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Zwölftes Kapitel.
Scharmützel

Als Gertrud in ihr Amtszimmer zurückkehrte, saß da ein großer, dicker, gemein aussehender Mann mit mißtrauenerregenden, unguten Augen.

»Ich wünsche Sie allein zu sprechen,« begann er, als sie ihren Platz eingenommen hatte. »Können Sie die andern nicht hinausschicken?«

Erstaunt über diese Zumutung, war sie schon im Begriff zu erwidern, ihre Privatsekretärin müsse bei allen Besprechungen anwesend sein, dann aber besann sie sich eines Besseren und bat ihre Stenographin und Fräulein Snow, hinauszugehen.

»So, nun können wir von unserm Geschäft sprechen,« sagte der Mann, indem er seinen Stuhl näher zu ihr heranzog. »Ich heiße nämlich Mc Alister und habe einen Vertrag mit der Stadt wegen der Pflasterung des Spazierweges vom Hayden Park bis zum Boulevard.«

»Und Sie besorgen die Arbeit?« fragte Gertrud.

»Ja, und ich führe meinen Auftrag aufs beste aus,« gab Herr Mc Alister zurück, »aber der schlaue Hecht, den Sie da in die innere Abteilung gesetzt haben wie in den Karpfenteich, kann der Stadt Verlegenheiten – und – und Kosten verursachen,« fügte er hinzu.

»Aber inwiefern denn, Herr Mc Alister?« fragte Gertrud so sanft, daß ihr dicker Akkordant neuen Mut faßte.

»Na, Sie wissen ja wohl selbst, wenn ein Anwalt in irgendeine öffentliche Stellung kommt, sei es als Syndikus bei der Stadt, als Distriktsanwalt oder sonst was – so ist das erste, was er tut, immer, daß er auf irgendeine ›Enthüllung aus der Vergangenheit‹ ausgeht.«

»Und was hat dies mit Ihrem Vertrag zu tun?« Nun war ihre Stimme eitel Sanftmut und Milde.

»Gar nichts. Mein Vertrag ist ganz in Ordnung,« erwiderte der Mann, »aber Armstrong versucht mich einzuschüchtern und droht, ihn rückwärts nachzuprüfen.«

»Aber warum denn?« beharrte die Vertreterin der Stadt.

»Nun sehen Sie mal, Euer Ehren,« sagte der Mann vertraulich, »Ihr Vater selig war ein Politiker und kannte alle Schliche dieser Art geheimer Abmachungen. Jedenfalls hat er sich so oder so ein Vermögen gemacht und sein Schäfchen ins Trockene gebracht.«

»Herr Mc Alister!« rief Gertrud und diesmal hatte ihre Stimme einen andern Klang.

»Nur immer ruhig Blut!« meinte ihr Besucher beschwichtigend. »Ist nicht böse gemeint. Senator Van Deusen ist der beste Mann gewesen, den Roma je gesehen hat. Und wenn ich nicht für Sie gestimmt habe, so hatte dies seinen Grund nicht darin, daß ich nicht gerne etwas für seine Tochter täte. Aber nun wollen wir die Sache gegenseitig machen: Sie nehmen mich in Schutz und wahren meine Interessen, und ich werde zu Ihnen halten, und welchen Weg ich auch gehe, den gehen etliche Hundert guter Wähler auch.«

»Du Schuft!« sagte Gertrud in ihrem innersten Herzen, an ihrer äußern Haltung aber veränderte sich nichts.

»Nun gut, ich werde mich nach der Sache erkundigen,« erwiderte sie. »Wenn Ihr Vertrag in Ordnung ist – und Sie sagen ja, er sei es – so wird Ihnen die Stadt sicherlich zur Seite stehen. Natürlich kann ich Ihnen im Augenblick noch keine festen Versprechungen machen, aber ich will nach der Sache sehen und Herrn Armstrong das Nötige sagen.«

