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XII.

Auch in Brünnau und Zossen hatte die Zeit nicht stillgestanden. Auch hier in diesem stillen Weltwinkel war sie ihren Weg stetig weitergegangen. Frau von Münstermanns Haare hatte sie gebleicht und die große Gestalt des Hausherrn hatte sie merklich, langsam, aber sicher gebeugt.

Der Hüne war noch immer eine markige Erscheinung, und seine laute Stimme schallte noch immer befehlend über Hof und Feld. Aber für die, die ihn lieb hatten und ihm sehr nahe standen, war eine deutliche Veränderung mit ihm vorgegangen.

Und war es zu verwundern?

Der Sohn und Erbe war noch immer fern vom Hause. Erst war er ein Jahr lang in Boppard, die guten Bäder, das Leben in dem großen, schönen, stillen Park an der Berglehne taten ihm gut, aber er war ja nicht allein dort. Die vielen Kranken, Morphiumsüchtige zumeist, Nervenkranke, sogar Trinker, regten ihn auf, und was die Kur gutmachte, verdarb das Zusammenleben mit diesen wieder. So kam er zu einem Arzt im schönen Harzgebirge. Hier war er allein, aber hier fehlte die strenge Aufsicht, er verstand, sich wieder Bücher zu verschaffen, die alten Einflüsse wurden wieder mächtig, und nach Ablauf von zwei Jahren war man ebensoweit wie zu Anfang! Die Briefe der Eltern wurden ungelesen verbrannt.

Der Weihnachtsaufbau, den die Mutter mit liebender Hand ausgesucht und zusammengepackt hatte und den ihm die Frau Doktor ausgestellt hatte, wurde keines Blickes gewürdigt.

Er machte sich durch die wahnsinnige, geistige Erregung auch körperlich wieder krank und verweigerte schließlich jede Nahrungsaufnahme.

Man war genau so weit, wie im Anfang der Krankheit.

Man brachte ihn nach Konstanz am Bodensee.

Der ausgezeichnete Arzt, der ganz besonders begabt war für den Verkehr mit diesen Kranken, verstand, ihn für sich zu interessieren. Er lernte dem Arzt glauben, er lernte ihm vertrauen, und dieser führte ihn langsam, aber sicher seinem Ziele, der endlichen Genesung, entgegen.

Bis jetzt aber wagten die Eltern der frohen Botschaft noch nicht zu glauben.

Drei Jahre, drei lange Jahre war Friedel jetzt fort, und dabei keine Zeile von seiner Hand, kein freundlicher Gruß, kein Liebeswort gekommen!

Kätes Ferien waren die Lichtpunkte der Jahre gewesen.

Da kam Käte zu ihnen und mit ihr Fröhlichkeit und Sonnenschein.

»Unser Ferienkind!« Wenn sie das sagten, da lag eine Welt von Liebe darin.

Und Käte empfand ebenso die Ferien als die Glanzzeit ihres jetzt so ernsten, arbeitsamen Lebens.

In Brünnau lebte sie auf. Da ritt sie mit Onkel Münstermann auf die Felder, wenn sie auch für ihren Pony jetzt zu groß geworden war, so fand sie ihn doch dort wieder. Er war Wagenpferd geworden und machte kleine leichte Fuhren zur Stadt. Sie streifte mit dem Onkel durch die Kartoffelfelder und begleitete ihn auf die Hühnerjagd, alle zurückgedämmte Liebe fürs Land kam wieder zum Vorschein.

Käte würde nie ein rechtes Stadtkind werden.

Auf dem Lande, wo sie geboren und erzogen, wurzelten alle ihre Lebensfäden, sie hing an den weiten Ebenen Pommerns, an dem see- und waldreichen Lande mit seinen herrlichen Sonnenuntergängen, mit seinem wunderbar schönen Herbste mit ganzer Seele! Herbstfärbung und Herbstlaub in Pommern, vom glühendsten Rot bis hellsten Gelb sucht seinesgleichen in ganz Deutschland.

And die pommerschen Winde? Die kümmerten sie nicht! Ob sie sie zausten, ob sie ihr die Haare lockerten und das Kleid blähten, nur voran! Das stählte den Körper, da fühlte sie ihre Jugend, ihre frische, energische Kraft doppelt!

Und das Wiedersehen mit Zossen!

