Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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XIII.

Juno, Semiramis, Aspasia, Livia, und Elisabeth, Königin von England.

Juno. Ihr wisset bereits, meine Freundinnen, warum ich euch zu dieser geheimen Unterredung eingeladen habe. Die Monarchien, deren Beschützerin ich bin, sind von Gefahren umgeben, die mit jedem Tage besorglicher werden. Sie sind in ihren Grundfesten erschüttert worden, und einige von ihnen drohen einen nahen Einsturz, wenn nicht Mittel gefunden werden, sie noch in Zeiten zu unterstützen. Das schlimmste ist, daß mein Gemahl – der sich überhaupt seit geraumer Zeit sehr geändert hat, und neuerlich ein großer Moralist geworden ist – die demokratischen Anmaßungen zu begünstigen scheint, und meinem Eifer für die gute Sache, wenigstens in der Wahl der Mittel, Grenzen setzt, die ich nicht zu überschreiten wagen darf. In diesen Umständen habe ich für nötig gehalten, die weisesten und erfahrensten unter den Bewohnerinnen des Olymps zu Rate zu ziehen; und auf welche andere, als auf euch, hätte da meine Wahl fallen können? Jede von euch hat, ohne zum Zepter geboren zu sein, unter dem ersten Volk ihrer Zeit die erste Rolle gespielt. Du, Semiramis, hast dich, bloß durch die Größe deiner persönlichen Vorzüge, aus einer Schäferhütte auf den ersten Thron der damaligen Welt geschwungen, die Eroberungen des großen Ninus fortgesetzt, und über eine Menge überwundener Völker mit einem Glücke, das sich vierzig Jahre lang an dich gefesselt zu haben schien, geherrschet. Du, Aspasia, erhobst dich von einer Milesischen Hetäre zum Rang einer Gemahlin des Perikles, und verdientest durch deinen Einfluß über ihn, in einem Sinne den ich selbst hätte beneiden mögen, den Namen der Juno dieses Attischen Jupiters. Du, Livia, warst dem Erben des ersten Cäsars funfzig Jahre lang noch mehr als Aspasia dem Demagogen von Athen. Du ersetztest ihm seine zwei unentbehrlichsten Freunde Mäcenas und Agrippa; und dir, der Vertrauten seines Herzens und der Seele seiner Ratschläge, hatte die Welt es zu danken, daß sich der grausame und verhaßte Usurpator in einen bis zur Anbetung geliebten Regenten verwandelte, unter welchem das menschliche Geschlecht zum ersten Mal einer vierzigjährigen allgemeinen Ruhe genoß. Du endlich, jungfräuliche Elisabeth, nachdem du durch einen Charakter, der die geschmeidigste weibliche Klugheit mit heroischer Standhaftigkeit verband, tausend Gefahren und Schwierigkeiten, die dir und deinem Reiche den Untergang drohten, glücklich besiegt hattest, du hinterließest der Welt das in seiner Art einzige Beispiel einer willkürlichen Regierung über ein freies Volk, das dich abgöttisch liebte, und dessen Zuneigung und Beifall zu erhalten dein höchster Ehrgeiz war. Vier solche Ratgeberinnen lassen mich einen Beistand erwarten, der meine Bemühungen notwendig mit dem glücklichsten Ausgang krönen muß. Eröffnet mir also eure Gedanken ohne Zurückhaltung, was für Mittel und Wege einzuschlagen sein möchten, um den gänzlichen Verfall der noch bestehenden Monarchien zu verhüten, den alten Glanz des Thrones wieder herzustellen, das verlorne Zutrauen der Völker wieder zu gewinnen, und Erschütterungen, wie diejenigen von welchen wir Augenzeugen gewesen sind, in Zukunft unmöglich zu machen. Rede du zuerst, Semiramis!

Semiramis. Große Königin des Olymps! Wie sehr ich mich auch durch die günstige Meinung, die du von meinen Fähigkeiten für die Regierungskunst gefaßt zu haben scheinst, geehrt finde, so kann ich mir doch selbst nicht verbergen, daß ich vielleicht weniger als jede andere geschickt scheinen muß, in der vorliegenden Sache einen tauglichen Rat zu geben; so groß ist die Verschiedenheit der Umstände, unter welchen ich zu meiner Zeit den ersten Thron der Morgenländer behauptete, von der Lage, worin in diesem Augenblicke die abendländischen Reiche sich befinden. Indessen, da ich einmal dazu aufgefordert bin, will ich meine Gedanken um so freimütiger sagen, da vielleicht dieser Unterschied selbst uns auf die Spur der einzigen wahren Grundsätze leiten wird, durch welche die Dauer und der Glanz der monarchischen Regierung mit dem Glücke der Untertanen verbunden werden kann.

