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Fünftes Kapitel.
Der Gegenkandidat

Während dieser aufregenden Tage und Nächte freute sich John Allingham nur in äußerst geringem Maße seines Lebens. Der Bürgerverein, der den Anspruch erhob, für unparteiisch angesehen zu werden, hatte sich so wenig wie die republikanische Partei auf einen Kandidaten einigen können, und Burke, der Erwählte der Volkspartei, schien allen ein schwerverdaulicher Bissen. Die Zeitungen waren für den armen John nicht interessant zu lesen, da sie ganz ausgefüllt waren mit dem Vorgehen des »Fortschrittlichen Frauenvereins« und Fräulein Van Deusen. Er konnte keinen Schritt auf der Straße tun oder die kürzeste Strecke in einer Straßenbahn fahren, ohne über Fräulein Gertrud Van Deusen sprechen zu hören, deren Platz, wie er sagte, in ihrem eigenen üppig eingerichteten Heim war, die es aber trotzdem vorzog, in das Kalklicht Eigentlich Drummondsches Licht. Kalklicht, das zu Signalen, Beleuchtung der Laterna magica, Nebelbildern usw. verwendet wird. Anmerk. d. Übers. der Öffentlichkeit zu treten, wie er sich auszudrücken beliebte. Die Geschichte, wie er die drei Damen, die gekommen waren, ihm ihren Kandidaten bekannt zu geben, empfangen hatte, wie er ihnen mehr als halbwegs entgegengekommen war, um sich dann wieder nach rückwärts zu konzentrieren, war durch Richter Bateman bekannt geworden, der es für ganz zweckmäßig hielt, diese Tatsache nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wie es gewöhnlich geschieht, hatten all seine Freunde und Bekannte davon gehört, ehe ihm selbst zu Ohren gekommen war, daß überall davon gesprochen wurde. Als er es erfuhr, kochte er vor Wut, vermutlich um so mehr, als er niemandem als sich selbst einen Vorwurf daraus machen konnte. Und in dieser Stimmung befand er sich, als eines Tages der Vorsitzende des republikanischen Ausschusses bei ihm vorsprach.

»Habt ihr jetzt einen Kandidaten gefunden?« fragte Allingham, als sein Besucher Platz genommen hatte.

»Wir haben wenigstens einen gewählt,« antwortete der Vorstand, der Samuel Watts hieß; »aber wenn er nur auch annimmt! Es ist nämlich ein ganz famoser Kandidat.«

»Nun, bitte, erzähle weiter,« drängte Allingham, als der andre zögernd innehielt.

»Er hat eine Menge Vorzüge, die für ihn sprechen,« sagte Watts scharf. »Er ist bei allen Klassen der Bevölkerung beliebt, wohlhabend, gebildet, stammt aus einer der besten Familien, ist jung, tätig und weiß sich auch mit den gewöhnlichen Leuten, das heißt, der Arbeiterklasse, zu stellen.«

»Dann muß man ihn durchaus dazu bringen, daß er annimmt,« erwiderte Allingham. »In solchen Zeiten ist es die Pflicht eines solchen Mannes, die Kandidatur anzunehmen!«

»Meinst du?« fragte der andre grinsend zurück. »Freut mich, dies zu hören, denn unser Mann heißt John Allingham!«

»Aber Sam! Ich kann nicht, – ich will nicht!« rief der Vorsteher des Bürgervereins aus, indem er innerlich seine Gewohnheit verwünschte, immer seine Meinung zu äußern, ehe er die andern zu Ende gehört hatte. »Das ist zuviel verlangt – ich will weder die Stellung überhaupt, noch mit einem Weib darum kämpfen!«

»Das ist deine angeborene Ritterlichkeit, John,« antwortete sein Freund beruhigend, »aber wenn wir sie besiegen wollen, müssen wir einen Kandidaten aufstellen, der alle ihre guten Eigenschaften auch besitzt. Für die feingebildete und schöne Tochter des Senators Van Deusen können wir – du und ich – nur Bewunderung empfinden, will sie sich aber in Politik mischen, so muß sie sich uns gleichstellen und muß darauf gefaßt sein, daß wir sie nicht mit Samtpfötchen anfassen –, und wir müssen sie unterkriegen. Du, John, kannst es; außer dir weiß ich niemand, der ihr gewachsen wäre – unter uns gesagt –, von dem ich fest überzeugt wäre, daß er sie besiegen könnte. Hoffentlich fürchtest du dich nicht vor einem Mädchen? Wenn es zur Abstimmung kommt, wirst du siegen, und wir werden künftig die Lacher auf unsrer Seite haben, wenn von dem Einfluß der Frauen die Rede ist.«

»Gut, ich willige ein,« erklärte Allingham leidenschaftlich. »Hättest du mir die Sache vor einem Monat vorgeschlagen, ehe du die Kandidatur einem halben Dutzend andrer Männer angetragen hattest, so hätte ich rundweg abgelehnt, aber so, wie die Sache heute steht, nehme ich an.«

»Und darf ich dies sofort dem Wahlausschuß mitteilen?« drängte Watts.

