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Zweites Kapitel.
Ein verblüffter Fortschrittler

Der Vorsteher des Bürgervereins von Roma war soeben mit der Erledigung seiner Morgenpost fertig geworden und lehnte sich in seinen Drehstuhl zurück. An einem andern Pult machte sich sein Sekretär zu schaffen, weiterer Befehle seines Vorgesetzten gewärtig.

»Gibt's was Neues von Wilkins?« fragte dieser.

»Es geht ihm schlechter. Er wird's nicht mehr lange treiben und reist morgen in den Süden ab,« erwiderte der Sekretär.

»Wissen Sie was von Bateman? – oder Mason?«

»Mason sagte, er möchte die Geschichte auf dem Rathaus nicht mit einer Feuerzange anfassen. Was den Richter Bateman betrifft, so kann ich nur sagen, Allingham: wenn Männer wie dieser ihre Pflicht täten, hätten wir Hoffnung, den Augiasstall zu säubern. Aber in der ganzen Stadt findet sich kein anständiger Republikaner, der zu uns halten wird, soweit die Bürgermeisterkandidatur in Frage kommt.«

»Um so größer ist die Schande für Roma,« sagte Allingham, »die Verderbnis muß nachgerade einen erschrecklichen Grad erreicht haben, wenn –«

Er hielt plötzlich inne, denn die Tür ging auf und herein trat Frau Bateman in Begleitung einer vornehm und würdig aussehenden weißhaarigen alten Dame, der eine zweite, große junge hübsche Dame auf dem Fuße folgte.

»Guten Morgen, Herr Allingham,« sagte Frau Bateman und schüttelte dem sie begrüßenden jungen Manne die ihr entgegengestreckte Hand. »Darf ich Ihnen Frau Stillman und Fräulein Van Deusen vorstellen? Und können wir Sie einen Augenblick sprechen?«

»Gewiß,« erwiderte er nicht ohne Verwunderung, was wohl diese Damen der Gesellschaft in seiner Kanzlei zu suchen hätten, »aber gewiß, ich stehe ganz zur Verfügung. Bitte, nehmen Sie Platz.«

Während sich die Besucherinnen im Halbkreise um den Schreibtisch des Vorstehers niederließen, glitt der Sekretär sachte aus dem Zimmer.

»Wir wissen, daß wir Ihnen eine Überraschung bereiten werden, und können deshalb gleich mit der Tür ins Haus fallen. Wir wollen uns mit der Gemeindeangelegenheit befassen.«

»Das ist gut,« erwiderte Allingham. »Ich hoffe, Sie werden uns einen annehmbaren Kandidaten zum Bürgermeister vorschlagen? Das ist das, was Roma heute am nötigsten hat.«

»Das ist allerdings unsre Absicht,« sagte Frau Bateman lächelnd.

»Bravo!« rief Allingham begeistert. »Soeben, als Sie eintraten, sagte ich hier zu Morgan: wenn doch Richter Bateman auftreten würde – oder vielmehr, er sagte es zu mir, und ich stimmte ihm zu. Ich hoffe, Frau Bateman, Sie kommen, um uns den Richter auf dem Altar der Bürgerpflichten darzubringen. Er würde die Stadt erobern.«

»Nein, das wirklich nicht, aber wir haben Besseres vor,« entgegnete die Gattin des Richters.

»Weit Besseres, glauben wir,« ergänzte Frau Stillman.

»Herr Allingham,« fuhr Frau Bateman fort, »die Frauen von Roma beabsichtigen ihren eigenen Kandidaten aufzustellen.«

»Auch gut. Da die Frauen stimmberechtigt sind, sehe ich nicht ein, warum sie nicht jeden wählen sollten, der ihnen geeignet erscheint.«

»O, ist dies Ihre Meinung? Denken Sie wirklich so?« fragte Gertrud Van Deusen, die bisher noch kein Wort gesprochen hatte.

»Gewiß denke ich so,« versicherte der junge Mann feierlich. »Ihr Frauen könnt alles unternehmen. Hier in den Vereinigten Staaten können schon Frauen, die das Stimmrecht nicht haben, fast alles tun, was sie wollen; aber da, wo sie wahlberechtigt sind, haben sie tatsächlich alles in der Hand. Sie haben mich sehr ermutigt, denn wenn Sie ernstlich an die Arbeit wollen und Ihre Kräfte mit denen des Bürgervereins vereinigen –« er zögerte einen Augenblick.

