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Gegenwart.

Ein deutscher Ingenieur aus Engers bei Koblenz, Schmitz-Dumoulin, nach seinem Übertritt zum Islam Adil Bey genannt, bohrte auf Sumatra nach Öl und verheiratete sich mit der Tochter eines Chinesen und einer javanischen Prinzessin. Darauf ging er nach der Türkei, wurde angeblich Vertrauter Abdul Hamids und gründete 1904 einen jungtürkischen Bund, der den Umsturz von 1908 vorbereitete. Adil Bey schrieb mehrere fanatische Bücher für den Islam gegen die nach seiner Ansicht verrottete Kultur des Abendlandes. Ein Deutscher, namens Sturm, nahm Kriegsdienste bei den Serben und focht bei den Balkankriegen 1912/13 mit. Als serbischer General half er seiner neuen Heimat 1915 gegen die Österreicher. Dr. Carl Mueller (genannt Kalem) kämpfte anderthalb Jahre auf der Seite der Berber in Marokko gegen Spanier und Franzosen, überschritt den Hochatlas (ein Jahr vor den Mannesmann), war Adjutant von Asis Ali Pascha, einem Vetter des Khediven, beinahe ein Jahr lang während des Krieges mit den Italienern in Tripolitanien, und kämpfte für die rechtmäßige albanische Regierung unter dem Fürsten Wied gegen Albanien. Eine Frucht seines Aufenthaltes in Durazzo ist die nützliche kleine Schrift: Die Rebellion Essad Paschas.

Er nahm 1913 an persischen Gefechten teil, die er in dem Jahrbuche der Münchener Orientalischen Gesellschaft (1916) folgendermaßen beschrieben hat: Nach einigen ziemlich gleichförmigen Tagesritten (von Schiras gen Buschir, am persischen Golf) erreichte ich das Gebiet der Pässe, der Kotal. In riesenhaften Terassen stürzt hier das iranische Hochland treppenförmig nach dem Meere ab. Diese Stufen haben meist eine Höhe von einigen hundert Metern. In unzähligen Windungen klettern an den stellenweise fast senkrechten Abstürzen schmale steile, tief eingeschnittene Maultierpfade hinunter, die mit Schutt und Geröll übersät sind. Je mehr man sich der Küste nähert, um so charakteristischer werden die Kotals. Einer der ersten dieser eigenartigen Pässe ist der Mian Kotal, der zwar die Merkmale seiner Brüder noch nicht so ausgesprochen trägt als die nachfolgenden, der aber immerhin zu den größten Kotals gehört. Etwa in mittlerer Höhe des Passes befindet sich ein kurzer Absatz, gleichsam eine kleine Talmulde, in welcher, umrahmt von Fichten, Tannen und Laubwald mit fast undurchdringlichem Unterholz mit Felsblöcken und Steinhalden durchsetzt ist, die alte Bergfeste Mian Kotal, jetzt Gendarmeriestation, hervorragt. Das Gebäude ist zweistöckig und wird von einem massigen dreistockwerkhohen Wartturm überragt. Das Erdgeschoß dient als Stallung und Unterkunftsort für Reisende mit ihren Karawanen, das Obere beherbergt die etwa 70 Mann starke Besatzung, von der jedoch nur vierzig Mann Gendarmen, die andern unbewaffnete Wirtschaftsknechte sind. Gegen Abend kam ich in Mian Kotal an – und hörte, daß in der Stadt Kaserun und ihrer Umgebung ein Aufstand ausgebrochen sei. – Um halb drei Uhr, es war noch stockfinster und die Sterne leuchteten, in der für das persische Hochland charakteristischen Klarheit und Pracht, fand der Aufbruch statt, dreißig Gendarmen und zehn Roßknechte hoch, ritten wir aus den Toren der alten Burg, die uns – soviel unser noch übrig waren – in einer weniger fröhlichen Stimmung später schützend wieder aufnehmen sollte. Bei Morgengrauen stießen wir auf den etwa hundert Mann starken Feind und gingen sofort zum Angriff über. Die Aufständischen mit vorzüglichen Gewehren – englischen Fabrikats – (der Aufstand der Einheimischen, vermutlich Arabern, war also von England angestiftet, um der Regierung von Teheran Schwierigkeiten zu bereiten) ausgerüstet, ließen sich jedoch nur auf Plänkeleien ein. Bald mußte drüben Verstärkung angekommen sein, denn das Feuer verschärfte sich merklich. Wir hatten schon einen Leicht- und einen Schwerverwundeten. Gegen Mittag hatten wir plötzlich einen drei- bis vierhundert Mann starken Haufen gegenüber. Unter diesen Umständen schien ein Durchbrechen nach Kaserun, wo ja noch mehr Aufständische lagern mußten, aussichtslos. Der Rückzug begann. Am Anfang war er nicht sehr beschwerlich, obgleich unsere Verluste sich mehrten, dann aber kam das stundenlange Klettern den steilen Kotal hinauf, der Feind uns immer auf den Fersen. Schließlich war nirgendsmehr Deckung zu finden. An den kahlen Felsen emporklimmend wurden unsere Leute abgeschossen, wie man die Fliegen an der Wand totschlägt. Dabei mußten wir in dem glühenden Sonnenbrand die Schwerverwundeten wie Sandsäcke hinter uns herschleifen. Einer von ihnen starb unterwegs. Um halb sieben Uhr erreichten wir endlich zu Tode erschöpft den schützenden Wald und ein paar Minuten darauf die Tore des Forts. Elf Tote mußten wir zurücklassen. Wir waren geschlagen, aber trotzdem: die Truppe hatte mit einer bewunderungswürdigen Disziplin und Bravour gefochten, wie ich sie Persern nie zugetraut hätte, aber es waren eben Perser unter schwedischer Leitung!

