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XV.

Am nächsten Morgen hatte sich Friedel noch gar nicht unten blicken lassen, er hatte sein Frühstück nach oben kommen lassen und wanderte nun ruhelos in seinem Zimmer auf und ab. Er wagte es nicht, hinauszugehen. Er fürchtete das Wiedersehen mit all den Plätzen. Der Vater hatte ihn mitnehmen wollen, er hatte abgelehnt. Die Mutter war gekommen, ihn nach unten zu holen, er hatte gebeten, ihm noch einen Tag Zeit zum Besinnen zu lassen.

Da hörte er Pferdegetrappel und gleich darauf eine fremde Männerstimme.

Wer war denn das?

Friedel trat ans Fenster und spähte hinunter. Er sah einen gut aussehenden Mann von etwa dreißig Jahren, kräftig gebaut. Heinrich nahm seine Karte, rief einen Burschen, um das Pferd zu halten, und ging mit der Karte hinein.

»Die Herrschaften lassen bitten!« sagte er zurückkehrend.

Der Fremde stieg ab und ging ins Haus.

Friedel besann sich, wer das sein konnte. War ein neuer Besitzer hier in der Umgegend? Er konnte sich gar nicht denken, an wessen Statt. Als Heinrich bald darauf mit einer Tasse Brühe hereinkam, konnte Friedel doch nicht unterlassen, zu fragen: »Wer ist denn das, der da unten Besuch macht?«

»Das ist der neue Herr von Freiwalde, ein sehr feiner Mann!«

»Der neue Herr von Freiwalde? Ja, ist in Freiwalde denn nicht mehr Herr Folkert?«

Heinrich schlug sich auf den Mund. »Je, was bin ich für eine Plappertasche! Das wissen der junge Herr noch gar nicht? Dann sollte ich's auch wohl nicht sagen!«

»Na, nun nur zu! Nun will ich's wissen. Wo ist Folkert?«

Friedel zitterte nervös und ungeduldig.

»Ja, dann muß ich's sagen! –

Freiwalde ist verkauft, und dieser neue Herr heißt Meinhardt. Er hat lange in Freiwalde gebaut. Nun ist er fertig! Er kommt, um Besuch zu machen!«

»Ist das schon so lange her? Und ich habe nichts davon gewußt! Und weshalb ist Fräulein Käte hier im Hause?

»Die hat jetzt ihr Lehrerinnenexamen bestanden und soll sich nun hier ein bißchen erholen.«

»Lehrerin? Käte Lehrerin? Mein Gott, weshalb hat Folkert denn verkauft? Er ist doch nicht –?« Er wagte das Wort nicht auszusprechen.

.

»Bankrott! Ja, freilich ist er das! Er hat doch Freiwalde nicht zum Vergnügen verkauft. Fort hat er gemußt, und wir haben doch noch den Pony da gekauft!«

Erschrocken schwieg der Alte still. Sein junger Herr war auf einen Stuhl gesunken und sah so weiß aus wie das Tischtuch. Sein Gesicht zuckte nervös und seine Hände flogen. Die gewaltigste Erschütterung sprach aus seinem ganzen Wesen, und der Alte stand ganz ängstlich da.

Friedel sprach zuerst kein Wort. Endlich rang es sich von seinen Lippen los wie ein Stöhnen und er sagte: »Käte brotlos, Lehrerin, ohne Heim – und ich – wo war ich? – In selbstgeschaffenem Leid – fern! Geh, Heinrich, sieh nicht so entsetzt aus, – ich mußte es ja wissen – und nun –« er zwang sich zu einem Lächeln –, »nun bin ich schon ganz ruhig! Geh jetzt, Heinrich!«

Der alte Diener ging leise hinaus.

Friedel blieb allein. Die erste Erschütterung war überwunden und sie war heilsam! Friedel fühlte wieder fremdes Leid, er fühlte, daß es tiefere Schmerzen gab, als die eigenen, selbstgeschaffenen, und er fühlte, daß er doch noch an der alten Heimat mit all ihren Erinnerungen hing. Käte! – Ja, er wußte es jetzt, er wußte, daß sie für ihn zur Heimat gehörte, wie Vater und Mutter, daß sie als Kind schon alles für ihn war. Wenn sie zusammen spielten, dann waren Kurt und er immer bemüht gewesen um die Gunst des kleinen Mädchen. Kurt war stärker, frischer, er war unermüdlicher! Für Käte hatte er schon damals alles tun können, sogar Strafe auf sich nehmen, die eigentlich der Wildfang verdient hätte; für sie konnte er, der sonst peinlich gehorsame Junge, Birnen und Äpfel von den Bäumen holen, die sonst den Kindern verboten waren, für sie holte er die Puppe aus dem Dorfteich, in den sie Kurt im Übermut geworfen hatte.

Und nun? Wessen Gesicht hatte ihn gestern abend so sonnig gegrüßt? Kätes!

Sie war sein Schicksal bis jetzt gewesen, sie würde es bleiben! Und sie hatte so leiden müssen, sie hatte fort gemußt von ihrem geliebten Freiwalde, sie hatte ins Joch der Arbeit sich spannen müssen?

Und wie hatte sie es getan? Die Figur war gewachsen, die Augen hatten den alten, sonnigen Glanz, der Mund konnte lächeln! Und er? Er fing an sich zu schämen! Er deckte plötzlich die Hände über die Augen und saß lange Zeit unbeweglich.

