Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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Bei allem dem, große Königin der Götter, besorge ich sehr, es möchte den Monarchen, wie die Sachen dermalen zwischen ihnen und ihren Untergebenen stehen, mit allem unserm guten Willen nicht viel zu dienen sein. Denn was können wir ihnen raten? Der Weise hilft sich selbst; der Törichte hingegen wird den besten Rat entweder nicht hören, oder, wenn er ihn befolgt, ihn töricht befolgen, und sich dann gerade um unsern Rat schlimmer befinden als zuvor. Mit Einem Worte, wehe dem, der an der Spitze eines Volkes steht, und nicht der verständigste und bravste Mann seines Volkes ist! Indessen, um doch nicht davon zu gehen ohne meinen kleinen Beitrag bezahlt zu haben, trage ich, besserer Meinung unbeschadet, darauf an: die Regenten zu warnen, daß sie sich nicht von blödsinnigen Ratgebern verleiten lassen, der großen Revolution, die in dem menschlichen Verstande vorzugehen angefangen hat, in den Weg treten zu wollen; anstatt, daß es ohne Vergleichung rühmlicher und sicherer für sie sein wird, mit der Vernunft in gutem Vernehmen zu leben, sie ihren eigenen Gang gehen zu lassen, und überhaupt ruhig dabei zu bleiben, wenn jedermann denkt wie er fühlt, spricht wie er denkt, glaubt was er wünscht, und tut was er nicht lassen kann. – Solltest du dieser freundlichen Warnung noch einen guten Rat beifügen wollen, so wäre der meinige: denjenigen, die keine Ursache haben sich zuzutrauen, daß sie die Jahrbücher ihrer Zeit mit preiswürdigen Taten anzufüllen fähig seien, ins Ohr zu sagen, sie könnten noch immer etwas sehr rühmliches tun, – wenn sie machten, daß die Geschichte – gar nichts von ihnen zu erzählen habe.

Juno. Du hast den Ton nicht bei uns verlernt, Aspasia, den du vor zweitausend Jahren den Sokraten und Alcibiaden zu Athen angabst; und die Könige haben, wie ich sehe, keine sehr warme Patronin an dir. Hoffentlich wird uns Julia Augusta, an welcher nun die Reihe ist, etwas mehr Anmutung zu ihrer Sache zeigen. Eine Frau, unter deren Einflusse die größte aller Republiken sich in eine so ruhige Monarchie verwandelte, als jemals eine von einer langen Reihe von Königen auf ihre Nachfolger fortgeerbt wurde, die Gemahlin und Mutter zweier Fürsten, die in den feinsten Griffen der Regierungskunst von keinem andern übertroffen worden sind, muß, wenn irgend eine, im Stande sein, in der Verlegenheit, worin ich mich für meine Klienten befinde, einen Ausweg zu entdecken.