»O, machen Sie sich doch nicht die Mühe, einen schon ein Jahr alten Vertrag nachzulesen,« rief ihr Mc Alister zu, »das wäre schade um Ihre kostbare Zeit. Nehmen Sie mein Wort – das Wort eines Mannes, der Tag und Nacht für Ihren Vater gearbeitet hat – und befehlen Sie nur Armstrong, daß er die Hände davon läßt. Im Brückenamt wird er genug zu tun finden, wenn er nun doch einmal das Bedürfnis hat, irgendwo etwas aufzustöbern.«

»Ich will mit Herrn Armstrong sprechen,« sagte Gertrud, indem sie sich erhob und durch einen Druck auf die elektrische Glocke die andern wieder hereinrief, so daß für Mc Alister nichts übrig blieb, als sich zu empfehlen, ohne daß er sich darüber klar war, was er durch dieses Gespräch gewonnen habe.

»Na, wenn sie anfängt, ihre Nase in alte Verträge zu stecken –,« brummte er vor sich hin, während er die Treppe hinabging – und dann ließ er einen scharfen Pfiff ertönen.

Als er ganz außer Sicht war, ließ Gertrud sofort Bailey Armstrong rufen.

»Was tust du denn einem Herrn Mc Alister?« fragte sie ihn.

»Vorläufig noch nichts. Warum?« fragte der juristische Beirat zurück.

»Nun, er verläßt mich in diesem Augenblick,« erwiderte die Stadtvertreterin. »Er sagt, du wollest seinen Vertrag mit der Stadt ›einer Rückwärtsprüfung unterziehen‹ – um ihn wörtlich zu zitieren.«

»Aha,« meinte Bailey, »also hat der Kerl Angst! Ich habe bisher noch gar nichts getan, aber einiges gehört, was mich auf die Vermutung brachte, daß da nicht alles in Ordnung sei. Nun sag mal, Gertie, wie weit möchtest du, daß ich in diesen ›Rückwärtsprüfungen‹ gehe? Ich bin fest überzeugt, wenn wir einmal damit anfangen, finden wir an allen Ecken und Enden Bestechungen und Durchstechereien. Und dann gibt es Ärger und Verdrießlichkeiten aller Art, das kannst du dir ja denken – Ärger und Verdrießlichkeiten für dich, meine ich.«

»Denke dabei gar nicht an mich!« entgegnete sie. »Zu was anderm stehe ich denn hier auf diesem Platz, als um die Stadtverwaltung von diesen Schmutzereien zu säubern? Ich bilde mir natürlich nicht ein, daß ich mir dadurch Freunde mache, aber ich kann der Stadt dienen und dadurch auch meinem Staat und meinem Vaterland, also –« Sie hielt inne und blickte Armstrong mutig ins Auge.

»Dann soll ich mich also daran machen, die Verträge und die Verwendung der bewilligten Gelder nachzuprüfen?« fragte er.

»Gewiß,« erwiderte sie. »Ganz einerlei, wen es trifft – prüfe und untersuche jedes städtische Amt.«

»Bravo!« sagte er. »Du bist vom echten alten Schrot und Korn.« Nicht ohne ein Gefühl von Schmerz gedachte Gertrud bei diesen Worten der Bemerkung, die Mc Alister über ihres Vaters Vermögen gemacht hatte. »Aber, Gertie, du mußt dich auf Kampf und Krieg gefaßt machen und zwar auf einen heimtückischen, hinterhältigen politischen Krieg,« fügte Bailey hinzu.

Eine Woche später erschien er wieder in ihrem Amtszimmer und bat um eine Unterredung unter vier Augen.

»Gertrud,« begann er, »es steht mit Mc Alister genau so, wie ich befürchtet habe. Er hat einen ganz niederträchtigen Vertrag – oder vielmehr einen wahren Rattenkönig von Verträgen – und er betrügt die Stadt bei jedem Meter Pflaster, das er setzt.«

»Das überrascht mich nicht im mindesten,« erwiderte der weibliche Stadtvorstand gelassen, »der getroffene Vogel schlägt mit den Flügeln.«

