Vineta
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Im Wohnzimmer des Administrators saßen Herr Doktor Fabian und Fräulein Margarete Frank vor einem aufgeschlagenen Buche. Die französischen Lesestunden hatten nun wirklich ihren Anfang genommen, aber so ernst und gewissenhaft der Lehrer die Sache nahm, so unzuverlässig zeigte sich die Schülerin. Schon in der ersten Stunde, die vor einigen Tagen stattgefunden, hatte sie sich damit amüsiert, den Doktor über alles mögliche auszufragen, über seine Vergangenheit, seine ehemalige Hauslehrerstellung bei Herrn Nordeck, über das Leben in Altenhof und dergleichen mehr. Heute nun wollte sie durchaus wissen, was er eigentlich studiere, und trieb den armen Gelehrten, der um keinen Preis seine »Geschichte des Germanentums« verraten wollte, mit ihren Fragen immer mehr in die Enge.

»Aber wollen wir denn nicht endlich die Uebung beginnen, mein Fräulein?« sagte er bittend. »Auf diese Weise kommen wir auch heute nicht dazu. Sie sprechen fortwährend deutsch.«

»Ach, wer kann jetzt an das Französische denken!« rief Gretchen, ungeduldig eine Seite des Buches nach der andern umschlagend. »Ich habe ganz andre Dinge im Kopfe; das Leben in Wilicza ist so aufregend.«

»Ich dächte doch nicht,« meinte der Doktor, indem er geduldig wieder zurückblätterte, um die Stelle zu suchen, bei welcher sie stehen geblieben waren.

Die junge Dame maß ihn mit einem wahren Inquisitorenblick. »Nicht, Herr Doktor? Nun, Sie müßten doch aus erster Hand wissen, was es eigentlich im Schlosse gegeben hat. Sie, der Freund und Vertraute des Herrn Nordeck! Gegeben hat es etwas – das steht fest, denn das geht ja jetzt wie im Wirbelsturm, seit der junge Herr fort ist. Die Boten fliegen nur so zwischen Wilicza und Rakowicz. Bald ist Graf Morynski hier, bald Fürst Baratowski drüben; wenn man unsre gestrenge Frau Fürstin einmal zu Gesicht bekommt, so zeigt sie eine Miene, als stände der Weltuntergang allernächstens bevor, und was sind denn das für Dinge, die seit zwei oder drei Abenden im Parke vorgehen, und von denen mir der Inspektor erzählt hat? Man holt etwas oder bringt etwas. Sie müssen das doch notgedrungen bemerkt haben. Ihre Fenster liegen ja gerade nach der Seite hinaus.«

Sie sprach fortwährend deutsch, und Fabian ließ sich immer wieder verleiten, ihr in dieser Sprache zu antworten. Er rückte unruhig auf seinem Sitze hin und her.

»Ich weiß nichts, durchaus nichts davon,« versicherte er.

»Das sagt Papa auch immer, wenn ich ihn frage,« schmollte Gretchen. »Ich begreife ihn überhaupt diesmal ganz und gar nicht. Er hat den Inspektor angefahren, als dieser mit seiner Nachricht kam, und ihm streng befohlen, sich nicht weiter um den Park zu kümmern, Herr Nordeck wolle es nicht. Papa kann doch unmöglich auch mit im Komplott stecken, und doch sieht es beinahe so aus. Meinen Sie nicht?«

»Aber, mein Fräulein,« bat der Doktor. »Der Zweck meines Kommens wird wirklich nicht erreicht, wenn Sie sich fortwährend mit solchen Dingen beschäftigen. Seit einer halben Stunde bin ich hier, und wir haben noch nicht eine einzige Seite gelesen – bitte!«

Er schob ihr wohl zum sechstenmal das Buch hin. Sie nahm es endlich mit entrüsteter Miene.

»Meinetwegen! Ich sehe, man will mich nicht in das Geheimnis einweihen, aber ich werde schon allein dahinter kommen, und dann wird man bereuen, mir so wenig getraut zu haben. Ich kann auch schweigen – unbedingt kann ich das.« Damit begann sie ein französisches Gedicht zu lesen, aber mit sehr gereiztem Ausdruck und einer absichtlichen falschen Betonung, die ihren Lehrer fast zur Verzweiflung brachte.

Sie las eben erst die zweite Strophe, als ein Wagen in den Hof fuhr. Es befand sich augenblicklich niemand darin, aber der Kutscher schien hier schon bekannt zu sein, denn er machte sich sofort daran, auszuspannen. Gleich darauf trat eins der Dienstmädchen mit der Meldung ein, Herr Assessor Hubert werde sich die Ehre geben, auf dem Gutshofe vorzusprechen, er sei nur auf einen Augenblick im Dorfe abgestiegen, wo er bei dem Schulzen zu thun habe, und schicke einstweilen seinen Wagen voraus mit der Anfrage, ob er auch diesmal auf die Gastfreundschaft des Herrn Administrators rechnen könne.

Dabei war nun weiter nichts Auffallendes; bei der freundschaftlichen Stellung, die er zu der Frankschen Familie einnahm, pflegte der Assessor stets in ihrem Hause zu übernachten, wenn seine Amtsgeschäfte ihn in die Nähe von Wilicza führten, und er sorgte schon dafür, daß dies sehr häufig geschah. Der Administrator war zwar über Land gefahren, wurde aber heute abend zurückerwartet. Seine Tochter gab also die Weisung, für Fuhrwerk und Kutscher Sorge zu tragen und nachzusehen, ob im Gastzimmer alles in Ordnung sei.

