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Erstes Kapitel.
Ein überraschender Vorschlag

Nun, und warum sollten wir das nicht ändern?« fragte Frau Bateman, während sie die Weincrême ausschöpfte, die bei dem allmonatlich stattfindenden gemeinschaftlichen Gabelfrühstück des »Fortschrittlichen Frauenvereins« stets den ersten Gang bildete.

»Ändern? Was ändern? – Wie?« fragte eine Menge Stimmen zumal.

»Den Zustand der Dinge in hiesiger Stadt,« erwiderte Frau Bateman gelassen. »Ich habe mir die Sache überlegt, seit ich von dem letzten Fall gehört habe. Alle sind sich darüber einig, daß unsre kleine Stadt vollends ganz auf den Hund kommt, daß die städtischen Angelegenheiten noch nie so verworren waren wie gegenwärtig, und nun läßt sich auch noch Barnaby Burke von einer gierigen Bande von Demagogen als Kandidat für den Bürgermeisterposten aufstellen.«

»Ja, und kein einziger anständiger Mann tritt gegen ihn auf,« ergänzte Cornelia Jewett.

»Ich sehe nicht ein,« begann eine aufgeregte kleine Frau in Blau, »warum kein ehrlicher, anständiger, charaktervoller Mann seinen Namen dazu hergeben will. Rudolf sagt, es sei so weit gekommen, daß nur noch ein Politiker einwilligen werde, Bürgermeister von Roma zu werden.«

»Sie fürchten sich eben alle vor den Demagogen,« warf eine andre Dame ein. »So sollte zum Beispiel Albert Turner als Kandidat aufgestellt werden, aber ich glaube, er wird auch nicht wollen?« Damit wandte sie sich fragend an eine stattliche blonde Frau, die ihr gegenüber sitzend gelassen ihre Suppe verzehrte.

»Mein Mann interessiert sich nicht im mindesten für Politik,« antwortete diese. »Sein Geschäft nimmt ihn auch viel zu sehr in Anspruch.«

»Das ist die Schwierigkeit bei den meisten Männern,« meinte eine andre. »Sie stecken viel zu tief in ihren eigenen Geschäften, um sich viel darum zu kümmern, was in der Stadtverwaltung vorgeht. Uns wäre ein bißchen sozialistischer Geist vonnöten.«

»O wie schrecklich!« rief eine andre Frau stöhnend. »Nächstens werden wir noch den Anarchismus predigen!«

»Und Granville Mason – oder Geoffrey Bateman,« schlug die lebhafte kleine Frau in Blau vor.

»Mein Mann sagte erst gestern abend, daß die öffentlichen Angelegenheiten in unsrer Stadt so tief gesunken seien, daß kein anständiger Mann das Rathaus auch nur mit einer Feuerzange berühren würde,« erklärte Frau Mason. »Das ist die Antwort, die er einigen Herren vom Hauptausschuß gab, die ihn aufforderten, aufzutreten. Und er fügte noch hinzu, daß jeder ehrenhafte Mann, der die Kandidatur annehmen würde, durchfallen werde, und dazu habe er keine Lust.«

»So denken sie leider alle,« sagte Gertrud Van Deusen. »Ich wollte, ich wäre ein Mann! Ich würde mich sofort für den Bürgermeisterposten zur Wahl stellen lassen! Ich würde mich durch die Angst vor einer Niederlage nicht abhalten lassen. Ich würde kämpfen und wir würden dann sehen, ob die Demagogen immer und überall ihren Willen durchsetzen!«

»Warum dann nicht auftreten?« sagte Frau Bateman lächelnd über den Tisch.

»In erster Linie würde ich bei allen anständigen Männern das Gefühl ihrer Bürgerpflicht zu erwecken suchen,« fuhr Gertrud begeistert fort, »und dann würde ich in jeden Wahlbezirk gehen und ihn zu organisieren suchen, gerade wie die Männer es tun. Ich würde unter den Armen, den Ungebildeten, den Unglücklichen arbeiten und würde auch die Reichen und Glücklichen aufzuwecken suchen. Die haben's am nötigsten!«

»Dann wärest du der richtige Kandidat,« sagte Frau Bateman, »warum willst du es nicht tun? Sage ehrlich, warum nicht?«

»O, liebe Frau Bateman, ich habe ja nur einen akademischen Fall erörtert.« Nun wurde Miß Van Deusen rot und geriet in Verlegenheit. »Selbstverständlich könnte ich nicht tatsächlich auftreten – wirklich nicht.«