Im Kastell angelangt, verbanden wir, so gut es uns möglich war, die Verwundeten, dann wurden die kärglichen Mundvorräte bis zum letzten Rest verzehrt. Den brennenden Durst zu löschen, war unmöglich, da auf jeden Unverwundeten nur ein Glas Tee kam. Die Rebellen hatten zwar nicht gewagt, uns bis unter die Tore des Forts zu verfolgen, doch mußte man mit einem nächtlichen Überfall rechnen, weshalb verschärfte Wachen auf dem Dache aufgestellt wurden. Plötzlich, es mochte gegen acht Uhr abends sein, nahm ein anderes Ereignis unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Ein nach hunderten zählender Schwarm von Nachtigallen fiel in den Wald ein und suchte sich, auf dem Heimwege von Süden nach Norden begriffen, ein geschütztes Nachtquartier. Wir waren zu übermüdet, um uns weiter um unsere kleinen gefiederten Gäste zu kümmern, und nach wenigen Minuten schlummerte der Major und ich ins Land der Träume hinüber. Plötzlich ein ohrenbetäubendes Gezwitscher, wir fahren aus dem Schlaf empor und im Augenblick ist uns klar: Die Nachtigallen sind aufgescheucht, der Feind versucht uns zu überrumpeln. Schon zeigen sich die ersten schattenhaften Umrisse von Menschen am Rande des Busches, da krachen unsere Alarmschüsse. Blitzschnell ist alles auf den Beinen. Hinter den Mauerzinnen gedeckt eröffneten wir ein rasendes Schnellfeuer. Jetzt gilts heimzahlen. Das Gefecht dauerte keine zehn Minuten, dann war der Feind in wilde Flucht geschlagen. Die Gänse haben das Kapitol, die Nachtigallen Mian Kotal gerettet. Für das Land des Hafis sicher ziemlich stilvoll!