Wie sich die Kusinen in die Arme flogen! Und wie Kurt strahlte, wenn Käte von Brünnau herüberkam!

Kurt war Ingenieur geworden und auch Fritz machte sich gut. Er hatte ja auch ein ernstes Memento mori mit ins Leben genommen und das war der Punkt, der auch Käte jedesmal, wenn sie Zossen betrat, wieder mit Schmerz berührte: Elly! Das schöne, rührend schöne Mädchen, das da im Rollstuhl im Garten gefahren wurde und das Tag für Tag auf ihrem Lager ruhte oder auf dem Liegestuhl auf der Veranda, aber immer liegend, immer gefesselt an ihr Lager! Dort war zugleich der Friedenshort, die Stelle, wo alle sich zusammenfanden, wo sie sich trafen nach des Tages Arbeit und Zerstreuungen.

Hier liefen immer wieder alle Fäden des Haushalts zusammen.

Und es war, als ob hier nie ein lautes, heftiges Wort fiele, als ob alle sich hier bemühten, freundlich und gleichmäßig zu sein.

Ellys verletzter Fuß war nicht wieder brauchbar geworden. Die zerrissenen Sehnen hinderten die Benutzung.

Und auch eine innere Verletzung in der Hüfte, die anfangs kaum beachtet worden war, trat dazu. Elly war verurteilt, immer zu liegen. Vielleicht nach Jahren, hatten die Ärzte gesagt, vielleicht, wenn sie viel älter geworden, konnte sie noch einmal wieder gehen lernen.

Sie hatte sich in ihr Geschick gefunden und war so dankbar für alle die Fürsorge, die ihr gewidmet wurde. Sie wußte so strahlend zu lächeln, wenn man ihr Blumen und Früchte brachte, daß alle wünschten, dieses glückliche Lächeln hervorzurufen. Am meisten Anneliese, die ganz für die Schwester lebte.

Und Freiwalde?

Es war kaum wiederzuerkennen. Der jetzige Besitzer hatte das alte Landhaus, das Herrn Stein schon damals nicht gefallen, abgerissen und ein neues großes, schloßartiges Wohnhaus aufbauen lassen. Vor dem Schloß war ein Teich ausgegraben, und auf einem Inselchen in der Mitte warf ein Springbrunnen spielend seine Strahlen in die Höhe.

Was die Leute von dem Glanz innen im Hause, von der Pracht der Einrichtung erzählten, das grenzte ans Märchenhafte.

Er hatte vor kurzem in Zossen Besuch gemacht und war ein junger Mann mit angenehmem Wesen, höflich und doch zurückhaltend, durchaus nicht Protz, wie Baron Lankwitz zuerst dachte.

Lankwitz hatte den Besuch erwidert und war erstaunt von der Pracht und der Schönheit der ganzen Besitzung.

Im alten Park waren Lichtungen ausgeschnitten, die schöne Ausblicke auf das Schloß oder auf See und Wald gestatteten. Im Vordergrund waren köstliche Rasenplätze entstanden mit Beeten voll seltener Blumen und Pflanzen. Ein neues Treibhaus war gebaut worden und versorgte die Veranda stets mit frisch blühenden Blumen.

Nur hinten im Park war die alte Wildnis erhalten geblieben, und sie wirkte doppelt poetisch nach der Verschönerung in der Nähe des Hauses.

Die schönen Pferdeställe beherbergten Rassepferde und einen wundervollen Viererzug von Goldfüchsen. – Lankwitz fand kein Ende mit Erzählen.

Käte, die nach bestandenem Examen sich in Brünnau erholen sollte und wirklich ein wenig angegriffen aussah, hörte diese Erzählungen mit Herzweh und Tränen. Ihr Freiwalde, ihr liebes, einfaches Freiwalde war so verändert, so prunkvoll geworden!

Ach, wäre es noch ihr Freiwalde, wie gern hätte sie noch jahrelang in dem trauten, alten Hause mit den behaglichen großen Stuben gelebt! – Im alten, lieben Park, mit den im Sommer oft ganz verbrannten braunen Rasenflächen, auf denen dann der Hahnenfuß so üppig wuchs. Was tat das? Das gelbe Gewoge war hübsch im Frühling, wenn es auch nicht kunstgerecht war. Und dann die Fliederblüten! Konnte der Flieder irgendwo in der Welt so üppig blühen? Gerade in der Nähe des Hauses hatte der meiste Flieder und Goldregen gestanden, und der hatte wohl auch dem Beile fallen müssen, wenn jetzt um das neue Schloß herum alles so frei und licht war.

