Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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XI.

Jupiter Olympius, Merkur, Numa Pompilius, Sankt Ludewig, Heinrich IV.
Zuletzt noch
der Schatten Ludewigs XIV.

Die Szene ist in einer Wolke über dem Marsfelde zu Paris.

Jupiter. Ventre-Saint-Gris! Ludewig, seh ich nicht dort den bravsten aller Gaskogner, den ersten Bourbon, auf welchen deine Krone erbte, und den würdigsten von allen deinen Enkeln? – Tritt näher, Heinrich! Bist du auch neugierig, einem in Frankreich so unerhörten Feste, dem Triumphe der Bürgerfreiheit über monarchischen und aristokratischen Despotismus, zuzusehen?

Heinrich IV. Ich bin, Dank sei dem Himmel, eh ich ein König wurde, lange genug wenig mehr als jeder andere Erdensohn, und weiß Gott! einer der geplagtesten gewesen, um noch so viel Menschengefühl übrig zu haben, daß ich mich darüber freuen kann, wenn mein gutes Volk glücklich ist, sollt es auch auf Unkosten meines Hauses sein.

Jupiter. Wären deine Nachfolger, als Menschen, deines gleichen gewesen, Heinrich Bourbon, so hätte der sechzehnte Ludewig diesen Tag nicht erleben müssen, den er vermutlich nicht mit roter Dinte in seinem Kalender anzeichnen wird. – Komm und setze dich zu uns! Aus dieser Wolke wirst du alles sehr bequem sehen können.

Sankt Ludewig herab schauend. Das muß ich gestehen, ein herrlicher Schauplatz für eine solche Feierlichkeit! – Was sich meine gute Stadt Paris seit meiner Zeit verändert hat!

Merkur. Und was für eine Meinung wirst du von den heutigen Parisern bekommen, wenn du hörest, daß dieser ungeheure Halbzirkel von amphitheatralischen Sitzen das freiwillige Werk von mehr als hunderttausend Bürgern von Paris, beiderlei Geschlechtes, war, die mit einem Enthusiasmus, den auch das ungünstigste Wetter nicht erkälten konnte, mehrere Tage lang vom Morgen bis zur Abenddämmerung arbeiteten, als sie sahen, daß die bezahlten Tagelöhner bis zum vierzehnten Julius nicht fertig werden könnten.

Numa zu Sankt Ludewig . Laß diese Schwärmerei zur herrschenden Leidenschaft des Volkes werden, so ist es von diesem Augenblick an das erste in der Welt.

Heinrich IV. Der Enthusiasmus, den die neu erworbene Freiheit einem lange unterdrückten, aber von Natur lebhaften und feurigen Volke einhaucht, wirkt wie die erste Liebe: der Liebhaber glaubt in gewissen Augenblicken mehr als ein Mensch zu sein, weil die Geliebte ihm eine Gottheit ist. Er wird das Unmögliche unternehmen, wenn der Besitz oder die Erhaltung der geliebten Person auf dem Spiele steht: aber er müßte wirklich ein Gott sein, wenn ihm eine so hohe Spannung natürlich genug werden könnte, um lange zu dauern.

Merkur. Welch ein unzählbares Volk sich von allen Seiten dem Marsfelde zudrängt! Welche Ströme von Menschen!

Numa. Und welche Regengüsse!

Jupiter. In der Tat, Pluvius hält sein Wort über meine Erwartung.

Merkur. Und doch siehst du diese wackern Bürgersoldaten, mitten unter dem kräftigsten Platzregen, jauchzend und singend um den Altar der Freiheit tanzen!

Numa. Schade um ein so herrliches Fest! Es wäre doch eines freundlichem Wetters wert gewesen.

Sankt Ludewig. Und mir ist es lieb, daß meine braven Franken diese Gelegenheit bekommen haben, zu zeigen, daß es nicht in der Macht der Elemente steht, ein Feuer wie das ihrige nur zu dämpfen, geschweige auszulöschen. Sagte ich nicht voraus, daß es so gehen würde? In welcher schönen Ordnung der ganze unendliche Zug der Repräsentanten der Nation und ihrer Beschützer, von der ganzen Bürgerschaft dieser unermeßlichen Hauptstadt begleitet, mit ihren Fahnen und Panieren, trotz dem abscheulichen Wetter, daher zieht! Welcher Triumph in ihren Augen funkelt! Die Ströme von oben, der aufgelöste Boden von unten, die triefenden Schirme und Kleider, die Ungemächlichkeiten aller Art, die betrogene Hoffnung eines glänzenden Tages, die tückische Schadenfreude der Gegenpartei, nichts, was ein jedes andere Volk in böse Laune gesetzt hätte, kann ihrem guten Mut etwas anhaben, nichts kann ihnen die Freude dieses Tages verkümmern!

