Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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X.

Jupiter Olympius, Sankt Ludewig.
Hernach
Jupiter Horkius und Pluvius,
zwei Subdelegierte des Olympischen Jupiters.

Jupiter Olympius. Hättest du dir wohl, Freund Ludewig, zu deiner Zeit vorgestellt, daß deine Gallofranken sich nach fünfhundert Jahren so mächtig hervortun, aus dem frivolsten und leichtsinnigsten Volke in der Welt, wofür sie noch vor kurzem von ihren eigenen Sittenmalern erklärt wurden, auf einmal das vernünftigste werden, und dem ganzen Erdboden Beispiele geben würden, welche (wenn ich anders recht in den Hieroglyphen des Schicksals gelesen habe) unvermerkt eine neue und auf alle Fälle bessere Ordnung der Dinge da unten veranlassen werden?

Sankt Ludewig. Ich muß gestehen –

Jupiter Olympius. Hat man jemals von einem so schnellen Übergang von Knechtschaft zu Freiheit, einem raschern Sprung von der schmählichsten Herabwürdigung der Menschheit zum lebendigsten Bewußtsein ihrer ganzen Würde und zur glänzendsten Entfaltung ihrer edelsten Kräfte, gehört? Noch einmal, braver Ludewig, hättest du deiner Nation – gerade in dem Augenblicke, da sie bis zur Verachtung der verächtlichsten Völker Europens herab gesunken war, eine so erstaunliche Energie, und, was noch unerwarteter ist, eine so beispiellose Beharrlichkeit in einer Unternehmung, die vor kurzem noch den Klügsten unausführbar schien, zutrauen sollen?

Sankt Ludewig. Der Kern meiner Nation war immer brav und bieder. Wie unausgebildet auch ihre Naturanlagen, wie roh ihre Begriffe, wie ungebändigt ihr Feuer zu meiner Zeit noch war, so hatte ich doch Gelegenheit genug, die Keime von allem was schön und groß ist in dem Charakter meiner wackern Franken zu entdecken. Seit kurzem haben sie meine Hoffnung von ihnen mehr als zu sehr gerechtfertigt. Ich weiß nicht, ob ihre natürliche Lebhaftigkeit und der Drang der Umstände sie nicht vielleicht ein paar gefährliche Sätze zu viel machen ließ; aber das glaube ich ohne Ruhmredigkeit sagen zu können: wären meine Nachfolger den Maximen und Gesinnungen treu geblieben, die mich in meiner Regierung (die fatalen Kreuzzüge abgerechnet) leiteten, so würde es mit dem sechzehnten Ludewig, und mit den übrigen Nachkommen meines sechsten Sohnes Robert, die jetzt eine so traurige Rolle spielen, so weit nicht gekommen sein.

Jupiter Olympius. Hier ist meine Hand, Sankt Ludewig! Für einen Ritter aus jenem rohen Zeitalter, der schon in seinem eilften Jahre einen König vorstellen mußte, von Mönchen erzogen worden war, und Tag und Nacht seinen Rosenkranz murmelte, warst du ein wahres Wunder von einem weisen und guten Fürsten!

Sankt Ludewig. Dies ist mehr als ich verdiene! Wenn ich auch einige Tugenden hatte, so kann ich mir doch, seitdem ich hier oben einen richtigern Maßstab von Recht und Unrecht bekommen habe, länger nicht verbergen, daß die wenigen ruhigen Jahre, worin Frankreich unter mir den Segen des Friedens und einer milden Regierung genoß, nicht den hundertsten Teil des Unheils vergüten konnten, welches ich – freilich in der besten Meinung von der Welt – durch meine zwei Ritterfahrten gegen die Ungläubigen über mein armes Volk brachte. Das Herz blutet mir, so oft ich daran denke.

Jupiter Olympius. Ich würde an deinem Platze lieber gar nicht mehr daran denken. Was nicht mehr zu ändern ist, muß man zum besten kehren. Es war freilich eine große Torheit, Völkern, die einen andern Propheten hatten als du, den deinigen mit dem Degen in der Faust aufdringen zu wollen, der Eroberung irgend eines Grabes wegen (mein eigenes zu Kreta nicht ausgenommen) alles Gold und Silber deines Königreichs nach Italien und Ägypten zu tragen, und die Blüte deiner Ritter und Knechte aufzuopfern, um am Ende nichts als zerfetzte Glieder, leere Beutel, und den Palästinischen Aussatz nach Hause zu bringen. Indessen hattest du diese ritterliche Narrheit mit einer Menge großer und kleiner Potentaten deines Jahrhunderts gemein: aber deine Tugenden waren dein eigen; und was du zum Besten deines Volkes getan hast, muß dir billig doppelt angerechnet werden, da nur eine außerordentliche Rechtschaffenheit dich fähig machen konnte, in einer solchen Zeit unendliche Mal weiser zu regieren, als die drei Könige, die im Jahrhundert der höchsten Kultur und Aufklärung deinen Namen getragen, und dein Fest alle Jahre an der Spitze ihrer Ludewigsritter mit großen Zeremonien gefeiert haben.