»Aus diesem Grunde kommen wir her,« sagte Frau Stillman.

»Dann halten wir den Sieg sicher in der Hand. Wenn Sie also den Richter Bateman oder – wie Sie sagten – einen noch besseren Mann bestimmen können, die Wahl anzunehmen, so könnten wir leicht mit der Demagogenbande im Rathaus fertig werden und in Roma wieder eine anständige Regierung bekommen. Wer ist Ihr Kandidat?«

»Fräulein Gertrud Van Deusen.« Frau Bateman zwinkerte mit den Augen, als sie diesen Namen aussprach, denn die konservative Stellung, die gerade die Familie Allingham der Frauenfrage gegenüber einnahm, war ihr wohlbekannt.

Der Vorsteher des Bürgervereins schnappte nach Luft. Sicherlich hatte er sich verhört – er mußte sich verhört haben. Er wandte sich der jüngeren Dame zu, die ihm lächelnd und sichtlich auf seine Unterstützung vertrauend gegenüber saß.

»Ich bin ganz glücklich, daß wir den Bürgerverein hinter uns haben werden,« sagte Frau Bateman. »Wir beabsichtigen, jede Frau in der Stadt aufzurütteln und zur Wahlurne zu treiben –«

»Aber meine Damen,« begann Allingham, der sich schon mit dem Suchen eines Ausweges abquälte, »haben Sie sich die Sache auch reiflich überlegt? Sind Sie sich klar darüber, was Sie tun wollen? Unter gewöhnlichen Umständen – vielleicht in wohlgeordneten Städten – aber eine Frau als Bürgermeister? In Roma? Ich fürchte, das wird nicht gehen!«

»Aber eben sagten Sie doch, wir könnten alles tun, was wir wollten,« begann Frau Stillman.

»Auf dem Weg der Unterstützung, ja,« stammelte der in die Enge getriebene Vorsteher, »aber dies wäre doch eine allzu große Neuerung.«

»Nun, John Allingham,« sagte Frau Bateman, die ihn von Kindheit auf kannte, »ich weiß, daß unser Vorschlag Ihnen wie ein Ärgernis erscheinen muß – ich weiß, wie schwer die Frage im Augenblick ist. Aber entscheiden Sie sich nicht jetzt – lassen Sie sich Zeit zur Überlegung. Beraten Sie sich mit den andern Führern. Wir bedürfen Ihrer Mitarbeit. Wir sind überzeugt, daß wir gemeinsam das richtige Regiment auf dem Rathause wiederherstellen können. Aber wir sind auch entschlossen, für unsre Kandidatin zu kämpfen – und zu siegen, es wäre denn, daß Sie einen besseren Mann als die bisher genannten für die Stellung in Vorschlag bringen können.«

»Also hier werfen Sie den Fehdehandschuh hin,« sagte Allingham, sein Gleichgewicht wieder gewinnend, »und ich soll – –«

»Sie sollen gar nichts. Entscheiden Sie sich, wenn Sie Zeit zum Überlegen gefunden, sich selbst zur Vernunft gebracht, mit Ihren Freunden beraten haben und zu einem Entschluß gekommen sind,« erwiderte Frau Bateman, sich erhebend, »und wir können jetzt gehen, denke ich.«

Sie verabschiedeten sich und ließen ihn in der Mitte des Zimmers ziemlich verdutzt stehen, verdutzt und entrüstet über die Entwicklung der Angelegenheit. Trotzdem bemerkte er die feinen Linien von Fräulein Van Deusens Schultern und ihre unwiderstehliche Art, den Kopf zu tragen.