»Wenn der Assessor kommt, ist es mit unsrer Lesestunde zu Ende,« sagte sie etwas ärgerlich zum Doktor, »aber er soll uns nicht lange stören. Ich lasse gleich in den ersten fünf Minuten etwas von den Heimlichkeiten im Parke fallen, dann läuft er schleunigst hinüber, um sich hinter irgend einem Baume auf die Lauer zu stellen, und wir sind ihn los.«

»Um Gottes willen nicht!« rief Fabian im Tone des größten Schreckens, »schicken Sie ihn nicht dorthin! Im Gegenteil, halten Sie ihn um jeden Preis davon zurück!«

Gretchen stutzte. »So, Herr Doktor? Ich denke, Sie wissen nichts, durchaus nichts – weshalb geraten Sie denn auf einmal so in Angst?«

Der Doktor saß mit gesenktem Blicke wie ein ertappter Verbrecher da und suchte vergebens nach einer Ausflucht; das Lügen wollte ihm durchaus nicht gelingen. Endlich schlug er die Augen auf und sah das junge Mädchen treuherzig an.

»Ich bin ein friedlicher Mann, mein Fräulein,« sagte er, »und dränge mich nie in fremde Geheimnisse. Ich weiß wirklich nicht, was im Schlosse vorgeht, daß aber etwas vorgeht, habe ich freilich auch in den letzten Tagen bemerken müssen. Herr Nordeck hat mir nur Andeutungen darüber gegeben, aber es ist doch wohl kein Zweifel, daß Gefahr bei der Sache ist.«

»Nun, für uns doch nicht,« meinte Gretchen mit großer Seelenruhe. »Was thut es denn, wenn der Assessor wirklich die ganze Gesellschaft da drüben auseinandersprengt? Herr Nordeck ist fort – den kann er also nicht greifen, und er wird sich auch hüten nach jener ersten Verhaftungsgeschichte. Sie stehen außerhalb jedes Verdachtes, und was die Fürstin und Fürst Leo betrifft –«

»So sind sie Waldemars Mutter und sein Bruder,« fiel Doktor Fabian in tiefer Bewegung ein. »Begreifen Sie denn nicht, daß jeder Schlag, der gegen sie geführt wird, auch ihn treffen muß? Er ist der Herr des Schlosses; man macht ihn verantwortlich für alles, was dort geschieht.«

»Und das mit vollem Rechte!« rief Gretchen hitzig werdend. »Warum reist er fort und läßt den Umtrieben Thür und Thor offen? Warum ist er mit seinen Verwandten einverstanden?«

»Er ist es nicht,« beteuerte Fabian, »im Gegenteil, er setzt sich mit aller Entschiedenheit dagegen; seine Reise hat ja nur den Zweck – mein Gott, zwingen Sie mich doch nicht, von Dingen zu reden, von denen ich gar nicht weiß, ob ich sie Ihnen verraten darf! Aber das weiß ich, daß Waldemar alles daran liegt, Mutter und Bruder zu schonen. Er hat mir bei der Abreise das Versprechen abgenommen, ich solle nichts hören und sehen wollen von dem, was im Schlosse vorgeht, und Ihrem Vater hat er ähnliche Weisungen gegeben. Ich hörte es, wie er zu ihm sagte: ›Ich mache Sie verantwortlich dafür, daß die Fürstin inzwischen unbehelligt bleibt; ich nehme alles auf mich.‹ Aber jetzt ist er fort; Herr Frank ist fort, und nun führt ein unglücklicher Zufall gerade jetzt diesen Assessor Hubert her, der um jeden Preis etwas entdecken will und auch entdecken wird, wenn man ihm freie Hand läßt. Ich bin ganz ratlos.«

»Das kommt davon, wenn man mir etwas verschweigt,« sagte Gretchen strafend. »Hätte man mich ins Vertrauen gezogen, so hätte ich mich rechtzeitig mit dem Assessor gezankt, und dann wäre er fürs erste nicht hierhergekommen. Jetzt soll ich Rat schaffen.« »Ach ja, thun Sie das!« bat der Doktor. »Sie vermögen ja alles über den Assessor. Halten Sie ihn zurück! Er darf heute durchaus nicht in den Umkreis des Schlosses kommen.«

Fräulein Margarete schüttelte bedenklich den Kopf. »Da kennen Sie Hubert nicht; den hält kein Mensch zurück, wenn er erst einmal eine Spur gefunden hat, und finden wird er sie, wenn er überhaupt in Wilicza bleibt, denn er fragt regelmäßig den Inspektor aus; also darf er gar nicht hier bleiben. – Ich weiß ein Mittel. Ich lasse mir von ihm eine Erklärung machen – er setzt jedesmal dazu an; ich lasse ihn nur nie so weit kommen – und dann gebe ich ihm einen Korb. Darüber wird er so wütend werden, daß er Hals über Kopf nach L. zurückfährt.«

»Das gebe ich unter keiner Bedingung zu,« widersprach der Doktor. »Was auch kommen mag, Ihr Lebensglück darf nicht das Opfer werden.«

»Glauben Sie etwa, daß mein Lebensglück von Herrn Assessor Hubert abhängt?« fragte Gretchen mit verächtlich aufgeworfenen Lippen.