Livia. Es ist nicht zu leugnen, daß Cäsar Augustus ein gutes Teil Kunst vonnöten hatte, um sich funfzig Jahre auf einem Posten zu erhalten, den sein großer Vorgänger (vielleicht der Erste unter den Sterblichen, und von der Natur selbst zum Regenten aller übrigen gebildet) kaum ein Jahr lang hatte behaupten können. Indessen, wie man überhaupt der menschlichen Weisheit mehr Anteil an dem, was in der Welt geschiehet, zuzuschreiben pflegt, als sie wirklich hat, so mag wohl manches auf die Rechnung meines Gemahls, und vielleicht auch auf die meinige gesetzt werden, wovon vielmehr unserm Glücke als unsrer Klugheit die Ehre gebührt. In der Tat war August so übermäßig glücklich, daß ihm nicht nur die ziemlich leichte Kunst, sowohl von den Vorteilen seiner Lage und Umstände als von den Fehlern seiner Rivalen nützlichen Gebrauch zu machen, sondern (aufrichtig zu reden) sogar seine eigenen Fehler und Untugenden, weil sie ihm zufälliger Weise nützlich waren, für Verdienste angerechnet wurden. Der große Punkt, der ihm am meisten zustatten kam, war, daß sich die Römer und die ganze übrige Welt in dem Falle eines Schiffbrüchigen befanden, dem in der Angst jede Planke, deren er zuerst habhaft werden kann, die willkommenste ist. Wäre die Schlacht bei Actium für den Antonius glücklich ausgefallen, wäre Octavians Tod, statt des seinigen, die Folge davon gewesen: so würden sie sich, mit eben so vieler und vielleicht noch weit größerer Schwärmerei, in die Arme des Antonius geworfen haben. Wie dem aber auch sein mag, so sage ich doch schwerlich zu viel, wenn ich das ganze Betragen des Augustus gegen die Römer – von dem Tage an, da er alle seine Gewalt in ihren Schoß legte, um sie, unter den verschiedenen Benennungen, an welche ihre Ohren gewöhnt waren, wieder aus ihren Händen zu empfangen, bis zu dem berühmten Plaudite, womit er den Mimus seines Lebens beschloß – eine der lehrreichsten Schulen für Könige nenne; besonders für solche, die über ein Volk regieren, das mit eifersüchtiger Liebe an dem Namen der Freiheit und an demokratischen Formen hängt; oder auch für einen bisher unumschränkten Monarchen, der sich (wie neulich der König der Westfranken) gezwungen fände, seinem Volke die gesetzgebende Gewalt abzutreten, und sich eine Verfassung, wobei ihm wenig mehr als der Name eines Königs übrig bliebe, aufdringen zu lassen. Zwar Augustus befand sich gerade im entgegen gesetzten Falle; ihm fehlte von allem, was einen König ausmacht, nur der Name, da hingegen die Römer nichts als die leeren Formen und Hülsen von ihrer ehemaligen Verfassung übrig behielten: aber der Punkt, worauf es hier ankommt, ist, daß Augustus sich darum nichts desto weniger so benahm, als ob das Römische Volk alles, und er selbst nichts wäre als was sie aus ihm machen wollten. Er maß alle seine Schritte, wog alle seine Reden und Handlungen, sogar in seinem Privatleben, mit einer so ängstlichen Genauigkeit ab; bediente sich seiner Autorität mit so vieler Bescheidenheit und Zurückhaltung; schien bei allem, was er verlangte oder unternahm, so bekümmert zu sein, ob es auch den Beifall des Volkes habe; wußte jeder Verfügung, die seine Allgewalt im Staate hätte verhaßt machen können, so geschickt das Ansehen einer Gefälligkeit gegen die Wünsche des Volkes zu geben, und spielte, mit Einem Worte, die Popularität mit so viel Feinheit und Anstand, daß der eingeschränkteste Regent einer freien Nation nicht mehr Kunst anwenden könnte, eine Autorität, die er nicht hätte, zu erschleichen, als August anwandte, diejenige, die er hatte, zu maskieren. Übrigens gibt mir die Unparteilichkeit, womit ich den Mann, dessen Ruhm mit dem meinigen so eng verbunden ist, gerade von der Seite, die er am sorgfältigsten zu verbergen suchte, gezeigt habe, das Recht hinzu zu setzen: daß, wenn er zu dieser Rolle durch die Umstände gezwungen war, und alle diese Kunstgriffe nötig hatte, um eine unsichere usurpierte Gewalt in eine rechtmäßige und dauerhafte zu verwandeln, der Gebrauch, den er von der letztern machte, ihm einen ehrenvollen Platz neben den besten Fürsten, die jemals zum Throne geboren wurden, verdient hat. Augustus vereinigte alles in sich, was Semiramis und Aspasia für die wesentlichsten Tugenden eines guten Regenten erklärt haben; und gewiß regierte der väterlich, der nicht von bettelnden oder voraus bezahlten Schmeichlern, sondern aus dem vollen Herzen der dankbaren Römer den schönen Namen Vater des Vaterlandes erhielt. Wenn ich gestehe, daß in seiner Popularität viel mimische Kunst und Täuschung war, so müßte man sehr unbillig sein, wenn man verkennen wollte, daß selbst diese Täuschung, weil sie den Römern wohltätig war, unter seine Verdienste gehört. Ein so verderbtes Volk, wie die Romuliden seiner Zeit, und wie dermalen, mehr oder weniger, alle Europäische Nationen sind, will getäuscht sein, und muß oft schlechterdings zu seinem eigenen Vorteil getäuscht werden: aber damit es nicht alle Augenblicke aus seinen goldnen Träumen aufgeweckt werde, muß dem süßen Wahn etwas Reelles zum Grunde liegen, muß man erst sein Herz und sein Vertrauen gewonnen haben; und das letztere wenigstens erhält man schwerlich anders, als durch wirkliche Verdienste, die man sich um seinen Wohlstand gemacht hat. Und bestände auch alles, was ein Volk seinem Fürsten zu danken hätte, nur in einem angenehmern Lebensgenusse; so rechnen die Menschen das, was ihren Sinnen schmeichelt, gewöhnlich höher an, als ungleich größere Wohltaten, deren Wert nur mit dem Verstand erkannt und erst in langsam heran reifenden Früchten genossen wird.