Am nächsten Morgen erhielten wir Nachricht, daß Kaserun von Süden her entsetzt worden sei, allerdings sei der Kommandant, Major Olson, gefallen. Der Weg war also frei und darum ritt ich noch am selben Vormittag unter starker Bedeckung den von gestern her übel bekannten Pfad weiter, den Kotal hinab, bis sich die weite Talebene oder besser Terrasse von Kaserun vor meinen Blicken öffnete. Die Gegend ist wie mit einem Zauberschlage verändert, sie nimmt den Charakter der nordafrikanischen Oasenlandschaft an, das ist nicht mehr Asien, das ist arabisches Afrika. Hier sind die Bewohner auch großenteils keine Schiiten, sondern Sunniten, man sieht den roten Fez und weißen oder grünen (Nachkomme des Propheten) Turban weit häufiger als die triste persische Filzkappe.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichte ich das ganz einer arabischen Wüstenstadt gleichende Kaserun, dem man übrigens von den Kämpfen der vorhergehenden Tage nichts mehr anmerkte. Vor den Stadttoren begegnete mir hoch zu Roß, von Dienerschaft und Gendarmerie geleitet, eine hochgewachsene, blonde Europäerin, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Blick so voller Stolz und Entsagung, daß ich ihn nie vergessen werde. Es war, wie ich später erfuhr, die Witwe des Major Olson, des toten Kommandanten von Kaserun, die auf der Heimreise nach Schiraz war. Ein wohlgezielter Schuß, der den ahnungslosen Kommandanten in die Stirn traf, gab das Signal zum Aufstand auch im Innern der Stadt. Kurz nachdem man der Witwe die Leiche ihres Mannes ins Haus gebracht hatte, erschienen die persischen Offiziere in heller Verzweiflung bei ihr und fragten, was sie nun tun sollten, es sei alles verloren. Kurz entschlossen übernahm Frau Olson das Kommando, ließ Maschinengewehre aufstellen, die Geschütze laden und verteidigte neben der Leiche ihres gefallenen Mannes sitzend die Kaserne und Festung von Kaserun die ganze Nacht und den nächsten Tag, bis endlich Ersatztruppen unter Major Harald Lundberg eintrafen. Bei letzterem war ich während meines Aufenthaltes in der Oasenstadt zu Gast. Er war sehr niedergeschlagen über die letzten Ereignisse und erklärte deren Ursache folgendermaßen: »Die Engländer wünschen nicht, daß das Land zur Ruhe kommt, um jederzeit einen Vorwand zur Intervention zu haben. Andererseits jedoch müssen wir Schweden ein Gegengewicht gegen die russisch-persischen Kosaken in Nordpersien bilden und ferner hat England ein Interesse daran, daß die britischen Untertanen in Ruhe ihr Schäfchen scheren können. Darum hat man uns hierhergerufen. Merken die Engländer jedoch, daß wir im Begriffe sind, die Rebellen endgültig zu besiegen, so unterstützen sie diese mit Waffen und Geld, nur damit es nie völlig ruhig hier wird. So spielt die britische Politik einmal uns gegen jene, dann wieder jene gegen uns aus. Das Los Olsons wird über kurz oder lang wohl uns allen blühen. England spielt mit uns, wie die Katz mit der Maus!« 1913!

Soweit Carl Mueller.

Einige freilich von den deutschen Weltenwanderern, die ihr Schwert fremden Herren zur Verfügung stellten, haben sich später nach der Heimat wieder zurückgefunden, um fürderhin ihr zu dienen. Nicht selten waren die Erfahrungen, die sie draußen gesammelt, besonders wertvoll und erhöhten den Wert ihrer Persönlichkeiten. So haben der General von Göben, der einst in Paraguay focht, und haben viele Offiziere, die den Kaiser Maximilian nach Mexiko begleiteten, hat der General Falkenhayn, der einst in chinesischen Diensten stand, später für ihr Vaterland gekämpft, eine Leistung, die allerdings bei dem Fremdenlegionär Kirsch durch seine vaterlandsfeindliche Politik in das Gegenteil verkehrt wurde. Consten, der sich in der Mongolei getummelt und sich in die dortigen Wirren gemischt hatte, wurde 1915 damit betraut, eine Expedition nach Afghanistan zu führen. Es ist ihm nicht gelungen, sein Ziel zu erreichen. Wohl aber hat Kapp (dessen Sohn den bekannten Putsch unternahm) mit Waffe und Wort erst den Vereinigten Staaten geholfen, wo er Kongreßmann wurde, und hat nach seiner Rückkehr nach Deutschland als Mitglied des Reichstags seine amerikanischen Erfahrungen nutzbringend verwerten können. Am leichtesten machte sich die Rückkehr zur Heimat bei Offizieren, die in der türkischen Armee gestanden hatten und dann im Weltkrieg wiederum nach der Türkei beordert wurden, so beim bayerischen Graf Preysing, der einen berühmten Patrouillenritt an den Tschataldschalinien ausführte, und General von Lossow, dem ersten Deutschen, der jemals eine türkische Division geführt hat, und der bei Envers Marsche gegen Adrianopel im Frühjahr 1913 mitwirkte.

