Vineta
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Die milde klare Frühlingsnacht, welche über dem Meere lag, begann dem Morgen zu weichen. Am Himmel blinkten noch matt die Sterne, aber fern am Horizont dämmerte schon die erste Tageshelle, und das Meer rauschte leise, wie im Traume.

Durch die immer lichter werdende Morgendämmerung eilte ein Schiff, das gegen Mitternacht den Hafen von S. verlassen hatte. Es hatte mehrere Stunden gebraucht, um die weite seeartige Mündung des Flusses zu durchmessen, und stand nun im Begriff, die hohe See zu gewinnen. An Bord befand sich Graf Morynski mit seiner Tochter und Waldemar. Wanda hatte die Trennung vom Vater so unmittelbar nach dem Wiedersehen nicht über sich gewinnen können. Sie bestand darauf, ihn wenigstens bis zum Hafen zu begleiten und auch dann noch so lange wie möglich an seiner Seite zu bleiben, und Waldemar hatte ihren stürmischen Bitten nachgegeben. Eine Gefahr brachte das kaum mit sich, im Gegenteil, die Fahrt nach S. wurde vielleicht unverdächtiger in Gesellschaft einer Dame zurückgelegt. Die Fürstin verweilte ja vorläufig noch in Rakowicz; ihr schrieb man, wie der Sohn ganz richtig voraussah, allein die Befreiung ihres Bruders zu. Jeder Verdacht, jede etwaige Nachforschung richtete sich auf sie und ihren Aufenthalt. Wandas Abwesenheit wurde schwerlich bemerkt; überdies sollte sie schon in den nächsten Tagen in Begleitung Waldemars von Altenhof zurückkehren. Das ehemalige Gut Witolds, jetzt das Eigentum seines Pflegesohnes, lag an der offenen Küste, die das Schiff bei seiner Ausfahrt passieren mußte, und bis hierher ward dem Flüchtlinge von seinen Kindern das Geleit gegeben. Graf Morynski beabsichtigte in England die Fürstin zu erwarten, die noch einige Wochen in Rakowicz bleiben wollte, bis zur Vermählung ihres Sohnes und ihrer Nichte, um dann unverzüglich dem Bruder zu folgen. Von England aus wollten beide gemeinschaftlich ihren ferneren Aufenthalt wählen.

Es war allmählich Tag geworden. Das erste kalte Frühlicht ruhte auf der weiten Meeresfläche, aber noch ohne Wärme und Farbe. Jetzt, wo die Küste zurückwich und die offene See vor den Scheidenden lag, konnte die Trennung nicht länger verschoben werden. Dort drüben dehnte sich der Strand hin, der das Gebiet von Altenhof begrenzte und in unmittelbarer Nähe des Schiffes, das jetzt seinen Lauf hemmte, lag, noch umwallt von weißen Morgennebeln, der Buchenholm. Es war eine kurze, aber ergreifende Abschiedsscene, die auf dem Verdecke stattfand. Graf Morynski litt wohl am schwersten darunter. So sehr er auch strebte, seine Fassung zu behaupten, sie brach doch zusammen, als er die Tochter in die Arme ihres künftigen Gatten legte. Waldemar sah, daß die Qual der Trennung nicht verlängert werden durfte; er umfaßte rasch seine Braut und hob sie in das bereitliegende Boot, das sie in wenigen Minuten nach dem Buchenholm hinübertrug, während das Schiff sich wieder in Bewegung setzte. Vom Verdeck flatterte noch ein weißes Tuch, und vom Holm aus wurde der Abschiedsgruß erwidert, dann wurde die Entfernung weiter und weiter zwischen den Scheidenden. Das Schiff wandte sich mit voller Dampfkraft gegen Norden.

Wanda war auf eins der Steintrümmer niedergesunken, die unter den Buchen zerstreut lagen, und überließ sich dem Ausbruch eines leidenschaftlichen Schmerzes. Waldemar, der neben ihr stand, behauptete wohl die Fassung, aber auch auf seinem Antlitze lag der ganze Ernst dieser Abschiedsstunde.