Fabian glaubte das allerdings. Er wußte ja aus Huberts eigenem Munde, daß dieser »sicher auf ein Ja rechnen durfte«, aber eine sehr begreifliche Scheu hielt ihn zurück, diesen Punkt näher zu berühren.

»Mit solchen Dingen darf man niemals Scherz treiben,« sagte er vorwurfsvoll. »Der Assessor würde früher oder später die Wahrheit erfahren, und das würde ihn tief verletzen, ihn vielleicht auf ewig von Ihnen entfernen – niemals!«

Gretchen sah etwas betroffen aus; sie begriff zwar durchaus nicht, wie man einen Korb so ernst nehmen könne, und machte sich herzlich wenig aus der ewigen Entfernung des Assessors, aber der Vorwurf traf doch ihr Gewissen.

»Dann bleibt nichts andres übrig, als ihn von der richtigen Fährte weg und auf eine falsche zu bringen,« erklärte sie nach kurzem Besinnen. »Aber, Herr Doktor, damit nehmen wir doch eigentlich eine schwere Verantwortung auf uns. Es verschwört sich zwar alles hier in Wilicza, so daß ich nicht einsehe, weshalb wir beide es nicht auch einmal thun sollen, aber wir machen, streng genommen, doch ein Komplott gegen unsre eigene Regierung, wenn mir ihren Vertreter abhalten, seine Pflicht zu thun.«

»Der Assessor hat keinen Auftrag,« rief der Doktor, der auf einmal ganz heldenmäßig geworden war, »er folgt nur seinen eigenen ehrgeizigen Ideen, wenn er hier herumspürt. Mein Fräulein, ich gebe Ihnen mein Wort darauf, die geheimen Umtriebe haben die längste Zeit gewährt. Es wird ihnen ein für allemal ein Ende gemacht – ich weiß es aus Waldemars eigenem Munde, und er ist der Mann danach, sein Wort zu halten. Wir verschulden nichts gegen unsre Landsleute, wenn wir ein ganz nutzloses Unglück verhüten, das der übertriebene Eifer eines Beamten heraufbeschwört, den man in L. vielleicht gar nicht einmal gern sieht.«

»Gut, also machen wir ein Komplott!« sagte Gretchen entschlossen. »Der Assessor muß fort, und zwar noch in der ersten Viertelstunde, sonst geht er gleich wieder auf die Verschwörungsjagd. Da kommt er schon über den Hof. Ueberlassen Sie mir alles, stimmen Sie nur zu – und jetzt wollen wir das Buch wieder vornehmen.«

Als Assessor Hubert einige Minuten später eintrat, hörte er in der That die dritte Strophe des französischen Gedichtes und war sehr erfreut, daß Doktor Fabian Wort gehalten hatte und daß die künftige Frau Regierungsrätin sich so eifrig in der höheren Bildung übte, die für ihre dereinstige Stellung unerläßlich war. Er begrüßte beide, erkundigte sich nach dem Herrn Administrator und nahm dann den angebotenen Platz ein, um die jüngsten Neuigkeiten aus L. zu erzählen.

»Ihr ehemaliger Zögling hat uns eine große Ueberraschung bereitet,« sagte er verbindlich zu Fabian. »Wissen Sie denn davon, daß Herr Nordeck, als er auf seiner Reise unsre Stadt passierte, bei dem Herrn Präsidenten vorgefahren ist und ihm einen anscheinend ganz offiziellen Besuch gemacht hat?«

»Jawohl, es war die Rede davon,« erwiderte der Doktor.

»Seine Excellenz waren sehr angenehm dadurch berührt,« fuhr Hubert fort. »Offen gestanden, man hatte bereits die Hoffnung auf eine Annäherung von dieser Seite aufgegeben. Herr Nordeck soll äußerst liebenswürdig gewesen sein; er erbat sich sogar die Zusage des Herrn Präsidenten, der nächsten Jagd in Wilicza beizuwohnen, und ließ etwas von andern Einladungen fallen, die nicht minder überraschen werden.«

»Hat denn der Präsident angenommen?« fragte Gretchen.

»Gewiß! Seine Excellenz meinten, die Sache sähe fast aus wie eine Stellungnahme des jungen Gutsherrn, und fühlten sich verpflichtet, ihn darin zu unterstützen. Wirklich, Herr Doktor, Sie würden uns sehr verbinden, wenn Sie uns irgend einen Aufschluß über die eigentliche Stellung des Herrn Nordeck –« »Von Doktor Fabian erfahren Sie gar nichts; er ist noch verschlossener als der junge Herr selbst,« fiel Gretchen ein, die sich veranlaßt fühlte, ihrem Mitverschworenen zu Hilfe zu kommen, denn sie sah bereits, daß er sich durchaus nicht in seine Rolle finden konnte. Er wurde fast erdrückt von seinem Schuldbewußtsein, und die beste Absicht half ihm nicht über den Gedanken hinweg, daß der Assessor betrogen werden sollte, und daß er dabei mithalf. Fräulein Margarete dagegen nahm die Sache weit leichter: sie ging geradeswegs auf das Ziel los.