Ich kenne einen Offizier, der in Neuseeland Schafzüchter oder Schafhirt war, und dann wieder in ein Regiment zu Metz eingestellt wurde, und kannte einen Gesandten, Herrn von Gutschmid, der zeitweilig in Australien in der Verbannung lebte und dann wieder für den diplomatischen Dienst verwendet wurde. Ein Mörchinger Offizier, A. v. G., hat bewegte Schicksale in Amerika gehabt, war Goldgräber in Alaska und wurde dann Farmer in Südafrika, um neuerdings als Offizier am Weltkriege teilzunehmen. Ebenso haben gar manche Herren, die 1900 für die Buren fochten, später in Südwest für ihr eigenes Vaterland gekämpft. Einer der merkwürdigsten unter den Burenkämpfern war Vallentin. Er war zuerst in unserem Kolonialdienst, wirkte in der Südsee und in Kamerun, wobei er gegen seinen Willen – vertrauliche Briefe von ihm wurden von dem Empfänger Giesebrecht veröffentlicht – den Sturz des Kanzlers Leist verursachte, aber infolgedessen selbst den Kolonialdienst verlassen mußte. Er begab sich hierauf ins Transvaal, arbeitete dort als Geometer und wurde Fieldcornet, Anfang 1900, kämpfte mit bei Ladysmith und geriet in englische Gefangenschaft. Er sollte nach England befördert werden; da aber das Schiff vor einem holländischen Hafen Anker warf, stieß er während der Mittagsruhe den englischen Wachtposten, der auf dem Gangbrett stand, ins Meer und entrann auf das Ufer, wo er durch das Betreten holländischen Bodens seine Freiheit wieder erlangte. Als Berichterstatter einer Berliner Zeitung durchschweifte er zwei Jahre lang Südamerika. Zuletzt wurde er Standesbeamter in Berlin; da ihm aber das ruhige Leben nicht zusagte, hat er in einem Anfall von Schwermut Hand an sich selbst gelegt. Andere Burenkämpfer waren der bereits einheimisch gewordene Kapitän Krause und eine Anzahl von reichsdeutschen Offizieren, wie der Oberst Wolf und der Rittmeister von Reitzenstein, Leutnant v. Katte und der Anhalter Offizier Daibel, der gefallen ist (nach anderer Nachricht auf einer ostafrikanischen Pflanzung Beschäftigung fand), und Graf Vitzthum, der zu den Buren eilte, obwohl er eine Tabaksfarm auf britischem Boden, nämlich in Rhodesia, besaß, dem jedoch, das muß rühmend hervorgehoben werden, die Engländer nach seiner Rückkehr zur Farm dies nicht nachtrugen. Reitzenstein erhielt, weil er ohne Urlaub daheim weggereist war, mehrere Monate Festung, konnte aber diese Muße gut benutzen, um einen wertvollen Bericht für den Generalstab zu schreiben. Die Begeisterung für die Buren wurde übrigens auch von anderen Nationen geteilt. Auf dem »Herzog«, auf dem ich nach Delagoa fuhr, waren französische, ungarische und sogar russische Offiziere. Die Seele der ganzen Gesellschaft war Szechenyi. Unter seiner Leitung wurde so mancher fröhliche Kommers im Zwischendeck gefeiert, bei dem der Graf das Transvaallied, den Ruhm der Vierkleur, mit seinem herrlichen Basse zur Freude der Gäste gern anstimmte.