»Wanda,« sagte er, seine Hand sanft auf die ihrige legend, »die Trennung ist ja keine ewige. Wenn dein Vater den heimatlichen Boden nicht wieder betreten darf, so hindert uns nichts, ihn bisweilen aufzusuchen. In Jahresfrist siehst du ihn wieder – ich verspreche es dir.«

Wanda schüttelte schmerzlich das Haupt. »Wenn ich ihn dann noch finde. Er hat zu viel und zu schwer gelitten, um sich je wieder ganz dem Leben zuwenden zu können. Mir ist es, als hätte ich das letzte Mal in seinen Armen gelegen.«

Nordeck schwieg – auch ihm hatte sich beim Abschiede die gleiche Befürchtung aufgedrängt. Wenn Graf Morynski auch wirklich die Folgen der Wunden und der Kerkerhaft zu überwinden vermochte, den Untergang der Sache, der sein ganzes Leben geweiht gewesen war, überwand er schwerlich. Als er vor Jahren das erste Mal in die Verbannung ging, da hatte er geistig und körperlich noch die volle Kraft des Mannes einzusetzen, aber jetzt war diese Kraft gebrochen – wer konnte es wissen, wie lange der Rest davon noch standhielt!

»Der Vater bleibt ja nicht allein,« entgegnete Waldemar endlich. »Meine Mutter folgt ihm, und ich sehe erst jetzt, was wir ihr zu danken haben. Sie nimmt mit diesem Entschlusse eine schwere Sorge von uns beiden. Du kennst ihre Liebe zu dem einzigen Bruder; sie wird ihm die Stütze sein, deren er bedarf.«

Der Blick Wandas hing noch immer an dem Schiffe, das schon in weiter Ferne dahinzog.

»Und du verlierst auch die Mutter, nachdem du sie kaum erst gefunden hast,« sagte sie leise.

Seine Stirn verdüsterte sich bei der Erinnerung. »Glaubst du, daß mir das leicht wird? Und doch, ich fürchte, sie hat recht. Wir sind zu gleichartige Naturen, als daß sich je eine der andern beugen könnte, und bei einem Zusammenleben müßte das doch nun einmal geschehen. Gehörte ich ihrem Volke an, oder sie dem meinigen, dann freilich bedürfte es dessen nicht, dann würde alles was ich unternehme und erringe, ihr Stolz, ihr eigenes Wollen sein, jetzt aber steht mir dieses Wollen ewig feindlich gegenüber, und wo ich in Wilicza meinen Schöpfungen die Bahn brechen will, da muß ich erst die ihren zerstören. Wir können uns wohl über die Kluft hinweg die Hand reichen und es endlich fühlen, daß wir Mutter und Sohn sind – miteinander gehen können wir nicht. Sie hat das klarer eingesehen als ich selber und gewählt, was für uns alle das beste ist; ihr Entschluß allein sichert uns die Versöhnung.«

Die junge Gräfin hob das thränenvolle Auge zu ihm empor. »Hast du die düstere Warnung des Vaters vergessen? Auch zwischen uns beiden liegt der unselige nationale Zwiespalt, der von jeher wie ein tiefer Riß durch unsre Familie ging. Er hat schon deine Eltern unglücklich gemacht.«

»Weil sie keine Liebe kannten,« ergänzte Waldemar. »Weil kalte Berechnung nach beiden Seiten das innigste Band knüpfte, das zwei Menschen vereinigen kann. Daraus konnte keine Versöhnung erstehen; da mußte der alte Streit nur noch heftiger auflodern.

Wir haben denn doch etwas andres einzusetzen. Ich habe jenem Zwiespalte schon meine Braut abgerungen – ich werde auch mein Glück dagegen zu verteidigen wissen. Wenn unsre Ehe wirklich ein Wagnis ist, wir können es auf uns nehmen.«

Die leichten Morgenwolken, welche am Himmel schwammen, begannen sich licht und lichter zu färben, und im Osten flammte die Morgenröte. Der ganze Horizont war in Rosenglut getaucht, und die Wellen erschienen wie gesäumt mit flüssigem Golde. Jetzt blitzte es auf wie ein strahlender Funke, der erste Gruß der aufsteigenden Sonne, und nun stieg das leuchtende Tagesgestirn selbst empor aus den Wogen, langsam, immer höher und höher, bis es sich endlich ganz davon löste und in voller Klarheit dastand. Durch die helle, kalte Morgenluft floß es wie ein rosiger Hauch, und die bisher so öde dunkle Wasserfläche gewann das tiefste Blau. Mit dem Sonnenaufgang strömten Licht und Leben über Meer und Erde hin.