Sankt Ludewig. In der Tat muß es mir zum Troste gereichen, daß ich, aus bloßem Antrieb des gemeinen Menschenverstandes, die nämlichen Wege im Regieren einschlug, auf welchen jetzt die aufgehelltesten Köpfe Frankreichs die Wiederherstellung des Staats zu bewirken suchen. Meine angelegensten Sorgen hatten immer das Wohl des zahlreichsten, nützlichsten und unbilliger Weise am wenigsten geachteten Teils der Nation zum Gegenstande. Ich setzte den übermütigen Anmaßungen der Baronen, der Klerisei, und der Römischen Curie so enge Schranken, als es bei einer Verfassung, die ich nicht ändern konnte, nur immer möglich war. Ich öffnete den Gelehrten vom Bürger- und Bauernstande den Zutritt zu allen den Ämtern, die nur von den aufgeklärtesten Männern wohl verwaltet werden können, aber bisher ausschließlich von rohen Rittern und Edelknechten versehen wurden, deren die wenigsten ihren Namen zu schreiben wußten; und, um den willkürlichen Richtersprüchen meiner Baronen Ziel und Maß zu setzen, errichtete ich vier königliche Gerichtshöfe, wo einem jeden, der es verlangte, von gelehrten und erfahrnen Männern Recht gesprochen wurde. Ich vergaß nie, daß die königliche Würde nur ein Amt ist, für dessen Führung wir unserm Volke und der Nachwelt eben so verantwortlich sind als dem Himmel. Nie streckte ich meine Hand nach dem Eigentume meiner Untertanen aus: dafür aber wurden meine eigenen Domänen mit der größten Ökonomie verwaltet; und weil ich wenig auf meinen Hof, und auf meine eigene Person beinahe gar nichts verwandte, so sah ich mich immer im Stande, zu rechter Zeit freigebig zu sein, und sogar große Dinge ohne Belästigung meines Volkes unternehmen zu können. Kurz, wie gering auch das Gute, was ich tat, gegen das ist, was ich entweder nicht vermögend genug auszuführen, oder nicht weise genug zu unternehmen war: so finde ich doch nicht wenig Beruhigung in dem Gedanken, daß ich meinen Nachfolgern die ersten Grundzüge eines Regierungsplans hinterließ, durch dessen Ausführung Frankreich schon lange das geworden wäre, was es nun mit großer Gefahr und vielen Aufopferungen durch die Arbeit seiner neuen Gesetzgeber zu werden hofft, ohne daß meinem armen Sohne Ludewig dem Sechzehnten ein anderes Verdienst dabei übrig bleibt, als gern oder ungern – zu allem Ja zu nicken.

Jupiter Horkius erscheint. Zu Jupiter Olymp . Großmächtigster Beherrscher des Olympus, eine Nation, auf welche die Augen der ganzen Welt geheftet sind, ist im Begriff eine Feierlichkeit zu begehen, dergleichen die Sonne, seitdem sie der Erde leuchtet, noch keine gesehen hat. Der Tag ist angebrochen, an welchem ihr König, mit den Stellvertretern der ganzen Nation, als Verwesern der gesetzgebenden Macht, und mit den Abgeordneten des stehenden Kriegsheeres sowohl, als der bewaffneten Bürger aller Municipalitäten des Reichs, sich vereinigen wird, am Altare der Freiheit und Eintracht der neuen Verfassung zu huldigen, die das Glück ihrer Nachkommenschaft auf ewig befestigen soll. Der gesellschaftliche Vertrag, ohne welchen ein Staat nicht wie ein lebendiger organischer Körper, sondern bloß wie ein mit Draht verbundenes Knochengerippe, zusammen hängt, – diese freiwillige Verbrüderung freier Menschen, um Ein Volk auszumachen, das, bei gleichen Menschen- und Bürgerrechten, sich verpflichtet, einerlei Gesetzen in gleichem Maße zu gehorchen, – Gesetzen, deren Gründe die allgemeine Vernunft mit unauslöschlichen Zügen in jede Menschenseele geschrieben hat, und welche den Genuß jener unverlierbaren Rechte allen Bürgern des Staats auf gleiche Weise versichern: dieser Vertrag, der bisher nur ein Traum der Weisen, und der fromme, aber eitle Wunsch der Freunde der Menschheit war, soll heute zum ersten Male von dem ersten und größten aller freien Völker der Welt im Angesicht des Himmels und der Erde beschworen werden. – Welch ein Tag! Welch ein Schauspiel für Götter und Menschen! Welch ein Beispiel für Zeitgenossen und Nachwelt! – Dieses in seiner Art einzige Fest, dieser große Triumph der über alte Vorurteile siegenden Vernunft, dieser glorreiche Vorläufer der wiederkehrenden Asträa und ihrer goldnen Zeit, verdient es, auch äußerlich der heiterste, fröhlichste und glückweissagendste aller Tage zu sein; und es ist deiner würdig, großer Olympius, die feierliche Stunde des schönsten Bundes, der jemals unter deinen Auspicien beschworen wurde, mit einem augenscheinlichen Zeichen deines Wohlgefallens zu begünstigen. Laß also, wenn es dir gefällt, den gemessensten Befehl an den Gott der Winde und besonders an deinen untergeordneten Jupiter Pluvius ergehen, daß sie von Stund an alle Stürme an Fesseln legen, alle Regenwolken vom Pariser Horizont entfernen, und nur so viel leicht schwebendes Gewölke um die Sonne her wehen sollen, als nötig sein mag, die unzählbare Volksmenge, die der große Circus der National-Verbrüderung einschließen wird, vor der allzu feurigen Glut des Helios zu schirmen, welcher stolz darauf ist, diese Feierlichkeit mit aller Pracht seiner reinsten Strahlen zu verherrlichen.