»Warum nicht?« fragte die ältere Dame in der ruhigen, überlegten Weise, die sie zu einer Führerin der Frauenbewegung machte. »Warum nicht? Die Stadt geht zum Kuckuck – oder vielmehr zu den Demagogen. Was wir in Roma brauchen, ist eine vollständige Umwälzung aller Dinge. In diesem Staat besitzen wir Frauen das Stimmrecht; warum sollen wir nicht die Sache einmal in die Hand nehmen, und warum sollen wir keinen weiblichen Bürgermeister wählen?«

»O – o – oh,« stöhnten mehrere ihrer Zuhörerinnen, als ob sie in den letzten Zügen lägen.

»Denken Sie an das Feld der Tätigkeit, das sich einer tüchtigen Frau eröffnen würde,« fuhr die Sprecherin fort. »Denken Sie an unser Armenrecht und Armenamt, an die Kleinkinderbewahranstalten, an unsre Schulen. Denken Sie an die Landstreicherei, an die Unmäßigkeit und die Unsittlichkeit, die unter unsern eignen Augen gedeihen, und an die Politik der Stadtverwaltung, die sie noch fördert. Oh, da gibt's so viel zu tun, und unsre tüchtigen Männer sind zu sehr in Anspruch genommen oder stehen – wie sie es ja haben wollen – viel zu vornehm und hoch, um sich mit dergleichen abzugeben.«

»Was könnte dann eine anständige Frau dabei tun?« fragte Frau Jewett.

»Wie ein Engel des Lichtes durch all diesen Schmutz schreiten,« entgegnete Frau Bateman. »Meine Damen, wir, der Fortschrittliche Frauenverein, haben seit zehn Jahren an Verbesserungen in dieser Stadt gearbeitet, wir haben versucht, die Interessen der Schulen, der Armen und Abhängigen zu fördern. Was haben wir erreicht?«

»Nun, immerhin etwas,« entgegnete Frau Jewett. »Genug, um uns Achtung zu verschaffen und uns – ja, ein wenig gefürchtet zu machen.«

»Das ist aber noch lange nicht genug,« erklärte Frau Bateman. »Bei weitem nicht so viel, als wir hätten leisten sollen. Bei weitem nicht so viel, als wir hätten tun können, wenn der Stadtrat, der uns ja im günstigsten Fall nur duldet, für anstatt gegen uns gewesen wäre. Jetzt ist eine Gelegenheit für uns gekommen. Die zweifelhafteren Elemente der Bevölkerung haben einen notorisch schlechten und ungeeigneten Mann aufgestellt, die besseren sind ratlos. Unser alter Bürgermeister (schwach genug, aber doch unendlich besser als Barnaby Burke) leidet an einer unheilbaren Krankheit, und noch niemand hat einen Namen genannt, der auch nur das kleinste Teilchen von Vertrauen einflößen könnte, das für den Mann erforderlich ist, der an seine Stelle treten soll. Lassen Sie uns eine gute, großherzige, mutige Frau aufstellen und ihre Wahl durchsetzen.«

»Unmöglich!« rief Frau Jewett.

»Das können wir gut,« sagte dagegen die lebhafte Frau in Blau. »Mein Mann wird uns helfen – ich weiß gewiß, daß er es tun wird.«

»Aber wen?« fragte Frau Mason. »Wo können wir eine solche Frau finden?«

»Gleich hier unter uns,« sagte Frau Bateman. »Eines unsrer Mitglieder. Gertrud, du bist gerade die Frau, die wir brauchen.«

Fräulein Van Deusen antwortete nicht. Nur das flüchtige Erröten, das über ihr Gesicht huschte, verriet, daß die soeben aufgetauchte Möglichkeit ein freudiges Echo in ihrem Herzen gefunden hatte.

»Du bist durch deine Natur und dein Vermögen unabhängig. Du vertrittst das beste bürgerliche Element, du hast Mittel und Zeit, bist durch keine Familienbeziehungen gebunden und verfügst über den für die Sachlage erforderlichen Mut,« machte Frau Bateman geltend.

»Aber was werden die Männer dazu sagen?« gab Frau Jewett zu bedenken.

