Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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Jupiter. Wirst du mich nicht etwa auch noch, wie Lucians Timon, fragen, ob mein flammenzückender, allblendender, schrecklich schmetternder Wetterstrahl erloschen sei, oder die Cyklopen mir keine Donnerkeile mehr schmieden wollen? Wunderliche Frau! Was willst du daß ich tun soll? – Nichts davon zu sagen, daß wir Götter mehr als die Hälfte unsrer Macht mit dem Glauben der Menschen an uns verloren haben, würde ich sie etwa durch Blitze und Donnerkeile vernünftiger machen? Ist es meine Schuld, daß die Erdbewohner mit jedem Jahrzehend an Übermut und Narrheit zunehmen? Haben wir an unsrer Seite nicht vorlängst alles getan, um der Unvollkommenheit und Schwäche ihrer zweideutigen Natur zu Hülfe zu kommen? Haben wir sie nicht, als sie noch in dem sankülottischen Zustande, dessen Minerva vorhin erwähnte, gleich andern Waldtieren nackend auf Vieren herum liefen, und Wurzeln und Erdäpfel mit den langen Klauen ihrer Vorderfüße aus der Erde heraus kratzten, sich menschlich nähren und bekleiden gelehrt, sie in Familien und Gesellschaften versammelt, sie im Ackerbau und in allen Künsten, die das Leben erleichtern, beschützen und verschönern, unterwiesen? Haben wir ihnen nicht Gesetze, Religion und Polizei gegeben? ihnen die Musen und die Philosophie zugeschickt, um sie von allen Überbleibseln der tierischen Wildheit ihres ersten Zustandes zu befreien; sie durch den Reiz des feinern Vergnügens der Sinne und des Geistes, durch die sanften Bande der Sympathie und des Wohlwollens, und die mannigfaltigen Verhältnisse des geselligen und bürgerlichen Lebens zu einem vollkommnern Genuß ihres Daseins zu bringen, und die Entwicklung der Kräfte jenes himmlischen Funkens zu befördern, der sie so hoch über ihre tierischen Verwandten erhebt und mit uns selbst in Gemeinschaft zu kommen fähig macht? – Damals stand es wohl mit ihnen! Sie waren so glücklich als Geschöpfe ihrer Art es sein können, und blieben es, so lange sie sich von uns regieren ließen. Aber die angeborne Unart ihrer Natur gänzlich zu vertilgen, stand nicht in unsrer Macht. Wir brachten sie so weit, daß sie unser zuletzt entbehren zu können glaubten; sie kehrten unsre eigenen Wohltaten gegen uns, kündigten uns den Dienst auf, liefen einem neuen Phantom von übermenschlicher Vollkommenheit nach, und verfielen unvermerkt, durch die Geringschätzung und Verabsäumung der Mittel, wodurch wir sie zu Menschen