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Fünfzehntes Kapitel.
Die Falle

Die nächsten zwei Tage waren dem Studium der Bücher der Stadtkasse und Stadtpflege und dem Finanzsystem der Stadt Roma gewidmet. Diese Arbeit erforderte von Gertie und ihren Gehilfinnen viel Zeit, weil es nötig war, in alle möglichen Einzelheiten, Gehälter und andre Ausgaben aller Art Einsicht zu gewinnen. Der Befund des ersten Tages veranlaßte sie, einen vereidigten Bücherrevisor kommen zu lassen, dem sie am nächsten Morgen ruhig die Arbeit übertrug. An diesem Abend ließ sie Armstrong bitten, sie in ihrer Wohnung zu besuchen.

»Ich fange jetzt an, zu verstehen, welchen Wert für einen Geschäftsmann ein behagliches Heim haben muß,« sagte sie zu ihrer Base, als sie sich in ihrem Lieblingslehnstuhl am Kaminfeuer der Bibliothek ausstreckte. »Noch nie habe ich es so zu schätzen gewußt, was ein gutgeführter, behaglicher Haushalt wert ist – was es heißt, sich nach harter Tagesarbeit an seinem eigenen Feuer auszuruhen und die Welt draußen ihren Lauf gehen zu lassen. Ich sage dir, Jessie, wenn die Frauen dies alles besser einzuschätzen vermöchten, so gäbe es mehr glückliche Familien und weniger Ehescheidungsprozesse.«

»Das mag sein,« erwiderte ihre Cousine, »immerhin läßt sich auch für den entgegengesetzten Standpunkt etwas sagen. Ich bin es vielleicht so müde, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen, mich mit den Haushaltungsgeschäften und den Launen der Dienstboten herumzuschlagen, daß ich die Frauen verstehe, die wenigstens des Abends oder in der Nacht die Gesellschaft ihrer Männer oder deren Begleitung in Theater, Gesellschaften und dergleichen beanspruchen.«

»Falsch,« erklärte Gertrud kurz und bündig. »Wenn ein Mann abends heimkommt, an Körper und Geist ermüdet von angestrengter Arbeit, dann braucht er ein gutes Essen, einen Lehnstuhl, seine Zeitung und seine Pfeife. Ich verstehe ganz gut, wie eine taktvolle Frau ihm sein Heim zum Himmel machen kann – oder auch zum Gegenteil, wenn sie ihn mit ihrem unzufriedenen Gezerfe zwingt, sich noch in den Frack zu werfen und noch einmal mit ihr auszugehen und müde und ärgerlich den Abend zu verbringen.«

»Aber was sollen dann die Frauen anfangen?« fragte Fräulein Craig. »Sollen sie auf jedes Vergnügen außerhalb des Hauses verzichten?«

»Mit all ihren Vereinen, Spielkränzchen und Nachmittagstees könnten sie sich zufrieden geben,« sagte Gertrud. »Aber eine Frau, die Wert auf häusliches Glück legt, soll ihren Mann des Abends nicht um die Freuden bringen, die ihm ein wohlgehaltenes Heim bietet,« und damit schmiegte sie sich noch fester in ihren Lehnsessel.

»Guter Gott, Gertie!« rief ihre Cousine lachend. »Man könnte wahrhaftig glauben, du habest Heiratsgedanken oder bereitest dich vor auf einen öffentlichen Vortrag für Frauen über häusliches Glück oder die Erziehung zur Ehe! Doch da ist ja Bailey. Vermutlich habt ihr städtische Angelegenheiten zu verhandeln – so ungefähr das letzte, was ich mitanhören möchte – also entschuldigt mich für eine Stunde. Übrigens, glaubst du, daß man in deiner Idealehe nach den Geschäftsstunden noch von Geschäften sprechen dürfe? Ach, Bailey, ich fürchte, nächstens fängt sie auch noch das Rauchen an!« Und damit ging sie ab, um bei ihrer nächsten Nachbarin noch ein Plauderstündchen zu halten.

»Nimm Platz, Bailey,« bewillkommnete ihn Gertrud; »du hast wohl nichts dagegen, wenn wir hier am Feuer sitzen bleiben und unsre Angelegenheiten besprechen? Gut! Also weißt du, daß Herr Henry – der vereidigte Rechnungsprüfer – heute die Bücher durchgesehen hat?«

»Jedenfalls war dies sehr zweckmäßig,« stimmte Bailey zu. »Ist auf diesem Weg etwas entdeckt worden?«

»Er hält einige der ausgezahlten Gehälter für höher, als sie sein dürften. O, da ist noch so viel zu tun, so viel bedarf noch der Verbesserung! Nach so manchem Unerledigten wäre zu sehen und so vieles zu Ende zu führen!« rief sie.