Vor allen Dingen setze ich als etwas unwidersprechliches voraus, daß die Monarchie die natürlichste, und eben darum die einfachste, leichteste und zweckmäßigste aller Regierungsformen sei; diejenige, zu welcher die Menschen das meiste Vertrauen, und, so zu sagen, eine eingepflanzte Anmutung haben, an welche sie sich folglich am leichtesten gewöhnen, und in welcher der letzte Zweck aller bürgerlichen Gesellschaft am gewissesten zu erreichen ist. So müssen wenigstens die Menschen der ältesten Zeiten, die sich auf dem ganzen Erdboden von Königen regieren ließen, gedacht haben; und wie hätten sie anders denken können? Die Natur selbst, indem sie den Menschen von seiner Kindheit an der väterlichen Gewalt unterwarf, legte den ersten Grund zu dieser Vorstellungsart; die Menschen brachten sie in die bürgerliche Gesellschaft mit, und, gewohnt von einem Vater, den sie sich nicht selbst gegeben hatten, unumschränkt regiert zu werden, ließen sie sich desto williger von einem allgemeinen Vater regieren, der es entweder durch ihre eigene Wahl wurde, oder den sie aus den Händen der Götter zu empfangen glaubten. Denn so betrachteten sie (wie ich aus eigener Erfahrung weiß) jeden König, unter dessen Zepter sie durch das Los des Krieges kamen. So bald derjenige, dem sie bisher gehorcht hatten, in der Schlacht fiel, trat der Sieger an seine Stelle: die Götter hatten sich für ihn erklärt, und dem überwundnen Volke fiel es nicht ein, sich gegen eine so vollgültige Entscheidung zu sträuben; zumal, da der neue Monarch gewöhnlich mehr Macht hatte sie zu schützen, und seinen eigenen Vorteil mißkannt haben müßte, wenn er seine neuen Untertanen nicht eben so väterlich hätte regieren wollen als seine alten. Man findet daher in den ersten Zeiten der Welt überall, wo eine größere oder kleinere Anzahl Familien und Stämme beisammen lebten, größere oder kleinere Könige, und, meines Wissens, kein einziges Beispiel, daß rohe Naturmenschen zusammen gekommen wären, um sich eine demokratische oder aristokratische Verfassung zu geben. Was hätte sie auch auf die Erfindung so künstlicher, so verwickelter, und doch so unzweckmäßiger Regierungsformen bringen können? Als sie sich Königen unterwarfen, war es einem jeden nur darum zu tun, an seinem väterlichen Herde, im Schatten der Bäume die seine Voreltern gepflanzt hatten, die Früchte seines Feldes und seiner Herden mit den Seinigen in Sicherheit zu genießen. Für diese gemeine Sicherheit zu sorgen, einem jeden Recht zu sprechen, und die Störer der öffentlichen Ruhe zu bestrafen, war das Amt des Königs; und man hielt sich ihm, wie billig, noch sehr dafür verbunden, daß er ein so mühsames Amt auf sich nehmen wollte. Jedermann pries sich glücklich, wenn er nur für sich und die Seinigen zu sorgen hatte, und ließ sich nicht träumen, er würde noch glücklicher sein, wenn er einen Teil seiner Zeit seinen Geschäften, seiner Ruhe, und seinem Vergnügen entziehen müßte, um an Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten Teil zu nehmen. Diese Art zu denken, die zu meiner Zeit in allen kleinen Reichen des Orients herrschte, erhielt sich auch, nachdem unter der Regierung meines Gemahls eine Menge kleiner Staaten in das einzige Assyrische Reich zusammen geflossen waren. Der Umfang der Monarchie erforderte nun, außer einem glänzenden Hofe und einem ansehnlichen Kriegsstaat, eine Menge von obrigkeitlichen Ämtern, unter welche der Monarch seine höchste Gewalt stufenweise so verteilte, daß er gleichwohl alle Zügel in seiner Hand behielt, und, wie er die Quelle aller Autorität war, auch der Richter über das Verhalten derjenigen blieb, denen er einen Teil derselben anvertraute. Natürlicher Weise waren es anfangs persönliche Verdienste im Krieg und Frieden, die eine Art von Recht, das jedem einleuchten mußte, an die Ehrenstellen gaben: aber, wiewohl in der Folge aus den Nachkommen der Könige und der obersten Staatsbedienten eine Art von erblichem Adel erwuchs, welchem Geburt und Erziehung, Verdienste der Vorfahren und angeerbte Reichtümer ansehnliche Vorzüge vor dem größten Teile des Volkes gaben; so gewöhnte sich doch dieses, durch sein natürliches Gefühl von Billigkeit, sehr leicht daran, eine Klasse von Menschen über sich zu sehen, die an die Vorteile, welche sie vor andern genoß, ein selbst erworbenes oder angestammtes Recht zu haben schien, und sie dem Staate bei jedem Ruf der Pflicht, auf jeden Wink des Monarchen, durch desto größere Aufopferungen bezahlen mußte. Das Volk blieb desto ruhiger dabei, da am Ende doch vor dem Monarchen alles gleich war, und man oft genug diejenigen, die sich ihrer Glücksvorzüge gar zu übermütig bedienten, nur desto schrecklicher fallen sah, je höher die Stufe war, von welcher sie herab stürzten.