Da ging unten die Haustür auf und seines Vaters laute Stimme rief über den Hof: »Franz!« Das war der Reitknecht! Friedel fuhr in die Höhe und trat an das Fenster. »Franz, sattle mal meinen Dicken und den Fuchs vom gnädigen Fräulein. Aber ein bißchen fix! Wir wollen reiten!«

Und dann hörte der Lauscher fröhliche, lachende Stimmen und seine Mutter, Käte und der fremde Herr traten heraus. Er winkte dem Burschen, der sein Pferd hielt und ließ ihn nähertreten. Nun kamen Käte und er an das Pferd heran, es war ein herrlicher Rappe, der schon ungeduldig mit den Hufen im Sande scharrte.

Das Pferd wurde besehen, augenscheinlich bewundert, Käte trat heran und klopfte ihm liebkosend den Hals, dann mußte der Bursche es im Trabe vorbeiführen, nun im Schritt!

Und der einsame Lauscher oben sah wie gebannt hinunter und ein Gefühl krampfte ihm die Brust zusammen, ein Gefühl, das er bisher noch nie gekannt hatte, das Gefühl wütender Eifersucht.

Hier stand er, der arme Narr, der er war! Verächtlich sah er selbst an seiner langen Gestalt herunter, er hielt sich krumm, wie gebeugt, trug zu lange Haare, kleidete sich nachlässig, da es ihm bisher nicht der Mühe wert schien, sich gut zu kleiden. Und unten der neue Herr von Freiwalde? Der war eine Gestalt wie von Stahl und Eisen, markig, sehnig, straff aufgerichtet. Die kleine Reitgerte schlug spielend gegen die gut sitzenden Reitstiefel, der Kopf wurde gerade und fest getragen im Bewußtsein eigener Kraft und eigenen Könnens. Wie er Käte anschaute! Ehrfurchtsvolle Bewunderung lag in dem Blick, der fast liebkosend ihre Gestalt umfaßte. Nun lachte Käte hell und lustig; dann ging sie ins Haus, wahrscheinlich, um sich zu dem Ritt umzukleiden.

Im Hineingehen warf sie einen Blick auf die oberen Fenster und sah Friedel stehen. Sie winkte ihm freundlich zu und rief:

»Kommst du nicht herunter?«

Nun sah auch der Fremde hinauf. Aber in demselben Augenblick verschwand Friedel. Wenn er doch diese Scheu vor Menschen überwinden könnte! Er konnte es nicht! Er wußte nun ganz genau: jetzt würde der Fremde höflich und teilnehmend seinen Vater nach dem zurückgekehrten Sohn fragen, und der Gedanke konnte ihn rasend machen. Er trat rasch in die Tiefe des Zimmers zurück, aber er knirschte mit den Zähnen vor Zorn.

Nach einer Weile zwang ihn die Neugierde und die Eifersucht, doch wieder auf seinen Lauscherposten zu treten.

Richtig! Da trat Käte heraus im knappen dunkelblauen Reitkleide, ein kleines rundes Hütchen auf den blonden Locken. Wie entzückend sie aussah! Die Augen der beiden jungen Männer sahen sie bewundernd an und selbst des Onkels Blick haftete freudig auf seinem Liebling. »Na, Maus, bist du fertig?«

Wie hübsch die Kleine heute aussieht, dachte er. Wie die Augen strahlen, wie rosig die Farbe durch die Wangen leuchtet!

»Na, Kinder, denn man los!«

Die Pferde wurden vorgeführt. Heute stieg Käte mit Hilfe des Onkels in den Sattel. Die Herren saßen auf.

Herr von Münstermann sah jetzt auch herauf und rief seinem Sohne zu: »Kommst du nicht herunter, mein Junge?«

Diesmal zwang sich Friedel mit Gewalt, stillzustehen und den Blicken der drei dort unten standzuhalten. Er nickte und sagte: »Ja, Vater, nachher.«

Sie winkten noch einmal, auch der Fremde lüftete seinen Hut. Und dann ritt die kleine Reitergesellschaft ab.

Friedel schaute ihnen nach und ein fester Entschluß rang sich von seiner Seele los. Er wollte gesund werden! Er wollte sich herausreißen. Der Arzt hatte ihm immer gesagt, daß nur fester Wille für ihn dazu gehöre. Der fehlte bisher. Jetzt wollte er! Liebe und Eifersucht waren vielleicht im innersten Herzen die Triebfeder dazu, aber auch ein weicheres Gefühl war dabei, die Liebe zur Mutter. Er sah hinüber zu dem bekränzten Bilde, das die Mutter als glückliche junge Frau zeigte, und er sah hinunter zu der Frau, die dort unten auch den Reitern nachschaute und die so alt und grau geworden war. Etwas Heißes quoll in seiner Kehle auf, und etwas Heißes, Brennendes feuchtete seine Augen. Er öffnete plötzlich das Fenster und rief: »Mutter, ich komme!«

Die stille Frau blickte hinauf und ein solcher Strahl von Glück verklärte ihre vergrämten Züge, als sie ihn rufen hörte, daß es ihn fast wie ein Schwindel erfaßte.

In wenigen Augenblicken war er unten im Gartensaal, in den die Mutter eben eintrat, und mit dem Schrei: »Mutter, liebe Mutter!« lag er in ihren Armen.

Das war erst das rechte Wiedersehen, das war das Wiederfinden.

»Mutter, verzeih mir,« stammelte der Sohn.

Liebkosend strich ihre Hand über seinen Kopf, und sie flüsterte nur leise: »Mein Friedel, mein armer, lieber Junge!«


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