Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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Meine erleuchten Vorgängerinnen haben verschiedene Vorschläge getan, die unter den vorausgesetzten Bedingungen von sehr guter Wirkung sein würden: nur sind diese Bedingungen unglücklicher Weise so beschaffen, daß sich keine Rechnung auf ihre Voraussetzung machen läßt. Ganz gewiß wird ein jedes Volk, das von einem weisen und guten Fürsten väterlich regiert wird, sich unter seinem Zepter wohl befinden. Aber, wo ist der Sterbliche oder der Gott, der irgend einem Volke auch nur für einen einzigen, geschweige für eine ganze Reihe solcher Regenten, die Gewähr leisten könnte? – Und wenn nun das Gegenteil erfolgt? Wenn der Monarch, der alles kann und alles darf, kein Vater, sondern ein Tyrann ist? wenn er ungerechte, unweise, die Rechte der Menschheit kränkende, ja gänzlich aufhebende Gesetze gibt? wenn er selbst kein anderes Gesetz erkennt als seine Leidenschaften? wenn er über das Eigentum, die Kräfte, die Freiheit und das Leben seiner Untertanen nach Willkür schaltet, die Staatseinkünfte verschleudert, seine Länder den Drangsalen und Verwüstungen unnötiger und törichter Kriege aussetzt; kurz, wenn er sich seiner unumschränkten Gewalt so bedient, wie die meisten Despoten von jeher getan haben und immer tun werden: was bleibt dann, nach dem Plane der erlauchten Königin von Babylon, seinem gemißhandelten Volke übrig, als die traurige Wahl, entweder zu leiden was nicht zu leiden ist, oder, wenn es endlich aus Verzweiflung die unerträglichen Ketten mit Gewalt zerbricht, sich allen Gefahren, allem Unheil einer plötzlichen, planlosen, vielleicht dem ganzen Staate verderblichen Revolution auszusetzen? – »Wenn der Monarch ein Tyrann ist«, sagte ich, – und man wird mir einwenden, daß unsre Zeit keine Busiris und Phalaris, keine Neronen und Domitiane mehr hervor bringe: aber, man kann auf sehr verschiedene Art und unter gar mancherlei Gestalten, sogar unter der Maske eines gütigen, für die Ruhe und das Glück seiner Untertanen zärtlich besorgten Landesvaters, ein Tyrann sein. Es gibt vielleicht keine Neronen mehr: aber hat die Natur etwa die Formen vernichtet, worin sie einen Philipp den Zweiten von Spanien, einen Ludewig den Eilften von Frankreich, einen Kaiser Ferdinand den Zweiten machte? Hieß der vierzehnte Ludewig von Frankreich nicht der Große? der funfzehnte nicht der Vielgeliebte? Und leben oder vegetieren nicht in diesem Augenblicke solche Väter des Vaterlandes, welche, während ihre Gerechtigkeitsliebe und ihr gutes Herz von tausend Zungen gepriesen wird, mit unbegreiflicher Gleichgültigkeit zusehen, wie ihre Untertanen in ihrem Namen ausgeplündert werden? Kennen wir nicht Länder, welche die Freigebigkeit der Natur und der betriebsame Fleiß der Einwohner zu Beispielen des blühendsten Wohlstandes gemacht hatte, und die unter solchen guten Fürsten in einen Verfall gerieten, zu welchem sie gewiß unter einem Tiberius nicht herab gesunken wären? Vermutlich lebt auf der weiten Erde kein einziger Regent, für dessen Ohr und Herz der schöne Beiname Ludewigs des Zwölften von Frankreich keinen Reiz haben sollte: und dennoch könnte ich mehr als Einen nennen, der sein Volk mit der Zärtlichkeit eines Vaters zu lieben glaubt und vielleicht wirklich liebt, dessen Staatshaushaltung nichts desto weniger so beschaffen ist, daß sich das Jahr mit ziemlicher Gewißheit ausrechnen läßt, wann er