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Drittes Kapitel.
Kriegsrat

Am nächsten Morgen waren alle Zeitungen durch Überschriften verschönt, die sämtlich mehr oder weniger schmeichelhaft waren für die Kandidatin der Frauen.

»Die Frauen nehmen die Geschäfte selbst in die Hände!«

»Eine Senatorstochter will Bürgermeister werden.«

»Die Männer sollen in der Politik ausgeschaltet werden.«

»Senator Van Deusen wird sich im Grab umdrehen, wenn seine Tochter die Kandidatur annimmt.«

So und ähnlich lauteten die Kolumnentitel, mit denen die Zeitungsschreiber in Roma, unter großer Vergeudung mitternächtlich verbrannten Öls, sich nächtlicherweile angestrengt hatten. Die den schönen Überschriften folgenden Artikel waren teils ungläubig, teils von milder Nachsicht getragen, teils spöttisch oder die Sache ins Lächerliche ziehend, je nach der Parteirichtung der betreffenden Zeitungen.

Einer dieser Artikel lautete: »Es ist eine Schmach und eine Schande und eine Bedrohung dieser schönen Stadt, daß die politischen Umtriebe in der städtischen Verwaltung sie so weit heruntergebracht haben, daß nicht einmal unsre tüchtigsten und fähigsten Männer uns bei der Verwirklichung des Ideals eines guten Stadtregimentes zu unterstützen Willens sind, und daß nun eine Handvoll Frauen die Verbesserung unsrer Stadtverwaltung in Angriff nehmen will. Bei aller Achtung vor diesen Damen – und wem sind ihre entzückenden Eigenschaften besser bekannt als uns – läßt es sich doch nicht leugnen, daß unsre Frauen, zum Schweigen in der Kirche erzogen – und im Rathaus erst recht – nicht über die großzügige Geschäftskenntnis und nicht über das weite, freisinnige Urteil verfügen, das nötig ist, um diese Arbeiten zu leisten. Außerdem verträgt es sich nicht mit unsrer Selbstachtung als Gatten und Brüder, zu gestatten, daß sie ihre eigene Würde und ihren bisherigen Einfluß dadurch schmälern, daß sie in die Arena des öffentlichen Lebens hinabsteigen. Die Wahl einer Frau – einerlei wie befähigt und hochherzig sie auch sein mag – würde für unsre Stadt einen Schritt abwärts bedeuten. Das darf nie und nimmer geschehen.«

Ein andrer Journalist ließ sich folgendermaßen aus: »Der verewigte Senator Van Deusen war einer der hervorragendsten Juristen des Landes; sein Herz schlug aufs wärmste für die Interessen seiner Vaterstadt, und seine Wähler wußten immer, wo sie ihn finden konnten, wenn sie ihn über gesetzliche oder politische Fragen um Rat fragen wollten. Er war nicht für das Stimmrecht der Frauen oder für die Übertragung wichtiger Ämter an das ›schwächere Geschlecht‹, obgleich er sich persönlich durch besondere Höflichkeit gegen die Damen auszeichnete. Was in aller Welt würde dieser Mann zu dem tollen Vorschlag einiger sogenannter ›fortschrittlicher Weiber‹ sagen, die seine eigene Tochter auf den Sessel des Bürgermeisters von Roma bringen wollen? Wahrhaftig, er würde sich in seinem Grab umdrehen! Weder können noch wollen wir glauben, daß eine, die dem Herzen des seligen Senators so teuer war und so nahe stand, mit dieser Besiegung einverstanden ist, noch daß Fräulein Van Deusen selbst ihre Einwilligung dazu erteilt hat, ihren Namen auf die Liste der Bewerber für die erste und höchste Stelle der Stadt zu setzen.«