Juno leise zu Livia. Hättest du gedacht, daß diese alte Königin von Babylon so schwatzhaft sein würde?

Livia eben so leise zu Juno . Ich muß gestehen, sie holt weit aus.

Semiramis nach einer kleinen Pause. Man kann nicht in Abrede sein, daß in dieser Art von Monarchie – wo alles von dem Willen eines Einzigen abhing, und gegen den Mißbrauch dieser unbeschränkten Gewalt kein ander Mittel war, als was Verzweiflung den Unterdrückten eingeben konnte – das Volk nur so lange glücklich und der Monarch nur so lange sicher war, als dieser seine Untertanen wie seine Kinder betrachtete, und von ihnen hinwieder als ihr Vater angesehen wurde. In der Folge geschah es freilich nur zu oft, daß die Völker sehr schlimme Väter, und schwache Väter sehr unartige Kinder bekamen. Keine menschliche Einrichtung erhält sich in ihrer ursprünglichen Einfalt und Güte. Es war natürlich daß die Monarchien ausarteten; daß weise, tätige und gute Könige auch träge, wollüstige und tyrannische Nachfolger hatten; daß die Völker gedrückt und gemißhandelt, und dagegen manche herrschende Familien vom Throne gestürzt wurden, und der Zepter in fremde Hände kam, oder auch ein mächtiges Reich von einem andern verschlungen wurde. Aber bei dem allen ist es doch sonderbar, daß, nach unzähligen Revolutionen dieser Art, gleichwohl noch kein morgenländisches Volk auf die Idee einer durch positive Grundgesetze eingeschränkten Monarchie, geschweige auf eine eigentliche Volksregierung, gefallen ist! Sollte man nicht mit Recht daraus schließen, daß Völker, die einer Regierungsform, von welcher sie öfters so viel leiden mußten, mit so standhafter Anhänglichkeit ergeben sind, sich im Ganzen genommen wohl bei ihr zu befinden glauben, und daß sie Vorzüge haben müsse, die alle ihre Mängel und Gebrechen aufwiegen? Und so ist es auch, wenn mich nicht alles trügt; ja, noch mehr, ich bin überzeugt, daß das Volk in den Abendländern im Grund eben so gesinnt ist, und sein Joch überall eben so geduldig auf dem Nacken leiden würde, wenn es nicht von unruhigen regiersüchtigen Menschen aufgewiegelt, und durch Vorspieglungen einer schimärischen Freiheit auf verderbliche Irrwege verleitet würde. Keine monarchische Regierung, wie heillos sie auch sein mag, ist es so sehr, daß sie nicht noch immer der Anarchie vorzuziehen sein sollte, in welche ein Volk unvermeidlich gestürzt wird, wenn man ihm auf einmal eine Freiheit gibt, die es weder zu ertragen noch zu gebrauchen weiß. Mögen sich doch unter der Regierung eines Einzigen große Mißbräuche in den Staat eingeschlichen haben! Mißbräuche können immer durch rechten Gebrauch geheilt werden. Und sollte auch eine Nation durch einen ungewöhnlichen Zusammenfluß dringender Umstände in den Fall kommen, daß sie sich selbst helfen müßte; so mögen unverständige oder grausame Gesetze abgeschafft, unbillige Vorrechte aufgehoben, übermäßige Auflagen vermindert, eine verschwenderische Staatshaushaltung eingeschränkt werden: aber die Monarchie selbst, die kein Mißbrauch ist, muß unangetastet bleiben, und nur ein wahnsinniger Arzt wird einem Kranken das Haupt abschlagen, damit es ihm nicht mehr wehe tun könne. Gesetzt aber auch, eine Nation wollte sich alles Unheil, das aus einer gänzlichen Umkehrung ihrer alten Verfassung notwendig erfolgen muß, in Hoffnung besserer Zeiten gefallen lassen: wie kann sie hoffen, daß sie sich jemals unter einem demokratischen Regimente besser befinden werde? Entweder ihre Gesetzgeber müßten die menschliche Natur selbst umzuschaffen wissen; oder der Staat wird sich, unter dem Schein einer popularen Verfassung, unvermerkt in eine Oligarchie verwandeln, die dem Volke noch schädlicher und unerträglicher sein wird, als der Despotismus eines Einzigen mit allen seinen Unbequemlichkeiten. – Doch, die Rede ist ja nicht davon, ob das Übel, gegen welches wir Mittel suchen, ein Übel sei, sondern ob ihm geholfen werden könne.

