Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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In einem engern Ausschuß dieser Gesellschaft – von welcher alle Männer ausgeschlossen waren – befand ich mich einmal, an einem schönen Abend, in der besagten Galerie; und indem wir uns an dem Anblick einer Menge von Ruderschiffen aller Arten, die den Hafen bedeckten, und an dem bunten Gewimmel von Leben und Geschäftigkeit, das wir vor uns sahen, ersetzten, machte uns Popilia, eine meiner Freundinnen, mit einem lauten Ausruf, etliche junge Bootsleute bemerken, deren schöne Gestalt, unter einer nicht geringen Anzahl wohl gebildeter Matrosen, womit diese Schiffe bemannt waren, stark genug hervor stach, um unsre Augen auf sich zu ziehen. Die Galerie, worin wir uns befanden, war mit auserlesenen Bildsäulen und Büsten von Griechischen Meistern ausgeziert, unter welchen vorzüglich ein junger Herkules, ein Merkur, und ein Bacchus der den Arm um Ariadne schlang, für Werke von der höchsten Schönheit anerkannt waren. Auf einmal fiel es Popilien (die auf den Namen einer großen Kunstkennerin Anspruch machte) ein, zu behaupten, daß keine dieser drei Bildsäulen eine Vergleichung mit den jungen Matrosen, die sie uns gezeigt hatte, aushalten könnte. Es entstand darüber ein lebhafter Streit zwischen ihr und ein paar andern, die sich für die Bildsäulen erklärten, und in kurzer Zeit teilte sich die ganze Gesellschaft in zwei Parteien. Dieser scherzhafte Zank, der mit eben so viel Witz als Urbanität verlängert wurde, belustigte mich dermaßen, daß ich mich unvermerkt selbst hinein ziehen ließ, und mit etwas mehr Wärme, als nötig war, die Partei meiner Bildsäulen nahm. Nun erhitzte sich der Streit immer mehr; und da sich kein Teil für überwunden bekennen wollte, so schien es, zu beiderseitigem Verdruß, unmöglich, ein Mittel zur Beilegung unsers Handels ausfindig zu machen. Endlich rief Popilia: »Auf diesem Wege werden wir nie aus einander kommen; aber ich setze drei meiner schönsten Ägyptischen Zwerge gegen diesen jungen Herkules, daß ich recht behalten werde, wenn die Kaiserin es auf einen Augenschein ankommen lassen will, wobei wir die Vergleichung gelassen und ungehindert anstellen können.« Dieser närrische Einfall wurde anfangs mit allgemeinem Gelächter aufgenommen: aber je länger über ihn und seine Urheberin gescherzt wurde, desto besser leuchtete er uns ein; und zuletzt gestand man, daß es das einzige Mittel sei, unsre Fehde zu entscheiden. Alle drangen in mich, zu Popiliens Vorschlage ja zu sagen; keiner einzigen stieg der mindeste Zweifel über die Unfüglichkeit der Sache auf, und ich selbst ließ mich überreden, daß nichts unschuldiger in der Welt sein könne, als einen Wettkampf zwischen Natur und Kunst auf diese Art auszumachen. – In der Tat war es mein Glück, daß dergleichen Einfälle etwas seltenes bei mir waren; denn ich glaube selbst, daß ich, mit einem ungenügsamern Temperamente als das meinige war, gar wohl eine zweite Messalina hätte werden können; so wenig Zeit pflegte ich zwischen den ersten besten Einfall, der mich anwandelte, und seine Ausführung zu setzen. Warum, dachte ich, – und so dachten alle meine Römerinnen, die, zum Teil, bei eben so viel Unbesonnenheit viel wärmeres Blut hatten als ich – warum sollte eine Frau, der die ganze Welt zu Gebote steht, sich eine Befriedigung versagen, die ihr einen bloßen Wink kostet? Kurz, Julia, das unbedachtsame Ja wurde ausgesprochen; Popilia erteilte etlichen Eunuchen meinen Befehl, und in einer Stunde traten fünf oder sechs junge Männer, so wie sie aus dem Bade kamen (wo die Eunuchen sie zu diesem Wettkampfe vorbereitet hatten), mit einem Bewußtsein ihres Vorzugs über unsre Statuen herein, der dem Streit auf einmal ein Ende machte. Denn beim ersten Anblick liefen wir alle mit großem Geschrei, und in einer Verwirrung und Eilfertigkeit, die das einzigste Gemälde in seiner Art abgegeben hätte, davon; und Popilia, die kurz zuvor die herzhafteste von uns allen gewesen war, hatte jetzt keine größere Furcht, als unter den Fliehenden die letzte zu sein. Dieses Abenteuer gab uns mehrere Tage lang Stoff zu scherzhaften Unterhaltungen: indessen blieb es auf meiner Seite ohne alle Folgen; die Wunde ausgenommen, die es, wie ich sehe, meinem Ruhme beigebracht hat, wiewohl ich mir damals nicht das geringste von einem solchen Erfolge träumen ließ. In der Tat war weder meine Einbildungskraft noch mein Temperament so heiß, als manche Leute sich vorstellen mochten, die mich nicht kannten, und eben darum nur desto dreister über das, was vermöge meines Charakters möglich oder unmöglich war, urteilten. Ich rechne mir eine Weisheit, die mir nichts kostete, zu keinem Verdienst an: hingegen ist es auch nicht billig, daß ich, einer bloßen Unbesonnenheit wegen, für Sünden büßen soll, die ich nicht begangen habe. Was aber Popilien und einige andere von meinen edlen Römerinnen betrifft, diese konnten sich freilich, wie ich in der Folge erfuhr, nicht so leicht von der Phantasie befreien, die zu rasch abgebrochne Untersuchung in der Stille, ohne so viele Zeugen, wieder vorzunehmen. Die Nebenbuhler meiner Bildsäulen wurden mehrere Nächte hindurch heimlich in den Palast eingeführt, und vielleicht wohl gar absichtlich in dem Wahn unterhalten, daß es die Kaiserin selbst sei, die dem Seewesen eine so unverhoffte Ehre erweise.