Eine ausgiebige Gelegenheit, Kriegslust auszutoben und die daheim erworbenen Kriegskenntnisse zu verwerten, gab der Kampf um Kuba und die Philippinnen. Am bekanntesten unter den Reisläufern, die im Solde Englands nach Kuba gingen, ist Erwin Rosen geworden. Sein »Lausbub in Amerika« gibt eine klassische Schilderung der Schlacht von San Juan und der Eroberung Santiagos. Man hat, während man sonst ihm guten Glauben zubilligen wollte, gerade die Zuverlässigkeit seiner kubanischen Schilderungen anzweifeln wollen. Da ich aber selbst in der Schlacht von San Juan dabei war, so konnte ich nur sagen, daß Wort für Wort alles richtig ist. Schade, daß sich Rosen nicht über einen Argwohn ausspricht, der damals gerüchtweise aufkam, daß nämlich die Yankees, die tatsächlich zeitweise ihre Linien beträchtlich zurückgezogen hatten und die unter dem gelben Fieber litten, nicht im ehrlichen Kampfe, sondern durch Bestechung des feindlichen Generals Torral das Eiland den Spaniern entwunden hätten. Den Argwohn spricht der Graf Mniszech aus, der als Freiwilliger die Yankees begleitete und dann ein deutsches Büchlein über seine kubanischen Abenteuer veröffentlicht hat. Rosen hat sich später zu einer der häufigen bewaffneten Expeditionen anwerben lassen, die von amerikanischen Kapitalisten unaufhörlich ins Werk gesetzt wurden, um irgendwo in Lateinisch-Amerika zu wühlen und den Weg für einen kapitalistischen Handstreich zu bahnen. So haben der Tabak- und der Zuckertrust in Kuba und Kolumbien, der Standard Oil Trust in Mexiko gewühlt und haben durch Raids zu folgereichen politischen Erschütterungen den Boden vorbereitet. Rosen nebst vielen anderen diente, ohne sich offenbar über die politische Seite seiner Abenteuer viel Sorge zu machen, den Yankees; andere Deutsche traten in den Dienst der lateinischen Freistaaten. So hatte Cipriano Castro, der Diktator von Venezuela, ein kleiner Cesare Borgia, mehrere deutsche Offiziere in seiner Umgebung.

Schreiten wir von den Dschungeln Kolumbiens und Venezuelas zu einer gänzlich anderen Welt, zu den kahlen Steppen und den steinigen Sandflächen der Wüste Gobi! Dort betrafen wir einen Deutsch-Russen, der an Wallensteinische Zeiten gemahnt, wie denn auch sein Gesicht halb an Wallenstein, halb an Gustav Adolf erinnerte.