Juno. Dies ist in der Tat der Knoten, den ich gern aufgelöst hätte. Während wir uns hier beratschlagen, frißt diese demokratische Pest, die bereits eines der schönsten Reiche des Erdbodens zu Grunde gerichtet hat, immer weiter um sich, und wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn die Kur nicht zu spät kommen soll.

Semiramis. Es fehlt in solchen Fällen nicht an Ärzten, die, aus Furcht zu viel Zeit zu verlieren, nicht genug eilen können, den Ausbrüchen und Zufällen des Übels zu wehren: aber Palliative würden hier schlechte Wirkung tun, und hitzige Mittel übel nur ärger machen. Um die Krankheit in ihrem innersten Sitze angreifen und von Grund aus heilen zu können, muß ihr vor allem die Nahrung entzogen und die Quelle verstopft werden, aus welcher sie immer neuen Zufluß von bösen Säften erhalten hat. Die Völker werden nicht eher wieder zu jener Zufriedenheit mit ihrem Zustande, ohne welche keine dauerhafte innerliche Ruhe möglich ist, und die Monarchien nicht eher wieder zu ihrem vorigen Glanze gelangen, bis das alte Verhältnis zwischen den Fürsten und den Völkern wieder hergestellt ist; bis der Fürst sein Volk wieder mit dem Herzen eines Vaters, das Volk seinen Fürsten wieder mit dem unbesorgten und grenzenlosen Vertrauen eines Kindes ansieht; jener seinen höchsten Stolz durch das Glück seiner Untertanen befriedigt findet, diese, in gänzlicher Überzeugung daß er nichts andres als ihr Bestes wollen könne, keinen Begriff davon haben, wie man seine Regierung tadeln oder seinen Befehlen den unbedingtesten Gehorsam verweigern könnte. Aus einem solchen Verhältnis wird und muß Ordnung, Ruhe und Wohlstand eben so unfehlbar in den großen Familien, die man Staaten nennt, entspringen, als das Glück einzelner Haushaltungen eine Frucht der Harmonie und des reinen Verhältnisses zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern ist. Aber wie könnte es jemals dahin kommen, so lange die wahre Quelle des Mißtrauens und der Mißverständnisse zwischen Völkern und Fürsten nicht verstopft wird? – Ich sehe voraus, wie sehr das Mittel, welches ich hierzu vorzuschlagen habe, gegen die herrschenden Begriffe dieser Zeit anprallt; und kaum würde ichs wagen es zu nennen, wenn ich weniger überzeugt wäre, daß es eben so unschuldig und wohltätig, als unfehlbar in seiner Wirkung ist.

Juno. Du erregst meine ganze Aufmerksamkeit, Semiramis. Was für ein Mittel kann das sein?


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