»Werden wir Sie denn heute zum Abendessen haben, Herr Assessor?« warf sie hin, »Sie haben doch jedenfalls drüben in Janowo zu thun?«

»Daß ich nicht wüßte!« erwiderte Hubert. »Weshalb gerade dort?«

»Nun, ich meinte nur – man hört so manches von drüben – besonders seit den letzten Tagen, Ich dachte, Sie hätten Auftrag, dort zu recherchieren.«

Der Assessor wurde aufmerksam. »Was hört man? Bitte, mein Fräulein, verbergen Sie mir nichts! Janowo ist auch einer von den Orten, auf die man jetzt fortwährend ein Auge haben muß. Was wissen Sie davon?«

Der Doktor schob unmerklich seinen Stuhl etwas weiter zurück; er kam sich vor wie der schwärzeste aller Verräter, Gretchen dagegen bewies ein wahrhaft erschreckendes Talent für die Intrigue. Sie erzählte nichts, aber sie ließ sich ausfragen und brachte so nach und nach mit der unschuldigsten Miene von der Welt all die Beobachtungen zum Vorschein, die sie in den letzten Tagen hier gemacht hatte, nur mit dem Unterschiede, daß sie den Schauplatz nach Janowo verlegte, dem großen Nachbargute, das unmittelbar an Wilicza grenzte, und ihr Plan gelang über Erwarten. Der Assessor biß auf den Köder an mit einem Eifer, der nichts zu wünschen übrigließ. Er las die Worte förmlich von den Lippen des jungen Mädchens ab; er geriet in fieberhafte Aufregung und sprang endlich auf.

»Entschuldigen Sie, Fräulein Margarete, wenn ich die Ankunft des Herrn Frank jetzt nicht abwarte! Ich muß unverzüglich nach E. zurück –«

»Aber doch nicht zu Fuß? Es ist eine halbe Stunde Wegs dorthin.«

»Nur kein Aufsehen!« flüsterte Hubert geheimnisvoll, »Mein Wagen bleibt jedenfalls hier; es ist besser, man glaubt mich noch bei Ihnen. Ich bitte, beim Abendessen nicht auf mich zu rechnen. Leben Sie wohl, mein Fräulein!« und mit kurzem, hastigem Gruße eilte er davon und schritt gleich darauf über den Hof.

»Jetzt geht er nach E.,« sagte Gleichen triumphierend zu dem Doktor, »um sich die beiden dort stationierten Gendarmen zu holen, und läuft mit ihnen geradeswegs nach Janowo – und da werden sie wohl alle drei herumlaufen bis in die Nacht hinein. Wilicza ist sicher vor ihnen.«

Sie hatte sich in ihren Voraussetzungen nicht getauscht. Erst spät in der Nacht kehrte der Assessor von seinem Streifzuge zurück, den er richtig mit den beiden Gendarmen aus E. unternommen hatte, natürlich ohne jedes Ergebnis. Er war sehr verstimmt, sehr niedergeschlagen und vollständig erkältet. In der ungewohnten Nachtluft hatte er sich einen furchtbaren Schnupfen zugezogen und befand sich am nächsten Tage so unwohl, daß sogar Gretchen ein menschliches Rühren empfand. In reuevoller Aufwallung kochte sie ihm Thee und pflegte ihn den ganzen Tag hindurch mit einer Sorgfalt, die Hubert alles ausgestandene Ungemach vergessen ließ. Leider setzte sich dadurch aber bei ihm die nunmehr unumstößliche Ueberzeugung fest, daß er über alle Maßen geliebt werde. Auch Doktor Fabian kam im Laufe des Tages herüber, um nach dem Patienten zu sehen, und zeigte eine so ängstliche Teilnahme, ein so tiefes Bedauern über die Erkältung, daß der Assessor sehr gerührt und vollständig getröstet war. Er wußte ja nicht, daß er all diese Aufmerksamkeit nur den Gewissensbissen der beiden gegen ihn Verschworenen zu danken hatte, und fuhr schließlich noch mit dem Schnupfen, aber in sehr gehobener Stimmung, nach L. zurück. – –

Im Schlosse hatte man natürlich keine Ahnung davon, wem eigentlich der Dank dafür gebührte, daß Schloß, Park und Umgebung auch an diesem Abend unbehelligt blieben. Ungefähr zu derselben Zeit, als Doktor Fabian und Fräulein Margarete ihr Komplott anstifteten, fand in den Zimmern der Fürstin Baratowska eine Familienzusammenkunft statt, die ein sehr ernstes Aussehen hatte. Graf Morynski und Leo waren in voller Reisekleidung; ihre Mäntel lagen draußen im Vorzimmer, und der Wagen, der vor einer halben Stunde den Grafen und seine Tochter herübergebracht hatte, stand noch angespannt im Hofe. Leo und Wanda hatten sich in die tiefe Nische des Mittelfensters zurückgezogen und redeten leise und angelegentlich miteinander, während die Fürstin mit ihrem Bruder ein gleichfalls halblautes Gespräch führte.