Dies, ehrwürdige Augusta, ist – zwei oder drei kleine Verirrungen der Augen oder des Herzens ausgenommen – das einzige zweideutige Abenteuer, worein mich die arglose Fröhlichkeit meiner Gemütsart in meinem ganzen Leben verwickelt hat. Du kannst mir glauben oder nicht glauben, wie es dir beliebt: aber ich begreife nun aus meiner eigenen Erfahrung, wie es zugehen konnte, daß die liebenswürdige Julia, deine Stieftochter, auf eine so grausame Art das Opfer der Verleumdung und einer zu ihrem Untergang verschwornen Kabale werden konnte, ohne vielleicht strafbarer gewesen zu sein als ich.

Livia. Mich wundert nicht, schöne Faustina, daß du dich einer Person annimmst, die dir so ähnlich war. Ich verlange nicht zu entscheiden, ob du die Ehre verdientest, die Gattin eines Mark-Aurel zu sein: aber gewiß war diese Julia, die du aus Sympathie so zärtlich in deinen Schutz nimmst, höchst unwürdig, die Tochter Augusts zu heißen!

Faustina. Auch die sanfteste Taube ist nicht ohne Galle, Livia! Du reizest die meinige zu sehr, als daß ich dich länger schonen könnte. Stolzes, bösartiges Weib! glaubst du, der bessere Teil der Welt lasse sich, eben so wie der große Haufe, durch die Larve der Weisheit täuschen hinter welche du das hassenswürdigste aller Laster – wenn es auch das einzige gewesen wäre, das man dir vorzuwerfen hatte – zu verbergen wußtest? Die schöne Julia wurde, mit allen ihren Fehlern, von dem Römischen Volke mit Entzückung geliebt; denn ihre Fehler schadeten niemand als ihr selbst. An dir war sogar die Tugend hassenswürdig; denn sie war die Mitschuldige und Hehlerin deiner Laster. Ein zu warmes Herz und ein zu leichtes Blut war die einzige Quelle der Fehltritte der unglücklichen Julia; oder vielmehr, ihr größter Fehler war, daß sie nicht schlimm genug von dir dachte, und dir leichtsinniger Weise die Dolche selbst in die Hände spielte, womit du ihre Ehre und das Glück ihres Lebens ermordetest. Zu den Verbrechen, deren sie von ihren Feinden – und wenn hatte sie jemals andere als dich und deinen Anhang? – beschuldiget wurde, gehörte nur Leichtsinn und allzu große Sicherheit auf ihre Vorzüge, und auf die Rechte, die sie an die allgemeine Liebe der Römer hatte: aber der Verbrechen, die Du begehen mußtest, um eine so liebenswürdige Tochter aus dem Herzen ihres Vaters zu vertilgen, ist nur eine schwarze Seele fähig! Schmeichle dir nicht, Livia, daß der Zauber, womit du die Augen eines leichtgläubigen Gemahls zu verblenden wußtest, seine Kraft bis auf die Nachwelt erstrecke! Dein Inwendiges, das du mit einer so seltenen Gewalt über dich selbst vor deinen Zeitgenossen zu verbergen wußtest, liegt bloß und aufgedeckt vor ihr; und, anstatt eine wohltätige Schutzgöttin Roms – der das Reich, wie deine Schmeichler sagten, alle Tugenden Augusts und alle Glückseligkeiten seiner milden Regierung zu danken habe – in dir zu ehren, sieht und verabscheut sie in dir die unerbittliche Verfolgerin einer Unglücklichen, deren Reize die deinigen verdunkelten, – die Mörderin ihrer Kinder, die zwischen den deinigen und dem Throne der Welt standen, den du, wie viele Verbrechen er dir auch kosten möchte, keinem andern überlassen wolltest, und – warum sollte man von einem Weibe, die ihrer Herrschsucht jedes Gefühl der Menschlichkeit aufzuopfern fähig war, nicht das ärgste glauben? – die Mörderin deines eigenen Gemahls, dessen Tage du abkürztest, um den Folgen seiner geheimen Zusammenkunft mit dem jungen Agrippa zuvor zu kommen, und deinem würdigen Sohn eine Erbfolge zuzuwenden, an welche der einzige noch lebende Enkel Augusts ein ganz anderes Recht in den Augen der Römer hatte, als der Sohn des Claudius Nero und der Livia Drusilla.

