Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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IV.

Juno, Livia.

Juno. O meine liebe Livia! ich bin die unglücklichste Frau von der Welt!

Livia. Ein solches Wort hätte ich aus dem Munde der Königin der Götter und der Menschen nie zu hören geglaubt.

Juno. Wie, Livia? stehst du auch in dem gemeinen Wahne, daß die Glückseligkeit ein unzertrennliches Eigentum der Hoheit sei? während wir uns oft selig preisen würden, wenn wir unsern Stand mit allen seinen Vorzügen gegen das unscheinbare Glück einer armen, aber mit ihrem Zustande zufriedenen Schäferin vertauschen könnten!

Livia. Ich erinnere mich nicht, als ich die erste unter den Sterblichen war, jemals mit meinem Lose so unzufrieden gewesen zu sein, daß ich es gegen ein geringeres hätte vertauschen mögen.

Juno. So mußt du einen zärtlichern, oder wenigstens einen höflichern und gefälligern Gemahl gehabt haben als ich.

Livia. In der Tat hätte ich meine Forderungen übermäßig hoch spannen müssen, wenn ich mich von dieser Seite nicht für glücklich gehalten hätte. Ich wüßte nicht, daß August in den dreiundfunfzig Jahren unsrer Verbindung mir nur ein einziges Mal Ursache gegeben hätte, zu zweifeln ob ich den ersten Platz in seinem Herzen einnähme.

Juno. Es fehlt viel, Livia, daß ich ein gleiches von meinem Herrn und Gemahle rühmen könnte. Wer weiß nicht, seitdem der schwatzhafte alte Homer alle unsere Ehegeheimnisse so unbescheiden ausgeplaudert hat, mit wie wenig Achtung und Delikatesse ich von Jupitern behandelt werde! wie unartig er mich oft unter den übrigen Göttern anfährt, was für Ehrentitel ich mir von ihm gefallen lassen muß, und wie er sich eine ordentliche Freude daraus macht, mich bei jedem Anlaß an Mißhandlungen zu erinnern, worüber er vor Scham vergehen sollte, wenn er Wangen hätte die des Errötens fähig wären! Wie oft muß ich mir nicht vorrücken lassen, daß er mich einsmals in einer seiner tollen Launen bei den Haaren gefaßt, und mit zwei Ambossen an den Füßen zwischen den Wolken habe herunter hängen lassen! Hättest du dir jemals vorstellen können, wenn es der plauderhafte Bänkelsänger nicht verraten hätte, daß er mir sogar Schläge anzubieten fähig gewesen wäre, und das bei einer Gelegenheit, wo ein Mann von Lebensart sich auch gegen die geringste Milchmagd auf dem ganzen Ida zu Danksagungen verbunden gehalten hätte? Wie wenig er sich aus der ehelichen Treue macht, die er mir schuldig ist, und daß keine Waldnymphe, keine Najade, und beinahe kein leidliches Weib noch Mädchen auf dem Erdboden vor ihm sicher ist, davon haben die Dichter nur zu viel gesungen. Hat er nicht den ganzen Himmel mit seinen Bastarten angefüllt? da ich, seine rechtmäßige Gemahlin, in so vielen Jahren nicht ein einziges Kind von ihm aufzuweisen habe, und die Schmach der Unfruchtbarkeit tragen müßte, wenn ich nicht Mittel gefunden hätte, auf eine übernatürliche Art zur Mutter von Mars, Vulkan und Hebe zu werden. Livia lächelt, aber beinahe unmerklich. Gleichwohl siehst du, daß er überflüssige Ursache hätte sich an mir zu begnügen, und daß ich an allem, was die Wünsche eines Mannes befriedigen kann, keiner seiner Liebschaften nachstehe. Und es sollte mich nicht verdrießen, bloß auf den leeren Titel einer Himmelskönigin eingeschränkt zu sein? und, was noch das unerträglichste ist, so wenig Einfluß zu haben, daß ich mich zu Kunstgriffen, die meiner unwürdig sind, herab lassen, und Aphroditens Zaubergürtel borgen muß, wenn ich nur die geringste Kleinigkeit durchsetzen will?

Livia. Man kann nicht leugnen, daß die Männer, vielleicht keinen einzigen ausgenommen, in Vergleichung mit uns eine rauhe, unzärtliche und ungeschlachte Art von Wesen sind. Ohne etwas Kunst möchte es wohl einer Göttin selbst zu schwer sein, über den gemeinsten Sterblichen so viel Gewalt zu erlangen, als eine Frau über ihren Mann haben muß, um sich für leidlich glücklich zu halten.