Käte war diesmal nicht ganz so frisch wie sonst in den Ferien. Sie war angegriffen von dem Examen und auch noch verstimmt von den Eindrücken jener Begegnungen mit dem Studenten Stein.

Münstermanns fühlten es, aber sie ließen Käte schweigend gewähren. Hier würde sie schon wieder gesund werden, hier würden die Farben schon wieder auf die Wangen zurückkehren, hier lernte sie auch wieder so hell und fröhlich lachen, wie nur Käte lachen konnte.

Sie ritt viel allein aus. Auf dem Rücken des Pferdes wurde ihr wieder frei und leicht, da schüttelte sie alle unangenehmen Eindrücke ab!

Brünnau, Zossen, das Stadtgebiet, alles hatte sie schon durchstreift.

An der Freiwalder Grenze machte sie immer ängstlich kehrt. Da hieß es eines Tages, der Besitzer wäre verreist, er wäre in Berlin, und als sie am nächsten Tage wieder an jenen Grenzgraben kam, über den damals vor Jahren Herr Stein hinübergesprungen, da war es, als gäbe eine unsichtbare Hand ihrem Zügel einen Ruck.

Der Gaul flog mit flottem Sprung hinüber, sie ritt weiter, langsam, träumend, es war das erstemal seit drei Jahren, daß sie Freiwalder Boden besuchte.

Da war der Brombeerstrauch, von dem sie zur Zeit der Haferernte stets solche Massen schöner, schwarzer Früchte abgepflückt hatte.

Da war das kleine Buchenhölzchen, wo die vielen Eierpilze wuchsen. Hier zweigte die Kirschenallee nach Brünnau ab, aus der sie so oft entlanggeritten war, als Kind und als Mädchen, und da schimmerte der See so blau herüber, so tief dunkelblau. –

Käte ritt wie im Traum.

Das war ihr altes Freiwalde. So stand es in ihrem Herzen für ewige Zeiten.

Der Zügel lag sehr lose in ihrer Hand. Sie ließ das Pferd gehen, wie es wollte.

Plötzlich erfolgte ein Ruck.

Der Gaul sprang zur Seite und stand dann kerzengerade auf den Hinterbeinen.

Käte faßte erschreckt die Zügel fester.

Aber es war fraglich, ob sie bei dem plötzlichen Ruck den Sitz behalten hätte, wenn nicht eine Hand, eine kräftige Männerfaust vorn in die Zügel gegriffen hätte.

Das Pferd sprang noch einmal zur Seite, aber die Hand hielt fest, und zitternd am ganzen Leibe blieb das Tier stehen.

Käte wußte noch gar nicht, was ihr geschehen war.

Auch sie zitterte und starrte den unbekannten Retter mit großen, erschrockenen Augen an.

Übrigens war dieser Retter auch zunächst die Ursache gewesen, daß das Pferd so erschreckt zur Seite prallte.

Er war so unerwartet hinter einem Strauch hervorgetreten, daß das etwas nervöse Tier, dessen Reiterin nicht achtgegeben hatte auf die plötzliche Störung, so rasch alle Leitung verlor.

»Verzeihen Sie, mein gnädiges Fräulein, daß ich die unschuldige Ursache dieses kleinen Schreckens war! Gottlob, daß es gut ablief.«

Käte sprach noch immer nicht, die ganze Erregung des Augenblicks nach der vorhergehenden, träumenden, tief schmerzlich bewegten Stimmung kam zu plötzlich.

Sie, die so lange Jahre die schwierigsten und oft gefährlichsten Ritte gemacht hatte, ohne jemals den Kopf zu verlieren, von der Onkel Münstermann sagte: »Das Mädel reitet wie ein Daus und sitzt auf dem Gaul wie eine Puppe!« – sie brach plötzlich in bitterliches, ganz haltloses Schluchzen aus.

So hatte sie nicht geweint seit dem Tage der Versteigerung, als sie ihren Pony verlieren sollte.

Sie weinte so herzbrechend und fassungslos, daß der Fremde ganz ratlos dabeistand und nicht recht wußte, was er sagen sollte.

