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III.

Zossen, das dritte große Gut im Kreise, gehörte dem Freiherrn von Lankwitz. Er war der Bruder der Frau Folkert, die schon in ein wenig vorgerückten Jahren den Gutsbesitzer Folkert geheiratet hatte.

Er behauptete, daß es gut sei, wenn der Adel sich mit dem Bürgertum verbinde. Neues Blut zu dem alten! Viel zu lang hätte der Adel immer nur unter sich geheiratet, Base und Vetter, Vetter und Base. Er müsse ja entarten, wenn das so weitergehe. Und aus dieser Theorie heraus vermählte er sich selbst mit einer Bürgerlichen.

»Denn, wo das Strenge mit dem Zarten, Wo Starkes sich und Mildes paarten, Da gibt es einen guten Klang.«

So zitierte er. – Und es gab einen guten Klang.

Es war eine sehr glückliche Ehe, und eine Schar lieblicher, frischer Kinder, von denen Kurt das älteste war, umgab die Eltern.

Das zweite Kind, ein Mädchen, Anneliese, war ungefähr fünfzehn Jahre alt. Sie war jetzt zu den Ferien auch zu Hause, sonst aber noch in Pension, im Luisenstift in Berlin. Anneliese war ein großes, hübsches Mädchen, kräftig und gesund, ruhiger als Käte, trotzdem sie jünger war, sehr hausfraulich angelegt, und ging der Mutter in den Ferien schon überall zur Hand.

Die Ferien sind ja auch für Mütter keine Erholungszeiten. Alle Kinder zu Haus, von denen doch sonst drei fort waren! Sie war ja glückstrahlend, die kleine Mutter, alle ihre Fünf bei sich zu haben. Aber viel Arbeit und Unruhe brachte es mit sich. Fröhliche Unruhe allerdings. Das lief und trippelte auf der Treppe, das sang und schwatzte zu Hause, zankte sich auch mal und vertrug sich auch wieder.

Dazu hatte das Kinderfräulein Urlaub und war für einige Wochen verreist. Da hatte Anneliese wirklich genug zu tun, wenn sie der Mutter helfen wollte.

Am liebsten nahm sie den kleinen Alfred, das jüngste vierjährige Brüderchen, zu sich und versorgte es ganz. Sie spielte mit ihm, zog es an, gab ihm seine Speisen, da es noch nicht am Tische saß, und schlief jetzt nachts im Bett des abwesenden Fräuleins.

Und wie gut stand sich Alfred mit der großen Schwester! Er war manchmal ein kleiner, eigensinniger Kerl. Aber der Anneliese gehorchte er gleich. Nur ihr Name war ihm zu lang. Er nannte sie Annlie.

Sie hörte das aber sehr gern, und es entschädigte sie für alle Mühe, wenn er so zärtlich sagte: »Bist du meine Annlie?«

Es gehörte wirklich Aufopferung dazu für das halberwachsene Mädchen, ihre Ferien zum größten Teil dem kleinen Bruder zu widmen. Aber es steckte so viel Mütterliches in ihr, daß sie es gern tat und daß es fast das Schönste in den Ferien war.

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Viel schwerer wurde es ihr, mit dem elfjährigen Fritz fertig zu werden. Sie half ihm ja auch, wenn er mit abgerissenen Knöpfen zu ihr kam, aber sie ärgerte sich doch manchmal über seine rüpeligen Jungenstreiche.

Es war ja eine stehende Redensart in Zossen: »Wo ist Fritz?«

Überall war er und nirgends. Auf dem Dach, beim Dachdecker, beim Torfstich, wenn Torf gefahren wurde, dann kam er mit ganz schwarzen Händen und geschwärztem Anzug zurück. Er hatte ja mit packen helfen. Beim Heueinfahren und im Wasser, wenn gefischt wurde.

