Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I.

Herkules, Jupiter.

Herkules. Ist es erlaubt, Herr Vater, weil wir hier unter vier Augen sind, eine etwas freie Frage zu tun?

Jupiter. Frage was du willst, mein Sohn.

Herkules. Ich hätte schon lange gern gewußt, ob es denn auch wirklich wahr ist, daß du, wie die guten Menschlein da unten sich schmeicheln, so gar großen Anteil an ihrem Befinden nimmst, dich in alle ihre Händel mengest, über alle ihre Wünsche und Bitten ein Register hältst, und kurz, die Welt bloß um ihrentwillen regierest?

Jupiter. Da fragst du mich viel auf einmal, mein Sohn! und ich würde nicht einem jeden so offenherzig antworten wie dir. Allein vor dir, der mir immer unter meinen Söhnen der liebste war, vor dir hab ich kein Geheimnis. Also, was die Weltregierung anbelangt, die, indem er den Kopf gegen das Ohr des Herkules neigt, leise, die – ist meine Sache nie gewesen.

Herkules macht ein Paar große Augen an ihn. Das wäre! Und wer regiert sie denn wenn Du sie nicht regierst?

Jupiter. Höre, lieber Herkules, mehr als ich selbst weiß, mußt du mich nicht fragen! Ich habe mich nie viel mit Metaphysik abgegeben; auch wäre wenig Gewinn für mich dabei. Jeder hat nun einmal seinen Wirkungskreis; ich habe den meinigen; und es ist schon etwas lange her, daß ich mich gewöhnt habe, was über mir ist als etwas, das nicht in mein Fach gehört, zu betrachten. Die Welt, mein guter Schlangenwürger, ist um ein namhaftes Teil größer als du dir einzubilden scheinest. Mir ist noch nie eingefallen, sie ausmessen zu wollen: aber das kannst du mir sicher nachsagen, daß der Distrikt, der mir und meiner Familie zu besorgen zugefallen ist, im Ganzen noch lange nicht so viel Raum einnimmt, als das kleine Königreich Thespia, wo du an dem Löwen von Cithäron und an den funfzig Töchtern des Thespius deine erste Heldenprobe abgelegt hast.

Herkules. Was die letztern betrifft, Herr Vater, damit ging es so natürlich zu, daß es sich nicht der Mühe verlohnte, mir ein Kompliment darüber zu machen, wenn die närrischen Kerle, die Poeten, eine Sache lassen könnten wie sie ist. – Doch, ich bitte um Verzeihung, daß ich dir in die Rede gefallen bin.

Jupiter. Ich habe mir die Sache nie anders als just so natürlich gedacht, wie du es zu verstehen gibst. Es bleibt immer eine Tat, deren sich ein Sohn Jupiters nicht zu schämen hat, und die dir keiner so bald nachtun wird. Also, um wieder auf das vorige zu kommen, das Dörfchen Thespia, wo der Großvater deiner funfzig Söhne König war, machte damals eine sehr kleine Figur auf dem Erdboden; und doch war dieses nämliche Königreich Thespia vielleicht ein zehentausendmal tausendmal größerer Teil vom Erdboden, als der Planetenkreis, den ich regiere, von dem Ganzen ist, welches wir in unserer Göttersprache – an die du dich nun gewöhnen mußt – die Welt nennen. Höher, lieber Alcid, wollen wir uns diesmal in das Geheimnis des Universums nicht versteigen.

Herkules. Dein Anteil ist noch immer ansehnlich genug, Jupiter –

Jupiter. Um in unsern eignen Augen etwas zu sein, müssen wir uns immer mit kleinern messen.

Herkules. Es ist also, trotz dem naseweisen Schäker, der neulich zu Athen das Gegenteil behaupten wollte, doch wahr, daß du der höchste Beherrscher der Menschen bist, und eine unmittelbare Aufsicht über ihre Angelegenheiten führst?

Jupiter. Wahr und nicht wahr, wie du es nehmen willst.

Herkules. Wahr und nicht wahr? – Ich wüßte nicht wie ich das nehmen sollte. Du treibst deinen Scherz mit mir.

Jupiter. Und was sagte denn der naseweise Kerl zu Athen?