Jupiter Olympius lachend. Ei, ei, mein lieber Horkius! Was du in der Rednerschule, die du seit einiger Zeit besucht zu haben scheinst, schon für Fortschritte gemacht hast! – Übrigens ist dein Begehren nicht mehr als billig, und ich lobe den Eifer, womit du, als Vorsteher und Handhaber aller Eide der Sterblichen, an meiner Stelle, dein Amt bei dieser Gelegenheit verwaltest. – Merkur, hole sogleich den Jupiter Pluvius herbei! – Nun, König Ludewig, was denkst du von dem neuen Schauspiele, das uns deine Franken heute zum besten geben wollen?

Sankt Ludewig. Es ist in der Tat so neu, so ganz über alles was wir gewohnt sind zu sehen, wenn wir unsre Blicke auf diesen traurigen Schauplatz der menschlichen Torheiten, und alles ihres selbst gemachten Elends, fallen lassen, – daß ich, selbst wenn ich es mit Augen sehe, kaum meinen eignen Sinnen werde glauben können.

Jupiter Olympius. Dahin mußte es kommen, mein Freund, wenn der schöne Bau, an dessen Plane die Weisen unter den Sterblichen schon Jahrtausende im stillen arbeiten, auf einer dauernden Grundfeste ruhen sollte! Ich gestehe dir, daß mich die Menschen zu interessieren anfangen, seitdem ich, wenigstens auf einem Flecke des Erdbodens, die größere Zahl sich wie vernünftige Leute betragen sehe. Wenn sie so fortfahren sollten, werden sie es am Ende noch gar dahin bringen, daß ich sie lieb gewinne.

Jupiter Pluvius erscheint.

Jupiter Olympius. Nicht zu nahe, Pluvius!

Pluvius. Was ist dein Befehl, großer Jupiter?

Jupiter Olympius. Hat dir Merkur nicht schon gesagt, wovon die Rede ist?

Pluvius. Er hat es; aber erlaube mir, dir im Namen der ganzen sublunarischen Natur vorzustellen, daß es mir, mit allem guten Willen das meinige zur Verherrlichung dieses vierzehnten Julius beizutragen, eine pure Unmöglichkeit ist, deine Wünsche zu erfüllen.

Jupiter Olympius. Eine Unmöglichkeit? Wie so, Pluvius?

Pluvius. Dir brauche ich es wohl nicht erst zu sagen, daß beim Departement des Luft- und Dunstkreises, bei welchem ich mit angestellt bin, eine so genaue Ordnung in Einnahme und Ausgabe eingeführt ist, daß kein einziger Regentropfen mehr oder weniger, früher oder später, auf diesen oder jenen Fleck des Erdbodens fallen könnte, ohne die Ökonomie des ganzen Erdplaneten in Unordnung zu bringen. Vermöge einer schon lange getroffenen und vorbereiteten Einrichtung, an welcher, ohne die nachteiligsten Folgen für einen großen Teil des Menschengeschlechtes und eine unzählige Menge von Tier- und Pflanzengeschlechtern, nicht das geringste geändert werden kann, muß ich heute beinahe den ganzen Tag so stark zu Paris regnen lassen, daß ich nicht sehe, wie die angesetzte Feierlichkeit nur mit einigem Anstande, geschweige mit Bequemlichkeit und Vergnügen, sollte vollzogen werden können.