»Du wirst doch nicht daran ermüden, Gertie – jetzt schon?« fragte Bailey überrascht.

Gertrud hatte sich in ihrem Lehnsessel aufgerichtet.

»Weißt du, Bailey,« erwiderte sie, »wie wohl bei den meisten Menschen wohnen zwei Seelen, ach, in meiner Brust. Da ist die eine Gertrud, die zeitlebens beschützt und verwöhnt worden ist, die nie einer Unannehmlichkeit oder Schwierigkeit gegenüberstehen mußte – ja, nicht einmal eine Arbeit verrichten. Da kommt es denn manchmal vor, daß, wie heute im Schutz und Schirm von meines Vaters schöner Bibliothek, diese Gertrud mit ihrem Verlangen nach Luxus und den wohlgeebneten Wegen, auf denen sie zu gehen gewohnt war, wieder an die Oberfläche kommt. Aber daneben gibt es auch noch eine andre Gertrud Van Deusen, die es für eine Schande halten würde, nachdem sie einmal die Hand an den Pflug gelegt hat, ihn stehen zu lassen, ehe sie ihre Furche gezogen. Das ist die Gertrud, die fest steht und sich erdreistet, den Schurken auf dem Rathaus entgegenzutreten und Bestechlichkeit auszurotten, wenn solche vorhanden ist, – und ich glaube, sie ist's.«

»Daran ist wohl kaum zu zweifeln,« gab Bailey zurück, »und das ist gut für dich! Du bist noch immer das Mädchen, das ich einst in die Ecken unsrer Schneefestungen trieb, nur um sie kämpfen zu sehen.«

»Ich war wohl nie sehr ›Dame‹, nicht wahr?« erwiderte Gertrud lächelnd. »Aber wenn ich von der Sorte gewesen wäre, so hätte Roma jetzt Burke zum Bürgermeister. Und weißt du, Bailey, daß er ganz gehörig mit der Stadtbahngeschichte verhängt ist?«

»Wie sollen wir das herausbringen?«

Lange berieten sie, am Kamin sitzend, diese städtischen Fragen, dann kamen aber Mary Snow und Jessie Craig, und der Abend endete mit Musik und einem friedlichen Whist. Danach begleitete Bailey Mary Snow mit seiner galantesten Beschützermiene nach Hause.

»Gertrud, glaubst du nicht auch, daß Bailey sich für Mary Snow ganz gehörig interessiert?« fragte Miß Craig, als die beiden gegangen waren.

»Bailey? Kein Gedanke,« erwiderte Gertrud, der er so manches Jahr zu Füßen gelegen hatte, daß sie eine Art Eigentumsrecht auf ihn zu haben glaubte. Sie war sich bewußt, daß sie Armstrong während der letzten zehn Jahre jeden Tag hätte heiraten können, deshalb fuhr sie fort: »Nein, nein, Bailey interessiert sich immer für die Menschen, die ich lieb habe, und Mary habe ich sicherlich sehr lieb – ich weiß gar nicht, was ich ohne sie anfangen sollte. Außerdem bringt sie auch ihr Beruf weiß nicht wie oft zusammen.« Sie sah nicht, wie Jessie ihre feinen Brauen emporzog, als sie ihr »Gute Nacht!« sagte, und es war auch gut, daß sie nicht sehen konnte, wie Bailey sich wenig später von Mary Snow verabschiedete.

*

Am nächsten Morgen erschien Vickory wieder bei Gertrud.

»Haben vermutlich nicht erwartet, mich schon so bald wiederzusehen?« fragte er, indem er sich ganz dicht an ihren Schreibtisch drängte. »Aber ich dachte, ich springe geschwind herein und höre, was Sie beschlossen haben. Na, wie steht's? Tun Sie mit?«

»Es gibt immer noch einige Punkte, über die ich nähere Auskunft von Ihnen brauche,« sagte Gertrud. »Minnie, wollen Sie uns einige Minuten allein lassen und jede Störung abhalten? Danke schön! Nun, Herr Vickory, wollen Sie so gut sein und mir Ihre Vorschläge wiederholen?«

Dies tat der Mann und erklärte weit und breit die Notwendigkeit des geplanten Unternehmens. Sie verstand es, ihre Fragen so zu stellen, daß er am Ende der Unterhaltung sehr im Zweifel war, ob sie auch nur die Hälfte seiner Ausführungen begriffen habe.

