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Dreizehntes Kapitel.
Eine wichtige Unterredung

Als John Allingham am Dienstag früh das Rathaus betrat, fiel ihm in erster Linie das veränderte Innere des Gebäudes auf – das Fehlen aller Bummler, die reinlichen Gänge und die blühenden Pflanzen. Auch konnte es ihm nicht entgehen, daß an Stelle des alten unruhigen Geistes bei den verschiedenen Beamtungen alle emsig und mit Interesse zu arbeiten suchten. »Na,« dachte er, »wenn Frauen so etwas fertig kriegen –« Aber sofort packte ihn wieder der Gedanke an die »Unangemessenheit«, der sich nun einmal bei ihm festgefressen hatte, und veranlaßte ihn, seinen Gedankengang so abzuschließen: »Aber einerlei, hier haben sie doch nichts zu suchen. Hier ist kein Platz für Weiber.«

Gleichwohl ließ er, als er das Zimmer des weiblichen Stadtvorstandes betrat und dieser »Guten Morgen« wünschte, nichts von seinen zwiespältigen Gefühlen merken.

»Sie wünschten mich zu sprechen, gnädiges Fräulein?« fragte er, indem er neben ihrem Schreibtisch Platz nahm.

»Ich rief Sie,« erwiderte Fräulein Van Deusen, »weil ich dringend eines tüchtigen, zuverlässigen Mannes bedarf. Herr Armstrong meint, Sie würden sich vielleicht bereit finden lassen, uns zu helfen in dem Kampf, in dem wir stehen, um unsre Stadtverwaltung auf eine richtige Grundlage zu heben.«

»Ich habe Ihnen, glaube ich, schon einmal gesagt,« antwortete Allingham mit einer leichten Zurückhaltung im Tone, »daß Sie sich auf mich verlassen können.«

»Ja, das weiß ich wohl,« sagte darauf das Stadtoberhaupt, »und ich will das nun erproben, indem ich Sie bitte, die Stellung als Vorstand des Straßenbauamtes zu übernehmen. Wollen Sie dies tun?«

Offenbar war Allingham völlig überrascht. Das hatte er nicht erwartet – hatte er es überhaupt verdient? Eine so hervorragende Stellung in der Stadtverwaltung!

»Vielleicht möchten Sie meinen Vorschlag einen oder zwei Tage in Erwägung ziehen,« fuhr sie fort, den Grund seines Zögerns erratend. »Vielleicht sprechen Sie auch einmal mit Herrn Armstrong darüber? Er weiß schon Bescheid, welche Arbeit dem Straßenbauamt bevorsteht. Wollen Sie sich die Sache überlegen und mir morgen Antwort geben?«

»Auf alle Fälle danke ich Ihnen für die mir erwiesene Ehre,« sagte Allingham, indem er aufstand, um sich zu verabschieden, »ich werde, Ihrer Anregung folgend, mit Herrn Armstrong sprechen. Es wird Ihnen ja wohl bekannt sein, Fräulein Van Deusen, daß wir jetztalle wünschen, Ihre Arbeit zu fördern.«

»Ja, ja, ich glaube es,« antwortete sie ernsthaft. »Und – Herr Allingham, ich will Ihnen nicht verhehlen, daß das Straßenbauamt einen furchtlosen, zuverlässigen Beamten braucht, der mit allen Durchstechereien reinen Tisch macht – deshalb habe ich Sie gerufen.«

»Ich danke Ihnen,« sagte Allingham – und ging in großer Aufregung die Treppe hinab. Hatte er Anspruch auf solch eine Behandlung? Hatte er nicht alles getan, was in seiner Macht stand, um ihren Sieg zu vereiteln? Hatte er nicht Zunge und Feder voll Bitterkeit gegen sie gebraucht? Und nun bot sie ihm eine der »größten Rosinen« an aus dem »Pudding« der Stadtverwaltung – gerade als ob er ihr gehorsamster Gefolgsmann gewesen wäre! Aber halt – am Ende tat sie dies nur, um ihn für sich zu gewinnen und ihn vor der Öffentlichkeit als ihren Anhänger hinzustellen? Was würden wohl die Leute dazu sagen?