Eine dritte Zeitung verkündete: »Man braucht sich weiter nicht darüber zu verwundern, daß die Frauen, die gewöhnt sind, mit abfälligen Urteilen über die Männer, die hohe Stellen im städtischen Dienst einnehmen, um sich zu werfen, daß diese Frauen erklären, ›von diesen wollen wir keinen zum Bürgermeister‹, und daß sie wünschen, unsrer guten Stadt Roma eine kleine Unterrockregierung aufzudrängen. Bisher ist Roma stolz gewesen auf seine Heime, seine Mütter, seine Gattinnen und Hausfrauen. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn wir einige wenige dieser Musterhausfrauen anstellen würden, um Ordnung im Rathaus zu schaffen. Diese sollen vorangehen und dann einen weiblichen Bürgermeister wählen. Sie sollen sich ans Werk machen und die Wechsler aus dem Tempel peitschen. Vielleicht können es die Frauen – jedenfalls können wir Männer es nicht – oder tun es nicht.«

Gertrud Van Deusen las diese Artikel in der Stunde nach dem Frühstück, wo sich sonst eine Dame gerne ein wenig in ihrem Arbeitszimmer niederläßt und, die Füße gegen den Kaminrost gestemmt, ihre Kräfte für das vor ihr liegende Tagewerk sammelt.

»Auf das mußte ich ja wohl gefaßt sein,« sagte sie zu ihrer Cousine, die mit ihr zusammen wohnte. »Seit undenklichen Zeiten war es die Lieblingskampfweise der Männer, einen Gegenkandidaten in den Zeitungen herunterzureißen und schlecht zu machen. Was kann da ein ›nur ein Frauenzimmer‹ Besseres erwarten?«

»Na, das trägt doch nur zu den Freuden politischer Tätigkeit bei,« erwiderte die Cousine. »Was wirst du dagegen tun?«

»Nichts. Wenigstens wüßte ich nicht, was. Ich habe schon zu Bailey geschickt; er soll mir seinen Rat geben. Er kennt alle Schliche und Tücken der Politik.«

»Und er ist Sekretär des Union-Klubs, nicht wahr?« fragte ihre Verwandte. »Wenigstens war er es früher, und wenn dieser Klub auch kein politischer ist, so wäre seine Unterstützung doch von großem Wert.«

»Wenn wir sie bekommen können – gewiß,« entgegnete Gertrud.

Bailey Armstrong war ein Vetter zweiten Grades von ihr, er hatte Fräulein Van Deusen seit des Senators Tod stets seinen Rat zur Verfügung gestellt, wenn sie eines solchen zu bedürfen glaubte. Er war ein junger Rechtsanwalt mit glänzenden Aussichten, beträchtlichem politischem Einfluß und, was für die beiden Damen an diesem Morgen hauptsächlich von Belang war, überzeugter Frauenrechtler.

Senator Van Deusen war erst seit drei Jahren tot. Er hatte seinen beiden Töchtern, deren eine sich nach Europa verheiratete, ein großes Vermögen hinterlassen. Die zweite, Gertrud, wohnte auf der reizenden Besitzung, die lange Zeit hindurch eine Sehenswürdigkeit der Stadt war. Von Luxus jeder Art umgeben, in der Lage, sich keinen Wunsch versagen zu müssen, erregte Gertrud bei manchen Verwunderung, als sie die Kandidatur für ein öffentliches Amt annahm. Aber ihr Reichtum hatte sie doch nicht vor der modernen Rastlosigkeit ihres Geschlechts zu bewahren vermocht, und der Wunsch, etwas für das öffentliche Wohl zu leisten, hatte völlig Besitz von ihr ergriffen.