»Sie dürfen nicht vergessen, daß wir gute Leute hinter unserm Projekt stehen haben. Geld ist massenhaft vorhanden, und wir haben uns vorgenommen, es da anzulegen, wo es am meisten Gutes wirken kann.«

Er ließ eine bedeutungsvolle Pause eintreten, aber sie tat, als ob sie ihn nicht verstünde. Was konnte man auch von einer Frau in solchen Dingen erwarten!

»Wie ich schon neulich die Ehre hatte, Ihnen zu sagen, wird für Sie eine hübsche Anzahl Aktien abfallen – und zwanzigtausend Dollars an dem Tag, an dem Sie die Konzession unterschreiben,« drängte er, deutlicher werdend.

»Aber wenn es herauskommt?« fragte sie. »Wenn es bekannt würde – kämen wir da nicht in Ungelegenheiten?«

»Bah, da ist keine Gefahr,« erwiderte Vickory lachend. »Die Stadträte stecken ja alle drin, und mit der Stadtverordnetenversammlung können wir leicht fertig werden – vorausgesetzt, daß Sie sich auf unsre Seite schlagen, und tun Sie dies, so macht auch Armstrong mit, da können Sie sich darauf verlassen.«

»Wäre es nicht am besten, ich würde die Sache mit meinem Stellvertreter besprechen?« fragte Gertrud.

»Das können Sie natürlich,« gab Vickory zu, »aber immerhin ist es bei solchen Angelegenheiten besser, man spricht möglichst wenig.«

»Aber wie soll ich mich davon überzeugen, daß die Stadträte wirklich beteiligt sind?« fragte Fräulein Bürgermeister zögernd. »Wer leistet mir Gewähr dafür, daß dies nicht nur eine Falle ist, um mich hereinzulegen?«

»Schlauer, als ich ihr zugetraut hätte,« dachte Vickory bei sich selbst; laut sagte er indes: »Aber, verehrte Dame – ich kann mich in Ihre Lage ganz hineinversetzen – ja, und ich trage ihr Rechnung. Wenn ich Ihnen den Beweis durch tatsächlich festgestellte Zahlen erbringe – werden Sie mir dann Glauben schenken?«

»Ja, ich denke, dann werde ich Ihnen glauben,« sagte Gertrud.

»Dann werde ich heute nachmittag wieder kommen, wenn es Ihnen paßt,« drängte der Mann, »und all meine Notizen in betreff der Summen mitbringen.«

»Sehr gut, kommen Sie also um drei Uhr,« erwiderte Gertrud, »ich werde Sorge tragen, daß der Weg frei ist.«

Und Vickory zog ab, höchst befriedigt von dem Ergebnis der letzten halben Stunde. Als er gegangen war, rief Gertrud Mary Snow zu sich, und die beiden hatten ein langes Gespräch miteinander.

Schlag drei Uhr erschien Orlando Vickory und wurde in das Privatarbeitszimmer des Bürgermeisters geführt.

»So, da wäre ich,« sagte er, »wir sind doch selbstverständlich allein?« Mit diesen Worten ging er auf eine durch einen Vorhang verdeckte Türe zu, schob jenen beiseite und sah hinein. Das Zimmer der Stenographin war aber ganz leer. Übrigens erinnerte er sich auch, sie in einem der äußern Arbeitsräume gesehen zu haben.

»Verzeihen Sie,« entschuldigte er sich; »ich wollte mich nur durch den Augenschein überzeugen – um Ihretwillen, natürlich. Denn obgleich derartige kleine Abmachungen an der Tagesordnung sind, ziehen wir es doch vor, keine Zeugen dabei zu haben. Ich bitte nochmals um Entschuldigung – aber wohin führt diese Türe?« Damit deutete er auf die Ecke dicht hinter dem Schreibtisch Gertruds.

»Nur zu einer Privattoilette,« erwiderte Gertrud nicht ohne Herzklopfen, »aber selbstverständlich können Sie hineinsehen, wenn Sie darauf bestehen.«

»O nein,« erwiderte Vickory, »ich dachte nur, sie könnte vielleicht mit einem andern Geschäftsraum in Verbindung stehen. Wir sollten nicht gestört werden. Also zu unserm Geschäft! Hier sind meine Privatnotizen – sehen Sie sich dieselben an und fragen Sie mich, falls Ihnen etwas nicht ganz verständlich ist.«

Gertrud nahm das kleine, in Leder gebundene Notizbuch und begann es zu durchblättern. Aber es schien ihr heute irgendwie an Verständnis zu fehlen.