»Aber lieber Junge,« sagte die Mutter ganz entsetzt, »du bist ja ganz naß bis an den Gürtel! Zieh dich um Gottes willen rasch aus, und dann mußt du ins Bett. Ich bringe dir eine Tasse Fliedertee.«

»Muttchen!« Der lange Schlingel lachte hell auf. »Ins Bett mit Fliedertee? Bestes Muttchen, was denkst du? Jetzt bei der Hitze! Wenn ich trockenes Zeug anhabe, ist's doch gut. Was soll ich dann noch?«

»Ja, aber frierst du denn nicht?«

»Bewahre! Frieren bei zwanzig Grad Wärme? Der Wilhelm und August sind doch beide so naß wie ich!«

»Mein Gott, ja, die Knechte sind abgehärtet! Aber du bist doch noch ein Kind!«

Fritz meinte eigentlich, er sei schon ein sehr großer Junge. Aber das ängstliche Gesicht der guten kleinen Mutter, die von allen innig geliebt wurde, rührte ihn doch. Er umfaßte sie mit beiden Armen und gab ihr einen herzhaften Kuß.

Ihre Jungen wuchsen ihr, wie es schien, alle über den Kopf. Kurt hatte es schon lange getan, der war ein großer Mensch, und Fritz hatte sie auch schon fast erreicht. Da blieb nur noch Alfredchen zum Verziehen und Verhätscheln.

Da Fritz mittlerweile mit dem Umziehen fertig war, fragte er: »Muttchen, soll ich dir Stachelbeeren mitbringen? Ich geh in die Beeren!«

Halb ergeben in ihr Geschick, halb lachend, sagte sie: »Na, meinetwegen, bring mir eine Tasche voll mit.«

»Machen wir, Muttchen, addio!« In der Tür kehrte er noch einmal um. »Sag mal, Mutter, was hat denn der Edmund in diesem Jahre für einen furchtbaren Bändiger? Sieht ja mächtig fein aus! Aber so 'n öder Patron! Ich saß auf einer Weide am Grenzgraben und sah die beiden spazierengehen. Gott, Mutti, es sah zum Schießen aus! Der Mensch, der Gymnasiaste, vorn, mit einem Sommerüberzieher bei der Hitze! Hände in den Taschen, guckte in die Luft. Edmund hinterdrein, zehn Schritt Abstand – bummelte allein und schnipselte mit dem Messer. Ich pfiff unsern Indianerpfiff. Edmund guckte sich wild um. Just hatte er mich entdeckt und wollte sich leise drücken. Da sah sich der Mensch um und sagte ihm was, wahrscheinlich sollte er dichter zu ihm herankommen. Na, da war's nichts mit dem Ausreißen! Weißt, voriges Jahr hatten sie doch auch so einen. Das war ein famoser Kerl, der spielte mit uns und ruderte fein und konnte schwimmen, aber famos, sage ich dir! Aber dieser! Puh!«

»Nun, vielleicht schwimmt er auch!« – »Der? Nein, der sieht nicht so aus! Der läuft weg, wenn's Wasser naß ist! Armer Edmund! – Na, nun auf Wiedersehen, Mutting. Ich hole dir Stachelbeeren!« –

Zwischen Anneliese und Fritz war noch ein Mädchen von dreizehn Jahren, Elly, ein entzückendes Geschöpf, zarter als die andern, zierlicher, mit einem Madonnengesichtchen, großen, mandelförmigen Augen und lockigem braunem Haar, das in einen dicken Zopf geflochten war. Sie hatte sehr graziöse Bewegungen und eine reizende Art, zu sprechen. Aber sie hielt sich viel allein.

Sie war eine kleine Träumerin, saß stundenlang oben in der alten Weide auf einem Sitz, den ihr Bruder Kurt gemacht hatte, und las dort ihre Backfischbücher. Sie schwärmte auch gern für irgend jemand, sei es nun Herr oder Dame, indem sie Gedichte machte, ihm oder ihr Blumen brachte, das Bild in der Tasche trug oder dergleichen. Nur wechselte die Schwärmerei öfter. Einmal war es die Klavierlehrerin, dann eine neue Bekannte, auch mal ein älterer Freund von Vater. Am häufigsten waren es die Verfasser ihrer Bücher.

Als sie das Buch von Tony Schumacher: ›Das Reserl am Hofe‹ geschenkt bekam, setzte sie sich nach dem Lesen hin und schrieb an die Verfasserin einen begeisterten Brief, und war in allen Himmeln, als eine Antwort mit dem Bildnis des Prinzeßchens eintraf.