Herkules. Als ich neulich im Vorbeigehen meinen Tempel im Cynosarges einen Augenblick besuchte, hörte ich einen halb nackten breit geschulterten Burschen, dem die Haare in dicken Zotteln um die Stirne hingen, mit einem hagern ziegenbärtigen alten Manne über diese Sache sehr hitzig disputieren. »Da müßte Jupiter viel müßige Zeit haben«, sagte jener, »wenn er sich um alle die albernen und einander widersprechenden Bitten bekümmern sollte, die alle Augenblicke aus allen Winkeln des Erdbodens zu ihm abgeschickt werden.«

Jupiter. Der Mensch hatte so unrecht nicht!

Herkules. »Ist es«, fuhr er fort, »nicht unverschämt, daß ein jeder Pinsel sich träumen läßt, der König der Götter und der Menschen sei nur darum da, sein ewiger Geschäftsträger, Hausverwalter, Küchen- und Kellermeister, Reisemarschall und Obersteuermann, kurz, sein Alles in allem zu sein, und immer auf der Lauer zu stehen, um zu sehen, wo und wann ein jeder, der zu träg oder zu ungeschickt ist sich selbst zu helfen, seiner Dienste nötig habe?«

Jupiter. Der Mann sprach ja lauter Gold, mein Sohn! Ich muß mir den Menschen in meine Schreibtafel notieren. Hörtest du nicht wie er sich nannte?

Herkules. Sie hießen ihn Menipp, wenn ich recht gehört habe.

Jupiter. Den kenn ich! Einer der bissigsten Cyniker, aber ein Bursche von so hellen Augen und einer so feinen Nase, als jemals einer seines gleichen gehabt hat.

Herkules. »Und wenn auch (fuhr er fort) Jupiter so übermäßig gefällig wäre, und sich zu allem brauchen lassen wollte, so muten ihm die Leute offenbar mehr zu, als er, mit dem besten Willen, tun kann

Jupiter. Nur zu wahr! nur gar zu wahr!

Herkules. Wie, Vater Jupiter? du kannst nicht alles was du willst?

Jupiter. Was ich will? Das kann ich freilich, mein guter Herkules! und weißt du warum?

Herkules. Warum sonst als weil du Jupiter bist?

Jupiter. Schlecht geraten, mein Sohn! Ich kann was ich will, weil ich nichts will als was ich kann.

Herkules. Du kannst also, wie ich höre, nicht alles?

Jupiter, lächelnd. Es liegt bloß an einem paar Kleinigkeiten, über die ich noch nicht habe Meister werden können.

Herkules. Und die sind? –

Jupiter. Fürs erste, daß ich mit aller meiner Allgewalt nicht zuwege bringen kann, daß zweimal zwei mehr oder weniger als vier wären; und dann, daß ich, so bald die ganze Ursache von einem Dinge da ist, nicht verhindern kann, daß im nämlichen Augenblicke nicht auch die Wirkung erfolge. Du kannst dir nicht einbilden, mein Sohn, in was für enge Grenzen meine Allmacht bloß durch diese zwei fatalen Schlagbäume eingeschränkt wird.

Herkules. Wie? wenn jemand deinem großen Stellvertreter zu Olympia mit einem Skythischen Weidmesser die Nase abhauen wollte, könntest du ihm den Arm nicht zurückhalten?

Jupiter. Wenn ich gleich neben ihm stände und es zu rechter Zeit gewahr würde, allerdings. Aber bis ich von hier aus zu Olympia angelangt wäre, könnte das ganze herrliche Werk des Phidias in tausend Stücke zerschlagen sein.

Herkules. Und wofür schmieden dir denn die Cyklopen Jahr aus Jahr ein so viele Donnerkeile?

Jupiter. Du begreifst doch, daß ich nicht immer mit zehntausend Donnerkeilen in der Faust dastehen werde, um sie überall hinzuschleudern, wo sie nötig wären. Und wenn ich es auch tun wollte, so könnte ich doch nicht machen, daß etwas, das einmal geschehen ist, nicht geschehen wäre.

Herkules. Aber du kannst doch machen, daß es nicht geschieht.

Jupiter. Ja, insofern die Ursache, wodurch es geschieht, nicht vorhanden ist.

Herkules. Eben die Ursache, meine ich, ist es, mit der du es zu tun hast. Du mußt sie verhindern Ursache zu werden.

Jupiter. Aber wenn sie es nun einmal ist?

Herkules. Mit allem Respekt gesprochen, Jupiter, du machst mich ungeduldig. Als der Centaur Nessus vor meinen Augen mit der schönen Dejanira davon laufen wollte, wußte ich ihn sehr gut zu verhindern die Ursache ihrer Entführung zu werden. Ich schickte ihm einen meiner Pfeile nach, und traf ihn so richtig, daß er die schöne Beute fahren lassen mußte.