In einem amerikanischen Kollegium und später in Girton vorzüglich erzogen und gründlich gebildet, hatte sie sich im beständigen Umgang mit ihrem Vater geistig mehr und mehr entwickelt. Das Zusammenleben mit ihm in Washington hatte sie für das herkömmliche Frauenschicksal ganz ungeeignet gemacht, das sie natürlich hätte haben können, wenn es in ihren Wünschen gelegen hätte. Mehreremal war auch um ihre Hand angehalten worden, einmal von einem aussichtsvollen bekannten Diplomaten, aber ihr Herz war von Liebe unberührt geblieben, und sie war nicht die Frau, die sich aus andern Gründen verheiratet hätte. Sie war jetzt dreißig Jahre alt und blickte nicht (wie früher unverheiratete Mädchen) rückwärts, sondern vorwärts nach einer nutzbringenden Tätigkeit.

»Ich denke, Bailey wird auf seinem Weg in der Stadt bei uns vorsprechen,« sagte sie, indem sie sich erhob und an eines der auf die Straße gehenden Fenster trat, wo ihre zarte Gestalt von der Septembersonne, die durch die Scheiben glitzerte, zart umrissen stand. »O, da kommt der Briefträger!«

Im nächsten Augenblick wurde ihr ein Brief überreicht, den sie rasch öffnete, um dann zu lesen, was folgt:

 

»Liebes Fräulein Van Deusen!

Soeben habe ich zufällig erfahren, daß der Bürgerverein gegen uns gestimmt hat! Wie läßt sich dies mit den Verbesserungen und dem Fortschritt vereinigen, mit dem er sich immer so breit macht? Denn er will mit den Anhängern der Burkeschen Kandidatur gemeinschaftliche Sache machen. Aber machen Sie sich nichts draus! Halten Sie den Kopf hoch und bewahren Sie sich Ihr mutiges Herz – dann werden wir doch siegen.

Stets zu Ihren Diensten
Mary Snow.«

 

»Man läßt Sie ans Telephon bitten,« meldete das Zimmermädchen von der Türe her. Gertrud eilte ans Telephon, an dem sich Frau Bateman meldete.

»Ich bin so wütend,« begann diese, »daß ich kaum Worte finden kann. Ich habe einen Brief von John Allingham erhalten. Soll ich ihn vorlesen?«

»Oh ja, bitte,« erwiderte Gertrud.

»Also: ›Liebe Frau Bateman,‹ fängt er an. ›Bei einer Zusammenkunft unsrer Führer, die noch gestern abend stattfand, wurde – mit großem Bedauern, was ich Sie zu glauben bitte, hervorgehoben, daß es für unsern Bürgerverein weder klug noch vorteilhaft wäre, einen weiblichen Kandidaten aufzustellen. Wir bitten Sie daher, Ihre Absicht aufzugeben und einen tüchtigen Mann aufzustellen, oder, wenn es Ihnen so annehmbarer klingt, einen tüchtigen Mann zu unterstützen. In diesem Falle würden wir Ihnen überwiegend entgegenkommen können bei allem, was Sie zu dessen Unterstützung zu tun für angezeigt halten. Ihrer gütigen Antwort entgegensetzend und allen Ernstes die Zurückziehung der weiblichen Kandidatur und Ihr Zusammenarbeiten mit uns erwartend, bin ich mit ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebenster John Allingham, Vorsitzender.‹ Da! Was sagst du nun zu der Geschichte?«

»Das überrascht mich in keiner Weise,« erwiderte Gertrud. »Du hast doch sicher auch bemerkt, wie unsicher und unbehaglich er sich fühlte, als er entdeckte, wer unser Kandidat war – und dies nach seiner Schönrederei über den Einfluß der Frauen auf die öffentlichen Angelegenheiten. Gleich damals versuchte er sich nach rückwärts zu konzentrieren.«

»Das weiß ich wohl,« entgegnete Frau Bateman; »aber ich war doch nicht darauf gefaßt, daß er uns direkt bekämpfen würde. Er war sonst immer so ein netter Kerl, aber jetzt –«

»Außerdem habe ich noch die vertrauliche Mitteilung erhalten, daß sie sich mit den Anhängern Burkes vereinigen wollen, wenn es zum Kampf zwischen uns kommt.«

