchtet, um dort in den Dienst des Zaren zu treten, vor allem der charaktervolle Freiherr vom Stein und seine rechte Hand, Ernst Moritz Arndt. Man kann dies jedoch unmöglich als Reisläuferei ansehen, da diese echten Vaterlandsfreunde in einem Zusammengehen der Deutschen und Russen das Heil erblickten und jedenfalls in erster Linie an ihr eigenes Volk dachten. Stein war nicht sowohl der Empfänger, als der Geber, wie er denn durch die Wucht seiner Persönlichkeit den Zaren und dessen Entschlüsse entscheidend beeinflußte. Auch war er gewillt und fähig, wie sich das bei der beabsichtigten Besetzung Ostpreußens durch die Russen zeigte, moskowitischen Übergriffen nachdrücklich entgegenzutreten. Hier haben wir einmal einen Fall von Deutschen in der Fremde, wie sie wirklich sein sollten.

Hans Karl Friedrich Anton von Diebitsch und Narden wurde auf einem schlesischen Rittergute geboren und ward Kadett in Berlin. Sein Vater Hans Ehrenfried, einst Adjutant Friedrichs des Großen, ward Generalmajor unter Paul. Auch der Sohn begab sich zu den Russen und trat bei den Semenow'schen Gardegrenadieren ein. Als solcher kämpfte er bei Austerlitz und Friedland mit. Unter Wittgenstein, der die Ostseeprovinzen gegen Napoleon verteidigte, wurde er 1812 Generalquartiermeister. Diebitsch war es, der in geheimer Unterredung York zu der weltgeschichtlichen Schwenkung bei Tauroggen veranlaßte. Zusammen mit ihm rückte er in Berlin ein. Wiederum bekam er einen diplomatischen Auftrag und keinen unwichtigen: er wirkte mit, daß zu Reichenbach sich Rußland, Österreich, Preußen und England verbündeten. Alles dies war zweifellos zum Vorteil seiner deutschen Heimat, wie auch die Heftigkeit, die er 1814 vor Paris zeigte und durch die er den schon beschlossenen Rückzug der Verbündeten in Vormarsch verwandelte; seine spätere Tätigkeit war dagegen ausschließlich zugunsten der Russen. Auch heiratete er eine Russin, die Nichte des Fürsten Barclay de Tolly, jenes zähen Gegners von Napoleon, dessen Geschlecht schottischer Herkunft, aber längst verrußt war. Diebitsch begleitete Alexander II. nach Taganrog, am Asowschen Meere, wo dieser starb, und half seinem Nachfolger Nicolai gegen die Dekabristen, die ihm die Krone streitig machen wollten. Diebitsch bekam 1828 den Oberbefehl gegen die Türken und überschritt im späten Winter den Balkan, daher der ehrende Beiname, den ihm der Zar gab, Sabalkanski. Er führte noch das Heer zwei Jahre später gegen die aufständigen Polen, starb jedoch in der Nähe von Pultusk an der Cholera.

Bei allen nachfolgenden Unternehmungen, durch die das russische Reich seinen schon gewaltigen Umfang um ein Drittel vergrößerte, bis in das 20. Jahrhundert hinein, in den kaukasischen Kämpfen, im Krimkrieg, bei der Eroberung Turkestans und der Amurländer, fochten Deutsche unter den russischen Fahnen. So Totleben, der Held von Sebastopol und Plewna. Kaufmann vollendete die Besetzung von Turkistan und baute die große Bahn vom Kaspisee bis Taschkent. In Sibirien zeichneten sich der Forscher Radde und verschiedene Statthalter, wie Untersberger, aus. Im Kriege gegen Japan betreffen wir den Admiral Reitzenstein und den Verteidiger von Port Artur, Stössel, die freilich beide sich nicht gerade mit Ruhm bedeckten, die aber beide schon längst der heimischen Art entfremdet waren.


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