»Wie die Sache einmal liegt, halte ich es für ein Glück, daß die Verhältnisse eure schleunigste Abreise verlangen,« sagte sie, »schon um Leos willen, der den Aufenthalt in Wilicza nicht mehr ertragen würde, wenn Waldemar den Herrn herauskehrt. Er vermag sich nun einmal nicht zu beherrschen; die Art, wie er meine Eröffnungen aufnahm, zeigte mir, daß es geradezu ein Unglück herbeirufen hieße, wollte ich ihn jetzt zu einem längeren Zusammensein mit seinem Bruder zwingen. Auf diese Weise begegnen sie sich vorläufig gar nicht, und das ist das beste.«

»Und du selbst willst wirklich hier aushalten, Jadwiga?« fragte der Graf.

»Ich muß,« entgegnete sie. »Es ist das einzige, was ich jetzt noch für euch thun kann. Ich bin deinen Gründen gewichen, die mir den offenen Kampf mit Waldemar als nutzlos und gefährlich zeigten. Wir haben Wilicza als Mittelpunkt unsrer Pläne aufgegeben, wenigstens vorderhand, aber für dich und Leo bleibt es immer der Ort, wohin ihr eure Botschaften sendet und von wo euch Nachrichten zugehen; die Freiheit wenigstens werde ich zu behaupten wissen. Im schlimmsten Falle bleibt das Schloß eure Zuflucht, wenn ihr genötigt sein solltet, euch wieder über die Grenze zu werfen; auf diesseitigem Gebiete wird die Ruhe für diesmal ja nicht gestört. Wann gedenkt ihr die Grenze zu passieren?«

»Wahrscheinlich diese Nacht noch. Wir werden auf der letzten Försterei abwarten, wann und wie es möglich ist; dorthin folgt uns heute abend auch der letzte Waffentransport, um vorläufig in der Obhut des Försters zu bleiben. Ich hielt die Vorsicht doch für geboten. Wer weiß, ob dein Sohn sich nicht einfallen läßt, übermorgen bei seiner Rückkehr das ganze Schloß zu durchsuchen.«

»Er wird es rein finden, wie« – die Hand der Fürstin ballte sich in verhaltenem Ingrimme und ihre Lippen zuckten – »wie er es befohlen, aber ich schwöre es dir, Bronislaw, er soll diesen Befehl und seine Tyrannei gegen uns büßen. Ich habe die Vergeltung in Händen und auch die Zügel, wenn er etwa versuchen sollte, noch weiter zu gehen.«

»Du machtest mir schon einmal eine solche Andeutung,« sagte der Graf, »aber ich begreife wirklich nicht, womit du eine solche Natur noch zähmen willst. Nach der Art, wie Wanda mir die Scene zwischen dir und Waldemar geschildert hat, glaube ich nicht mehr, daß er noch irgend einem Zügel gehorcht.«

Die Fürstin schwieg. Sie schien nicht antworten zu wollen und wurde auch dessen überhoben, denn in diesem Augenblick trat das junge Paar aus der Fensternische zu ihnen.

»Es ist unmöglich, Mama, Wanda umzustimmen,« sagte Leo zu seiner Mutter. »Sie weigert sich entschieden, nach Wilicza zu kommen, und will Rakowicz nicht verlassen.«

Die Fürstin wandte sich mit strengem Ausdruck zu ihrer Nichte.

»Das ist eine Thorheit, Wanda. Es ist seit Monaten bestimmt, daß du zu mir kommst, wenn diese längst vorhergesehene Abwesenheit deines Vaters eintritt. Du kannst und sollst nicht allein in Rakowicz bleiben. Ich bin dein natürlicher Schutz, und du wirst ihn aufsuchen.«

»Verzeihung, liebe Tante, aber das werde ich nicht,« erwiderte die junge Gräfin. »Ich will nicht Gast eines Hauses sein, dessen Herr uns in solcher Weise gegenübersteht. Ich ertrage das so wenig, wie Leo.«

»Glaubst du, daß es deiner Tante leicht wird, hier standzuhalten?« fragte der Graf vorwurfsvoll. »Sie bringt uns das Opfer, weil sie uns Wilicza für den äußersten Fall sichern will, weil es überhaupt nicht aufgegeben werden darf, wenigstens für die Dauer nicht, und mit ihrem Fortgehen ist es uns verloren. Ich kann von dir wohl die gleiche Selbstüberwindung fordern.«

»Aber weshalb ist denn gerade meine Gegenwart so unumgänglich notwendig?« rief Wanda mit kaum unterdrückter Heftigkeit. »Die Rücksichten, denen sich die Tante beugt, gelten doch für mich nicht – laß mich zu Hause, Papa!«

»Gib nach, Wanda,« bat Leo, »bleibe bei meiner Mutter! Wilicza liegt der Grenze um so vieles näher, ist um so vieles leichter zu erreichen; wir können besser in Verbindung miteinander bleiben. Vielleicht mache ich es möglich, dich einmal zu sehen. Ich hasse Waldemar gewiß nicht weniger als du, seit er sich offen als unser Feind erklärt hat, aber um meinetwillen bezwinge dich und ertrage seine Nähe!«

Er hatte ihre Hand ergriffen. Wanda entzog sie ihm mit einer stürmischen Bewegung. »Laß mich, Leo! Wenn du wüßtest, warum mich deine Mutter durchaus in ihrer Nähe haben will, du wärest der erste, der sich dagegen setzte.«

Die Fürstin runzelte die Stirn, und ihrer Nichte rasch das Wort abschneidend, wandte sie sich zu dem Grafen:

»So zeige endlich einmal die väterliche Autorität, Bronislaw, und befiehl ihr zu bleiben! Sie muß in Wilicza bleiben.«

Die junge Gräfin fuhr auf bei diesen mit voller Härte ausgesprochenen Worten, die sie augenscheinlich zum Aeußersten brachten.