»Das kannst du.«

Watts erhob sich und schüttelte Allingham lange und herzlich die Hand. Dann eilte er fort, um die gute Kunde zu verbreiten. Als er weg war, kehrte Morgan wieder an seinen Pult zurück.

»Hältst du es für nötig, noch mehr von diesem Zirkular A–128 zu versenden, John?« fragte er.

»Nein,« erwiderte Allingham. »Weißt du, Morgan, ich bin ein Esel, wie mir scheint, aber ich habe soeben von dem republikanischen Wahlausschuß die Aufstellung meiner Bürgermeisterkandidatur angenommen.«

Der Sekretär machte seinen Empfindungen durch einen langen, leisen Pfiff Luft.

»Um gegen Fräulein Van Deusen aufzutreten?« fragte er schließlich.

»Um gegen Fräulein Van Deusen aufzutreten,« gab Allingham zurück.

»Hm, hm, das trägt zur Erhöhung des Interesses an der Angelegenheit bei,« sagte Morgan, »aber, John, ich wünschte, du hättest es nicht getan,« fügte er zweifelnd hinzu.

»Wünsche weiter,« gab John lustig zurück, »und laß dir's gut bekommen.«

Damit drehte er sich wieder seinem Schreibtisch zu und schrieb an dem Schriftstück weiter, mit dem er beschäftigt war, als er durch Watts unterbrochen ward.

Eine halbe Stunde später ging die Türe wieder auf und Bailey Armstrong trat ein.

»Morgen, Bailey, nimm Platz,« bewillkommnete ihn Allingham, denn die beiden hatten miteinander die Schulbank gedrückt. »Was gibt's Neues? Wie geht's eurem Kandidaten?«

»John,« begann Bailey angstvoll, »ich möchte noch einmal vertraulich mit dir über Fräulein Van Deusen sprechen; deswegen komme ich zu dir. Es ist eine Schande, daß der Bürgerverein sich nicht entschließen kann, für die Sache einer edeln, prächtigen Frau einzutreten, wie sie es ist. Du weißt, wie durch und durch faul es auf dem Rathaus steht. Du solltest der erste sein, der hilft, das bestehende System über den Haufen zu werfen. Komm heute abend mit mir zu Fräulein Van Deusen, lerne sie kennen und höre selbst, wie vernünftig und klar ihre Ansichten sind, und dann wirst du, davon bin ich fest überzeugt, von selbst auf die rechte Seite treten.«

»Ich bin jetzt schon auf der rechten Seite, Bailey,« erwiderte John, »und im richtigen Gleis. Es ist zu spät für mich, Fräulein Van Deusen zu besuchen.«

»Wieso zu spät?« fragte Armstrong.

»Weil ich bereits zugesagt habe, mich von der republikanischen Partei als Kandidaten aufstellen zu lassen,« sagte Allingham. »Ich bin ihr Gegenkandidat und hoffe, sie zu besiegen.«

»Nie und nimmer, bei den Manen des großen Agamemnon!« rief Bailey. »Ich werde Himmel und Erde in Bewegung setzen, um dich zu schlagen. John, das hätte ich denn doch nicht von dir geglaubt.«

»Auch ich nicht von mir selbst,« entgegnete Allingham gelassen. »Hättet ihr nicht ein Weib aufgestellt, Bailey, so hätte ich nie eingewilligt – das kannst du mir glauben, alter Kerl. Wer der richtige Platz einer Frau ist im Hause – sie ist viel zu zart für öffentliche Ämter.«

»Ach, geh mir zum Kuckuck mit dem ›Platz der Frau‹!« gab Armstrong zurück und stand auf, um zu gehen. »Der Platz der heutigen Frau ist überall da, wo man ihrer am meisten bedarf, wo sie am meisten Gutes tun kann, sei es nun, daß sie deine Knöpfe annäht, sei es, daß sie eine Stadt regiert. Lebe wohl und mache dich mit dem Gedanken an eine sichere Niederlage im nächsten Januar vertraut, John!« Damit warf er die Türe hinter sich ins Schloß.