Livia. Hat das sanfte Täubchen sich nun seiner Galle erlediget? oder ist noch eine Lästerung zurück, welcher du Luft machen mußt, um eine Person, deren bloßer Anblick ein stillschweigender Vorwurf deiner Unwürdigkeit ist, wo möglich so tief herab zu setzen, daß du dir schmeicheln könntest, in Vergleichung mit ihr unschuldig zu sein?

Faustina. Vergib mir eine Hitze, die nie in meinem Charakter war, und wozu du selbst mich gar zu sehr gereizt hast! Ich möchte dir nicht unrecht tun, wie sehr auch die Anscheinungen gegen dich sind. Meine eigene Erfahrung sollte mich billig behutsamer gemacht haben; und überdies war der Unterschied zwischen deiner Sinnesart und der meinigen zu groß, als daß ich nicht Gefahr laufen sollte dich falsch zu beurteilen, wenn ich dich nach mir beurteile.

Livia. Schwaches, zu einer ewigen Kindheit verurteiltes Seelchen, laß dich nichts gereuen was du jemals getan oder gesprochen hast! denn Du kannst nichts sprechen noch tun, was dir zugerechnet werden könnte. Geschöpfe deiner Art gleiten unbedeutend und ohne eine Spur hinter sich zu lassen, wie Schatten, durch das Leben hin, und sind nicht einmal der Verachtung wert, womit die Menschen den Mangel an Verdienst und Tugend zu bestrafen pflegen. Es wäre lächerlich von mir, wenn ich mich gegen deine Beschuldigungen verteidigen wollte. Wie sollte deine kleine Kinderhand den Maßstab fassen können, womit eine Seele wie die meinige gemessen werden muß? Die Natur hatte dich zu einer kleinen Leierspielerin oder Tänzerin zugeschnitten: der Zufall legte dich in die Wiege einer Kaiserin, und dann in das Ehebett eines Kaisers, – der es zu einer Zeit war, wo der alltäglichste Mensch den Stuhl des Augustus ausfüllen konnte, ohne weder seinen Geist, noch solche Gehülfen, wie August zu Ausführung seines großen Werkes bedurfte, nötig zu haben. Zu meiner Zeit erforderte es eine Klugheit die ihr Ziel nie aus den Augen verlor, eine Wachsamkeit die nie einschlummerte, die Geschicklichkeit alles voraus zu sehen, alles vorzubereiten, allem vorzubeugen, alles zu rechter Zeit und auf die rechte Art zu tun, mit jedem Winde zu segeln, jeden Zufall, wie unerwartet, wie hinderlich er unsern Absichten war, zu ihrem Vorteil anzuwenden, mit Einem Wort, eine Verbindung aller möglichen Lebens- und Regierungskünste, wenn man die erste Rolle auf dem Weltschauplatze gut spielen wollte. Ein einziger Fehltritt wäre genug gewesen, um die Arbeit vieler Jahre, vielleicht unwiederbringlich, verloren zu haben. Und, indem ich so viele Künste nannte, die der erste August in sich vereinigen mußte, hätte ich doch beinahe die schwerste und unentbehrlichste von allen vergessen, die große Kunst alle diese Künste zu verbergen, und, indem wir immer bloß unsern eigenen Zweck verfolgen, dem Ansehn nach bloß für andere zu arbeiten; nichts zu scheinen als was andre wollen daß wir sein sollen; die Miene zu haben als ob man einem jeden traue, sich von einem jeden täuschen lasse, durch jedermanns Augen sehe, mit jedermanns Ohren höre, eines jeden Sache zu seiner eigenen mache. – Doch, zu wem sage ich das alles? Wie sollte Faustina dazu gekommen sein, sich einen Begriff davon machen zu können, was Augustus den Römern, und was Livia dem Augustus war? Oder von wem sollte sie gelernt haben, daß Seelen, die von der Natur selbst dazu bestimmt wurden sich die übrigen zu unterwerfen und einen alles umfassenden Wirkungskreis auszufüllen, aus ihrem Standpunkte natürlicher Weise alles anders sehen müssen, als diejenigen, die nur eine Spanne weit um sich herum sehen; daß in ihren Augen jedes Mittel gut ist, das am sichersten zum Endzweck führt; und daß sie entweder das nicht wären was sie sind, oder immer bereit sein müssen, dem, was ihr letztes Ziel ist, alles andere Interesse, alle andern Gefühle, Verhältnisse und Rücksichten auf zu opfern?