»Nun denn, wenn du mich dazu zwingen willst, so mögen mein Vater und Leo auch den Grund erfahren. Ich habe deine dunkeln Worte neulich nicht begriffen – jetzt verstehe ich sie. Ich soll der Schild sein, mit dem du dich deinem Sohne gegenüber deckst. Du glaubst, daß ich die einzige bin, die Waldemar nicht opfert, die einzige, die ihn zurückhalten kann. Ich glaube das nicht, denn ich kenne ihn besser als du, aber gleichviel, wer von uns recht hat – ich will die Probe nicht machen.«

»Und ich würde das auch nun und nimmermehr dulden,« brauste Leo auf. »Wenn das der Grund war, so bleibt Wanda in Rakowicz und setzt keinen Fuß nach Wilicza. Ich habe geglaubt, Waldemars einstige Neigung sei längst begraben und vergessen; ist sie es nicht – und sie kann es nicht sein, sonst wäre der Plan nicht gefaßt worden – so lasse ich dich auch nicht einen Tag in seiner Nähe.«

»Sei ruhig!« sagte Wanda, aber ihre eigene Stimme war nichts weniger als ruhig. »Ich lasse mich nicht wieder als bloßes Werkzeug gebrauchen, wie damals in C. Einmal habe ich mit diesem Manne und seiner Liebe gespielt; zum zweitenmal thue ich es nicht. Er hat mich seine Verachtung fühlen lassen – ich weiß, wie das lastet, und doch handelte es sich damals nur um die Laune eines unbesonnenen Kindes. Wenn er jetzt einen Plan, eine Berechnung entdeckte und ich müßte das eines Tages in seinen Augen lesen – eher sterben als das ertragen!«

Sie hatte sich von ihrer Heftigkeit so weit fortreißen lassen, daß sie ihre ganze Umgebung darüber vergaß. Hochaufgerichtet, mit glühenden Wangen und flammenden Augen schleuderte sie die Worte so leidenschaftlich heraus, daß der Graf sie befremdet und die Fürstin bestürzt anblickte. Leo dagegen, der dicht an ihrer Seite stand, wich zurück; er war bleich geworden, und in seinen Augen, die starr und fragend auf ihrem Antlitz hafteten, stand mehr als bloße Befremdung oder Bestürzung.

»Eher sterben!« wiederholte er. »Liegt dir so viel an Waldemars Achtung? Verstehst du es so gut, in seinen Augen zu lesen? Das ist doch seltsam.«

Eine heiße Röte ergoß sich urplötzlich über Wandas Gesicht, sie mochte es wohl selbst nicht wissen, denn sie warf dem jungen Fürsten einen Blick ungekünstelter Entrüstung zu und wollte ihm antworten, als ihr Vater dazwischen trat.

»Nur jetzt keine von deinen Eifersuchtsscenen, Leo!« sagte er ernst. »Willst du uns den Abschied stören und Wanda noch in der letzten Minute beleidigen? Da du jetzt auch darauf bestehst, so mag sie in Rakowicz bleiben; meine Schwester wird euch in diesem Punkte nachgeben, aber nun kränke Wanda nicht länger mit einem solchen Verdachte! Die Zeit drängt – wir müssen lebewohl sagen.«

Er zog die Tochter an sich, und jetzt im Augenblicke der Trennung brach wieder die ganze Zärtlichkeit des ernsten, düsteren Mannes für sein einziges Kind hervor, das er mit tiefer, schmerzlicher Bewegung in die Arme schloß. Die Fürstin dagegen wartete umsonst auf die Annäherung ihres Sohnes; er stand noch immer mit tiefverfinstertem Gesicht da, das Auge am Boden, und biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten.

»Nun, Leo,« mahnte die Mutter endlich, »willst du mir nicht lebewohl sagen?«

Er schreckte aus seinem Brüten empor. »Noch nicht, Mama! Ich folge dem Onkel erst später; er braucht mich fürs erste nicht. Ich will noch einige Tage hier bleiben.«

»Leo!« rief der Graf zürnend, während Wanda sich mit dem gleichen Ausdrucke aus seinen Armen emporrichtete, aber das schien den jungen Fürsten in seinem Trotze nur noch zu bestärken.

»Ich bleibe,« beharrte er, »auf zwei oder drei Tage kann es unmöglich ankommen. Erst will ich Wanda selbst nach Rakowicz zurückgeleiten und die Gewißheit haben, daß sie dort bleibt, vor allen Dingen aber will ich Waldemars Ankunft abwarten und mir auf dem kürzesten Wege Klarheit verschaffen. Ich werde ihn über seine Gefühle für meine Braut zur Rede stellen; ich werde –«