gemacht hatten, in eine Barbarei, die ganz nahe an die rohe Tierheit ihres ersten Zustandes grenzte. Jahrhunderte lang von Unwissenheit, Aberglauben und Fanatismus zu Boden gedrückt, von Priestern und Fürsten in unerträgliche Fesseln geschlagen, alles Lichts der Philosophie, aller Künste des Friedens, aller Sicherheit des Eigentums und Lebens beraubt, der willkürlichen Gewalt ihrer Tyrannen und den Täuschungen hinterlistiger Sophisten preisgegeben, sahen sie sich endlich wieder nach Uns um Hülfe um; und Wir, ohne uns an ihre Undankbarkeit zu kehren, ließen uns willig finden, unsre kostbarsten Gaben abermals an Geschöpfe zu verschwenden, von denen wir voraus wußten, daß sie keinen bessern Gebrauch davon machen würden als ihre Vorfahren. Aber kaum hatten sie in der Kultur, die ihnen unsere Töchter, die Künste und die Wissenschaften, gaben, wieder einige Stufen erstiegen, so erfolgte was ich vorher gesehen hatte: ihre Unstätigkeit, ihr Eigendünkel, ihr Durst nach Veränderung und Neuheit, die Widerspenstigkeit ihre Phantasien und Leidenschaften den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen, kurz, alle Unarten, die von ihrer halb tierischen Natur unzertrennlich sind, spielten wieder ihr altes Spiel, und verderbten uns das unsrige abermals. Denn du würdest eben so leicht einen Mohren durch Waschen weiß machen, als einem Menschen die Vorzüge der Kultur einimpfen, ohne ihm mit jeder Geschicklichkeit einen Fehler, mit jeder Wahrheit einen Irrtum, mit jeder Tugend ein Laster mitzuteilen. Weit gefehlt daß die Vernunft die Grenzen ihrer Herrschaft immer weiter ausdehnen, und ihre ewigen Feinde, Unwissenheit, Trägheit des Geistes, Willkürlichkeit und Egoisterei, endlich gänzlich verdrängen werde; haben wir nicht stets gesehen, daß der Zeitpunkt der höchsten Verfeinerung und der äußersten sittlichen Verderbnis immer ein und eben derselbe war? daß die Epoke der höchsten Aufklärung immer diejenige war, worin alle Arten von spekulativem Wahnsinn und praktischer Schwärmerei am stärksten im Schwange gingen? Unfähig in irgend etwas das Mittel zu halten, schweifen die Menschen bald diesseits bald jenseits über die Linie des Wahren hinaus: und da es in jeder Sache nur Eine Weise recht zu verfahren, und dagegen unzählige Wege zu fehlen gibt; wer wollte sich darüber ereifern, wenn so schwache und unhaltbare Geschöpfe, wie dieses Töpferwerk des Prometheus, in irgend einer schweren Probe, worauf das Schicksal ihre Weisheit und Tugend setzt, übel bestehen?