Jupiter. Das kam bloß daher, weil der Centaur Nessus zwar die Ursache war, die mit der schönen Dejanira davon lief, aber nicht die Ursache, die ihre Entführung zu Stande brachte. Sage mir einmal, als du unter den Mägden der Königin Omphale in Lydien in Weiberkleidern am Spinnrocken saßest, und ihren Pantoffel an deinen Ohren fühltest wenn du den Faden zu dünn oder zu dick zogst, glaubtest du etwa eine Rolle zu spielen, die dem Sohne Jupiters und Alkmenens große Ehre machte?

Herkules. Nein, bei Hebens Nektarschale! das glaubt ich nicht.

Jupiter. Und du konntest dich zu solchen Unwürdigkeiten erniedrigen?

Herkules. Ich tat was ich nicht lassen konnte.

Jupiter. So? und warum das?

Herkules. Weil mich die Liebe überwältiget hatte.

Jupiter. Und wie kam die Liebe dazu, einen Mann von deiner Stärke zu überwältigen?

Herkules. Um Verzeihung, Jupiter! wenn du das fragen kannst, so mußt du die schöne Omphale nie gesehen haben. Es wäre wahrlich dir selbst, mit allem Respekt zu sagen, nicht besser ergangen als mir.

Jupiter. Lassen wir das! – Du gestehst also, daß die Augen der schönen Omphale Wirkungen taten, denen man nicht entgehen konnte. Und doch hättest du es können, mein Sohn, wenn du gewollt hättest.

Herkules. Wie hätte ich das machen sollen?

Jupiter. Das unfehlbarste Mittel, wodurch du es ihren Augen unmöglich machen konntest eine so tyrannische Gewalt an dir auszuüben, war, die deinigen – zuzutun.

Herkules. So hätte ich die Augen zutun müssen ehe ich sie sah; denn so bald ich sie einmal gesehen hatte, war mirs schon unmöglich sie nicht immer sehen zu wollen.

Jupiter. Du erfuhrst also bei dieser Gelegenheit, daß es Ursachen gibt, deren Wirkung sich nicht immer verhindern läßt.

Herkules. Freilich, eine Leidenschaft wie die Liebe –

Jupiter. Die Leidenschaften der Menschen sind es eben, mein Sohn, was mir meinen Plan, wenn ich einen mit ihnen hätte, alle Augenblicke verrücken würde. Ich überlasse sie also gewöhnlich ihrer eigenen Torheit. Sie haben just Vernunft genug, es immer hinter drein zu merken, wenn sie was recht albernes getan haben, und so werden sie endlich durch lauter Torheiten klug; wiewohl meistens erst, wenn es ihnen nichts mehr helfen kann.

Herkules. Aber, mit Erlaubnis, das ist eine sonderbare Art zu regieren, wenn ich so frei reden darf.

Jupiter. Das ist sie auch. Doch will ich damit nicht gesagt haben, daß ich durch die Kenntnis, die ich von der Natur der Menschen und der Dinge, von welchen sie abhangen, besitze, nicht im Stande sei einen gewissen Einfluß zu behaupten, und Ursachen und Wirkungen so zu leiten, wie ich es für das Ganze am zuträglichsten halte. Aber, daß ich mir Mühe geben sollte, einem jeden seinen Willen zu tun, oder ihren Dank und Beifall verdienen zu wollen, das ist mir noch nie in den Sinn gekommen.

Herkules. Da hättest du auch ein Stück Arbeit zu verrichten, wogegen alle meine zwölf oder dreizehn weltberühmten Arbeiten nur Kinderspiel wären.

Jupiter. Es hieße das Unmögliche unternehmen, und das ist, wie gesagt, meines Tuns nicht. Um dir das begreiflich zu machen, mein Sohn, will ich nur dies einzige anführen, daß nichts in der Welt entgegengesetzter sein kann, als meine Art von den Sachen zu denken und die ihrige.

Herkules. Wie meinst du das eigentlich, Herr Vater?