»Fürst Leo Baratowski wird thun, was seine Pflicht ihm befiehlt, und nichts andres,« unterbrach ihn die Fürstin. Ihre kalte, klare Stimme stand im schärfsten Gegensatz zu dem wild erregten Tone des Sohnes. »Er wird seinem Oheim folgen, wie es bestimmt ist, und nicht eine Minute von seiner Seite weichen.« »Ich kann nicht,« rief Leo ungestüm, »Ich kann nicht fort mit diesem Argwohne im Herzen. Ihr habt mir Wandas Hand zugesagt, und doch durfte ich nie ein Recht auf sie geltend machen. Sie selbst hat darin immer kalt und unerbittlich auf eurer Seite gestanden; sie wollte immer nur der Preis des Kampfes sein, in den wir gehen. Jetzt aber fordere ich, daß sie vorher öffentlich und feierlich sich zu meiner Braut erklärt, hier, in Waldemars Gegenwart, vor seinen Augen. Dann will ich gehen, aber eher weiche ich nicht aus dem Schlosse. Waldemar hat sich ja in einer so überraschenden Weise zum Herrn und Gebieter aufgeworfen, was ihm niemand zutraute; er könnte sich einmal ebenso plötzlich in einen glühenden Anbeter verwandeln.«

»Nein, Leo,« sagte Wanda mit zorniger Verachtung, »aber dein Bruder würde sich beim Beginne eines Kampfes sicher nicht weigern, seiner Pflicht zu folgen, und sollte es ihm auch Glück und Liebe kosten.«

Das war das schlimmste, was sie überhaupt hätte aussprechen können, denn das raubte dem jungen Fürsten vollends die Fassung; er lachte bitter auf.

»O, ihm nicht! Aber mir könnte es leicht beides kosten, wenn ich jetzt ginge und dich deiner schrankenlosen Bewunderung für ihn und sein Pflichtgefühl überließe. – Onkel, ich verlange Aufschub für meine Abreise, nur um drei Tage, und wenn du mir das versagst, so nehme ich ihn mir. Ich weiß, daß in der ersten Zeit noch nichts Entscheidendes geschieht, und zu den Vorbereitungen komme ich noch immer früh genug.«

Die Fürstin wollte einschreiten, aber der Graf hielt sie zurück. Mit seiner vollen Autorität trat er vor den Neffen hin.

»Darüber habe ich zu entscheiden und nicht du. Ich habe unsre Abreise für heute festgesetzt; ich halte sie für notwendig, und dabei bleibt es. Wenn ich jeden meiner Befehle erst deiner Prüfung unterbreiten oder ihn von deinen Eifersuchtslaunen abhängig machen soll, so ist es besser, du gehst überhaupt nicht mit mir. Ich fordere jetzt den Gehorsam, den du deinem Führer zugesagt hast. Entweder du folgst mir noch in dieser Stunde, oder – mein Wort darauf! – ich schließe dich von allem aus, worüber ich zu gebieten habe – du hast die Wahl.«

»Er wird folgen, Bronislaw,« sagte die Fürstin mit finsterem Ernste, »oder er wäre mein Sohn nicht mehr. Entscheide, Leo! Dein Oheim hält Wort.« Leo stand im heftigsten Kampfe da. Die Worte des Oheims, der gebietende Blick der Mutter wären vielleicht machtlos geblieben gegen seine furchtbar aufgereizte Eifersucht, aber er sah, daß auch Wanda sich von ihm abwendete – er wußte, daß sein Bleiben ihm ihre Verachtung eintragen würde, und das entschied. Er stürzte zu ihr und faßte wieder ihre Hand.

»Ich – gehe,« stieß er hervor, »aber du gibst mir das Versprechen, während meiner Abwesenheit Wilicza zu meiden und meine Mutter nur in Rakowicz zu sehen, vor allem aber Waldemar fern zu bleiben.«

»Das wäre ohnedies geschehen,« entgegnete Wanda in milderem Tone. »Du vergißt, daß nur meine Weigerung, in Wilicza zu bleiben, deine ganz grundlose Eifersucht verschuldet hat.«

Leo atmete bei dieser Erinnerung auf. Ja freilich, sie hatte sich mit vollster Heftigkeit geweigert, die Nähe seines Bruders zu ertragen.

»Du hättest mich besser überzeugen sollen,« versetzte er ruhiger. »Vielleicht bitte ich dir einst die Kränkung ab, jetzt kann ich's noch nicht, Wanda.« Er preßte ihre Hand krampfhaft in der seinigen. »Ich glaube es ja nicht, daß du jemals den Verrat an dir und an uns begehen könntest, diesen Waldemar zu lieben, unsern Feind, unsern Unterdrücker. Aber du sollst auch keine Regung der Achtung, der Bewunderung für ihn haben; es ist schon schlimm genug, daß er dich liebt, und daß ich dich in seiner Nähe wissen muß.«

»Du wirst deine Not haben mit diesem Feuerkopf,« sagte die Fürstin halblaut zu ihrem Bruder. »Er kann nun einmal das Wort ›Disziplin‹ nicht begreifen.«

»Er wird es lernen,« erwiderte der Graf mit ruhiger Festigkeit. »Und nun leb wohl, Jadwiga! Wir müssen fort.«

Der Abschied war kurz und weniger herzlich, als er sonst wohl unter diesen Verhältnissen gewesen wäre.