»O – nein, so schlimm kann die Sache doch nicht stehen!« rief Frau Bateman. »Was beabsichtigst du zu tun? Du wirst dich doch nicht ins Bockshorn jagen lassen?«

»O nein, meine Liebe,« und Gertruds sanfte Stimme bekam einen Klang, der denen wohl bekannt war, die den verstorbenen Senator gekannt hatten, »hast du je gehört, daß ein Van Deusen sich so schnell in die Flucht schlagen läßt? Sie können mich besiegen, aber sie können mir nicht bange machen. Ich habe zu Bailey geschickt, und wenn ich mit dem einen guten Schwatz gehabt habe, komme ich zu dir hinüber, und dann besprechen wir alles.«

»So ist's recht, du bist zuverlässig – in der Wolle gefärbt,« lautete die Antwort.

Gerade als sich Gertrud vom Telephon abwendete, trat Bailey Armstrong ein.

»Na, na, was höre ich da für Geschichten!« rief er aus, als er mit ausgestreckter Hand auf sie zukam. »Du wirst Roma bis in seine Grundfesten erschüttern, wenn du fest bleibst! – Und ich denke wohl, daß du das wirst?« fügte er mit einem Blick in ihre Augen hinzu.

»Ich bin meines Vaters Tochter,« erwiderte sie und führte ihn in die Bibliothek, wo sie ihm die neuesten Nachrichten mitteilte.

»Ich hätte es nie und nimmer geglaubt, wenn ich nicht gestern abend selbst dabei gewesen wäre,« sagte Bailey. »Donnerwetter, war das eine hitzige Erörterung! Einige von uns wollten deine Kandidatur unterstützen, aber die Mehrheit verlangte einen Präzedenzfall, um sich selbst das Rückgrat zu steifen. Und wie du ja selbst weißt, hat es zuvor noch nie einen weiblichen Bürgermeister gegeben. Nun sage mir aber ehrlich, Gertie, bist du fest entschlossen, aufzutreten? – Weil nämlich die Augiasställe nicht gerade dem entsprechen, woran du gewöhnt bist – und dies wird dir bald genug in die Augen springen.«

»Mein Entschluß steht fest,« erwiderte Gertrud gelassen.

»Damit wäre also diese Frage erledigt,« sagte der junge Mann; »nun wollen wir also unsern Schlachtplan entwerfen.«

»Dann willst du mir also helfen, Bailey?«

»Selbstverständlich! Kannst du mich brauchen?«

»Natürlich brauchen wir dich!«

»Nicht › wir‹ mußt du sagen, sondern ›ich‹,« erwiderte der junge Mann ebenso ruhig und fest, wie sie gesprochen hatte. »Die Sache liegt nämlich so, daß ich mehrere Wahlkämpfe mitgemacht habe und nicht nur als guter Kämpe gelte, sondern auch eingebildet genug bin, mich auch für einen tüchtigen Organisator zu halten – und das hat hundertmal mehr Wert.«

»Also sage mir in erster Linie, wie ich die große Masse der Wähler gewinnen kann – kurzum, wie ich Stimmen fangen kann,« entgegnete Gertrud. »Wie habe ich es anzufangen?«

»Dazu gibt es zwei Wege,« erwiderte der junge Mann. »Wärest du ein Mann, so könnte ich dir raten, dich im Bewußtsein deiner Kraft kopfüber in den Kampf zu stürzen, oder du könntest ihn auch, getragen von einem bestimmten Gedanken, an dessen Verwirklichung dir im Interesse der öffentlichen Meinung viel liegt, beginnen. Der erste Weg ist der alte, der zweite der neue Gedanke.«

