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XVI.

Indes ritten die drei über die Felder. Herr von Münstermann wollte dem jungen Nachbarn Brünnau zeigen. Brünnau hatte vor allem herrliche Waldungen, einige hundert Morgen Wald gehörten zum Gute und was für Wald! Jetzt nahm der kühle Schatten die Reiter auf und mit einem weiten Atemzuge zog Käte den frischen Hauch des Waldes ein.

Ein schmaler Waldweg war's nur mit einem Wagengeleise. Rechts und links hohe Buchen mit vielem Unterholz, hohe Farnkräuter und Ebereschensträucher. Hin und wieder am Wege einige Edeltannen. Dann wurde der Wald lichter. Das Unterholz hörte auf und nur hohe Buchenkronen wölbten sich über ihnen. Der Waldboden war bedeckt mit totem, fahlem Laub, aber oben da war es grün und frisch. Ein Bild des Lebens! Das Neue, das Lebensvolle erwächst aus dem toten Laube der Vergangenheit.

Die Reiter waren mit ihren Gedanken beschäftigt, kaum ein Wort unterbrach das Schweigen, man hörte nur das leise Schnaufen der Pferde. Den Schall der Tritte dämpfte der weiche Waldboden.

Sonnenlichter spielten zwischen den Bäumen, sie spielten hinein auch in die Herzen der drei Menschen. Sonnenglanz webte sich um die Seelen der beiden Jungen und auch der Alte spürte ihn noch einmal nach langen Jahren. Der Sohn war zurück. Nun mußte alles gut werden! Der Heimatboden nahm ihn auf, die kräftige Heimaterde seines lieben Pommerlandes, da mußte er gesunden in Wind und Sonne, in Feld und Wald! Und die beiden Jungen? Ihnen schien die Sonne gerade ins Herz. Und aus dem Herzen strahlte sie wieder heraus durch die Augen. Die suchten und fanden sich und wußten sich ohne Worte so viel zu sagen.

Aber nun hatte Herr von Münstermann lange genug geträumt. Das war sonst seine Art gar nicht.

»Kinder!« rief er, »Kinder, nun aber mal ein bißchen Galopp, frisch, was die Gäule laufen können!«

Das ließ sich Käte nicht zweimal sagen und voran flog ihr flinker Renner, der erste in der Reihe.

Leben, Leben, wie bist du so schön!

*

Nach herrlichem Ritt von fast zwei Stunden kehrten Herr von Münstermann und Käte nach Brünnau zurück.

Klaus Meinhardt hatte sich schon an der Freiwalder Grenze verabschiedet. Aber vorher hatte ihn der alte, liebenswürdige Herr eingeladen, oft und bald wiederzukommen. Er müsse seinen Sohn auch kennen lernen, und der könne nur gewinnen im Umgang mit solch einem netten, frischen Menschen, wie er sei. Nur zu gern hatte Klaus Meinhardt zugesagt, denn Brünnau, das bedeutete für ihn Käte. Aber auch der liebenswürdige alte Herr hatte es ihm angetan!

Er selbst war ja ein Kind der Arbeit und die vornehm leichte Art des Landedelmannes war ihm fremd, die Sicherheit, die altangestammter Besitz, die das Herrsein auf eigenem Grund und Boden gibt. Aber er fühlte sich angezogen von des alten Herrn leichter Art und für Frau von Münstermanns stilles Dulden hatte er tiefste Verehrung. Seine Sicherheit war die Folge tüchtiger Arbeit, der der Erfolg zur Seite stand.

Als Sohn eines kleinen Beamten und als strebsamer Schüler der Volksschule gelang es ihm, mit fünfzehn Jahren als Lehrling in einer großen Fabrik für elektrische Maschinen unterzukommen. Er war gewissenhaft und intelligent, und was ihm sonst fehlte an Schulbildung, ersetzte sein glühender Wissensdrang. So kam er vorwärts, gewann das Vertrauen seines Chefs und wurde bald als Arbeiter, später als Leiter von elektrischen Anlagen, Straßenbahnen und dergleichen ins Ausland geschickt.