Jupiter. Ich will dir ein kleines Beispiel geben. Neulich machte ich weiß nicht welcher Epigrammendrechsler zu Rom ein paar unverschämte Verse, um sich darüber aufzuhalten, daß ein pfiffiger Kerl, der durch Cäsars Gunst aus einem Barbier ein Senator und ein reicher Mann geworden war, von seinen Erben ein marmornes Grabmal bekommen hatte. »Wie«, sagte der Witzling, »der Barbier Licinus soll ein Grabmal von Marmor haben, und Pompejus hat nur einen schlechten Grabstein, Cato gar keinen! Wer kann das sehen und noch Götter glauben?« – Der Mensch bildete sich ein, ein gewaltiges Argument gegen uns aufgetrieben zu haben, und zehntausend Strohköpfe klatschten ihm Beifall zu.

Herkules. Das war dumm von ihnen! Pompejus konnte sich, für das was er gewesen war, immer an einem Sandstein begnügen; und ein Mann wie Cato braucht gar kein Grabmal: aber der Barbier mußte eines von Marmor haben, um die Eitelkeit seiner Erben zu befriedigen, und der Nachwelt weis zu machen, daß ihr Vetter ein großer Mann gewesen sei – Das greift sich mit Händen.

Jupiter. Und gesetzt es wäre unrecht gewesen, daß Licinus ein marmornes Grabmal hatte und Cato gar keines, was ging das die Götter an? Hätte ich etwa das marmorne Grabmal zu Boden donnern, oder auf Catos Grab hinüber zaubern, oder diesem ein noch prächtigeres von Vulkan bauen lassen sollen? – Die Narren! Wenn sie ja glaubten, daß etwas über die Sache gesagt werden müsse, warum griffen sie nicht in ihren eigenen Busen? Warum sollen es die Götter entgelten, wenn die ausgearteten Römer alles Gefühl für Freiheit und Tugend, und alle Scham vor ihrem eigenen Namen verloren haben?

Herkules. Gegen solches Gesindel wären ein paar Donnerkeile nicht übel angebracht.

Jupiter. Wo denkst du hin, Herkules? Was würde aus dem armen Menschengeschlechte werden, wenn ich alle ihre Dummheiten mit Donnerkeilen bestrafen wollte? Denn solche Urteile und solche Schlüsse höre ich alle Tage.

Herkules. Der Kerl mit dem Zottelhaar und dem Knotenstocke hatte also doch so unrecht nicht?

Jupiter. Das brauchen wir ihm nun eben nicht so gleich ohne alle Einschränkung zuzugeben. Zwischen dir und mir ists ein andres, mein Sohn.

Herkules. Bei dieser Gelegenheit, Herr Vater, weil ich doch (was mir selten begegnet) im Fragen bin, dürft ich nicht noch eine Frage tun?

Jupiter. Ich höre die Musen schon zur Tafel blasen; also mach es kurz!

Herkules, indem er Jupitern scharf in die Augen sieht. Es betrifft einen Punkt, worüber mir niemand bessere Auskunft geben kann als Du. Ist es wirklich an dem, daß ich die Ehre habe dein Sohn zu sein, Jupiter?

Jupiter. Woher kommt dir auf einmal dieser demütige Zweifel? Hast du nicht Taten genug getan, um dich als einen Sohn Jupiters zu erweisen?

Herkules. Aufrichtig zu reden, wenn man alles davon abzieht, was die Poeten nach Handwerksgebrauch dazu gelogen haben, so möchte ich mit dem übrigen zu Stande gekommen sein, wenn auch nur Amphitryon mein Vater gewesen wäre.

Jupiter. Das ist mehr als Amphitryon selber glaubte. Deine Mutter Alkmene konnte es mit jeder Europa, Danae, Semele und Leda aufnehmen, und ich dächte du könntest mit dem Vater zufrieden sein, den sie dir gegeben hat. Ist dirs nicht genug, daß du von den Menschen für meinen Sohn gehalten und von mir selbst nicht verleugnet wirst? Was verlangst du mehr?

Herkules. Ich spreche mit dem Herzen in der Hand. Am Ende kann einer doch weder mehr noch weniger sein als er ist, wofür er auch von andern gehalten werden mag. Wenn ich also dem, was ich bin, die Ehre, die mir erwiesen wird, zu danken habe –

Jupiter. Nun, nun, Herr Sohn! gar zu genau müssen solche Dinge nicht berechnet werden. Auf der Geburt und den Verdiensten der Göttersöhne muß immer ein heiliger Schleier von etwas dichtem Gewebe liegen, und mit Grübeln kommt dabei nicht viel heraus. Genug, mein lieber Herkules, daß du nun einmal im Besitz der Göttertafel und der schönen Hebe bist. Beide erwarten dich. Wir wollen gehen!


 << zurück weiter >>