»Es wird ihnen einen gehörigen Puff versetzen,« entgegnete Frau Mason entschieden, »und das ist ihnen recht gesund, denn der fehlt ihnen. Ja, Gertrud, du bist gerade die richtige Frau, es zu versuchen – aufzutreten, meine ich, und wir alle werden für dich und mit dir arbeiten.«

»Nun, meine Damen, lassen Sie uns der Lage der Dinge offen ins Gesicht sehen,« sagte Frau Bateman. »Ich habe in der letzten Zeit manche Nacht schlaflos im Bett gelegen und mir die Verhältnisse überlegt. Es wird einer riesigen systematischen Arbeit bedürfen, um in Roma den Sitz des Bürgermeisters zu erobern. Allein wenn wir uns eine ausgezeichnete Organisation schaffen und es uns gelingt, nur einige der männlichen Vereine und Klubs zu unsrer Unterstützung zu gewinnen, so glaube ich, daß wir siegen werden. Wir wollen uns die Sache einige Minuten schweigend überlegen.«

Nun konnte man das seltene Vergnügen genießen, fünfzehn Damen beim Frühstück sitzend – und schweigend – zu sehen. Es war eine Gewohnheit, die sie angenommen hatten, bei wichtigen Beratungen zehn oder fünfzehn Minuten in der Stille zu überlegen, anstatt die Zeit in endloser Erörterung zu vergeuden. War dann die Schweigezeit verflossen, so brachten die in Ausübung ihrer Denkfähigkeit geschulten Klubmitglieder nur gewichtige und wohlüberlegte Gründe vor.

»Gertrud,« sagte Frau Bateman nach Ablauf der Schweigezeit, »du hast noch gar nicht gesprochen. Erkennst du deine Bürgerpflicht?«

»Ihre Erfüllung wird einen großen Aufwand an Mut, Selbstverleugnung und Glauben an die Ideale einer guten Regierung erfordern,« begann Gertrud und schwieg wieder. In ihrer Stimme klang eine tiefe Erregung durch und ihre schönen Augen erglänzten in prophetischer Hoffnung.

»Aber die besten Leute würden zu dir stehen,« erklärte eine junge Dame an der andern Seite des Tisches.

»Ob sie dies wirklich tun würden?« meinte Fräulein Van Deusen zweifelnd. »Seit der Zeit des Nazareners bis auf den heutigen Tag haben es immer einige der Besten für nicht angezeigt gehalten, sich auf die Seite des Rechtes zu stellen, wenn es sich in neuer oder eigenartiger Gewandung darstellte. Und ohne Zweifel ist es eine höchst eigenartige Neuerung, eine Frau zum Bürgermeister vorzuschlagen.«

»Aber du hast doch Mut genug dazu,« warf Frau Mason ein.

»Wenn es je ein Weib mit Idealen gegeben hat, so war – das heißt, so ist ihr Name Gertrud Van Deusen,« bemerkte Mary Snow, eine Journalistin, die bis jetzt noch nicht das Wort ergriffen hatte.

»Liebe Freundinnen,« sagte Fräulein Van Deusen, »ich werde zu meinen Worten stehen. Ich habe euch gesagt, daß die Furcht vor einer Niederlage mich nie einschüchtern oder abhalten könne, und daß ich den Kampf aufnehmen würde. Gut also, ich werde den Kampf aufnehmen, ich werde versuchen, als Kandidat aufgestellt und dann gewählt zu werden.«

»Gertrud Van Deusen lebe dreimal hoch, hoch, hoch!« rief Frau Mason und ein kräftiges Händeklatschen und lebhaftes Taschentücherschwingen war die Antwort auf diese Aufforderung, und im Fortschrittlichen Frauenverein herrschte große Aufregung.

»Und mein Mann soll die politische Wahlagitation für dich in die Hand nehmen,« rief die lebhafte Frau, »ich werde schon sorgen, daß er's tut.«

»Ich danke dir, Bella,« erwiderte Fräulein Van Deusen. »Ich glaube, daß ich beschimpft und gelobt werde und daß mein Name durch alle Zeitungen geschleppt werden wird, bis kein guter Faden mehr an mir bleibt, ob ich nun siege oder unterliege.«

»Aber du wirst siegen, Gertrud,« erklärte Frau Bateman gelassen.

»Ja, ich werde siegen,« antwortete die Jüngere. Und als sie so dasaß, den hübschen Kopf in den Nacken zurückgeworfen, und ihr leuchtender Blick über die versammelten Frauen hinwegstrahlte, mutvoll stürmischen Tagen entgegensehend, da zweifelte keine auch nur einen Augenblick an der Richtigkeit dieser Prophezeiung.


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