Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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Jupiter. Meine lieben Söhne, Oheime, Neffen und Vettern, samt und sonders! ich sehe, daß ihr diese kleine Revolution, die ich schon lange ruhig kommen sah, tragischer aufnehmt als die Sache wert ist. Setzt euch, wenn ich bitten darf, wieder an euere Plätze, und laßt uns bei einem Glase Nektar gelassen und unbefangen von diesen Dingen sprechen. Alles in der Natur hat seine Zeit, alles ist veränderlich, und so sind es auch die Meinungen der Menschen. Sie ändern sich immer mit den Umständen; und wenn wir bedächten, was für einen Unterschied nur funfzig Jahre zwischen dem Enkel und dem Großvater machen, so würde es uns wahrlich nicht befremden, daß die Welt binnen ein- oder zweitausend Jahren unvermerkt eine ganz neue Gestalt zu gewinnen scheint. Denn im Grunde ist es doch nur Schein; es bleibt, wiewohl unter andern Masken und Namen, immer die nämliche Komödie. Die albernen Leute da unten haben lange genug Aberglauben mit uns getrieben; und sollten einige unter euch sein, denen damit gedient war, so muß ich ihnen sagen daß sie unrecht hatten. Es wäre den Menschen wohl zu gönnen, wenn sie endlich einmal weiser würden; beim Himmel! es wäre nicht zu früh. Aber daran ist vor der Hand noch nicht zu denken. Zwar schmeicheln sie sich immer, die letzte Albernheit, zu deren Erkenntnis sie kommen, werde auch die letzte sein, die sie begehen; Hoffnung besserer Zeiten ist ihre ewige Schimäre, von welcher sie immer betrogen werden, um sich immer wieder von ihr betrügen zu lassen: weil sie nie zu der Einsicht kommen, daß nicht die Zeit, sondern ihre angeborne unheilbare Torheit die Ursache ist, warum es nie besser mit ihnen wird. Denn es ist nun einmal ihr Los, nichts Gutes rein genießen zu können, und eine Albernheit, deren sie endlich, wie Kinder einer abgenutzten Puppe, überdrüssig geworden sind, immer nur gegen eine neue zu vertauschen, bei der sie meistens noch übler fahren als bei der vorigen. Diesmal hatte es wirklich das Ansehen, als ob sie beim Tausche gewinnen würden: aber ich kannte sie zu gut, um nicht voraus zu sehen, daß ihnen auf diesem Wege nicht zu helfen sei. Denn wenn auch die Weisheit selbst in Person zu ihnen herab stiege und sichtbarlich unter ihnen wohnen wollte, sie würden nicht aufhören, sie so lange mit Flittern und Federn, Lappen und Schellen zu behängen, bis sie eine Närrin aus ihr gemacht hätten. Glaubt mir, Götter, der Triumphgesang, den sie in diesem Augenblicke wegen des herrlichen Sieges, den sie über unsre wehrlosen Bildsäulen erfochten haben, anstimmen, ist ein Unglück weissagendes Rabengeschrei für die Nachwelt. Sie glauben sich zu verbessern, und werden aus dem Regen unter die Traufe kommen. Sie sind unser überdrüssig, sie wollen nichts mehr mit uns zu tun haben – aber desto schlimmer für sie! Wir bedürfen ihrer nicht. – Wenn ihre Priester uns für unreine und böse Geister erklären, und das einfältige Volk versichern, daß ein ewig brennender Schwefelpfuhl unsre Wohnung sei: was kümmert das mich oder euch? Was kann uns daran gelegen sein, was halb vernünftige Erdtiere sich für Vorstellungen von uns machen? oder was sie sich für ein Verhältnis gegen uns geben, und ob sie uns mit einem ekelhaften Gemisch von Opfergestank und Weihrauch, oder mit höllischem Schwefel beräuchern? Weder der eine noch der andere steigt bis zu uns. – Sie verkennen uns, sagt ihr, da sie sich unsrer Herrschaft entziehen wollen. Kannten sie uns etwa besser, da sie uns dienten? Was die armen Leute ihre Religion nennen, ist ja immer nur ihre Sache, nicht die unsere. Sie allein haben dabei zu gewinnen oder zu verlieren, wenn sie ihre Lebensweise vernünftig oder unvernünftig einrichten. Auch werden ihre Nachkommen, wenn sie einst die