»Er hat für je dreihundert Quadratmeter Pflaster, das er legt, einen besondern Vertrag,« sagte Armstrong. »Anstatt die Arbeit nach dem billigsten Angebot zu vergeben, schloß der Stadtrat diese Verträge mit ihm ab. Das ist ein grundverkehrtes System. Wir müssen Konkurrenzen ausschreiben und die Arbeiten der billigsten, leistungsfähigsten Firma übertragen. Statt dessen scheint aber durch Kniffe und Ränke aller Art Mc Alister all diese kleineren Aufträge erhalten zu haben – bei deren jedem er einen großen Profit einstreicht, während die übrigen Angebote gar nicht in Betracht gezogen wurden.«

»Wem steht überhaupt das Recht zu, derartige Verträge abzuschließen? Sollte da nicht ein bestimmtes System eingeführt werden?«

»Es sollte im Ortsstatut eine gesetzliche Bestimmung darüber enthalten sein, allein ich finde nichts darin, habe aber entdeckt, daß, je nachdem – wie es ihren Zwecken eben am besten paßte – die Verträge durch Stadtverordnete, Stadträte oder das Stadtoberhaupt ausgefertigt wurden.«

»So mache dich ans Werk, Bailey, und entwirf mir ein Gesetz, nach dem alle städtischen Arbeiten ausgeschrieben werden müssen und jedes Angebot geprüft und berücksichtigt werden soll. Wir müssen einen bestimmten Plan entwerfen, der jedem dieser Angebote Beachtung und Prüfung garantiert, so daß kein Mensch einen solchen Vertrag abschließen kann, ohne beide Kollegien und Stadtvorstand zu hören. Am besten wäre es wohl, du machtest es zur Pflicht, daß die Angebote in Gegenwart aller geöffnet werden, die dabei anwesend zu sein wünschen, oder in Gegenwart des Stadtvorstands. Das ist etwas, das ich während meiner Dienstzeit durchführen möchte – eine Verbesserung, deren man gedenken wird.«

»Nicht nur dies,« sagte Armstrong, »aber kein einziger Vertrag soll für die Stadtverwaltung bindende Kraft haben ohne die Unterschrift des Bürgermeisters.«

»Also, geh voran, Bailey, und mache den Entwurf,« sagte Ihre Ehren, »und dann halten wir eine gemeinschaftliche Sitzung beider Kollegien ab und sehen, daß wir die Sache durchdrücken.«

Allein, während es ziemlich leicht war, den Gesetzesvorschlag zu entwerfen und auszuarbeiten, so war es doch keine so einfache Sache, ihn durchzubringen.

Es wurde eine Sitzung einberufen, und die Herren Vertreter der Bürgerschaft fanden sich vollzählig ein. Gertrud begann ihre Streitmächte zu zählen und zu finden, daß die Brieftasche eines Mannes in mehr als einem Sinn seinem Herzen am nächsten steht.

Es war ein stürmisches Zusammensein – diese erste Sitzung unter dem Vorsitz des neuen Stadtoberhauptes. Mason und Turner und verschiedene andre neugewählte Mitglieder bemühten sich sehr geschickt, den Zusatzartikel zum Ortsstatut durchzubringen, aber die Stadträte stimmten Mann für Mann dagegen und ebenso die Mehrheit der Stadtverordneten. Die Debatte verlief hitzig und stürmisch; Gertrud mußte oft energisch mit ihrem Hammer auf den Tisch schlagen und Männer zur Ordnung rufen, die viel älter waren und in parlamentarischen Gebräuchen viel besser Bescheid wußten als sie. Nachdem alles vorüber und die Schlußabstimmung vorgenommen worden war, hatte die Versammlung beschlossen, den Entwurf unter den Tisch fallen zu lassen.

»Ich fürchte, ich fürchte, so wird es bei allem gehen,« sagte Gertrud zu Armstrong und Mary Snow, als die drei in das Amtszimmer des Stadtvorstands zurückgekehrt waren. »Sie fürchten alle, auf die eine oder andre Weise bloßgestellt zu werden. Wieviel glaubt ihr, daß sie zu verbergen haben?«

»Es gibt gar nichts Verborgenes, was nicht ans Licht gebracht werden könnte,« erwiderte Bailey, »und ich werde es auf alle Fälle herauszubringen versuchen.«

»Ehe diese Sache erledigt ist, werden sie noch alle wünschen, sie hätten dafür gestimmt,« bemerkte Mary Snow, »denn sie wissen doch, daß du das Recht hast, in den Inhalt der ganzen Registratur Einsicht zu nehmen, falls du Lust dazu hast.«