»Was für ein prächtiges Weib muß sie sein,« dachte er bei sich. »Ein natürliches, reines Weib – aber ich Erznarr – ich ausgemachter Schafskopf! In welcher Schlinge habe ich mich gefangen! Warum konnte ich nicht abwarten, bis sie sich erklärt hatten? Und Fräulein Van Deusen! Für was für einen Esel muß sie mich halten – aber eine Frau als Bürgermeister – das ist doch zu toll!«

»So etwas hätte ich ja nicht für möglich gehalten?« rief der Sekretär, der wieder eintrat. »Blatchley sagt, der Frauenverein von Roma wolle sich aus Leibeskräften in den Wahlkampf stürzen – ja sogar eine Frau als Kandidatin aufstellen – die Tochter des verstorbenen Senators Van Deusen. Ich kann's nicht glauben! Wer doch – war sie nicht eine von den Damen, die eben hinausgegangen sind?«

»Doch, sie war dabei,« entgegnete Allingham, »und sie tritt auf. Ob sie gewählt wird, bleibt abzuwarten. Man kann nie wissen, was eine Frau –«

»Also ist es wahr?« fragte Morgan in noch immer ungläubigem Ton.

»Ja, es ist so,« erwiderte der Vorsteher, »die Frauen machen sich an die Arbeit. Es ist möglich, daß sie siegen. Aber so eine Geschichte in Roma!! Ich sehe nicht aus noch ein, wie wir –«

»Dann sind sie gekommen, um unsre Hilfe nachzusuchen?« fragte Morgan immer ungläubiger.

»Sie sind gekommen,« erwiderte Allingham, »um uns ihre Mitarbeit anzubieten, baten aber keineswegs um unsre Hilfe. Sie scheinen genau zu wissen, was sie tun wollen – diese Frauen!« schloß er rasch, weil ihm die voreilige Zustimmung zu ihren Plänen wieder einfiel, die er gegeben hatte, ehe er diese kannte.

»Ich möchte mich mit meiner Ansicht nicht festlegen, aber ich glaube, es wäre für die Stadt ganz ausgezeichnet,« begann der Sekretär, »eine Änderung von Grund aus –«

»Morgan,« unterbrach ihn sein Vorgesetzter, »wir würden uns lächerlich machen, wir würden zum Gespött im ganzen Staat werden. Ich werde nie zustimmen,« fügte er hinzu, und zwar mit um so größerer Heftigkeit, als er sich Gertruds vertrauensvoller Haltung sowie des Umstands erinnerte, daß er sich ja schon halb und halb für ihre Sache verpflichtet hatte.

»Vermutlich werden Sie eine Vorstandsitzung einberufen, um den Plan der Frauen zu beraten?« fragte Morgan. »Wenn es diesen ernst ist, so sind sie ein Faktor, mit dem so oder so gerechnet werden muß.«

»O ja, der Meinung bin ich auch,« erwiderte Allingham und wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu, »aber ich für meine Person bin in der Auffassung groß geworden, daß der Platz der Frau in ihrem Haushalt, bei Mann und Kindern sei.«

»In diesem Glauben bin ich auch ausgewachsen,« entgegnete Morgan, der nicht nur Sekretär, sondern auch ein vertrauter Freund seines Vorgesetzten war, »aber was vor zwanzig Jahren galt, hat sich inzwischen überlebt, und jene Ansichten sind heute so altfränkisch, als ob sie hundert Jahre alt wären. Fräulein Van Deusen ist ein ganz famoses Frauenzimmer – die echte Tochter des alten Senators.«

»Kennst du Fräulein Van Deusen?« fragte Allingham in anscheinend gleichgültigem Ton.

»Nun, nein, nicht gerade, ich habe sie nur gelegentlich getroffen. Aber meine Basen sind sehr befreundet mit ihr, und nach allem, was ich von ihr höre, muß sie ein echtes und rechtes Weib sein. Und alle sagen, sie werde Armstrong heiraten.«

»Um so weniger braucht sie sich in die Gemeindeangelegenheiten zu mischen,« sagte Allingham grollend. »Siehst du, meiner Ansicht nach täte eine derartige Frau besser daran, auf den Knieen herumzurutschen und ihre Haustreppe zu scheuem, als den Versuch zu machen, das Rathaus zu säubern. Und sie ist nicht die Frau für jede Art von Arbeit.«

Wütend zernagte er seinen Schnurrbart, stieß beim jähen Verlassen des Zimmers den Schreibstuhl um und versetzte seinen Mitarbeiter einen Augenblick in nicht geringen Schrecken, als er die Türe dröhnend ins Schloß warf. Lächelnd blickte ihm Morgan nach.


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