Aus einer alteingesessenen baltischen Sippe stammend, wurde de Groot als Attaché der russischen Gesandtschaft in Peking zugeteilt. Er verlor diesen Posten. Warum? Sucht die Frau! Nach diesem Abenteuer, das in der Gesellschaft beträchtlich viel Staub aufwirbelte, ging de Groot buchstäblich in die Wüste, nämlich in die Gobi, aber nicht, um Buße zu tun, sondern um sich ein neues Leben aufzubauen, um zu wachsen, um weit mehr an Geld und Einfluß zu erwerben, als er je vorher besessen. Elfmal hat er die Gobi durchstreift und man nannte ihn den ungekrönten König der Mongolei. Er wurde der Träger der Bestrebungen, die von dem Fürsten Esper Uchtomsky ausgingen. Der Fürst wälzte großartige Pläne in seinem Kopfe. Er träumte von einem gewaltigen Großreiche, das den bisherigen Zarenstaat und dazu Indien und Tibet und von China mindestens die Nordhälfte umspannen sollte, träumte von einer seltsamen halb mystischen Religionsgemeinschaft zwischen den Anhängern der griechischen rechtgläubigen Kirche, des Islams und des Buddhismus. Uchtomsky suchte nicht nur mit dem Geghen, dem Oberhaupt der mongolischen Kirche, der in Urga residiert, sondern auch mit dem Dalai Lama selbst in Fühlung zu treten. Baron de Groot nahm in Urga seinen Wohnsitz. Er stellte sich mit dem Geghen, der übrigens ganz entgegen unseren Vorstellungen von der mongolischen Rasse eine Adlernase hat und der gar nicht sehr heilig lebt, zum mindesten sehr viel Champagner trinkt, aufs beste; de Groot vermittelte ferner zwischen der »Semiramis des Ostens«, der Kaiserin Tsü-hsi von China, und der zarischen Regierung. Als der Boxerkrieg ausgebrochen war und die verbündeten Mächte Peking erobert hatten, da flüchtete Tsü-hsi nach der alten Hauptstadt des chinesischen Reiches, nach Sian-fu. Unser Balte war der Briefbote zwischen der Kaiserin und Petersburg. Es scheint, daß die so ehrgeizige alte Dame, da von ihrer Höhe gestürzt, ernstlich daran gedacht habe, den Schutz des Zaren anzugehen und sich und den ihr verbliebenen Teil ihres Landes dem Zaren zu unterstellen. Bei ihren Ostasiaten hätte sie nicht allzuviel Widerstreben gefunden; betrachten doch die Buddhisten den weißen Zaren als die Inkarnation einer buddhistischen Gottheit, sonderbarerweise einer weiblichen, nämlich der Tara. Um seine persönliche Politik wirtschaftlich zu fundamentieren warf sich de Groot auf Handel und Erwerb. Er beutete die Goldminen von Iro aus, in der Nähe von Urga, die um die Wende des Jahrhunderts entdeckt wurden, und zog zu dem Behufe verwegene Burschen aus aller Herren Ländern, darunter Yankees, die Erfahrungen in dem goldreichen Alaska und Kalifornien gemacht hatten, heran. Der Verfasser gegenwärtigen Büchleins hat eine Woche lang unter dieser anregenden, trinklustigen Gesellschaft geweilt, und hat mit ihr den Geburtstag des Zaren gefeiert. De Groot war der Held der »Briefe, die ihn nicht erreichten«. Er selbst war zwar undurchdringlich und schweigsam wie das Grab. Allein ich erkannte den Zusammenhang an einer Kleinigkeit, nämlich an der merkwürdigen Uhr, die in jenen Briefen geschildert wird und die ich in dem Zimmer des Barons vorfand. Auch wurde mir der Zusammenhang später von einem Kenner, der zur fraglichen Zeit in Peking gewohnt hatte, bestätigt. Mein Aufenthalt in Urga fiel in das Ende des Boxerkrieges. Man erwartete allgemein, daß der Eroberung der Mandschurei durch Rennenkampf, die 1900 stattgefunden, nunmehr die Angliederung der Mongolei folgen werde. Auch trafen bereits die ersten Ingenieure ein, Deutsche und Schweden, um die Trasse einer Bahn, die mit russischem Gelde gebaut werden sollte, von Kiachta, der Stadt der Teemillionäre, über Urga nach Kalgan, der ersten chinesischen Stadt – sie liegt an der bekannten Großen Mauer –, zu studieren. Die Bahn ist jedoch lediglich bis Urga gebaut worden. Zur Angliederung der Mongolei wurden zwar entscheidende Schritte unternommen, wie denn schon damals burjätische Kosaken im russischen Auftrage zu Urga garnisonierten, und 1913 war die Mongolei drauf und dran, eine Außenprovinz des Zaren zu werden; schließlich aber hat doch China seine Rechte behauptet.

Wie zur Zeit des Boxerkrieges ein Deutscher die Vergrößerung des Zarenreiches durch die Mongolei zu vermitteln trachtete, eben de Groot, so hat ein anderer baltischer Baron, Ungern-Sternberg, in der Gegend zwischen Urga und dem Baikalsee gegen die Horden des Sowjets gekämpft. Er soll von ihnen besiegt und hingerichtet worden sein. Einige sagen jedoch, er lebe noch. Auch Ungern-Sternberg focht für den Zaren. Von de Groots weiteren Schicksalen habe ich nichts Zuverlässiges erfahren. Es heißt, daß er sich nach Amerika gewandt habe; jedenfalls ist er verschollen. In Urga traf ich damals noch einen deutschen Missionar, der von einer Chinesin zwölf Kinder hatte und selbst ein halber Chinese geworden war.