Die ersten Strahlen berührten den Buchenholm, und vor ihnen zerrannen die weißen Nebel, die noch zwischen den Bäumen schwebten; sie sanken nieder auf den taubedeckten Rasen; sie zerflatterten im Walde, nur ein leichter Duft blieb noch zurück. Der Morgenwind strich durch die Kronen der mächtigen Buchen, die sich leise rauschend zu einander neigten, aber was sie jetzt flüsterten, das war keine düstere Klage mehr von Vergehen und Sterben, wie damals am Waldsee von Wilicza. Und doch war gerade dort, in den herbstlich öden Wäldern, aus Dämmerung und Nebelschatten das Traumbild aufgestiegen, das jetzt als helle Wirklichkeit dastand – der meerumrauschte Buchenholm im Sonnenglanz mit seiner Märchenpoesie.

Waldemar und Wanda standen wieder an der Stelle, wo vor Jahren der wilde, ungestüme Knabe gestanden hatte, der da meinte, er brauche nur die Hand auszustrecken, um das, was seine erste Leidenschaft erweckte, nun auch als sein unbestrittenes Eigentum an sich zu reißen, und das übermütige Kind, das mit dieser Leidenschaft ein kindisches Spiel getrieben hatte. Damals wußten sie beide noch nichts vom Leben und seinen Aufgaben. Seitdem war es ihnen genaht in seinem ganzen furchtbaren Ernste; es hatte sie hineingerissen in seine schwersten Kämpfe, und alles zwischen sie gestellt, was zwei Menschen nur trennen kann. Aber die alte Meeressage hatte ihnen doch wahr gesprochen. Seit jener Stunde, wo ihr Zauber die beiden jugendlichen Herzen umspann, waren diese in ihrem Bann geblieben, und der Bann hielt sie fest trotz Entfremdung und Trennung; er zog sie mächtig zu einander, als um sie her alles in Haß und Streit aufloderte, und führte sie siegreich durch all die feindlichen Gewalten bis zu dieser Minute.

Waldemar hatte den Arm um seine Braut gelegt und sah ihr tief ins Auge.

»Glaubst du noch, daß ein Nordeck und eine Morynska kein Glück miteinander finden können?« fragte er, »Wir wollen den Schatten tilgen, der bisher auf diesem Bunde lag.«

Wanda lehnte das Haupt an seine Schulter. »Du wirst bei deinem Weibe vieles schonen und vieles überwinden müssen. Ich kann nicht alles verleugnen, was mir so lange heilig und teuer gewesen ist. Reiße mich nicht ganz los von meinem Volke, Waldemar! Es wurzelt ein Teil meines Lebens darin.«

»Bin ich denn jemals hart gegen dich gewesen?« Waldemars Stimme hatte wieder jene seltsame Weichheit, die nur ein einziges Wesen auf Erden diesem kalten, starren Manne abzuringen vermochte. »Diese Augen haben ja schon dem unbändigen Knaben Fügsamkeit gelehrt; sie werden auch den Mann zu zügeln wissen. Ich weiß, daß jener Schatten sich noch oft zwischen uns drängen wird; er wird dir vielleicht noch manche Thräne und mir manchen Kampf kosten, aber ich weiß auch, daß in jedem entscheidenden Augenblicke meine Wanda da stehen wird, wo sie schon einmal stand, als die Todesgefahr mich bedrohte, und wo hinfort allein ihr Platz ist – an der Seite ihres Gatten.«

Das Schiff, das den Flüchtling seinem Vaterland entführte, verschwand in nebelduftiger Ferne. Ringsum wogte die blaue See, und über den Buchenholm strömte das volle goldene Sonnenlicht, Das Meer sang wieder seine alte ewige Melodie, aus Windesrauschen und Wellenbrausen gewoben, und dazwischen tönte es fern und geheimnisvoll wie Glockenklang – der Geistergruß Vinetas aus der Meerestiefe.


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