Hier lernte er andere Sitten, Sprachen und Künste kennen, kam von Turin in Oberitalien nach Japan, von Japan nach China. Er stieg im Gehalt und wurde endlich Teilhaber. Da erwachte die Lust in ihm nach eigenem Besitz, nach einem Heim, wo er bleiben und wohnen konnte, fern von dem Geräusch der großen Stadt. Ihm wurde Freiwalde angeboten, und das reizende Fleckchen Erde tat es ihm an. Er wurde Besitzer und befriedigte nun auf eigenem Grund und Boden seinen Tätigkeitstrieb durch die Neubauten und die Fabrikanlagen.

Er hoffte, aus Freiwalde einen großen, stattlichen Besitz zu machen, immer schaffend, immer erweiternd.

Vor kurzem hatte er ein Kalklager gefunden, das auch verwertet werden sollte. Über den Ankauf der dazu nötigen Maschinen unterhandelte er bereits.

In dieses Leben der Arbeit war bis jetzt noch kein Weib von Bedeutung für ihn eingetreten. Früher waren ihm die Mädchen seines Standes zu ungebildet, da er selbst seine Kenntnisse mehr und mehr erweiterte. Später fehlte ihm die Gelegenheit, andere Mädchen kennen zu lernen. So war Käte das erste weibliche Wesen, das in sein Leben eintrat als vollberechtigte Persönlichkeit, als ein Mädchen, an dem man nicht gleichgültig vorbeigeht.

Nicht allein, daß Käte schön war, das waren andere auch, nein, daß sie strebte und kämpfte, wie er gekämpft hatte, daß sie siegen würde über widrige Verhältnisse, wie er gesiegt hatte, daß sie sich ihr sonniges Wesen nicht dadurch rauben ließ, wie er nie seinen Mut verloren hatte, nie müde und schlaff geworden war.

Sie waren verwandte Naturen, das fühlte er, Vollmenschen, keine krankhaft veranlagten oder krank gewordenen Modemenschen.

So zog ihn sein Herz mächtig zu Käte hin, und daß sie ihn auch verstand, glaubte er zu fühlen. O, daß es Liebe werden möchte!

*

Ob Käte ihn verstand? O nur zu gut! Wie jubelndes Entzücken war es durch ihre Seele gezogen. Sie zitterte, wenn er kam, sie wurde still, wenn er gegangen. Und Käte wußte es bald genug, das war Liebe. So mußte sie kommen, so stürmisch und jubelnd, so sonnig und strahlend, so siegessicher und glückverheißend. Und sollte es das Schicksal so gut mit ihr meinen? Sollte ihr Gott wieder schenken wollen, was ihnen genommen wurde, Freiwalde? Sollte sie auf dem so verschönten, jetzt so herrlichen Freiwalde als glückliche reiche Frau einst Herrin sein! Es war kaum auszudenken, dieses Glück, und sie schloß oft schwindelnd die Augen. Dies Glück wäre zu groß für sie. Hätte sie das verdient? Und was würden die Eltern sagen? Daß sie den Mann, den ihre Käte mit allen Fasern ihres Herzens liebte, immer freundlich aufnehmen würden, wenn er nur ein ehrenhafter, guter Mensch war, das wußte sie, daß sie aber dem Besitzer ihres alten Freiwalde ihr Kind noch einmal so gern, noch einmal so dankbaren Herzens geben würden, das war doch gewiß.

In den letzten Tagen war ein leiser Schatten auf ihre Hoffnung gefallen. Sie wußte selbst nicht recht, was es war. Es war wie eine Ahnung von Unheil und sie kam von Frau von Münstermann.

Zuerst hatte auch diese den Fremden gern kommen sehen, sie war freundlich und gütig gegen ihn gewesen, sie hatte auch mit Anerkennung von seiner Tüchtigkeit, von seiner Bildung, von seinem tiefen Kunstverständnis gesprochen.

Jetzt schien sie nicht mehr erfreut, wenn sein Rappe auf den Hof trabte, jetzt forderte sie ihn nicht zum Wiederkommen auf und das letztemal hatte sie bei seinem Besuch entschieden manches an ihm mißbilligt und ihn das auch fühlen lassen.