den größten Teil seiner geliebten Kinder – an den Bettelstab gebracht haben wird. Unstreitig sagte Semiramis eine große Wahrheit, indem sie behauptete, daß dem Übel, gegen welches wir die wirksamsten Mittel vorschlagen sollen, durch Palliative nicht geholfen werden könne. Was sind aber alle diese Täuschungen des Volks, in welche sie und die erlauchte Livia die großen Mysterien der Regierungskunst zu setzen scheint, – diese liebliche Dichtung eines väterlichen und kindlichen Verhältnisses zwischen Regenten und Untertanen – oder diese hinterlistigen Künste, ein Volk in süße Träume von Freiheit einzuwiegen, während man ihm eine Schlinge nach der andern über den Kopf wirft, es mit Puppenspielen und goldenen Hoffnungen zu amüsieren, ihm sogar, damit es sich einen Augenblick für glücklich halte, alle ersinnlichen Gelegenheiten zu Befriedigung ausschweifender und kindischer Leidenschaften zu verschaffen, während man es unvermerkt zum Werkzeug, aber am Ende auch zum Opfer der willkürlichen Gewalt eines Demagogen, oder eines despotischen Monarchen macht – was sind diese Täuschungen anders als Palliative? als eine Art von Zaubermitteln, wodurch das Übel auf eine kurze Zeit beschworen und eingeschläfert wird, indessen es im Innern immer weiter um sich frißt, und bei der geringsten äußerlichen Veranlassung mit verdoppelter Gewalt wieder ausbrechen muß? – Sogar die unverwandte Aufmerksamkeit auf die Wünsche des Volks, die sorgsame Achtung für seine Vorurteile und Launen, und (wenn ich der Sache ihren rechten Namen geben soll) die politische Koketterie, womit ich selbst ehemals um den Beifall und die Liebe meiner grillenhaften Nation buhlte, – weniger vielleicht aus der Neigung zu gefallen, die unserm Geschlecht eigen ist, als um einer ziemlich willkürlichen Regierungsart das Verhaßte zu benehmen, und auf einem unsichern Throne desto fester zu sitzen, – verdient, ungeachtet aller Lobreden die ich damit gewann, im Grunde keinen bessern Namen; wenn gleich nicht zu leugnen ist, daß mein Volk sich wohl dabei befand. Immerhin mag es von Zeiten, wo über die gegenseitigem Rechte und Pflichten der Obrigkeit und der Untertanen noch verworrene Begriffe allgemein herrschen, wo das Volk den ganzen Umfang seiner Rechte nur noch dunkel ahnet, der Regent hingegen geneigt ist den seinigen alle mögliche Ausdehnung zu geben, kurz von Zeiten wie die, in welchen wir und alle unsre Vorfahren regiert haben, – immerhin mag es von solchen Zeiten wahr sein, daß jedes verderbte Volk, (wie Livia behauptete) und ich setze hinzu, jedes unwissende und viele Jahrhunderte durch immer betrogene Volk, getäuscht sein wolle, und oft zu seinem eigenen Besten getäuscht werden müsse! Wie lange diese Periode der Kindheit, des Irrtums und der Täuschung auch dauern mag, endlich muß einmal die Zeit kommen, wo sich die Menschen nicht mehr wie Kinder behandeln lassen, nicht mehr betrogen sein wollen, – wo sie wissen wollen woran sie sind – welches das kleinere Übel für sie sei, unter bürgerlichen Gesetzen zu leben, oder in den Stand der natürlichen Gleichheit und Ungleichheit zurück zu kehren, und unter welchen Bedingungen das erste dem andern vorzuziehen sei. – Alles müßte mich betrügen, oder diese Zeit (wofern sie nicht schon da ist) ist im Anzug; und in diesem Falle sehe ich nur Eine Maßregel, durch welche den furchtbaren Übeln, womit sie einen Teil des Menschengeschlechtes bedroht, vorgebauet werden kann. Sie hält ein.