Nein! Er wollte in sein Bureau in der Stadt gehen, einen Brief schreiben und das Anerbieten ablehnen. Natürlich sollte es ein sehr höflicher Brief werden, voll Dankbarkeit für ihre unendliche Güte, in der sie ihm einen so verantwortungsvollen Posten anvertrauen wollte. Aber seine Privatgeschäfte – seine große Anwaltspraxis, die Arbeit im Bürgerverein, seine Gesundheit, kurz all diese Umstände zusammen machten es ihm unmöglich, ein Amt zu übernehmen, das ihm eine so große Verantwortung der Stadt gegenüber auferlegen würde – und ihr gegenüber. Ja, ihr gegenüber! Das war des Pudels Kern, wie er ganz genau wußte.

Und doch – ihr gegenüber? Warum nicht? Wie befähigt, wie stark und zuversichtlich hatte sie eben ausgesehen in ihrem Bürgermeisterstuhl! Wie so ganz verschieden von all den andern Frauen, die er je gesehen! Was konnte sie – diese Frau, die in Washington mit den ersten, hervorragendsten Persönlichkeiten auf gleichem Fuß verkehrt hatte, veranlassen, auf alle ihre gesellschaftlichen Vorteile zu verzichten, um Bürgermeister einer Stadt wie Roma zu werden, – hier in diesem Tempel der Geldwechsler zu sitzen und sich mit solchen Fragen abzuquälen? Bah, er hatte jedenfalls keinen Sinn für solche moderne Frauen, oder für solche –

Allein er hatte freiwillig versprochen, alles zu tun, um ihr zu helfen – und mit Armstrong zu sprechen. Na, er konnte ja umkehren und die Sache mit Bailey ausfechten.

Er machte also kehrt und stieg die Treppen zum Amtszimmer des juristischen Beirats der Stadt hinauf. Armstrong begrüßte ihn in dem burschikosen Ton, in dem sie stets miteinander verkehrten.

»'s ist nachgerade Zeit, daß du kommst,« begann Bailey. »Hier sitze ich auf einer der höchsten und wichtigsten Stellen, und du tust gerade, als ob ich der erste Beste wäre. Ich hätte nicht übel Lust, dich Mores zu lehren!«

»Wenn du's wagen würdest,« gab Allingham launig zurück. »Aber du kannst gar nichts machen. Du hast eine Stellung zu wahren, und ich bin dein Gast. Ich möchte dich übrigens fragen, ob du es warst, der Fräulein Van Deusen die Meinung beigebracht hat, ich werde nach der ersten besten Rosine schnappen, die sie mir vorzuwerfen geruht. Denn natürlich nehme ich nicht an, was du dir hättest denken können.«

»O doch, du wirst annehmen,« entgegnete Bailey, »und zwar mit Kußhand, denn es ist pro bono publico . Weißt du, wenn du nur einen Funken Bürgerstolz im Leib hast und sich dir die Gelegenheit bietet, Bestechung und Käuflichkeit in ihrer ekelhaftesten Form aufzudecken und zu unterdrücken, so mußt du sie wahrnehmen – du, der geschworene ›Stadtverbesserer‹!«

»Was willst du damit sagen?« fragte Allingham.

»Einer von Burkes Unternehmern war bei Fräulein Stadtvorstand und beschwerte sich über mich, ich wolle seine Verträge nachprüfen. Ich hatte mich mit der Sache noch gar nicht befaßt, aber was er sagte, veranlaßte Fräulein Van Deusen, mich kommen zu lassen, und seither sind wir hinter seine Schliche gekommen. Ich habe herausgefunden, daß er auf Grund einer Unmenge von kleinen Verträgen über je dreihundert Meter mehrere Straßen pflastert – oder beabsichtigt, es zu tun. Bei jedem dieser kleinen Verträge macht er einen schönen Profit, mehrere tausend Dollars, genau kann ich es natürlich noch nicht berechnen. Das gab uns zu denken und veranlaßte uns zu weiteren Nachforschungen. Sage, John, erinnerst du dich des im vorigen Jahre nachgesuchten und um ein Haar bewilligten Privilegiums zum Bau einer Ringbahn? Die Sache hängt immer noch in der Schwebe. Ich habe allen Grund zu der Annahme, daß der Bürgermeister, Burke und Gott weiß was für andres Gesindel dahintersteckten. Aus diesem Grunde wollte Burke durchaus Bürgermeister werden. Du siehst also, daß alle Ursache vorhanden ist, einen Mann wie dich geneigt zu machen, dies Jahr das Amt eines Stadtbaurats auf sich zu nehmen. Es wird diesmal keine ›Rosine‹ sein – das kann ich dir versichern. Es hat im Gegenteil den Anschein, als ob es einen ganz gehörigen Kampf absetzen würde.«

