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Neunzehntes Kapitel.
Die Falle der Wucherer

Eine Woche später berief der Stellvertreter des Bürgermeisters eine Sitzung der beiden städtischen Kollegien ein, um über den »ungewöhnlichen« Zustand der Geschäfte und einen Ausweg zu beraten, wie Herr Otis H. Mann sich auszudrücken beliebte. Sämtliche Mitglieder der beiden Körperschaften waren anwesend, und Herr Mann verfehlte nicht, seine Anhänger sorgfältig zu zählen, ehe er die Sitzung eröffnete. Die Freunde des Fräulein Bürgermeister waren wohl zahlreich und stark, aber nicht in der Majorität. Er eröffnete die Sitzung mit einer ganz netten kleinen Rede, in der er den Stand der Dinge in Roma beklagte und der Hoffnung Ausdruck verlieh, daß der Ausschuß der Bürgerschaft, der sich eine Woche zuvor zum Zweck der Auffindung der vermißten Beamtinnen gebildet hatte, seinen Zweck erreichen werde.

»Wir haben einen entsetzlichen Zustand der städtischen Verwaltung zu beklagen,« fuhr er in süßlichem Tone fort, »wenn der Vorstand derselben einfach verschwinden und eine ganze Woche lang versteckt gehalten werden kann, ohne – oder vielleicht auch mit – seinem Einverständnis. Ein ähnliches Ereignis kommt sonst nur in überstiegenen modernen Romanen vor. Es tritt nun die ernste Frage an uns heran, meine Herren, was die Pflicht unter diesen Umständen von uns fordert. Der Ausschuß der Bürgerschaft hat uns die Aufgabe aus den Händen genommen, den Stadtvorstand zu suchen und an den ihm gebührenden Platz zurückzuführen, aber ich meine, wir sollten ihn unsrer Mithilfe versichern und ihn wissen lassen, daß wir ihm jede nur denkbare Unterstützung zuteil werden lassen. Will jemand einen Antrag in diesem Sinne stellen?«

Der Antrag wurde sofort gestellt und genügend unterstützt, aber vor der Abstimmung sprang Herr Turner hastig auf.

»Ich wünsche, daß zu Protokoll genommen wird, daß nur unsre teilweise, offensichtliche Gleichgültigkeit die Massenversammlung veranlaßt hat, bei der die Bürgerschaft beschloß, ihren eigenen Ausschuß zu wählen. Wir hätten in dieser Sache an der Spitze stehen und sie leiten sollen, und wenn dies nicht angänglich war, so hätte jeder einzelne von uns Mitglied des Ausschusses werden müssen. Ich frage, warum nur fünf Stadtverordnete sich an der Aufgabe beteiligt haben, Fräulein Van Deusen und ihre Sekretärin aufzusuchen und die Schufte ausfindig zu machen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen, die diesen Schurkenstreich ausgeführt haben?«

»Das geehrte Mitglied bedient sich einer ungewöhnlich aufgeregten Sprache,« erwiderte der Vorsitzende in seinem salbungsvollsten Ton. »Es ist tatsächlich nicht leicht, in dieser mir aufgedrungenen, noch niemals dagewesenen Lage zu wissen, was man tun oder lassen soll. Wenn ich in etwas gegen meine Pflicht verstoßen habe, so bitte ich Sie tausendmal um Vergebung, aber bei so vielen lokalen Verordnungen – bei dem Durcheinander von angefangenen Arbeiten – Sie verzeihen wohl, daß ich dies erwähne – in den Papieren des Stadtvorstandes – –«

»Abstimmung! Abstimmung!« schrie eine Stimme aus dem Hintergrund. »Abstimmung! Zur Abstimmung!« brüllte ein andrer.

Schleunigst schritt der Vorsitzende zur Abstimmung, und das Ergebnis war, daß der Ausdruck der Sympathie mit der Tätigkeit der Bürgerschaft und die Bereitschaft zur Mitarbeit einstimmig zum Ausdruck kamen.

»Der Antrag ist einstimmig angenommen, und der Herr Sekretär wird hiermit beauftragt, diesen Beschluß dem Ausschuß der Bürgerschaft sofort zur Kenntnisnahme zu übermachen.«

»Und nun muß ich, kraft meiner schweren Verantwortung,« fuhr der Vorsitzende fort, »und meiner Verpflichtung, die Tätigkeit des Stadtvorstandes fortzuführen, sagen, daß wir heute nacht noch ein kleines Stück Arbeit verrichten müssen. Es werden nämlich eine Menge Anträge aus Verpachtungen und Konzessionen eingereicht, die erledigt werden müssen. Will vielleicht eines der werten Mitglieder den Antrag stellen, daß dem gegenwärtigen Amtsvorstand die Vollmacht erteilt werde, in diesen Fragen zu entscheiden?«

»Nein, nein!« schrie Albert Turner, und einige andre stimmten in seinen Ruf ein, aber da stand Blatchley auf und stellte den Antrag, daß Otis H. Mann während der gar nicht zu bestimmenden Dauer der Abwesenheit des Stadtvorstandes mit Führung der Geschäfte nach eigenem Ermessen betraut werden solle.

Der Antrag fand genügende Unterstützung, und als sich Herr Mason erhob, erscholl von der Gegenpartei der Ruf: »Abstimmen, abstimmen!« Gleichwohl wollte er nicht nachgeben, hielt einige Zeit stand und trat für offenes und ehrliches Spiel ein. Schließlich stellte er dann den Nebenantrag, daß während der gegenwärtigen Krisis keine Konzessionen erteilt werden sollten – allein, er sprach gänzlich in den Wind. Nicht mehr als sechs Mitglieder stimmten völlig mit ihm überein, und diese waren machtlos. Gar bald glaubte er zu bemerken, daß die übrigen für die Sitzung schon vorher bearbeitet worden waren – dies war auch der Fall, denn jeder einzelne hatte vorher ein vertrauliches Gespräch mit dem Vorsitzenden gehabt und von diesem eine Extrabelohnung für gutes Benehmen versprochen bekommen.

»Ist denn nicht eine gesetzliche Bestimmung vorhanden, die es uns verbietet, eine Amtshandlung vorzunehmen, wenn der Stadtvorstand nicht länger als vierzehn Tage abwesend ist?«

»Diese Bestimmung wurde vor zwei Jahren abgeändert,« erwiderte der Vorsitzende. »Die vorgeschriebene Zeit beträgt jetzt nur noch eine Woche.«

»Und genau so lange haben Sie gewartet – das läßt tief blicken,« sagte Mason, indem er sich niedersetzte. Er sah ein, daß ein weiterer Streit ganz aussichtslos gewesen wäre.

So wurde also Otis H. Mann die Macht überlassen, zu tun, was er wollte, solang der Stadtvorstand verschwunden war. Zu seinem Glück wurde beschlossen, dies nicht in die Zeitungen kommen zu lassen, denn von Tag zu Tag wurde die Stimmung gegen die bürgerlichen Kollegien verbitterter und in der Bürgerschaft tauchte bereits die Frage auf, wieviel wohl die Stadträte mit dem Verschwinden des ihnen unbequemen Stadtvorstandes zu tun hätten und warum sie nicht eifrigere Nachforschungen anstellten, falls sie der Sache fernstanden.


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