Folgen der unweisen Dekrete ihrer Valentiniane, Gratiane, und Theodosier fühlen, Ursache genug finden, die raschen Vorkehrungen zu bereuen, die eine Flut von neuen und unerträglichen Übeln, wovon die Welt, so lange sie dem alten Glauben oder Aberglauben beigetan war, keinen Begriff hatte, über ihren schwindligen Köpfen zusammen häufen werden. Ein anderes wäre, wenn sie sich durch die neue Einrichtung wirklich verbesserten! Wer von uns könnte oder wollte ihnen das übel nehmen? Aber gerade das Gegenteil! Sie gleichen einem Menschen, der, um ein kleines Übel, womit er so alt wie Tithon werden könnte, zu vertreiben, sich zehn andere zehnmal ärgere an den Hals kurieren läßt. So erheben sie, zum Beispiel, ein gewaltiges Geschrei gegen unsre Priester, weil sie das Volk, das überall abergläubisch ist und immer abergläubisch bleiben wird, in Täuschungen unterhielten, wovon gleichwohl der Staat eben so gut Vorteile zog als sie. Werden es ihre Priester etwa besser machen? In diesem Augenblicke legen sie den Grund zu einem Aberglauben, der niemand als ihnen selbst nützlich sein, und, anstatt die politische Verfassung zu befestigen, alle menschlichen und bürgerlichen Verhältnisse verwirren und untergraben wird; einem Aberglauben, der wie Blei in den Köpfen liegen, jeder gesunden Vorstellung von natürlichen und sittlichen Dingen den Zugang verschließen, und, unter dem Vorwand einer schimärischen Vollkommenheit, die Humanität in jedem Menschen schon im Keime vergiften wird. Wenn man von dem Aberglauben, der die Welt bisher betörte, das ärgste gesagt hat was sich mit Wahrheit von ihm sagen läßt, so wird man doch dereinst gestehen müssen, daß er weit menschlicher, unschuldiger und wohltätiger war, als der neue, den man an seine Stelle setzt. Unsere Priester waren unendlichemal harmlosere Leute, als diejenige, denen sie jetzt weichen müssen. Jene genossen ihres Ansehens und ihrer Einkünfte im Frieden, vertrugen sich mit jedermann, und fochten niemands Glauben an: diese sind herrschsüchtig und unduldsam, verfolgen sich unter einander der nichtswürdigsten Wortspiele wegen mit der äußersten Wut, entscheiden durch die Mehrheit der Stimmen, was man von undenkbaren Dingen denken, wie man von unaussprechlichen Dingen sprechen soll, und behandeln alle, die anders denken und sprechen, als Feinde Gottes und der Menschen. Daß die Priester der Götter, ehe sie von diesen brausenden Bilderstürmern beeinträchtiget wurden, mit der bürgerlichen Obrigkeit in Zusammenstoß gekommen wären, oder sonst die Ruhe des Staats gestört hätten, ist in tausend Jahren kaum erhört worden: die neue Priesterschaft hingegen hat, seitdem ihre Partei die begünstigte ist, nicht aufgehört, die Welt in Verwirrung zu setzen. Noch arbeiten ihre Pontifexe unter Grund: aber in kurzem werden sie nach den Zeptern der Könige greifen, sich zu Statthaltern ihres Gottes aufwerfen, und unter diesem Titel sich einer bisher unerhörten Oberherrlichkeit über Himmel und Erde anmaßen. – Unsere Priester waren zwar (wie billig) keine sehr eifrigen Beförderer, aber doch wenigstens keine erklärten Feinde der Philosophie, von welcher sie unter dem Schutz der Gesetze nichts besorgten. Am allerwenigsten ließen sie sich einfallen, die Gedanken und Meinungen der Menschen unter ihre Gerichtsbarkeit zu ziehen, und ihren freien Umlauf in der Gesellschaft hindern zu wollen. Die ihrigen hingegen – die, so lange sie die schwächere Partei waren, sich so viel damit wußten, die Vernunft auf ihrer Seite zu haben, und sie beim Angriff der unsern immer ins Vordertreffen stellten – geben ihr nun, da sie ihnen zu ihren weitern Operationen nur hinderlich sein würde, den Abschied, und werden nicht eher ruhen, bis sie alles um sich her finster gemacht, dem Volke alle Mittel zur Aufklärung entzogen, und den freien Gebrauch