Jupiter. Geradeweg von der Sache zu sprechen, wären sie der Freiheit nicht wert, die ihnen heute auf ewig angetraut wird, wenn eine zerstörte Frisur und ein Nößel Wasser in den Schuhen sie an einem Feste wie dieses mißmütig machte. Was könnten sie einer so reizenden Liebschaft zu Gefallen weniger leiden? Heinrich würde, um seiner schönen Gabriele einen verstohlnen Besuch zu machen, ein zehnmal schlimmeres Wetter in der finstersten und frostigsten Winternacht für nichts geachtet haben – nicht wahr?

Heinrich IV. Wer kennt die Allmacht der Liebe besser als Jupiter?

Merkur. Mich deucht, der König läßt ein wenig lange auf sich warten.

Jupiter. Nu, nu! das wollen wir ihm nicht verdenken. Das Vergnügen, sich von ein paar hunderttausend Menschen, wovon der geringste sich in diesem Augenblick ein kleiner König dünkt, hoch leben zu lassen, mag wohl nicht so groß in seinen Augen sein, daß er eilen sollte, sich hier den Schnupfen und ein Zahngeschwür zu holen.

Sankt Ludewig. Wer so billig ist zu bedenken, daß vor zwei Jahren noch eine unterirdische Gruft in der Bastille darauf stand, wenn sich jemand unterfangen hätte, den großen Grundsatz der Monarchie, »daß der König die einzige Quelle der Gesetze sei und von der Ausübung seiner Macht nur Gott allein Rechenschaft zu geben habe«, anzufechten; und daß Ludewig der Sechzehnte bis in die Mitte des Jahres 1789 nie eine andere Sprache als diese gehört, bei jedem Vive le Roi! das seit seinem Regierungsantritt seine Ohren erschütterte, nie etwas andres gedacht hatte, als daß sein Volk ihm dadurch eine unbedingte Bereitwilligkeit, alles für ihn zu tun und alles von ihm zu leiden, angelobe: der wird es ihm wahrlich zugut halten, wenn er eben nicht mit schnellen Schritten herbei eilt, der Nation, die vor kurzem noch Nichts war, eidlich zuzuschwören, daß er sie für die einzige Quelle aller Macht im Staate, sich selbst hingegen bloß für den ersten Bürgermeister des Reichs erkenne, schuldig, so gut wie der geringste Dorfschulze, den Gesetzen der Volksrepräsentanten untertan zu sein, und keinen andern Willen zu haben als den ihrigen. Der Sprung von dem was er war, und wofür er von der ganzen Welt anerkannt wurde, zu dem was er jetzt vorstellt, ist gar zu groß! Es ist ein wahrer Salto mortale, den man unmöglich tun kann, ohne davon betäubt zu werden. Was ich an ihm bewundre, ist, daß er sich bei allen so wenig erwarteten Ereignissen dieser Zeit noch immer mit so guter Art benommen hat.

Heinrich IV. Er ist ein Bourbon, lieber Vater! Bonhomie ist von jeher unser stärkster Familienzug gewesen.

Merkur. Und diese Bonhomie, Heinrich, mit deinem Geiste, deiner Klugheit, deinem Mute und altritterlichem Biederherzen verbunden, würde ihn, in der gegenwärtigen Krise, zum Retter seines Volkes, zur Seele aller öffentlichen Verhandlungen, zum Abgott aller Herzen, zum Stifter einer neuen, eben so dauerhaften als glücklichen Monarchie gemacht haben. Wie gering waren im Grunde seine Schwierigkeiten gegen die deinigen! Wie schwach war in ihrem ersten Anfange die Kabale herrschsüchtiger Demagogen, mit welcher er zu kämpfen hatte, wenn er zu kämpfen gewußt hätte, gegen die furchtbare Ligue, über welche dich bloß deine eigene Klugheit und Standhaftigkeit endlich triumphieren machte!

Jupiter. Daß du doch so gern radotieren magst, Merkur! Würde er denn in Ludewigs Lage und Umständen eben derselbe Mann gewesen sein, der er als Heinrich IV. war?