Ahnte die Mutterliebe, was diese Besuche für ihren Sohn waren? Ahnte sie die Qualen, die er litt, wenn er als dritter mit den beiden glücklichen Menschen durch den Garten wanderte?

Und doch wollte er Käte nicht mit ihm allein lassen. Eins war es allerdings, worin er den stattlichen, kräftigen Mann überflügelte, das war die Kunst, zu plaudern. Von einem Stoff zum anderen überspringend, von Büchern besonders in fesselnder Art zu erzählen, von neuen Gemälden farbenreiche Schilderungen zu entwerfen, das verstand er wie kein zweiter.

Und was hatte er nicht alles gelesen? Während seiner Krankheit waren ihm vorübergehend die Bücher genommen worden, aber in letzter Zeit hatte er wieder alles Neue gelesen, und er urteilte geistreich, scharf und klug. –

Käte kannte auch kaum einen größeren Genuß, als ein herrliches Drama oder ein schönes Bild, und wenn es auch Klaus Meinhardt ebenso empfand, verstand er es doch nicht, so darüber zu sprechen.

Wenn Friedel die Unterhaltung mit seinem glänzenden Plaudertalent wie ein Raketenfeuer hatte sprühen und funkeln lassen, dann färbten sich seine sonst so fahlen Wangen, seine Augen bekamen Glanz und Leben, und Käte fühlte wieder die alte Freundschaft für den Jugendgespielen, die alte bewundernde Kinderfreundschaft, die immer von dem älteren und klügeren Gefährten gelernt hatte.

Dies Gefühl hatte mit Liebe nichts zu tun. Es war ruhig und kühl, still und freundlich. Aber es beglückte Friedel unendlich, wenn er merkte, daß er Kätes Gedanken dieselben Wege führte wie die seinen, daß er verstand, ihren Geist zu lenken.

Wenn aber Klaus Meinhardt mit Käte und ihrem Onkel durch die Felder streifte zu Fuß oder zu Pferde, dann blieb er mit der Mutter zu Haus, dann kostete er alle Qualen der Eifersucht durch und fühlte sich elend und jammervoll wie nie.

Dann streckte er sich auf den Liegestuhl, fast fiebernd vor Ungeduld, unfähig selbst zum Denken. Die alten Kopfschmerzen marterten ihn, alle bösen Geister, die vertrieben schienen in Kätes Gegenwart, kamen zurück und peinigten ihn. Dann dachte er daran, was Schopenhauer über den Selbstmord sagte, daß er eine Tat der Befreiung sei! Dann flogen Nietzsches Lehrsätze durch seinen Sinn. Er bemühte sich, die Gedanken dieser beiden Philosophen über das Weib auf Käte anzuwenden, doch es wollte eben nicht gehen, es stimmte nicht.

Kätes reine, klare Persönlichkeit trat zu siegreich, zu sonnig hervor und selbst ihre Fehler, ihr manchmal zu rasches Urteil über Menschen und Dinge, ihr kurzes Aufbrausen zuweilen erschien ihm nur als eine Ergänzung ihrer ganzen kraftvollen Persönlichkeit.

Und er quälte sich selbst und marterte sich, bis die drei Reiter zurück waren, bis Käte an seinem Lager stand und mit zärtlich liebevollem Blick nach seinem Befinden fragte.

Heute waren sie gar so lange fortgeblieben, heute war ihm die Zeit endlos lang geworden, und als endlich unten die Stimmen erschallten, da klang ein so fröhliches Lachen herauf zu ihm und Klaus Meinhardts:

»Auf Wiedersehen also bei mir!« klang so siegessicher, daß Friedels Herz wie mit Klammern zusammengepreßt wurde.

Da trat Käte herein, allein, denn Herr von Münstermann war noch in die Ställe gegangen.

Ihre Wangen glühten von der Luft und vielleicht von Erregung, und als sie an den Liegestuhl herantrat, streckte er ihr seine heiße Hand entgegen. Kätes Hand wurde mit fieberischem Druck festgehalten und Friedels brennende Augen hafteten auf ihrem Gesicht wie prüfend und fragend.

Käte wandte den Blick ab. Ihr wurde so angst, und sie stammelte verwirrt: »Was hast du, Friedel? Hast du Schmerzen?«

»Ja, Käte,« murmelte er dumpf. »Schmerzen um dich! Käte, weißt du eigentlich, was du mir bist, weißt du's?«

.