»Und der alte Weg?«

»Nun, wenn du ihm folgen willst, so mußt du dich dem Vorsitzenden irgend eines Wahlvereins in der Stadt zur Verfügung stellen, du mußt eine große Menge vom Ausschuß zusammengerichtete sinnlose Drucksachen lesen, die von Beleidigungen und Schmähungen des Gegners strotzen. Dies Zeug mußt du auswendig lernen und dann hinter den roten Lichtern und der Blechmusik drein marschieren von einem Versammlungsort zum andern und das, was du gelesen, aber nicht durchdacht hast, in Verbindung mit einigen reichlich alten Witzen und wenig zuverlässigen Geschichten vor einer müden, der Sache überdrüssigen Zuhörerschaft loslassen, im Vertrauen darauf, daß du dir einen gewissen Ruf von Beredsamkeit erworben hast. Hinter verschlossenen Türen finden geheime Besprechungen statt; alte Kleider und schnodderige, lümmelhafte Reden werden zur Schau gestellt, um die Stimmen der Arbeiter zu gewinnen; du wirst zu und mit allen Arten von Leuten sprechen, sie bei ihren Taufnamen nennen und stets daran denken, daß du als Kandidat dafür Sorge tragen mußt, daß sie ihre Stimmzettel für dich abgeben. Tatsächlich kannst du aber Hunderte von Stimmen dabei verloren haben.«

»Ja,« erwiderte Gertrud mit Geist, »und dann werde ich von der Parteileitung ausgenommen; sie werden mich einen neu erblühenden Genius heißen, und ich werde den Parteiführer für einen großen Mann halten.«

»O ja,« fuhr Bailey fort, »bis du angefangen hast, selbst zu denken. Dann wird es dich wundern, daß du von deiner Partei als Kandidatin erwählt und aufgestellt worden bist, wie es geschah. Noch seltsamer wird es dich anmuten, daß das Wahllokal, in dem du auftreten sollst, schon mehrere Stunden, ehe die Übereinkunft getroffen wurde, mit großen Lettern in den Zeitungen angekündigt wurde, und daß der Eisenbahnpräsident, dessen Schienenweg durch deine Stadt führt, schon seine Einwilligung erteilt oder ihm nötig scheinende Änderungen getroffen hat.«

»Ja – und dann,« unterbrach ihn Gertrud, »wenn ich eines Tages zufällig mir die Mühe nehme, es zu lesen, finde ich in einem Gesetz eine kleine, in fünfzig inhaltlosen Seiten versteckte Klausel, die einigen der Politik des Staates sehr nahestehenden Interessenten besondere, ungerechte Vorrechte einräumt. Ich könnte dann dies Gesetz mit meinen Idealen von Ehrlichkeit und Gerechtigkeit nie und nimmer in Einklang bringen, und dann wäre es möglich, daß es mir in den Sinn käme, dies sei ein Irrtum, der mit Hilfe der Parteiführer leicht in Ordnung gebracht werden könnte.«

»Und dann widersprichst du,« stimmte Bailey zu, »und beantragst aus deiner liebenswürdigen, lieblichen Harmlosigkeit heraus, daß dies Gesetz berichtigt und die betreffenden Vorrechte aufgehoben werden. Das schmeichelnde Lächeln, das deinen Antrag begrüßt, wird dir auf die Nerven gehen und du setzest dich wieder, um dir die Sache zu überlegen, und wenn es dir dann gelungen ist, dein Gehirn von Spinnweben zu säubern, so wird dir zum erstenmal ganz klar werden, daß das politische Getriebe, an dem du ahnungslos beteiligt warst, weder mit Idealen noch Grundsätzen und dergleichen irgend etwas zu tun hat, sondern daß es eigentlich im letzten Grunde nur ein Spiel ums Geld ist, durch das einige wenige auf Kosten der Allgemeinheit bereichert werden sollen –«

»Und das alles geschieht unter dem Schutz unsrer Flagge, im Namen der ›großen alten Partei von Abraham Lincoln, der die Sklaven befreite‹, oder der großen Partei von Thomas Jefferson, der ›die Grundrechte der Menschen schützt‹,« schloß Gertrud. »Wenn meine politische Umgebung in solch grellem Licht vor mir erscheint, so wird mir die Sache verleidet, und ich werde mich wieder dem gemütlichen häuslichen Leben zuwenden oder – mich stellen und meinen Kampf ausfechten.«