Juno lachend. Wenn es natürlich damit zuging, Livia, so möcht ich wohl wissen, wie du es anstelltest, um über einen Mann, der so eifersüchtig auf seine Vorrechte, so mißtrauisch und zurückhaltend, und dabei so rasch und hitzig in seinen Leidenschaften war, wie August, eine so große Gewalt zu erlangen.

Livia. Im Grunde kann nichts einfacheres sein. Ich machte ihn so lang' er lebte glauben, daß ich keinen andern Willen hätte als den seinigen, und erhielt dadurch gerade das Gegenteil; er glaubte mich zu regieren, und ich regierte ihn. Ich richtete mich in allen Dingen, die mir gleichgültig waren und auf die Er hingegen einen Wert legte, gänzlich nach seinem Geschmack und seiner Laune; ich war immer gerade so, wie er glaubte und wollte daß Augusts Gemahlin sein müsse. Meine Gefälligkeit in solchen Dingen hatte keine Grenzen. Weit entfernt ihm durch Eifersucht beschwerlich zu fallen, schien ich von seinen Liebeshändeln nicht die geringste Ahnung zu haben, war ihm sogar darin unter der Hand und mit der besten Art von der Welt förderlich, und vermöge einer Sympathie, in welche er nicht den geringsten Zweifel setzte, traf es sich, daß die Damen, die den meisten Reiz für ihn hatten, immer auch diejenigen waren die ich vorzog, und mit denen ich auf dem vertrautesten Fuße lebte. Durch diese vollkommne Gleichgültigkeit gegen seine kleinen Geheimnisse erhielt ich, daß er keine andere für mich hatte; und indem ich ihn in dem Wahne ließ, daß er mich in diesem Punkt unbemerkt betrüge, konnte ich sicher sein daß er mich in keinem andern betrog, und in allen Dingen, die seine Regierung, seine Familie und seine politischen Verhältnisse betrafen, nichts ohne meinen Rat vornahm, und keine Entschließung faßte, die ich ihm nicht eingegeben hatte; aber freilich mit so guter Art, daß er immer nur seinem eigenen Kopfe zu folgen glaubte, indem er bloß das Werkzeug des meinigen war. Durch diese Kunstgriffe (um ihnen ihren rechten Namen zu geben) erhielt ich den Vorteil, daß er über meinen Verstand eben so wenig eifersüchtig war, als ich über seine Liebschaften; und alles war gewonnen, so bald ich dies gewonnen hatte. Überzeugt daß ich kein anderes Interesse haben könne als das seinige, betrachtete er nun alle Vorzüge meines Geistes als sein Eigentum; und da er sich bei meinem Rate immer wohl befunden hatte, ward es endlich ein mechanisches Bedürfnis für ihn, durch meine Augen zu sehen und keinen Schritt anders als an meiner Hand zu tun. Wirklich begegnete es ihm, seitdem ich durch Mäcens und Agrippas Tod sein einziger geheimer Minister geworden war, nur ein einziges Mal, daß er (seine Galanterien ausgenommen) etwas vor mir verheimlichte, und dieses einzige Mal mußte er (unter uns gesagt, Göttin) mit seinem Leben bezahlen.

Juno. Das nenne ich eine Frau von Geiste! Wie, Julia Augusta? du konntest es von dir erhalten, eine Verbindung von mehr als funfzig Jahren, die für beide Teile immer so glücklich gewesen war, auf eine solche Art zu zerreißen?

Livia. Die Notwendigkeit, große Göttin, ist, wie du weißt, das höchste Gesetz der Götter und der Sterblichen.

Juno. Da du mir einmal so viel gesagt hast, würdest du mich verbinden, wenn du mich von der Notwendigkeit, die erste Zurückhaltung deines Gemahls gegen dich so streng zu bestrafen, etwas umständlicher überzeugen wolltest.