Juno. Und mit dieser für dich sehr bequemen Philosophie, Herr Gemahl, glaubst du dich einer bestimmten Antwort auf meine vorigen Fragen überheben zu können?

Jupiter. Allerdings, Dame meines Herzens, wofern du Geduld genug haben wolltest, eine so vielseitige Sache von mehr als Einer Seite anzusehen, und dich nicht von dem Anblick einer Menge Ungerechtigkeiten, Schelmereien und Gewalttaten, die von jeder großen Revolution der menschlichen Dinge immer unzertrennlich gewesen sind, verleiten ließest, die ungeheuern Übel, deren Quelle dadurch verstopft, und das unzählige Gute, das dadurch veranlaßt wird, zu übersehen.

Juno. Wenn ich irgend einen redseligen Gallofränkischen Sophisten in diesem Tone krähen höre, so erkenne ich, daß er seine Schuldigkeit tut: aber wie Du, den die Erfahrung einer langen Reihe von Jahrhunderten mit dem Laufe der Dinge bekannt gemacht hat, – wie Du, der kein Interesse haben kann sich selbst oder andere zu täuschen, dir in solchen Radoterien gefallen kannst, ist mir unbegreiflich. – »Das unzählige Gute, das durch jene Revolution veranlaßt wird! Die ungeheuern Übel, deren Quellen dadurch verstopft werden!« – Wahrhaftig! wenn es höflich wäre von euch Herren der Welt Konsequenz zu fordern, so möchte ich dich wohl fragen, Jupiter, wie du dies mit dem, was du uns da eben so zierlich vorgetragen hast, zusammen reimen willst! – Nenne mir, wenn du kannst, das Gute, das durch den gewaltsamen Umsturz einer seit Jahrhunderten bestehenden bürgerlichen Ordnung veranlaßt wird, und nicht schon allein von dem Bösen, das dieser Umsturz nach sich zieht, wo nicht überwogen, wenigstens im Gleichgewicht gehalten würde. – Und worin, ich bitte dich, sollen diese Übel bestehen, deren Quelle dadurch verstopft wird, ohne daß die neue Ordnung der Dinge auch neue Quellen eröffne, wovon die vorige nichts wußte? – Ja, wenn die Menschen die Wohltaten der Freiheit und Gleichheit in Unschuld und Eintracht zu genießen wüßten, ohne einer Regierung, einer Verwaltung gemeinsamer Einkünfte, eines Kriegsstaats, kurz einer künstlichen Ordnung der Dinge, die der Unzulänglichkeit der natürlichen beständig zu Hülfe kommen muß, nötig zu haben: dann hättest du recht, zu sagen, daß eine solche Revolution – insofern sie sich auf einmal über den ganzen Erdboden verbreitete – die Quellen aller Übel, die von jeder künstlichen Anordnung der menschlichen Dinge unzertrennlich sind, auf immer verstopfen würde. Aber, was wäre dies anders als eben jenes fabelhafte goldne Zeitalter, das außer der Phantasie der Dichter nie existiert hat, noch jemals existieren wird, als – in den Inseln der Seligen! Du selbst machst uns ein Verdienst daraus, die Geschöpfe des Prometheus aus dem armseligen viehischen Zustande, worin wir sie fanden, gezogen und zu Menschen gebildet zu haben. Und doch waren sie in diesem Zustande so frei und gleich, als die Natur sie gemacht hatte: aber freilich um so frei und gleich zu bleiben, hätten sie auch in diesem Zustande bleiben müssen. Gebildete Menschen bedürfen einer Regierung; und jede Regierung (ihre Form sei welche sie wolle) hebt jene Naturfreiheit auf; so wie der bloße gesellschaftliche Verein unter jedem großen, von seiner äußern Lage begünstigten, fleißigen, erfindsamen, und alle Arten von Künsten mit Eifer betreibenden Volke die natürliche Gleichheit aufhebt. Denn so unmöglich es ist, daß ein solches Volk nicht reich und mächtig werde, eben so unmöglich ist es, daß Reichtum und Macht nicht die Ungleichheit mit ihrem ganzen Gefolge herbei ziehe. Im bürgerlichen Gesellschaftsstande kann und darf nichts uneingeschränkt bleiben. Für große und mächtige Völker ist die monarchische Regierungsform, zweckmäßig eingeschränkt, die angemessenste, weil sie die meisten