Nicht erst der Weltkrieg hat die Deutschen durcheinander- und durch aller Herren Länder gewirbelt. Es gab kaum ein Fleckchen der Erde, wo nicht irgendein Landsmann auftauchte. Nicht mit Englisch, nicht mit Französisch, mit keiner anderen Sprache konnte man in der ganzen Welt durchkommen, wohl aber mit Deutsch. Gewiß, an allen Küsten wird Englisch gesprochen oder geradebrecht; dagegen durch Sibirien und durch den größten Teil Lateinisch-Amerikas und Vorderasiens reisend, nützt einem Englisch nicht das geringste. Deutsch leistet da weit mehr! Nur ist das keine ungetrübte Freude; beruht sie doch darauf, daß wir uns zu leicht der Heimat entfremden. Ich habe seinerzeit die Anregung gegeben, das vielbändige Werk der Allgemeinen deutschen Biographie dadurch zu vervollständigen, daß in sämtlichen unseren Niederlassungen außerhalb der schwarz-weiß-roten und schwarzgelben Grenzpfähle Aufzeichnungen über hervorragende und merkwürdige Deutsche gemacht, daß auch die Konsulate angewiesen würden, solche Aufzeichnungen, die in den Klubs und Vereinen leicht und freiwillig erstellt worden wären, zu sammeln; allein die Jagd nach Geld und nach Genuß verschlang alles. Wenn wirklich man sich einmal für historische Forschungen entschloß, so war es hundertmal leichter, Mittel für Ausgrabungen in Babylon oder die Grammatik einer Bantu- oder Indianersprache aufzubringen als für Deutschkunde. Die Altertümer Babyloniens hätten auch noch ein Jahrtausend länger im Boden geschlummert und wären nicht verloren gewesen; dagegen sind die Schicksale von Tausenden unserer Brüder tatsächlich verschollen, und es ist heute schlechterdings unmöglich, greifbare Spuren davon aufzustöbern. Wieviele gescheiterten Offiziere und andere Existenzen wimmelten auf den Diamantenfeldern von Kimberley, auf den Goldfeldern des Transvaals oder verkamen in den Bars von Chicago und Melburn! Glücklich, wer noch einigermaßen sich ein neues Leben zu zimmern verstand. In Südafrika traf ich einen ehemaligen deutschen Offizier, der für einen Buren Pferde zuritt, einen anderen, der Anstreicher geworden, einen dritten, der Barkeeper war, einen vierten, der bald als Tagelöhner, bald als Kellner, bald in einem anderen Berufe sich durchschlug. In Amerika stieß ich auf ähnliche Männer aus guter Familie, die Zigarren verkauften, die in Brauereien oder auf Farmen arbeiteten. Manche hatten ihre gesellschaftliche Stellung behauptet und waren Journalisten geworden. So ein Bruder des Grafen Häseler, der unter einem anderen Namen die Zeitung »Herold« in Milwaukee leitete, sonst aber wie ein Edelmann lebte, und sich sogar arabische Vollblüter hielt. Auch mit manchem Abschaum kam ich zusammen, mit Anarchisten in Detroit, mit entlaufenen Matrosen in der Bowery und dem Tenderloin von Neuyork. Einst fuhr ich mit einem üblen Gesellen, der vom Transvaal kam und der aufs Geratewohl nach Borneo ging, weil er gehört hatte, daß dort aussichtsreiche Diamantenfunde gemacht worden wären, einem vaterlandslosen Kerl, der auf alles deutsche schimpfte. Wenn man einerseits leider nur zu oft die Erfahrung machen mußte, daß deutsche Söhne mit Verbitterung und Groll ihrer großen Mutter gedachten, so habe ich doch andrerseits oft gefunden, daß gerade Männer, die Jahrzehnte im Ausland gelebt hatten, sich immer abgünstiger über ihre neue Heimat aussprachen und immer sehnsüchtiger der alten gedachten. Solcher Art war der Pfälzer Castelhun, der größte Dichter, den die Deutsch-Amerikaner hervorgebracht haben. Auch ihn hat die Abenteuerlust nicht glücklich gemacht. Er betrieb als Arzt eine glänzende Praxis in St. Louis. Als er 300 000 Dollar erspart hatte und sich mit der Absicht trug, dauernd heimzukehren, da ließ er sich zu Goldminenspekulationen verleiten und verlor alles. Hierauf siedelte er nach San Franzisko über und gründete sich dort abermals eine ärztliche Praxis. Bis zu seinem Lebensende ließ ihn jedoch der Spielteufel nicht mehr los; er kaufte alle Lotteriepapiere, die ihm nur angeboten wurden, und verlor regelmäßig.


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