»Was ist dies?« fragte sie. »›Anno 1907 an die königlichen Herrschaften bezahlt‹. Was sind denn dies für königliche Herrschaften?«

»Na, wissen Sie, ich zog es vor, die Sachen unter diesem Decknamen zu verrechnen. Auch Sie werde ich, wenn unser kleines Geschäft erledigt ist, unter diesem Titel eintragen.«

»O, jetzt verstehe ich,« erwiderte Gertrud. »Hier steht John O'Brien mit zwölftausend Dollars – ist der eine ›königliche Herrschaft‹ geworden, wie Sie es nennen – weil er für die Konzession eingetreten ist?«

»Das stimmt,« entgegnete Vickory. »Soviel hat er bis jetzt bekommen. Wie Sie wissen, war er voriges Jahr Stellvertreter des Stadtvorstandes.«

»Und Herr Mann, unser jetziger Stellvertreter – ist er auch darunter?«

»Etwas weiter vorne werden Sie ihn finden.«

Gertrud las mit nicht lauter, aber sehr deutlicher Stimme alle Posten vor, die den »königlichen Herrschaften«, das heißt den verschiedenen Beamten und Stadträten, ausbezahlt worden waren und die sich von fünfhundert bis zu Tausenden von Dollars beliefen, und gelangte dann bis zu Manns Trinkgeld.

»Ist dies denn richtig – Otis H. Mann dreizehntausendfünfhundert Dollars?« fragte sie.

»Das stimmt ganz genau.«

»Und soll bedeuten, daß Herr Mann diese Summe angenommen hat – gegen die Verpflichtung, die Konzession durchzudrücken?« fragte sie mit ihrer klaren, hellen Stimme.

»So ist's, und alles, was wir jetzt noch brauchen, ist Ihre Unterschrift, um die Sache beim Stadtrat durchzubringen – dann sind wir schön heraus,« erwiderte Vickory. »Die hiesige Stadt hat ein sonderbares Ortsstatut.«

»Und wenn ich den vorgeschlagenen Vertrag unterzeichne?« fragte sie.

»So bekommen Sie zwanzigtausend Dollars in bar und tausend Prioritätsaktien,« lautete die Antwort.

»Warum wollen Sie mir jetzt nicht gleich einen beglaubigten Scheck ausstellen?« fragte Gertrud.

»Na, ob dies nicht echt weiblich ist! – Übrigens ein reizender weiblicher Zug,« gab Vickory zurück. »Einem Mann könnte es ja nie und nimmer einfallen, bei derlei kleinen Geschäften einen Scheck zu verlangen. Gutes bares Geld ist doch gerade so viel wert, nicht wahr?«

»Ich glaube wohl,« erwiderte sie.

»Nun also?« fragte er nach einer kleinen Pause.

»Nun?« gab sie zurück.

»Sie werden die Konzession unterzeichnen?« fragte er, indem er sich überlegte, was er nun zunächst tun solle.

»Herr Vickory – es widerstrebt, wie Sie wissen, allen meinen Grundsätzen, für meine Unterschrift Geld zu nehmen,« sagte das Fräulein Bürgermeister.

»O, ich dachte, darüber seien wir hinweggekommen,« gab er zurück.

»Ja, ich weiß. Ich habe ja auch nicht gesagt, daß ich es nicht tun werde,« fuhr sie fort. »Aber ich brauche noch einen Tag oder wenigstens eine Nacht zur Überlegung – ich möchte wissen, was mein Vater an meiner Stelle getan hätte.«

»O, Ihr Herr Vater war ein guter Politiker,« erwiderte Vickory zuversichtlich. »Er hätte sofort gewußt, was er zu tun hätte.«

»Das glaube ich auch,« sagte Gertrud in undurchdringlicher Weise. »Also, ich will Ihnen sagen, was ich tun werde. Ich werde mir diese Nacht vorbehalten, nur diese einzige Nacht, um mit meinem Gewissen ins reine zu kommen, dann können Sie bei mir morgen vorsprechen – so früh Sie wollen.«

»Aber ich möchte gern Ihr Versprechen mit mir nehmen, obgleich ich auch mit Ihrem andern Vorschlag zufrieden sein muß,« entgegnete Vickory und steckte sein kleines Notizbuch sorgfältig in seine innere Brusttasche.

»Ach, bitte, Herr Vickory, morgen früh.« Sie lächelte freundlich und hielt ihm ihre Hand hin. Er nahm diese und wünschte ihr einen guten Nachmittag. Als er diesmal die Treppe hinunterging, wußte er nicht, ob er sich beglückwünschen sollte oder nicht.

»Auf diese Weiber ist kein Verlaß,« sagte er zu sich selbst, als er sich in das Zimmer der Stadträte begab. »Da denkt man einen Augenblick, man habe eine, und wenn man zufassen will, ist sie verschwunden.«

Unterdessen telephonierte Gertrud eben nach dem Bezirksanwalt.


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