der natürlichen Urteilskraft zum ersten aller Verbrechen gestempelt haben. Ehemals, da sie selbst noch von Almosen lebten, war ihnen die Wohlhabenheit und anständige Lebensart unsrer Priester ein Greuel: nun, da sie mit vollen Segeln fahren, sind die mäßigen Einkünfte unsrer Tempel, deren sie sich bemächtigen, viel zu wenig, die Bedürfnisse ihres Stolzes und ihrer Eitelkeit zu befriedigen. Schon jetzt haben ihre Pontifexe zu Rom, durch die Freigebigkeit aberwitziger reicher Matronen, deren schwärmerische Empfindsamkeit sie meisterlich zu benutzen wissen, durch die unverschämteste Erbschleicherei und tausend andere Kunstgriffe dieser Art, sich in den Stand gesetzt, es den ersten Personen im Reich an Pracht, Aufwand und Üppigkeit zuvor zu tun. Aber alle diese Quellen, wiewohl durch immer neue Zuflüsse zu Strömen angewachsen, werden den Unersättlichen nicht genügen: sie werden tausend nie erhörte Mittel erfinden, die Einfalt roher und verblendeter Menschen zu besteuern; sogar die Sünden der Welt werden sich durch ihre Zauberkunst in Goldquellen verwandeln, und, um diese desto ergiebiger zu machen, wird man eine ungeheure Menge neuer Sünden erdenken, wovon die Theophrasten und Epikteten keine Ahnung hatten. – Doch wozu sage ich dies alles? Was geht es uns an, was diese Leute tun oder nicht tun, und wie wohl oder übel sie sich ihrer neuen Herrschaft über die kränkelnden Seelen nervenloser, durch Wollust und Sklaverei verkrüppelter Menschen, bedienen werden? Auch die Verführer der übrigen sind Betrogene; auch sie wissen nicht was sie tun: uns aber, die wir in allem diesem klar sehen, kommt es zu, sie als Kranke und Wahnsinnige mit Schonung zu behandeln, und ihnen, ohne Rücksicht auf ihre Dankbarkeit oder Undankbarkeit, auch in Zukunft so viel Gutes zu erweisen, als ihr eigener Unverstand uns Gelegenheit dazu übrig läßt. Die Unglücklichen! wem als sich selbst schaden sie, da sie sich von freien Stücken des wohltätigen Einflusses berauben, durch welchen Athen zur Schule der Weisheit und der Kunst, Rom zur Gesetzgeberin und Regentin des Erdbodens wurde? wodurch beide einen Grad von Kultur erreichten, zu welchem selbst die bessern Nachkommen der Barbaren, die im Begriff sind, sich in die Länder und Reichtümer dieser ausgearteten Griechen und Römer zu teilen, niemals wieder sich werden erheben können. Denn was soll aus Menschen werden, von welchen die Musen und Grazien, die Philosophie und alle verschönernden Künste des Lebens und des feinern Lebensgenusses, mit den Göttern, ihren Erfindern und Schützern, sich zurückgezogen haben? Ich sehe mit Einem Überblicke alles Böse voraus, das sich in den Platz des Guten eindrängen wird; alles Unförmliche, Verschrobene, Ungeheure und Mißgestaltete, das diese fanatischen Zerstörer des Schönen, auf der Asche und den Trümmern der Werke des Genies, der Weisheit und der Kunst, auftürmen werden, – und mir ekelt vor dem widerlichen Anblicke. Weg damit! – Denn so wahr ich Jupiter Olympius bin, es soll nicht immer so bleiben! wiewohl Jahrhunderte darüber hingehen werden, bis die Menschheit die unterste Tiefe ihres Verfalls erreicht, und Jahrhunderte, bis sie sich, mit unsrer Hülfe, wieder über den Schlamm empor gearbeitet haben wird. Die Zeit wird kommen, da sie uns wieder suchen, unsern Beistand wieder anrufen, und bekennen werden, daß sie ohne uns nichts vermögen; die Zeit wird kommen, da sie, mit unermüdeter Arbeit jedes zertrümmerte oder verunstaltete Überbleibsel der Werke, die einst durch unsern Einfluß aus dem Geist und den Händen unsrer Lieblinge hervorgingen, wieder aus dem Staube ziehen, oder tief aus Schutt und Moder heraus graben, und sich vergebens erschöpfen werden, durch affektierten Enthusiasmus jene Wunder der echten Begeisterung und des wirklichen Anhauchs göttlicher Kräfte nachzuahmen.