Mittel in sich hat, diese Ungleichheit zu vergüten und zum größern Wohl des Ganzen ausschlagen zu machen; die demokratische hingegen die nachteiligste, weil in einer sehr großen Demokratie der bessere und eben darum kleinere Teil der Nation immer entweder von der überwiegenden Majorität des schlechtern, oder von irgend einem Günstling und Abgott des Pöbels tyrannisiert wird. Nun reize man aber ein solches Volk, unter dem Vorwand, es in den Besitz seiner Menschenrechte, seiner primitiven Freiheit und Gleichheit zu setzen, zum Umsturz des Thrones: was bleibt dann seinen Anführern anders übrig, als – es entweder durch eine fortdauernde Anarchie in jenen ursprünglichen tierischen Zustand zurück zu werfen – oder ihm eine neue Regierungsform zu geben, durch welche jene illusorische Freiheit und Gleichheit, wo nicht gleich anfangs, doch unfehlbar nach und nach, so lange modifiziert und beschnitten werden muß, bis das besagte Volk, Vorteile und Nachteile gegen einander abgewogen, sich mit jedem andern, das unter einer gesetzmäßigen Regierung persönliche Freiheit und Sicherheit des Eigentums genießt, ungefähr auf gleichem Fuße befinden wird? Offenbar sind die Gallischen Demagogen nicht wahnsinnig genug, das erste zu wollen: wollten sie es aber nicht, was waren denn die mächtigen Zauberwörter, Freiheit und Gleichheit – denen man vorbedächtlich die weiteste und unbestimmteste Bedeutung ließ – was waren sie anders als Losungswörter des Aufruhrs, als bloße Vorspiegelungen, wodurch eine zusammen verschworne Bande ehrgeiziger Egoisten die rohe, leicht zu erhitzende und in der Hitze zu allem fähige Klasse der Sankülotten, die in jeder großen Monarchie die Majorität ausmacht, dahin zu bringen wußte, ihr zur Umkehrung der bisherigen Ordnung der Dinge ihre Arme zu leihen? Diese Herrschlustigen, die bisher im Staate Nichts gewesen waren, aber durch Geisteskräfte und Talente, große Reichtümer, oder große Dürftigkeit bei unersättlichen Begierden, sich berufen fühlten eine Rolle zu spielen, wußten sehr wohl was sie taten; denn sie wußten, wohin sie auf dem Wege, den sie einschlugen, kommen würden. Wäre es ihnen wirklich darum zu tun gewesen, dem zu hart gedrückten Volke so viel Freiheit und Gleichheit zu verschaffen, als jeder in bürgerlicher Gesellschaft lebende Mensch kraft des gesellschaftlichen Vertrags zu fordern berechtigt ist: so würden sie einen ganz andern Weg genommen, so würden sie sich begnügt haben, die übermäßige Gewalt des Monarchen durch eine mit den nötigen Gegengewichten versehene Konstitution einzuschränken, dem Übermut der Großen und der Höflinge, der Verschwendung des Staatseinkommens, den Gebrechen der Justizpflege, den unterdrückenden Vorrechten des Adels, der Raubsucht, Hoffart und Üppigkeit der Priester des Plutus – kurz, allen Arten von Mißbräuchen, die (wie ich gestehe) in diesem Lande zu einer unerträglichen Höhe gestiegen waren, abzuhelfen, und vornehmlich durch zweckmäßige Gesetze und Einrichtungen jene tiefe und allgemeine sittliche Verderbnis von Grund aus zu heilen, die zugleich eine natürliche Folge des bisherigen Laufs der Dinge und eine unversiegbare Quelle des täglich wachsenden öffentlichen Elends gewesen war. Wenn, sage ich, die Gallofränkischen Volksrepräsentanten alles dies ernstlich wollten und sonst nichts wollten als dies: so konnten sie es auch, – trotz allem Widerstande des Hofes und der Aristokratie, deren Anzahl und Macht gegen das ungeheure Übergewicht eines ganzen bewaffneten Volkes, das seine Rechte geltend zu machen entschlossen war, in keine Betrachtung kam; und so bedurfte es keiner gewaltsamen Umkehrung aller bisherigen bürgerlichen Ordnung; so war es eben so unnötig als unpolitisch, die Sachen bis zu einer Extremität