Faustina. Wie glücklich preise ich mich, daß die Natur mich nicht dazu bestimmte, eine dieser großen Seelen zu sein, und eine so hohe Rolle zu spielen, als die von einer Medea, Klytämnestra, Semiramis, Kleopatra oder Livia! Die meinige war, immer fröhlich zu sein, und, so viel an mir lag, alles froh zu machen was um mich war. Immerhin mag ich mit dieser Art zu denken klein und unbedeutend in deinen Augen sein, Julia! Mein höchster Ehrgeiz ging nie weiter, als das ehrenvolle Zeugnis zu verdienen, welches mein Gemahl von seiner Zufriedenheit mit meiner Gemütsart und unserer langen Verbindung öffentlich abgelegt hat. Mein stolzester Wunsch ist dadurch befriediget; und selbst die Ehre, unter die Schutzgötter Roms aufgenommen zu sein, schmeichelt meinem Herzen weniger, als der Gedanke, ein solches Denkmal von Markus Aurelius erhalten zu haben, und mir bewußt zu sein daß ich es verdiente.

Augustus und Markus Aurelius treten hinter dem Gebüsche hervor.

August. Wir sind unbemerkte Zuhörer euerer Unterredung gewesen, schöne Göttinnen, und wir kommen, Friede zwischen euch zu stiften.

Faustina. Hier ist meine Hand! Wenn ich nicht ganz ohne Galle bin, so bin ich doch ohne Groll; ich erkenne alle Vorzüge der erhabenen Gemahlin eines Cäsar Augustus, und es ist nichts was ich nicht tun wollte, um einen freundlichern Blick als diesen von ihr zu erhalten.

Livia halb lächelnd. Kleine Zaubrerin! Wer könnte so unbillig sein, dich dafür zu bestrafen, daß die Weisheit zu wenig, und die Grazien zu viel für dich getan haben?

Mark-Aurel. Die Weisheit, Diva Julia, tat gerade genug für sie, indem sie ihr diese gefällige und leicht zu lenkende Gemütsart, diese Liebe zu ihrem Manne und zu ihren Kindern, und dieses einfache, bescheidene und genügsame Wesen gab, wofür ich den Göttern so oft, als für einen nicht geringen Teil meiner Glückseligkeit, zu danken pflegte: und wofern die Grazien zu viel für sie getan haben sollten, so müßte es nur deswegen sein, weil sie, mit einem kleinern Anteil an äußerlichen Reizen, und mit einer weniger leichten und fröhlichen Sinnesart, der Verleumdung, welcher in unsern Tagen so schwer zu entrinnen war, vielleicht weniger ausgesetzt gewesen wäre. Aber, wer ist ohne Mängel? und was könnte uns, da wir einst Menschen waren, berechtigen, einander nichts zugute zu halten?

August. Wir hatten beide, Markus Aurelius und ich, jeder an seinem Platze, große Ursache den Göttern zu danken; Er, daß sie ihm die sanfte, gefällige Faustina, Ich, daß sie mir diesen weiblichen Ulysses (wie mein toller Urenkel sie in einem seiner hellen Augenblicke nannte) zur Gefährtin des Lebens gaben. Jeder von uns empfing was für ihn das Beste war, und jeder fühlte und kannte den Wert dessen was er besaß. Warum wolltet ihr, da keine Eifersucht zwischen euch Statt finden kann, einander nicht so viel Gerechtigkeit widerfahren lassen, als das Römische Volk, welches euch beide einer Stelle unter seinen Göttern würdig gefunden hat?

Livia. Nichts weiter hiervon, August! – Deine Römer sind ein undankbares Volk. – Sie haben Faustinens Andenken durch die ehrenvollesten Dekrete verherrlichst. Was haben sie für mich getan?

Mark-Aurel. Hätte Julia Augusta durch ein Dekret des Senats größer werden können, als sie durch sich selbst ist?

Livia, indem sie Faustinen umarmt. Was für einen guten Mann du hattest, Faustina!


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