Du siehest, große Göttin, daß meine Gedanken von Aspasiens vielleicht nur in diesem einzigen Stücke verschieden sind, daß sie von deinen zeptertragenden Klienten nicht gut genug zu denken scheint, um ihnen zuzutrauen, daß der einzige Rat, den wir ihnen zu geben haben, den gehörigen Eingang bei ihnen finden werde. Ich gestehe, daß ich von verschiedenen unter ihnen eine bessere Meinung hege; besonders von Einem, dem das Schicksal eine der schwersten Rollen zu spielen gab, und der mit allen Fähigkeiten, sie gut zu spielen, den Schauplatz vor kurzem betreten hat. Es ist natürlich, wenn das Ideal eines vortrefflichen Regenten, das jede von uns aufgestellt hat, dem größten Meister der Kunst, den sie einst kannte, ähnlich sieht: aber ich müßte mich sehr irren, oder die Hauptmaximen, deren Befolgung jede von uns zur notwendigsten Bedingung einer weisen und glücklichen Regierung machte, lassen sich sehr gut vereinigen; oder vielmehr die Regierung des Augustus ist ein wirkliches Beispiel dieser Vereinigung, und verdient daher (wie ehemals der berühmte Kanon des Polykletus von den Bildhauern) von allen Fürsten, wie groß oder klein ihr Wirkungskreis sein mag, zum Modell genommen zu werden. Ich weiß sehr gut, wie viel ich damit von diesen Herren fordre; aber meine Absicht ist auch nichts weniger, als ihnen meine Cour dadurch zu machen. Wer sich mit Regieren abgibt, ohne sich der Talente, die dazu erfordert werden, bewußt zu sein; wer sich vor irgend einer Arbeit und Mühe, die damit verbunden ist, scheuet, und nicht den festen Willen hat, sich durch alle mögliche Verdienste um das Glück seines Volkes der ersten Stelle im Staate würdig zu zeigen: für den habe ich keinen andern Rat, als sich einer Bürde, die er nicht tragen kann oder nicht tragen will, je eher je lieber zu entladen. Sogar eine erbliche Krone ist usurpiert, wenn sie nicht verdient wird.

Juno. Auch du, Julia? – auch du machst so strenge Forderungen an die Könige?

Livia. Um Vergebung, Göttin! ich fordere nicht mehr von ihnen als die Knaben meiner Zeit in Rom von ihren Spielkönigen: Wers am besten macht, riefen sie, soll König sein!

Juno. Das ist es eben, was ich allzu streng finde. Wenn wir dem Volke das Recht eingestehen wollten, seine Regenten auf dieser Waage zu wägen, wie viele, meinst du, würden wohl auf angeerbten Thronen ruhig sitzen bleiben? Und dennoch hat eine lange Erfahrung gelehrt, daß es für die Ruhe der Staaten zuträglicher ist, wenn sie, mittelst einer festgesetzten Erbfolge, die Wahl ihres Regenten dem Schicksal überlassen!

Livia. Meine Meinung ist keinesweges dem Volk ein Recht einzugestehen, dessen Ausübung ihm selbst verderblich sein und sehr bald alle bürgerliche Ordnung zerstören würde. Das Volk hat von der Regierung nichts zu fordern als Sicherheit und Gerechtigkeit: aber der Regent muß desto mehr von sich selbst fordern; oder, wofern er so eine Art von König ist wie das Stück Holz in der Fabel, so sehe ich nicht, mit welchem Recht er sich beklagen könnte, wenn die Frösche ohne Scheu auf ihm herum springen.

Juno. Am Ende wird sich finden, daß es keine leichte Sache ist, den Fröschen einen König zu geben, wie sie einen nötig haben. Aber wir sind, deucht mich, unvermerkt, von dem eigentlichen Gegenstande unsrer Beratschlagung abgekommen; es wird also an dir sein, Königin Elisa, uns wieder zurück zu bringen, und uns gegen das Übel, welchem abgeholfen werden muß, Mittel vorzuschlagen, die den gegenwärtigen Zeitumständen angemessen, so nahe als möglich bei der Hand, und zugleich so sicher in der Anwendung sind, daß wir nicht Gefahr laufen eine Kur zu machen, die noch schlimmer als die Krankheit selber ist.

K. Elisabeth. Der Grund, warum manche Kranke nicht genesen können, liegt nicht sowohl an dem Mangel wirksamer Heilmittel, als daran, daß der Patient sich der Kur nicht unterwerfen will, oder doch die Mittel nicht in der rechten Ordnung gebraucht. Dies dürfte wohl, wie ich besorge, auch der Fall bei manchen unter den Königen sein, welchen du, große Beschützerin der Thronen, aus ihren Verlegenheiten geholfen wissen möchtest. Meiner Meinung nach gibt es wirklich ein unfehlbares Mittel, wie alles zwischen den Völkern und ihren Regenten in das gehörige Gleichgewicht gesetzt werden kann: aber, da es eben so einzig als unfehlbar ist, und von Seiten deiner Klienten ein Opfer fordert, wozu vielleicht keiner von ihnen sich freiwillig entschließen wird; so muß ich voraus gestehen, daß ich nicht viel mehr Vertrauen zu der Wirksamkeit unserer Beratschlagung habe als Aspasia, und beinahe gewiß bin, die Notwendigkeit allein werde die Verblendeten endlich zu den Schritten zwingen müssen, welche sie aus eigener Bewegung zu tun, wie ich befürchte, weder billig noch weise genug sind.


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