zu treiben, wo das Volk, das von seinen Rechten nur sehr verworrene Vorstellungen hat, durch die absichtlich übertriebnen und verfälschten Begriffe, die man ihm davon beibrachte, sich auf einmal aller seiner Pflichten entbunden glaubte, und im ungewohnten Gefühl seiner Übermacht und Unabhängigkeit, so wenig als der eigenwilligste Despot, daran erinnert sein wollte, daß ihm seine Rechte, ohne die strengste Beobachtung aller Pflichten des gesellschaftlichen Vertrags, nicht nur unnütz, sondern sogar verderblich sind. Aber die Demagogen wollten eine Verfassung, worin sie gewiß waren die erste Rolle zu spielen; wollten eine Demokratie, deren Zügel sie immer in ihren Händen behalten, und worin sie ihren bemaulkorbten brummenden Souverän zu ihrem Profit tanzen lassen könnten wie ihnen beliebte. Dies war von Anbeginn der Revolution der geheime Plan dieser unredlichen Menschen; alle ihre Anschläge, alle ihre Maschinen waren auf diesen Punkt gerichtet. Aber um dahin zu gelangen, mußte notwendig die ganze Monarchie aufgelöst, mußte sogar die neue Konstitution, woran ihre klügsten Männer so lange gearbeitet hatten, wieder umgeworfen, mußten alle durch sie konstituierte Mächte wieder desorganisiert, und alles so viel möglich in den anarchischen Stand der primitiven Gesetzlosigkeit und Wildheit zurück gesetzt werden. – Gleich viel durch welche Mittel! Die schändlichsten, die ungerechtesten, die grausamsten hatten nichts das diese Menschen erschreckte. Da sie selbst die Gesetzgeber sind, steht es ja nur bei ihnen, alle Gesetze abzuschaffen, die ihren Absichten zuwider sind, und alles zu Gesetz zu machen, was sie befördert. Mögen doch darüber, mit allem übrigen, auch alle moralischen Gefühle und Ideen vollends zu Trümmern gehen! Desto besser für ihren Zweck! Desto leichter ist es ihnen, aus der formlosen Masse nach ihrer Konvenienz neue Begriffe und Maximen zu drehen, die sie, ohne Rücksicht auf den innern Gehalt, zu Recht oder Unrecht stempeln, denen sie, nach Zeit und Umständen, jeden Sinn unterlegen und bald eine engere, bald eine weitere, oder auch gar keine Anwendbarkeit geben können. – Daher das zweifache Maß und Gewicht, womit wir sie bei allen Gelegenheiten messen und wägen sahen! Daher die schamlosen Widersprüche ihrer Beschlüsse und Handlungen mit ihren öffentlich vorgegebenen Grundsätzen! Daher alle die Taschenspieler-Kunstgriffe, wodurch sie noch immer das Volk zu hintergehen, zu verblenden, und im Taumel zu erhalten gezwungen sind, um ihm seinen wahren Zustand und ihre wahren Absichten zu verbergen, und ein Aufwachen zu verhindern, das nicht anders als fürchterlich für sie sein könnte! Daher die schändliche Notwendigkeit, dem Pöbel unaufhörlich zu schmeicheln, dem Abschaum der Nation alles zu gestatten, oder wenigstens alles ungestraft hingehen zu lassen; weil sie nie wissen, wie bald der Fall wiederkommen wird, wo sie (wie schon oft geschah) seiner Spieße und Mordschwerter zu ihrer eigenen Verteidigung, zur Unterstützung ihrer Komplotte, oder zur Befriedigung ihrer persönlichen Leidenschaften nötig haben werden! – Und eine Revolution, die dies alles bewirkt, ein großes Reich in eine so ungeheure Zerrüttung gesetzt, sein Schicksal in die Hände solcher Menschen gespielt, sein voriges Elend so unermeßlich vergrößert, seinen Bewohnern alle Hoffnung bessere Zeiten zu sehen wenigstens auf ein ganzes Menschenalter geraubt, ja sogar alle Wege ihrem gänzlichen Untergang zu entrinnen, oder sich wenigstens anders als durch ein verzweifeltes Mittel zu retten, so gänzlich abgeschnitten hat, – eine solche Revolution kannst du, Jupiter, um der Übel, deren Quelle sie verstopfen, und um des unzähligen Guten willen, das sie veranlassen soll, in deinen Schutz nehmen?