Juno. Eile sie uns mitzuteilen, Elisa! – Denn hoffentlich wirst du meine Erwartung nicht zum zweiten Male getäuscht sehen wollen, da du dich so nachdrücklich gegen alle Täuschung erklärt hast.

K. Elisabeth. Wenigstens würde die Schuld nicht an mir liegen, Göttin. Meine Maßregel ist, wie ich gleich zu Anfang sagte, eben so unfehlbar, als sie die einzige ist, welche vernünftiger Weise genommen werden kann. Aber ich glaube die regierenden Herren – vom ersten aller Könige bis zum Bürgermeister des kleinsten aller Abderiten-Nester in der Welt – viel zu gut zu kennen, um zu hoffen, daß sie durch bloße Vernunftgründe bewogen werden sollten, die Hände dazu zu bieten.

Juno. Diese Sorge laß dich nicht beunruhigen, Elisa! Wenn es nur darauf ankommt, so werden wir schon Mittel finden, ihnen den Willen dazu zu machen.

K. Elisabeth. Das ist es eben, große Göttin, woran ich zweifle. Gewiß wird sie die eiserne Notwendigkeit dazu zwingen müssen: und wenn sie es dahin kommen lassen, so ist die rechte Zeit versäumt, und ich stehe nicht mehr für den Erfolg.

Juno. Du könntest mich beinahe so ungeduldig machen wie ehemals deine Liebhaber, Königin Beß! Deine Maßregel, wenn ich bitten darf!

K. Elisabeth. Sie ist so simpel, so sehr das erste was vernünftigen Menschen, die in eine politische Gesellschaft mit einander treten wollen, einfallen muß, daß es, wenn die Tatsache nicht so laut spräche, unglaublich wäre, daß die Welt mehrere Jahrtausende habe stehen können, bis endlich vor ungefähr hundert Jahren ein einziges Volk darauf verfiel – und auch dieses mußte, wie man zu sagen pflegt, mit der Nase darauf gestoßen werden! Es ist immer allgemein anerkannt worden, daß der absoluteste Monarch Pflichten, und das dienstbarste aller Völker Rechte habe –. aber worin diese Rechte und Pflichten eigentlich bestehen, wie weit sie sich erstrecken, in welche Grenzlinien sie eingeschlossen sind, und was für Einrichtungen getroffen werden müssen, um dem Volke den vollen Genuß seiner Rechte zu verschaffen, und die Regenten zu Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten: darüber hat man sich immer mit verworrenen und schwankenden Vorstellungen beholfen; darüber ist sogar absichtlich und geflissentlich alle mögliche Dunkelheit verbreitet worden. Endlich hat in diesen Tagen das Schicksal einer großen Nation – die sich, ihre Staatsverfassung ausgenommen, in jeder andern Rücksicht für die erste in der Welt halten konnte, aber, durch langwierige Mißhandlungen aller Art ins Verderben gestürzt und zur äußersten Verzweiflung gebracht, sich lieber allem Elend der Anarchie aussetzen als den zermalmenden Druck des monarchischen und aristokratischen Despotismus länger ertragen wollte – endlich, sage ich, hat das lehrreiche und furchtbare Schicksal dieser Nation allen übrigen die Augen geöffnet; und die Überzeugung ist nun allgemein, daß nichts als eine Konstitution, worin die Rechte aller Klassen der Staatsbürger klar und bestimmt ausgedrückt und durch gehörige Veranstaltungen gegen alle willkürliche Eingriffe verwahrt sind, jeden andern Staat vor ähnlichen Auftritten sicher stellen könne. Dies, Göttin, ist die gegenwärtige Lage der Sachen. Die magischen Täuschungen, womit man bisher andere und sich selbst betrog, lassen sich nur in einem Nebel spielen, den die Vernunft endlich zerstreut hat; und gewaltsame Mittel (außer dem daß sie eben so unbillig als verhaßt sind) helfen zwar für den Augenblick, beschleunigen aber in der Tat die fürchterliche Katastrophe, welcher man dadurch vorbauen will. Augenscheinlich ist also nichts übrig, als daß man sich je eher je lieber entschließe, zu tun was schon längst hätte getan werden sollen. Eine Konstitution von wenigen, auf die allgemeine Vernunft und auf die Natur der bürgerlichen Gesellschaft gegründeten Artikeln, ist das unfehlbare, leichte und einzige Mittel, allen heilbaren Übeln der politischen Gesellschaft abzuhelfen, die möglichste Harmonie zwischen dem Regenten und den Untertanen herzustellen, und den Wohlstand der Staaten auf einer unerschütterlichen Grundlage zu befestigen.