»Und ich habe Lust dazu,« erwiderte Fräulein Van Deusen. »Jetzt, wo wir einmal aufmerksam gemacht sind, werde ich jeden Vertrag durchsehen. Dabei fällt mir übrigens ein, Bailey, daß Mc Alister andeutete, dein Tatendrang könne im Brückenbauamt hinlänglich befriedigt werden, wenn du doch schon das Bedürfnis habest, alles auf den Kopf zu stellen! Wenn ich du wäre, würde ich auch da einen Blick hineintun.«

»Ja, gewiß – ja, und dieses neue Gesuch um das Vorrecht zur Erbauung der Ringbahn muß auch in Bälde erledigt werden,« erwiderte er. »O, dabei werden wir sie schon kriegen und ihnen über sein! Übrigens, wann willst du einen neuen Vorstand für das Straßenbauamt ernennen? Vielleicht würde dies die Sache etwas beschleunigen.«

»Also werde ich gleich morgen Thalbergs Rücktritt veranlassen,« lautete die Antwort. »Hältst du John Allingham für die Stelle für geeignet? Ich habe gedacht, er wäre ganz famos.«

»Ausgezeichnet!« rief Bailey. »Und ich glaube, daß er gern annehmen wird, denn er hat von jeher einen flotten Kampf geliebt.«

»Glaubst du, daß er es wirklich tun wird – unter einem ›weiblichen‹ Bürgermeister?« fügte sie hinzu.

»Ich denke doch. Die Sache liegt jetzt, wo du einmal gewählt bist, ganz anders. Du weißt doch, daß man sich mit Veränderungen leichter abfindet, wenn diese schon eingeführt sind, als wenn man noch hoffen kann, sie zu hintertreiben.«

»Also kommen Sie, Minnie,« sagte Gertrud, sich zu ihrer Stenographin wendend. »Schreiben Sie dies an Herrn Thalberg,« und diesem wurde mitgeteilt, daß sein sofortiger Rücktritt vom Amt dem Stadtvorstand sehr zweckmäßig erscheinen würde.

Dann diktierte sie einen kurzen Brief an Allingham, der folgendermaßen lautete:

 

»Lieber Herr Allingham!

Wollen Sie die große Liebenswürdigkeit haben und Dienstag, den siebzehnten, um zehn Uhr morgens in meinem Amtszimmer vorsprechen? Sie würden dadurch sehr zu Dank verpflichten

Ihre
Gertrud Van Deusen
Bürgermeister der Stadt Roma.«

 

Als Allingham diesen kleinen Brief am späten Nachmittag öffnete und las, ließ er einen langen leisen Pfiff ertönen und las ihn dann zum zweiten Male.

Aber sofort griff er zur Feder und schrieb, daß er sich rechtzeitig einfinden werde. Dutzende Male richtete er die Frage an sich selbst, was sie wohl von ihm wünschen könne – und inwieweit er bereit sein werde, den weiblichen Bürgermeister zu unterstützen.

Dann blickte er von seinem turmhoch gelegenen Zimmer aus über die vom Mondschein beschienene Stadt und erinnerte sich jener andern Nacht, wo sie zusammen im Mondschein über das freie Land gefahren waren – da war sie nicht das erwählte Stadtoberhaupt, das moderne, energische Weib gewesen, sondern ein liebliches, anmutiges, fast überirdisches Wesen, das mit melodischer Stimme zu ihm sprach und dessen Gegenwart ihn erbeben machte. Dann sagte er zu sich selbst: »Ja, alles – alles, was sie wünschen mag!«

Und Gertrud fragte sich in der Stille ihres Zimmers: »Ich bin neugierig, ob er kommen wird? Würde ich es an seiner Stelle tun? Wenn ich ein Mann und in derselben Ansicht über die Frauen erzogen und dann von einer Stimmrechtlerin besiegt worden wäre wie er – und diese Frau riefe mich zu sich, um ihr zu helfen – würde ich dann zu ihr gehen? – O, wie kann ich das wissen?«


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