Apollo. Ganz gewiß wird sie kommen, Jupiter, diese Zeit! ich sehe sie, als ob sie schon im vollen Glanze der Gegenwart vor mir stände. Sie werden unsre Bilder wieder aufstellen, sie mit dem Schauder des Gefühls und der anbetenden Bewunderung anstaunen, sie zu Modellen ihrer Idole nehmen, die unter barbarischen Händen zu Scheusalen geworden waren, und – o welch ein Triumph! – ihre Pontifexe selbst werden stolz darauf sein, uns, unter einem andern Namen, den prächtigsten Tempel zu erbauen!

Jupiter einen großen Becher voll Nektar in der Hand. Es lebe die Zukunft! – Zu Minerven . Meine Tochter, auf die Zeit, wo du ganz Europa, in ein neues Athen verwandelt, mit Akademien und Lyceen angefüllt sehen, und die Stimme der Philosophie mitten aus den Wäldern Germaniens vielleicht noch freier und heller erschallen hören wirst, als ehemals aus den Hallen von Athen und Alexandrien!

Minerva den Kopf ein wenig schüttelnd. Es erfreut mich, Vater Jupiter, dich bei den gegenwärtigen Aspekten so gutes Mutes zu sehen: aber mir wirst du verzeihen, wenn ich so wenig an ein neues Athen, als an ein neues Olympia glaube.

Quirinus zu Merkur . Ich kann mir den Peter mit dem Doppelschlüssel, der mein Nachfolger werden soll, noch nicht aus dem Kopfe schaffen, Merkur. Wie ist es denn mit diesem Schlüssel? Ist es ein wirklicher oder emblematischer, natürlicher oder magischer Schlüssel? Wo hat er ihn her? und was will er damit aufschließen?

Merkur. Alles was ich dir darüber sagen kann, Quirinus, ist, daß er mit diesem Schlüssel wem er will die Pforte des Himmels oder des Tartarus aufschließt.

Quirinus. Den Tartarus mag er unserthalben aufschließen wem er will; aber auch den Himmel! das könnte mehr zu bedeuten haben.

Merkur. In der Tat haben sie es darauf angelegt, den Himmel mit einer so ungeheuern Menge neuer Götter ihres Schlages zu bevölkern, daß für uns alte kein Raum mehr übrig bleiben wird.

Jupiter. Dafür laß mich sorgen, Hermes! Unsere Tempel und Ländereien auf der Erde konnten sie uns leicht nehmen: aber im Olymp sind wir schon zu lange etabliert, um uns verdrängen zu lassen. Übrigens wollen wir, zum Beweis unsrer vollkommnen Unparteilichkeit, den neuen Römern, ihrer Insolenz ungeachtet, das Recht der Apotheose unter denselben Bedingungen zugestehen wie den alten. Wie ich höre sollen die meisten von ihren Kandidaten, die an diese Standeserhöhung Anspruch machen, keine Personen von der besten Gesellschaft sein. Wir werden also, mit Sankt Peters Erlaubnis, immer vorher, ehe wir einen einlassen, eine kleine Untersuchung mit ihm vornehmen. Findet sich, daß er seiner übrigen Eigenschaften und Verdienste halben seinen Platz unter uns behaupten kann, so soll ihm, des goldnen Zirkels um den Kopf wegen, keine Einwendung gemacht werden; und Momus selbst soll ihm die Wunder, die man seine Gebeine oder seine Garderobe tun läßt, nicht vorrücken dürfen.

Juno. Mit den Mannspersonen kannst du es halten wie du willst, Jupiter; aber die Damen will ich mir verbeten haben.

Venus. Es sollen sehr artige darunter sein.

Jupiter. Darüber wird sich, wenn der Fall eintritt, sprechen lassen. Und nun – kein Wort mehr von odiosis! Einen frischen Becher, Antinous!


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