Der tiefe Mißklang, den die vorangehende Scene wachgerufen, ging selbst durch den Trennungsaugenblick. Wanda duldete es schweigend, daß Leo sie in die Arme schloß, aber sie erwiderte die Umarmung nicht, während sie sich doch gleich darauf mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit nochmals an die Brust ihres Vaters warf. Auch in den Abschied zwischen Mutter und Sohn drängte sich jener Mißklang. Es war eine Ermahnung, eine Warnung, welche die Fürstin Leo zuflüsterte, und sie klang so ernst, daß er sich rascher als sonst aus ihren Armen wand. Dann reichte der Graf seiner Schwester noch einmal die Hand und ging in Begleitung seines Neffen; sie nahmen draußen im Vorzimmer die Mäntel um und stiegen in den harrenden Wagen. Noch ein Gruß zu den Fenstern hinauf und von dort hernieder, dann zogen die Pferde an, und bald verklang das Rollen der Räder in der Ferne.

Die beiden Frauen waren allein. Wanda hatte sich in das Sofa geworfen und das Gesicht in die Kissen vergraben; die Fürstin stand noch am Fenster und sah dem Wagen nach, der ihren Liebling davontrug, dem Kampfe, der Gefahr entgegen. Als sie endlich in das Zimmer zurücktrat, sah man es doch, was der Abschied ihr gekostet hatte, – sie behauptete nur mit Mühe die gewohnte äußere Ruhe.

»Es war unverzeihlich von dir, Wanda, gerade in einer solchen Stunde an Leos Eifersucht zu appellieren, um mit seiner Hilfe deinen Willen durchzusetzen,« sagte sie mit bitterem Vorwurfe. »Du kennst ihn doch hinlänglich in diesem Punkte.«

Die junge Gräfin hob den Kopf. Ihre Wangen zeigten noch die Spuren der eben vergossenen Thränen.

»Du selbst zwangst mich dazu, Tante. Mir blieb kein andres Mittel, und überdies konnte ich nicht ahnen, daß Leos Eifersucht auch mir gelten, daß er auch mich mit einem solchen Verdachte beleidigen würde.«

Die Fürstin stand vor ihr und sah sie durchbohrend an. »Beleidigte er dich wirklich damit? Nun, ich will es hoffen.«

»Was meinst du?« rief Wanda emporschreckend.

»Mein Kind,« entgegnete die Fürstin in eisigem Tone, »du weißt, ich habe niemals Leos Partei genommen, wenn er dich mit seiner Eifersucht quälte – heute nehme ich sie, wenn ich es ihm gegenüber auch nicht zugab, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Der Ton, mit dem du dieses ›Eher sterben!‹ herausschleudertest, brachte auch mein Blut in Wallung, und deine Furcht vor Waldemars Verachtung war sehr verfänglich, so verfänglich, daß ich jetzt freiwillig auf deine Anwesenheit in Wilicza Verzicht leiste. Als ich den Plan entwarf, glaubte ich deiner unbedingt sicher zu sein; jetzt konnte ich ihn wirklich nicht mehr vor Leo verantworten und stimme dir vollkommen bei, wenn du – die Probe nicht wagen willst.«

Wanda hatte sich erhoben. Totenbleich, keines Wortes fähig, starrte sie die Sprechende an; sie hatte das Gefühl, als öffne sich auf einmal ein Abgrund vor ihren Füßen, und wie vom Schwindel ergriffen lehnte sie sich an das Sofa.

»Du täuschest dich,« brachte sie endlich mühsam heraus, »oder du willst mich täuschen. Das habe ich nicht verdient.«

Die Fürstin ließ das Auge nicht von dem Gesicht ihrer Nichte. »Ich weiß, daß du noch keine Ahnung davon hast, und ebendeshalb gebe ich sie dir. Nachtwandler muß man wecken, ehe sie die gefahrdrohende Höhe erreichen. Wenn das Erwachen plötzlich kommt, ist der Sturz unausbleiblich. Dir ist von jeher die Energie, die eiserne Willenskraft am Manne das Höchste gewesen; das allein zwingt dich zur Bewunderung. Ich weiß leider, daß Leo dieses eine trotz all seiner glänzenden Eigenschaften nicht besitzt, und ich leugne auch nicht mehr, daß Waldemar es hat; also nimm dich in Acht mit deinem – Haß gegen ihn! Er könnte sich dir eines Tages als etwas andres enthüllen. Ich öffne dir jetzt die Augen, wo es noch Zeit ist, und ich denke, du wirst mir dankbar dafür sein.«

»Ja,« entgegnete Wanda mit fast erloschener Stimme. »Ich danke dir.«

»So wollen wir die Sache ruhen lassen; noch hat sie hoffentlich keine Gefahr, und morgen bringe ich dich selbst nach Rakowicz zurück. – Jetzt aber muß ich dafür sorgen, daß auch heute abend hier die nötige Vorsicht beobachtet wird, damit uns nicht noch am letzten Tage irgend ein Unheil trifft. Ich werde Pawlick meine Befehle geben und das Ganze persönlich überwachen.«

Damit verließ die Fürstin das Zimmer, fest überzeugt, daß sie nur ihre Pflicht gethan, und einem künftigen Unheil vorgebeugt habe, indem sie energisch und schonungslos wie immer den Schleier zerriß, welcher der jungen Gräfin noch das eigene Herz verhüllte. Hätte sie gesehen, wie Wanda nach ihrer Entfernung wie vernichtet zusammensank, es wäre ihr doch vielleicht klar geworden, daß hier die gefahrdrohende Höhe bereits erreicht war, wo der Anruf tödlich werden konnte. Er vermochte nicht mehr zu warnen oder zu retten. Das Erwachen kam zu spät.


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