»Das stellt die Sache allerdings in ein andres Licht,« sagte John, »einen tüchtigen Kampf habe ich noch nie gescheut.«

»Als ob ich das nicht wüßte?« gab Bailey zurück. »Dafür bin ich als Junge zu oft grün und blau geprügelt in mein Bett gekrochen! Gerade weil du ein tapferer Kämpe und kein Waschlappen bist, wollen wir dich zum Vorstand des Straßenbauamtes haben. Komm, John, sei nett und sage, daß du's übernehmen willst!«

»Darauf kannst du dich verlassen, Bailey,« erwiderte Allingham. »Ich nehme vom Fleck weg an. Erzähle mir noch mehr von deinen Entdeckungen – das heißt, vorausgesetzt, daß sie nichts dagegen haben wird.«

» Sie wird gar nichts dagegen haben, schon weil wir erwarten, daß du uns bei gewissen Dingen helfen wirst,« sagte Bailey.

Länger denn eine Stunde dauerte die Unterredung der beiden Freunde, und als John Allingham schließlich aufbrach, fühlte er ein tieferes Interesse wie je an der geplanten Reform der Stadtverwaltung und hielt die Zeit für gekommen, wo er seiner Vaterstadt von wirklichem Nutzen sein könne.

»Ach, John, da fällt mir eben noch etwas ein,« sagte Armstrong, als der andre sich zum Gehen anschickte, »hast du irgend etwas entdeckt in betreff der Urheber eurer denkwürdigen Fahrt am Vorabend der Wahl?«

»Ich habe einige Detektive an der Arbeit – wenigstens behaupten sie, es zu sein,« erwiderte John. »Mag hinter dem Anschlag stecken wer will, auf alle Fälle hat er es verstanden, seine Spuren prachtvoll zu verwischen.«

»Ja, auch wir hatten einen Detektiv an der Arbeit, sagte Bailey, »aber Fräulein Van Deusen hat ihn jetzt zurückbeordert. Sie meint, es habe keinen Wert und vielleicht könnten sich weitere Nachforschungen in dieser Beziehung andern, wichtigeren, schädlich erweisen.«

»Vielleicht hat sie recht,« erwiderte Allingham. »Alles, was wir feststellen konnten, war, daß zwei elektrische Autos, mit äußeren Schließvorrichtungen versehen, die beiden Kandidaten zwanzig Meilen weit entführten, wodurch sie eine Debatte verhinderten, die möglicherweise der ganzen Wahl eine andre Wendung gegeben hätte –«

»Hm, vielleicht,« unterbrach ihn Bailey, »vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls wußten wir so viel schon vor Mitternacht am Abend, als es geschah.«

»Ja, und während es in Roma gar keinen Autotaxameter gibt, sind deren im Umkreis von zwanzig Meilen um uns her eine ganze Menge vorhanden. Ich ließ überall nach Autos mit äußerem Verschluß an Fenstern und Türen suchen, denn Burke und Genossen konnten ja von auswärts leicht zwei beschaffen, aber bis heute war kein einziger Kraftwagen mit einer derartigen Vorrichtung zu entdecken. Unter uns gesagt, mich soll's nicht verwundern, wenn wir auch künftig noch einmal eine ähnliche Teufelei erleben, ehe wir durch –«

Die Klingel des Telephons unterbrach Bailey, und auch er erhob sich und sagte: »Ich gehe mit dir, Fräulein Van Deusen wünscht mich zu sprechen.«


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