Er begab sich direkt in das Van Deusensche Haus und fragte nach Gertrud. Diese war im Augenblick damit beschäftigt, Knöpfe für sich selbst anzunähen, kam aber bald lächelnd die Treppe herab und begrüßte ihn herzlich. Als er sie so die Treppe heruntersteigen sah, mußte er plötzlich an die Ruhe einer Sternennacht auf dem Lande denken. Es gibt ja Frauen, die sofort das Gefühl von Frische, Ruhe und stillem Frieden um sich verbreiten, wenn sie in ein Zimmer treten.

»Du hast eine Neuigkeit für mich,« sagte sie, während sie ihm die Hand reichte.

»Wie kannst du das wissen?« fragte er.

»Ich lese es in deinem Gesicht,« lautete die Antwort. »Du weißt etwas Neues, das dich beunruhigt.«

»Ja, du hast recht,« sagte Armstrong. »Ich kann es dir ebensogut gleich sagen. John Allingham tritt gegen dich auf – er wird von der republikanischen Partei aufgestellt.«

Sie lächelte. »Das überrascht mich nicht, denn er hält es für seine Pflicht, weil eine Frau es wagt, sich um den Stuhl des Bürgermeisters zu bewerben. Ich bin öfters mit seiner Mutter und seinen Tanten zusammengetroffen. Er ist ein einziges Kind und im Glauben an all die altfränkischen Theorieen erzogen worden. Ich nehme an, daß er tatsächlich noch gar keine gebildete, moderne Frau kennen gelernt hat.«

»Nein, das hat er auch nicht,« bestätigte Bailey. »Er ist einer der gewissenhaftesten und besten Menschen, die ich kenne, aber das Weibervolk hat ihn verdorben. Ich glaube, er hält wirklich den Mann für ein höchst überlegenes Wesen und die Frau nur für eine dürftige Nachbildung von Gottes vornehmstem Werk. Vernarrte Tanten und übernachsichtige Mütter verderben unsre Männer –«

»Unzweifelhaft; sie sind es, die sie in ihrer besten Entwicklung zurückhalten,« erwiderte Gertrud. »Aber eigentlich freue ich mich, einem Gegner wie Allingham gegenüberzustehen – einem Feind, der so zu sagen meiner Klinge würdig ist. Wenn ich über ihn siege, so will das etwas heißen, aber einen Mann wie Barnaby Burke zu schlagen –« Sie schnitt eine Grimasse.

»Ja – das gebe ich zu,« sagte Bailey, »und jedenfalls kommst du ziemlich nahe an den Sieg. Natürlich müssen wir jetzt noch angestrengter arbeiten als je zuvor, aber ich will John Allingham besiegen – oder untergehen! Verzeih die alltägliche Redensart, Gertie, aber ich mußte meinen Gefühlen einigermaßen Luft machen.«

»Du warst immer ein großer Junge,« rief Gertrud lachend, »und wirst es wohl auch bleiben. Hier kommt Jessie mit den Briefen. Laß dir was von ihr vorspielen, während ich die meinen lese.«

Er begab sich ins Musikzimmer, während sie am offenen Kaminfeuer sitzen blieb. Einer der Briefe trug das Siegel des Bürgervereins. Sie riß ihn auf und las:

 

»Verehrtes Fräulein Van Deusen!

Es ist mir wohl bewußt, daß ich Ihnen als der Tochter Ihres hochverehrten und allgemein beliebten Herrn Vaters und als der schönsten Blüte der Weiblichkeit in Roma Ergebenheit und Bewunderung schulde. Da ich aber der Überzeugung bin, daß Frauen, wenn sie in die Öffentlichkeit treten, sich selbst verkleinern und die Menschheit im allgemeinen auf eine niederere Stufe Herabdrücken, so fühle ich mich in meinem Recht, wenn ich Ihnen mitteile, daß ich als Ihr Gegenkandidat auftreten werde. Soeben habe ich dies zugesagt, und ich möchte, daß Sie es sofort erfahren.

Mit aufrichtiger Verehrung
Ihr ergebener
John Allingham.«

 

Nachdem sie diesen Brief gelesen hatte, legte sie ihn ruhig auf die glühenden Kohlen und lächelte eine Weile vor sich hin.


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