»Ich nehme an,« sagte Bailey lächelnd, »daß du nicht vergeblich mehrere Jahre in Washington gelebt hast und eines bedeutenden Senators Tochter bist. Aber wie du weißt, war dies von alters her so. Du wirst deine Ziele auf andre Weise zu erreichen suchen. Du wirst den ›neuen Gedanken‹ aufnehmen, der einfach darin besteht, daß Verbesserungen besser durch Verbreitung von richtigen Gedanken und Grundsätzen von Anbeginn an erzielt werden, als durch unerträgliche Bekämpfung der einzelnen Übeltäter. Dies bedeutet außerdem, daß alles offen und durch das Volk selbst geschieht, statt durch einige Führer, die sich in fast allen Staaten der Union zu besondern Körperschaften vereinigt haben.«

»Um also auch politisch von Nutzen sein zu können, muß man sich nach den Grundsätzen der neuen Gedanken in erster Linie mit einer der organisierten Parteien verbünden?« fragte Gertrud. »Aber was dann, wenn sie einen nicht wollen?«

»Nein,« entgegnete Bailey, »ich wollte nicht sagen, daß dies durchaus nötig ist. Es gibt auch sehr viele nützliche Männer, die keiner Partei beitreten, aber ich glaube, die Erfahrung lehrt uns, daß man die besten Dienste leisten und am wirksamsten tätig sein kann, wenn man sich einer Partei anschließt und in den Parteiversammlungen, wo alle Herrschaft beginnt, seine Partei veranlaßt, lieber auf feste Grundsätze zu halten, als eine Partei zu bleiben, deren einzige Aufgabe es ist, den oder jenen zu unterstützen. – Und es gibt auch andre Verbündete als den Bürgerverein,« fügte er hinzu. »Nein, zuerst mußt du dich über die politische Lage der Dinge in Roma genau unterrichten, was du wohl schon getan haben wirst. Du wirst finden, daß von hundert Wählern nicht zwei die Parteiversammlungen besuchen. Der ›Ring‹ wählt die Delegierten, und deren Leute ernennen den Kandidaten, genau wie sie's angewiesen wurden. Da gibt es keinen Streit, und die schlechtesten Männer kommen zu Amt und Würden durch das Geld von Eisenbahn- und andern Unternehmern und zwar lediglich, weil das Volk nichts davon weiß und sich nicht die Mühe nimmt herauszubringen, was eigentlich vorgeht. Aber ihr Frauen könnt ja Volksversammlungen und Parteiversammlungen besuchen und all dergleichen Sachen mehr, und wenn nicht nächsten Januar unsre Stadt ein hübsches Oberhaupt hat, so will ich Hans heißen.«

»Das werden wir alles tun,« sagte Gertrud, »und ich glaube – oder ist es allzu zuversichtlich, wenn ich es ausspreche? – wir werden gewinnen.«

»Nun, und wenn nicht, so werden wir jedenfalls unsre Stadt aufrütteln, wie es ihr noch nie geschehen ist,« erwiderte er. »Wir können die große Menge aufwecken und sie dazu erziehen, vernünftig zu wählen. Und du wirst sehen, Gertie, wir wählen dich doch noch.«

Und fünf Minuten später, als Bailey fort und in sein in der Stadt gelegenes Bureau gegangen war, fragte sich Gertrud: »Warum konnte sich nur John Allingham nicht ebenso vernünftig benehmen? Es ist doch ganz ausgeschlossen, daß er recht und Bailey unrecht hat. Aber ich wollte –«

Entschlossen drehte sie sich auf dem Absatz herum und ging hinauf, um ihren Hut aufzusetzen, denn sie mußte doch alles noch mit Frau Bateman besprechen.


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