Juno. Dein Vorschlag hat meinen ganzen Beifall, und ich sehe nicht, warum die Monarchen Bedenken tragen sollten, ihn aus eigner Bewegung mit dem größten Vergnügen ins Werk zu setzen.

K. Elisabeth. Wer einmal im Besitz einer unbestimmten Macht ist, wird schwerlich große Lust haben, selbst auf Einschränkung derselben anzufragen. In meinem alten England kostete es einem Könige den Kopf, und seinem zweiten Sohne die Krone, ehe es dahin kam, daß ihre Nachfolger sich bequemten, die Rechte, welche die Nation sich vorzubehalten für gut fand, als ein Grundgesetz des Reichs anzuerkennen.

Juno. Die Fürsten sind seitdem aufgeklärter und billiger geworden, Elisa; sie werden sich wohlfeiler bequemen.

K. Elisabeth. Wie? Auch diejenigen, die ihr göttliches Recht, leidenden Gehorsam von den Untertanen zu fordern, mit dreißig oder vierzig Legionen zu allem bereitwilliger Kriegsknechte behaupten können?

Juno. Du trauest dem väterlichen Herzen der Monarchen auch gar zu wenig zu.

K. Elisabeth. Ich war selbst eine Königin: du wirst mir zugut halten, wenn ich ein wenig ungläubig bin.

Semiramis. In diesem Stücke denke ich wie Elisabeth.

Livia. Auch ich besorge, sie möchte zuletzt nur zu sehr recht behalten.

Juno. Wir müssen auf Mittel bedacht sein, meine Freundinnen, die Hirten der Völker zu überzeugen, daß sie für ihre eigene Sicherheit und Ruhe sowohl als für ihren Ruhm nichts bessers tun können, als Elisens Vorschlag ungesäumt ins Werk zu setzen. – Mir fällt sogleich eins ein, das wir vor Zeiten öfters mit gutem Erfolge gebraucht haben. Ich will meine Iris zu dem Gott der Träume schicken, und ihm befehlen lassen, noch in dieser Nacht allen Königen und Fürsten, die es angeht, jedem, nach Maßgabe seines Charakters und seiner besondern Lage, einen eigenen Traum zuzusenden, der ihm in einem zwiefachen mit den stärksten Zügen und wärmsten Farben ausgeführten Gemälde, in dem einen das Vorteilhafte, Schöne und Ruhmvolle der von Elisen vorgeschlagenen Maßregel, und in dem andern das unendliche Elend, das für sein Volk – und die Gefahr und Schande, die für ihn selbst – aus der Verachtung eines so guten Rates erwachsen könnte, so lebhaft zu Gemüte führe, daß es ihm beim Erwachen eben so unmöglich sein soll, der Wirkung seines Traumes zu widerstehen, als es dem König Agamemnon war, dem täuschenden Traume ungehorsam zu sein, den ihm Jupiter zuschickte, um ihn zum Angriff der Trojaner aufzufordern.

Semiramis. Ein glücklicher Gedanke, Göttin, dessen Ausführung deine Absicht schwerlich verfehlen kann!

Aspasia. Ich wünsche es, wiewohl in diesen ungläubigen Zeiten auch der uralte Glaube an Träume ziemlich erkaltet sein mag.

K. Elisabeth. Vielleicht machen die Könige eine Ausnahme. Auf allen Fall wird ihnen auch wachend beizukommen sein.

Juno. Genug für diesmal, meine Kinder! Vorerst wollen wir sehen was meine Träume wirken werden.


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