Heinrich IV. Ich bin nie ein großer Räsonierer gewesen; aber mich deucht, ein jeder ist, was er unter seinen Umständen sein kann. Ein Fürstenkind ist am Ende ein Menschenkind wie ein anderes; und man kann eben so wenig von ihm fordern, daß ein Minos oder Numa, ein Cäsar oder Trajan aus ihm werde, wenn es ihm nicht gegeben ist, als man ihm zumuten kann, der erste Tänzer oder der beste Schwimmer unter seinem Volke zu werden. Laßt uns billig urteilen! Die Schwierigkeiten, die zuletzt alle auf einmal über Ludewig XVI. herstürzten, waren für ihn unendlich größer als die meinigen für mich; und er hatte keinen d'Aubigné, keinen Du Plessis-Mornay, keinen Sully zur Seite, wie ich! Hätte er solche Freunde gehabt, wer weiß, ob er sie nicht vielleicht noch besser zu gebrauchen gewußt hätte als ich?

Jupiter. Deine Hand, guter Heinrich! Das ist ein Wort, das deinem Herzen Ehre macht, wenn du es auch mit deinem Vielleicht nicht erraten haben solltest! – Aber was bedeutet das Getümmel, das auf einmal das ganze Marsfeld in Bewegung setzt?

Merkur. Endlich erscheint die Hauptperson des Festes.

Sankt Ludewig. Mein armer Sohn! Wie blaß er ist! Wie wenig er sich noch an diese neue Gestalt der Dinge gewöhnen kann!

Jupiter. Ungeachtet dieses schmetternden Vive le Roi! dessen Donner die Wolken aus einander sprengt, glaubt er gewiß nichts weniger als unter seinen Kindern zu sein, wie oft es ihm auch schon von den Deputierten seiner guten Stadt Paris vorgesagt worden ist. – Gutherziger Ludewig! Wenn du dir das wirklich einbilden könntest, wer wäre glücklicher als du!

Merkur. Aber im Ernste, was kann ein Mann mehr verlangen, als unter fünfundzwanzig Millionen Menschen der Erste zu sein, und fünfundzwanzig Millionen bare Livres Besoldung zu haben, ohne daß man ihm was andres dafür zumutet, als daß er sich die zärtlichsten Sachen von der Welt vordeklamieren lasse, und zu allem, was man ihm vorträgt, Ja sage?

Sankt Ludewig. Ich gestehe, daß ich mich bei diesen Vorteilen nicht sehr wohl befinden würde.

Heinrich IV. Überdies ist noch sehr die Frage, wie gut das ganze Reich sich dabei befinden werde, daß man die königliche Autorität unter zwölfhundert alte und neue Edelleute, Pfarrer, Advokaten, Ärzte, Kaufleute, Pachter und Bauern verteilt hat, die (wenn ich anders die Menschen kenne) eben so leicht das Faß der Danaiden füllen, als die allgemeine Ruhe und Ordnung durch Dekrete wieder herstellen werden, die nur so viel gelten, als das Volk sie gelten lassen will.

Jupiter. Du setzest, wie ich sehe, kein großes Vertrauen in die Konstitution, die in diesem Augenblicke beschworen wird, und in die aus ihr entspringende neue Ordnung der Dinge, von welcher die Französischen Redner der Nation so viel versprechen?

Heinrich IV. Ich bin mit ganzem Herzen für eine freie Konstitution, und für so viel Gleichheit unter allen Staatsbürgern, als mit der Natur einer sehr großen bürgerlichen Gesellschaft und mit dem letzten Zweck eines jeden Staats bestehen kann. Ich betrachte verschiedenes, was die Repräsentanten der Nation bisher getan haben, als die Grundlage einer guten Verfassung, die noch zu machen ist. Aber manches, deucht mich, war Übereilung einer einseitigen Vorstellungsart; manches das Werk des Parteigeistes und unedler Leidenschaften; manches auch wohl das Werk einer Kabale, die ihre geheimen Anschläge noch durchzusetzen hofft, indem sie die Unwirksamkeit der Gesetze zu verlängern, die National-Versammlung dem Volke verächtlich zu machen, und die Erbitterung der Parteien aufs höchste zu treiben sucht. Ich begreife nicht, wie jemand es mit dem Vaterland ernstlich wohl meinen, und doch verblendet genug sein könnte, nicht zu sehen, daß man zu weit gegangen ist.


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