Jupiter. Darin tust du mir unrecht, Saturnia: ich nehme sie nicht in meinen Schutz. Der ganze Olymp ist mein Zeuge, daß ich diesen Begebenheiten als bloßer Beobachter zugesehen habe. Ich gönne den Sterblichen Gutes; aber ich vermag nichts gegen Notwendigkeit und Natur: und wenn alle Ursachen, die zu Bewirkung einer großen Weltbegebenheit zusammen arbeiten, den Punkt ihrer Reife und ihres Einklangs erreicht haben, wie dies dermalen der Fall war; so würden alle eure Kräfte, mit den meinigen vereinigt, unvermögend sein, einen einzigen Kopf, welcher fallen muß, stehend zu erhalten. – Sonst sollte wahrlich der arme Ludewig den seinigen nicht unter die Guillotine haben legen müssen!

Juno auffahrend. Was sagst du? – Sie hätten ihre Verruchtheit bis zu einem so gräßlichen und zugleich so unpolitischen Frevel getrieben?

Jupiter. In diesem Augenblicke!

Juno mit einem grimmigen Blick auf Jupiter . In diesem Augenblick, sagst du?

Jupiter. Du siehst also, daß nicht mehr zu helfen ist.

Juno. So eile ich, alle Völker und Fürsten des Erdbodens zur Ausrottung dieser erklärten Feinde der Götter und der Könige zu vereinigen; da es doch, wie ich sehe, unmöglich ist, deine zu Milch gewordene Galle zu reizen, und selbst die schändlichste aller Greueltaten dich nicht bewegen kann, die Verbrecher in die Strudel des Phlegethons hinab zu donnern!

Jupiter. Übereile dich nicht, liebe Juno! Ich dächte, die Erfahrung sollte dich doch endlich gelehrt haben, wie leicht man aus übel ärger macht. Würdest du wohl ehemals die halbe Erde unter Wasser gesetzt haben, um ein Nest voll sakrilegischer Ratten zu ersäufen, die dein venerables Bild zu Megalopel angenagt hätten? – Überlaß die Strafe der Königsmörder der unerbittlichen, immer gerecht richtenden Nemesis; und hüte du dich nur, daß du die Pest, deren Ansteckung du fürchtest, anstatt sie weislich in das Land, worin sie wütet, einzuschließen, nicht durch die Anstalten selbst, die du gegen sie verkehrst, in ganz Europa verbreitest! – Ich habe nichts dagegen, daß du, weil doch alte Begriffe und Gewohnheiten so viel Gewalt über dich haben, die Könige noch immer als meine Stellvertreter betrachtest, und dich, so warm du willst, für die Erhaltung ihres Ansehens verwendest: aber hüte dich, (wenn dir anders Leidenschaft und Einseitigkeit einen guten Rat anzunehmen verstatten) hüte dich, die Sache deiner Klienten der Sache des ganzen Menschengeschlechts entgegen zu setzen, und ihnen durch übermäßige Vorliebe noch mehr zu schaden, als ihre erklärtesten Feinde durch ihren Haß! Wenn du es wirklich gut mit den Königen meinst, so lehre sie vor allen Dingen, ihre Freunde von ihren Feinden zu unterscheiden. Sage ihnen: ein Thron, der auf einer haltbaren Verfassung, auf Gerechtigkeit und Zutrauen des Volkes ruhe, könne durch keine Erschütterung von fremden Meinungen und Beispielen wankend gemacht werden. Sage ihnen: ein Regent schade der Wohlfahrt seines Staats, mit dem besten Willen sie zu befördern, öfters mehr durch zu viel als durch zu wenig tun; und je freiern Spielraum man den einzelnen Kräften eines empor strebenden Volkes lasse, desto unschädlicher sei sogar der Mißbrauch dieser Freiheit. Sage ihnen: eine weise Regierung und ein guter Fürst habe von einem durch freien Gebrauch seiner Vernunft vereitelten und gebildeten Volke nichts zu besorgen; und wenn du kannst, Dame Juno, so lehre sie auch recht verstehen was ich ihnen durch dich sagen lasse; und du wirst sehen, daß die Könige und die Welt sich nicht übel dabei befinden werden.

Juno. Was ich sehr deutlich sehe, Herr Gemahl, ist, daß die Sachen nicht desto besser gehen, seitdem du ein so großer Moralist geworden bist. Sie geht eilends ab.

Jupiter nach einer kleinen Pause zu Minerven . Was können wir von den Sterblichen fordern, wenn Götter selbst nicht weiser sind?


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