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VII.

An diesen reinen Bergquell mußte auch Oskar Stein noch gar oft denken, trotzdem er viel, fast täglich mit Margarete Hagen zusammentraf. Die war nicht wie der Bergquell so klar oder wie der reine Spiegel eines Sees, sie war eher wie ein Wildwasser, das schäumt und sprudelt, das auch Geröll mit sich führt und ausgerissene Sträucher und Balken. Auch die Wildwasser fließen endlich zum breiten See auseinander, aber sie haben manches mit sich fortgerissen, manches zerstört auf ihrem Lauf.

Margarete zog Stein an und stieß ihn zugleich ab, und das letztere war namentlich der Fall, wenn er einmal dazu kam, Vergleiche anzustellen zwischen ihr und Käte.

Meistens ließ sie ihm nicht Zeit dazu. Ihr lebhafter Geist sprang oft in der Unterhaltung von dem einen zum anderen, und er mußte aufpassen, wenn er immer folgen wollte. Sie war erbarmungslos in ihrem Spott, wenn er einmal nicht so rasch zu folgen vermochte, und lachte ihn einfach aus.

Jetzt kam die Zeit ihrer Abreise nach Heidelberg heran.

Oskar hatte schon seit Wochen dafür gespart und zusammengelegt. Er hatte für sich nichts ausgegeben, selbst seine Vorliebe für neue Schlipse und Zigaretten hatte zurücktreten müssen. Er hatte gespart, um Margarete noch einmal zu einer Flasche Sekt einladen zu können. Es hatte ihn fort und fort gewurmt, daß sie an jenem Abend Sekt gewünscht, und er ihn ihr nicht hatte bieten können. Nun sollte sie ihn zum Abschied haben.

Der letzte Abend war herangekommen.

Stein hatte Margarete ein wenig geheimnisvoll eingeladen, mit ihm auszugehen. Dann hatte er ihr einige schöne Rosen gekauft, dunkelrote, die in seltsamem und doch wirkungsvollem Gegensatz zu ihren roten Haaren standen. Und nun gingen sie durch die Straßen und unmerklich führte er sie in die Breitestraße, bis er vor Kettners Weinlokal still stand.

»Nanu!« fragte sie lachend. »Was sollen wir hier?«

»Kommen Sie herein, bitte!« Seine Stimme zitterte fast beim Sprechen. Zu lange hatte er sich auf diesen Augenblick gefreut. Sie schüttelte noch immer lachend den Kopf, trat aber ein, als er die Tür für sie öffnete. Sie suchten sich einen Tisch, er ließ sie ein Gericht wählen und dann bestellte er eine Flasche Sekt.

Nun hielt sie aber energisch seine Hand fest. »Kind, sind Sie des Teufels? Auf Schuldenmachen lasse ich mich nicht ein!«

Dunkelrot, aber bestimmt wiederholte er seine Bestellung. Doch die Freude war davon. Die kindliche Freude, die er an seiner Überraschung haben wollte. Er hatte auf einmal das Gefühl, als hätte er immer eine sehr klägliche Rolle bei Margarete gespielt, die Rolle des geduldeten Anbeters. Aber es war nur für einen Augenblick. Er war zu eitel, um sich das selbst einzugestehen. Nur eine kleine Verstimmung blieb, ein Gefühl, dessen er nicht Herr werden konnte, ob Margarete nachher auch noch so ausgelassen war. Margarete fühlte, daß sie in ihrer Selbständigkeit zu weit gegangen war und ihn zu sehr als unerwachsenen Knaben behandelte. Das konnte kein junger Mensch in Steins Alter vertragen, und das vergaß er auch nicht.

Margarete ließ jetzt all ihren Geist spielen und so gelang es ihr doch, Oskar zu fesseln. Sie sprach von Sudermanns Drama, das sie gesehen hatte, von seiner Macht über die Sprache, erzählte ihm den Inhalt und sagte endlich lachend: »Es lebe das Leben, das sagen wir auch, aber wir trinken uns nicht den Tod dazu.« Hell klang ihr Glas an das seine; und noch einmal: »Es lebe das freie Leben!«

Nach kleiner Pause fragte sie in ganz verändertem Ton: »Sagen Sie, Stein, wollen Sie noch immer Pastor werden? Das ist eigentlich ein Hohn auf Ihren Charakter und Ihre Lebensanschauungen.«

»Warum? Ein Pastor kann auch freiere Ansichten vom Leben haben.«

»Ja! Aber ich sagte Ihnen schon einmal, Ehrlichkeit gegen sich selbst ist eine Hauptbedingung für das Wesen des freien, des modernen Menschen und Sie würden nicht Pastor aus innerem Trieb. Werden Sie doch Philologe. Sie haben ja das Zeug dazu.«

Stein sah verdrießlich aus.

Was sollte diese Unterhaltung jetzt! Sie wollten doch lustig sein beim Sekt. Sie verstand ihn und ließ das Thema fallen.

»Also, Steinchen, ich schreibe mal, wie es in Heidelberg ist. In Prima sind Sie schon. Dann kommen Sie bald nach. Und nun noch einmal: Es lebe das Leben! Die Freiheit! Das Studium!«

Er setzte hinzu: »Und das moderne Weib!« Ganz leise flüsterte er:

»Und unsere Liebe?« –

Margarete lachte, hielt ihr Glas an das seine, und ihre Augen tauchten tief ineinander. –


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