Livia. Ich würde dich selbst um die Erlaubnis, es zu tun, gebeten haben, Göttin, so viel liegt mir daran, in keinem falschen Lichte von dir gesehen zu werden. Augusts einzige Tochter Julia hatte in ihrer Verbannung durch ihre Freunde zu Rom (die nicht die meinigen waren) Mittel gefunden, den alten Imperator zu einer geheimen Zusammenkunft mit ihrem jüngsten Sohne Agrippa zu bewegen, der sich durch unbedeutende, aber einer sehr schwarzen Ausdeutung fähige jugendliche Ausschweifungen die Ungnade seines Großvaters und die Verbannung in die Insel Planasia zugezogen hatte. Man fand nötig, mir ein Geheimnis aus dieser Zusammenkunft zu machen: aber ich war so gut bedient, daß ich sogar erfuhr, daß der alte Herr außerordentlich weichherzig dabei geworden sei. Kurz, er hatte sich mit seinem Enkel ausgesöhnt, und die Partei der Julia machte sich mit großer Wahrscheinlichkeit Hoffnung, August werde ihn, zum Nachteil meines Sohnes Tiberius Nero, zu seinem Erben und Nachfolger erklären. Ich sah nur zu deutlich, daß Dinge vorgingen, die man mit großer Sorgfalt vor mir zu verbergen suchte. Nun war keine Zeit mehr zu verlieren, wenn ich mir die Frucht eines von so vielen Jahren her mit so vieler Anstrengung und Kunst bearbeiteten Planes nicht beinahe in dem Augenblicke, da sie sich los wand um mir reif in den Schoß zu fallen, wie eine Törin vor dem Munde weghaschen lassen wollte. Was für unendliche Mühe hatte es mir nicht gekostet, diesen Plan den Augen eines so argwöhnischen Mannes wie August seit dreißig Jahren zu entziehen! Was für Hindernisse von der schwierigsten Art hatte ich nicht wegräumen müssen, um den Sohn des Claudius Nero, den einzigen, durch welchen ich, auch nach dem Tode Augusts, fortzuregieren hoffen konnte, auf den Stuhl der Cäsarn zu erheben! Der Neffe Augusts, Marcellus, Virgils spes altera Romae, mußte in seinem zwanzigsten Jahre sterben; die jungen Cäsarn, Cajus und Lucius, seine Enkel und adoptierten Söhne, mußten in der ersten Blüte des Lebens fallen, und ihre Mutter Julia, der Liebling des Römischen Volkes und ihres Vaters, mußte mit ihrem einzigen noch lebenden Sohne aus seinen Augen und aus seinem Herzen verbannt werden, ehe die Ausführung eines solchen Entwurfs nur möglich war. Ich hatte alle diese Schwierigkeiten überwunden, war vor keinem Mittel erschrocken, das zu meinem Zwecke notwendig gewesen war, – und ich hätte vor dem einzigen erschrecken sollen, ohne welches alle übrigen verloren waren? ohne welches ich nicht nur so viele Jahre lang vergebens, sondern sogar gegen mich selbst und bloß zum Vorteil einer tödlichen Feindin gearbeitet hätte, von welcher ich keine Schonung erwarten konnte? Meine eigene und meines Sohnes Erhaltung mußte in diesem dringenden Augenblicke mein einziges Gesetz sein; und im Grunde war die Verkürzung der wenigen Tage, die ein abgelebter Mann noch zu sehen hoffen konnte, nur eine Kleinigkeit gegen das, was mir mein Entwurf bereits gekostet hatte.

Juno. Du bist ein Weib nach meinem Herzen, Julia Augusta! Wir müssen genauer mit einander bekannt werden. Indessen zweifle ich sehr, ob ich, mit dem Titanischen Blute das in meinen Adern rinnt, jemals Geschmeidigkeit genug haben werde, von den Winken, die du mir gegeben hast, Gebrauch zu machen. Vielleicht sollte ich eine gefährlichere Nebenbuhlerin in dir sehen, als mein Gemahl mir jemals eine gegeben hat. Warum sollte ein Stolz, wie der deinige, im Himmel nicht eben so wohl als ehmals auf der Erde nach dem ersten Platze streben?

Livia. Du scherzest, Göttin! – Wie könnte ich mir nur träumen lassen –

Juno Livien auf die Achsel klopfend. Sei ruhig, Livia! mein eigener Stolz ist deine Sicherheit. Aber wenn ich jemals wieder auf den Einfall komme mich von Jupitern zu scheiden, so bist du die Einzige im Olymp, die meinen Platz an seiner Seite zu ersetzen würdig ist. Sie geht ab.

Livia allein. Stolze Saturnia! was für einen Gedanken rüttelst du aus seinem Schlummer in meinem Busen auf! Ich bin nun eine Göttin wie du, und Jupiter, so viel ich ihn bereits kenne, ist der wahre August des Olymps. Es könnte Ernst aus der Sache werden, wenn du dich dessen am wenigsten versähest.


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