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Sehr hübsch hielt sie ihr Stübchen, alles war zierlich darin und rein. Bunte Gardinen hatte ihr Muttchen geschenkt mit Rosenknospen. Dann hatte sie Blumen in Töpfchen und pflegte sie gut. Und endlich war sie Sammlerin von schönen Bildern und Ansichtspostkarten, die ins Haus kamen. Die waren alle hübsch geordnet an den Wänden und auf den Tischen aufgestellt und aufgehängt und machten das ganze Zimmerchen zu einem poetischen Winkelchen, das ebenso zierlich war, wie die kleine Besitzerin selbst.

Bei den Brüdern aber war Anneliese mehr beliebt. Sie lebte mit ihnen. Sie teilte Leid und Freud mit ihnen. Elly lebte mehr in ihrer Ideenwelt und ihren Träumereien.

Auch jetzt sah sie nicht viel von den Feriengästen, weder in Zossen noch in Freiwalde. Aber vor einigen Tagen hatte sie mit ihrem Buch am Grenzgraben gelegen und gelesen. Nebenbei aß sie Erdbeeren, die dort massenhaft wuchsen.

Da kam plötzlich ein junger Mann über den Graben gesprungen und stand vor dem erschrockenen Mädchen. Ein wenig verlegen war auch er über diese unerwartete Begegnung, aber lange nicht so sehr als sie. Er grüßte und fragte sie, ob dies schon Zossener Gebiet sei, und als sie bejahte, bat er um Entschuldigung für sein Eindringen und blieb unschlüssig noch einen Augenblick stehen. Da sah er das Buch in ihrer Hand, und in dem Wunsche, noch ein wenig bei dem wirklich reizenden Mädchen zu verweilen, fragte er, was sie dort lese.

Das war nun freilich ein richtiges Kinderbuch, und jemand, der glaubt, nur noch Werke großer Denker lesen zu können, weiß nichts anzufangen mit solch einem harmlosen Backfischbuch.

Er bedauerte deshalb, das Buch nicht zu kennen. Als er in ihrem Alter gewesen sei, habe er nur Interesse für Indianerbücher gehabt.

Das kam ganz natürlich und liebenswürdig heraus.

Dann wußte er nicht mehr, was er noch sagen könnte, und verabschiedete sich, indem er noch einmal den Hut lüftete.

Im ganzen hatte er sich hier ganz vernünftig benommen, ohne Ziererei und Eitelkeit, hatte gesprochen, wie ein siebzehnjähriger Junge oder, höflicher ausgedrückt, wie ein junger Mann zu einem hübschen Mädchen spricht, war sogar sehr menschlich und ganz geschickt über den Graben gesprungen, trotzdem ihm das Fritz nie zugetraut hatte.

Und so war es Elly nicht zu verdenken, daß diese Begegnung als ein großes Ereignis in ihrem Kinderherzen dastand, und daß sie den Helden desselben sehr innig bedauerte, wenn sie nur spottende Urteile über ihn hörte.

So verkannte man ihren Helden!

Und ihre neueste Schwärmerei hier: Oskar Stein! Aber sie mußte sie sehr verheimlichen. Hätte Bruder Fritz das geahnt, hätte er überhaupt etwas von der Begegnung geahnt, mit welcher Wonne hätte er die träumerische Mädchenseele verhöhnt und verspottet! Und solch derber Jungenwitz trifft manchmal sehr ins Schwarze. Das wußte Elly und schwieg ängstlich darüber.

Aber sie ging jetzt öfter zum Erdbeerensuchen an den Grenzgraben, trotzdem die Walderdbeeren schon ganz abgesucht waren.

Oskar Stein aber ahnte gar nicht, daß er hier, wo er nichts vorstellen wollte, ganz unabsichtlich einen Eindruck gemacht hatte. Hätte er es geahnt, dann hätte seine übertriebene Eitelkeit und Einbildung ihn sicher so lange gepeinigt, bis er in affektierter Art den Vorgang wiederholt hätte. So aber blieb es bei der einen Begegnung und folglich auch bei dem ersten günstigen Eindruck.

Und es schlug also doch ein Herz warm und in stiller Verehrung für ihn im Freiwalder Kreise.


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