Horkius. Der Tag kann nicht mehr geändert werden! Also, mein guter Pluvius.

Pluvius. Es ist mir leid; denn ich werde strömen lassen, daß ihr euch wundern sollt! Da kann nichts davon abgehen!

Horkius. Alles ist nun einmal auf heute angeordnet, und zwischen der ganzen Nation auf die nämliche Stunde abgeredet. Es muß dabei bleiben, und wenn gleich das Marsfeld zur See werden sollte! Aber hängt denn am Ende nicht alles von deinem Willen ab, großmächtigster Olympius? Wenn du zu befehlen geruhen wolltest –

Jupiter Olympius. Wo denkst du hin, Horkius? Ich sollte um deiner Feierlichkeit willen einen Befehl geben, worunter Millionen Geschöpfe unverschuldet leiden würden? Das hast du doch hoffentlich nicht in der National-Versammlung gelernt?

Horkius. Um Verzeihung! Ich verlange dir keine Ungerechtigkeit zuzumuten; nur kann ich nicht begreifen, was die Welt im Ganzen darunter leiden sollte, wenn in diesem Augenblick ein tüchtiger Nordostwind käme, und die Wasserschläuche, aus welchen uns Pluvius so reichlich zu beträufeln willens ist, ins Atlantische Meer zurück jagte. Wenigstens kann doch so viel nicht daran gelegen sein, wenn er seine Operation um etliche Stunden aufschieben müßte.

Pluvius. Das muß ich am besten wissen, wie viel daran gelegen ist! Nicht einen Augenblick!

Jupiter Olympius. Du verstehst das nicht, mein guter Horkius. Wenn es so ist, wie er sagt, so kann ich dir nicht helfen.

Horkius. Aber meine Feierlichkeit! Ein solcher Tag! Ein solches Fest! Ein Tag, wie noch keiner gewesen ist, seitdem die Erde sich um ihre Achse dreht! – Was mich am meisten ärgert ist nur, daß diese verruchten Aristokraten die boshafte Freude haben sollen, uns auszulachen!

Jupiter Olympius. Die Natur kann darauf keine Rücksicht nehmen, mein Kind! Sie geht ihren eigenen Gang –

Pluvius. Insofern du, großer Olympius, nicht etwa ein Wunder tun –

Jupiter Olympius. Höre, Pluvius! laß mir dieses verwünschte Wort nicht noch einmal über den Zaun deiner Zähne springen, oder, bei dem großen diamantnen Spinnwirtel der Parzen! ich ergreife dich beim Schopfe, und hänge dich, mit einem Amboß an jedem Haare deines langen Zottelbartes, drei Tage und Nächte lang, zwischen Himmel und Erde auf! – Wofür seht ihr mich an, daß ihr mir durch solche alberne Reden noch zu schmeicheln glaubt? – Du sollst regnen lassen, weil es nun einmal geregnet sein muß, und kein Wort mehr über diesen Punkt! Jupiter zieht die Augbrauen zusammen, und Pluvius macht sich davon.

Horkius, indem er sich entfernt. Wohlan denn! diesem griesgrämischen Wassermanne zu Trotz soll die Feierlichkeit dennoch vor sich gehen! Mögen doch meinethalben alle Wolken in der Welt zu Aristokraten werden, keine Gegenrevolution sollen sie wahrlich nicht zu Stande bringen! Sie können uns bis auf die Haut durchnässen, aber unsere Freude lassen wir uns nicht zu Wasser machen. Wir wollen doch sehen, wer zuletzt am meisten Ehre davon haben wird!

Sankt Ludewig. Ich müßte meine Franken schlecht kennen, oder sie werden sich zu ihrem Ruhm aus der Sache ziehen.

Jupiter Olympius. Es verlohnte sich, dächte ich, der Mühe, daß wir selbst herunter stiegen, und aus der durchsichtigsten der Wolken, welche Pluvius über Paris zusammen getrieben hat, dem Ausgang der Sache zusähen. Begleite mich, Freund Ludewig.

Sankt Ludewig. Sehr gern.

Jupiter Olympius zu Merkur . Ist dies nicht Numa Pompilius, der dort aus dem Lorbeerwäldchen hervor geht?

Merkur. Er ist es.

Jupiter Olympius. Er kommt eben recht. Der gute Mann war immer ein Liebhaber von Feierlichkeiten; er soll das Vergnügen haben einer beizuwohnen, wie er in seinem Leben noch keine gesehen hat. Geh, Merkur, und sag ihm daß er mit uns kommen soll.


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