Käte zwang sich zum Lachen. »Deine alte Freundin, hoffe ich,« sagte sie fröhlich, aber ihre Stimme zitterte dabei.

»Meine Freundin, nein, Käte, ich will mehr! Ich will keine matte Freundschaft, ich kann nicht teilen. Alles will ich oder gar nichts. Aber wenn es nicht alles sein kann, dann wollte ich, ich hätte damals besser getroffen. Käte, so sprich doch!«

Noch einmal versuchte Käte, ihn abzulenken: »Friedel, du hast wieder zu viel gelesen. Du regst dich auf! Gewiß bin ich dir gut. Aber willst du nicht aufstehen? Der Onkel würde dich so gern endlich in die Landwirtschaft einführen. Du sollst doch einmal Herr in Brünnau werden. Raffe dich auf, und du sollst sehen, alle Grillen vergehen.«

»Ja, Käte, ich will, sobald du mir helfen willst. Ich werde nur wieder krank und elend, wenn du fort bist, wenn du mit jenem –« Er stockte, als er die glühende Röte sah, die in ihre Wangen stieg. »Käte, großer Gott, Käte! Du liebst ihn? Was ist dir dieser Fremde?«

Er sprang auf und wollte sie festhalten. Aber wie der Wind war Käte aus dem Zimmer.

Oben in dem reizenden Fremdenstübchen, das sie schon seit Jahren immer bei ihrer Anwesenheit in Brünnau bewohnte, sank sie vor ihrem Bett in die Knie. Verzweifelt ließ sie den Kopf auf die Bettkante sinken. Was hatte sie hören müssen! Wie ein Sturm brauste die Erkenntnis über sie hin, daß Friedel sie liebte.

Was sollte nun aus ihrem Glück werden? Hatte sie sich nicht geschworen, was sie dazutun konnte, mitzuwirken, daß er gesund würde? Und nun wollte er ihre Liebe als Preis für sein Leben! Sie sollte die Hilfe sein, sie selbst die, welche ihn zur Gesundheit zurückführte?

Und Tante Münstermann, die schon so hart geprüfte Mutter, die Frau, der sie so viel Liebe dankte, die sollte auch durch Kätes Liebe erst ganz den Sohn zurückerhalten. Oder er würde ihr von neuem genommen.

Käte wußte, daß schon früher Herr von Münstermanns größter Wunsch war, Käte seine Schwiegertochter zu nennen. Es war oft im Scherz davon die Rede gewesen zwischen den beiden Vätern.

Als dann Friedels schreckliche Krankheit kam, da war das zu Ende, da wurde nie mehr davon gesprochen. Und dann kam Klaus Meinhardt und mit ihm trat ein Gefühl in Kätes Leben, das sie noch nicht gekannt hatte, ein Gefühl, das so verschieden war von ihrer Kinderfreundschaft, die sie mit Friedel und ebenso mit Kurt verband.

All das Glück der letzten Tage stieg wieder vor ihr auf, all das stille Hoffen, all das selige Harren.

Und nun sollte das alles aus sein?

Kätes Herz bäumte sich auf gegen den Zwang. Nein! Sie wollte glücklich sein! Was sollte ihr der kranke Mensch, der auch noch zu jung war, um sich zu binden! Der blühende, frische, tatkräftige Mann, so wie Meinhardt es war, das war eine Stütze für ein Weib, für das Leben. Aber bedurfte sie der Stütze? Konnte sie nicht Halt und Stütze sein für den ohne sie haltlosen Jugendfreund? Er war ihr ja lieb gewesen, so lange sie denken konnte, sie hatte um ihn gesorgt und gebangt, während er fort war, sie hatte gejubelt, als er zurückkommen sollte.

Wäre der andere nicht gekommen, sie hätte es als das größte Glück ihres Lebens angesehen, in Brünnau der gute Engel zu sein, Friedel glücklich zu machen und durch ihn seine Eltern.

Ihr alter Wahrspruch fiel ihr ein: »Mein Glück, meine Pflicht.«

War es auch das rechte? War es auch das wahre Glück?


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