Auf einmal flog ein Gedanke durch seinen Kopf: »Das ist Fräulein Folkert, die Tochter des vorigen Besitzers. Das muß sie sein!«

Deshalb das traumverlorene Reiten! Deshalb dies bitterliche Schluchzen!

»Gnädiges Fräulein, wollen Sie nicht einen Augenblick absteigen, sich erst zu beruhigen? Darf ich Ihnen behilflich sein!«

Mit ruhiger Selbstverständlichkeit half er ihr aus dem Sattel.

Käte ließ willenlos alles mit sich geschehen.

Sie setzte sich auf einen Stein am Wege und der Gedanke durchflog sie, daß unfehlbar an diesem Stein ihr Kopf aufgeschlagen wäre, wenn nicht diese kräftige Hand in den Zügel gegriffen hätte.

Aber wäre es nicht ganz gut gewesen? Was würde ihr Leben sein?

Eine Kette von Mühe und Arbeit, eine endlose Reihe von Enttäuschungen! Das Leben einer armen Lehrerin oder gar der Erzieherin in vornehmem Hause, den Dienstboten gleichgerechnet, schlecht behandelt von den Erwachsenen, gequält von den Kindern, höchstens verehrt von dem Sohne des Hauses. Aber was dürfte der ihr sein?

Daß es auch andere Häuser für eine Lehrerin gab, andere Behandlung, freundliche, achtungsvolle, daran dachte Käte in ihrer verzweifelten Stimmung nicht. Denn dort lag Freiwalde, in das sie nicht mehr gehörte.

Wäre es nicht süß gewesen, auf Freiwalder Grund und Boden zu sterben? –

Aber nein! Wo war ihr Mut geblieben, wie lautete ihr Wahlspruch: »Meine Pflicht mein Glück, mein Trost meine Arbeit!«

Käte schüttelte den Bann ab. Sie sah den Fremden in halb abwartender Stellung an ihr Pferd gelehnt stehen.

Was mußte er von ihr denken! Wie kindisch hatte sie sich benommen!

Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen.

»Haben Sie Dank für die Hilfe und verzeihen Sie die Fassungslosigkeit, deren Zeuge Sie wurden. – Ich war erregt! Sonst bin ich nicht so töricht!«

Ein Schein ihres sonnigen Lächelns huschte flüchtig über ihr Gesicht. Er sah es und blickte entzückt in die dadurch so reizenden Züge. Ihre Hand ergriff er mit festem Druck.

»Gnädiges Fräulein, bin ich unbescheiden, wenn ich frage, ob ich Fräulein Folkert vor mir habe?«

»Wie sollten Sie! Sie müssen doch wissen, wem Sie das Leben gerettet haben!« Jetzt zuckte auch der Schalk um ihren Mund. »Ich bin Käte Folkert, und Sie sind Herr Klaus Meinhardt, der Besitzer von Freiwalde?«

»Stimmt!«

Nun lachten beide herzlich.

Diese Art der Vorstellung paßte hier in das freie Feld. Im Ballsaal würde sie sich seltsam ausnehmen.

»Und da wir nun beide wissen, wer wir sind, habe ich eine Bitte an Sie, gnädiges Fräulein.«

»Und die wäre? Ich darf meinem Lebensretter wohl keine Absage geben!«

»Kommen Sie mit mir herüber zum Herrenhaus, sehen Sie sich Freiwalde an, wie es jetzt ist, und lassen Sie mich aus Ihrem Munde hören, daß Ihr altes Gut einen Herrn bekommen hat, der versucht, mit Liebe und Sorgfalt alles zu halten und zu verschönern.«

Käte zuckte zurück.

Hinüberkommen sollte sie, dorthin, wo das Türmchen auf dem stolzen Bau winkte, die alte Heimat sollte sie wiedersehen, die doch eine so andere geworden war?

Nein! Niemals! Das konnte sie nicht! Aber seine Augen baten so ehrlich; seine hübschen Augen und die Hand, die ihrem Pferde in die Zügel gefallen, streckte sich ihr so bittend entgegen.

»Wird es Ihnen zu schwer? Bitte ich vergebens?«

Da legte sie ihre Hand zum zweitenmal heute in die seine und sie sagte fest und klar, als die alte, energische Käte früherer Zeiten: »Ich komme.«


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